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The Lamb Lies Down On Broadway Event 2012 – Bericht II
Clubmitglied und Autor verschiedener Website-Artikel Jan Hecker-Stampehl war an beiden Tagen des Lamb-Event 2012 in Welkers vor Ort und schildert seine Eindrücke.
Mitte März, ein ganz gewöhnliches Wochenende, irgendwo in Hessen. Ganz gewöhnlich? Nein! Gut 100 Leute kommen aus ganz Deutschland, aus Frankreich, England, Schweden, Italien, Österreich und den USA angereist, um am 20-Jahre-Jubiläums-Event des deutschen Genesis Fanclubs it teilzunehmen.
Endlich schaffe ich es zu einem Genesis-Fanclub-Event – und dann geht es noch um mein absolutes Lieblingsalbum (überhaupt)! Da muss ich doch hin! Als die Ankündigung raus war – sofort Tickets für Event, Zugfahrt und noch die Übernachtung gesichert. Alles klar, der Tag kann kommen! Dann ist es soweit – die Spannung steigt und ich merke, je näher der 10. März rückt: “all the pumping’s nearly over for my sweetheart”.
Wrapped up in some powdered wool – I guess I’m losing touch,
don’t tell me this is dying, ‚cos I ain’t changed that much
Ach, doch nicht tot, so sehr habe ich mich dann doch nicht verändert, auch wenn’s sich im ersten Augenblick etwas anders anfühlt. Halbwegs früh aufgestanden heißt es, auch wenn Welkers – der Ort des Geschehens – einigermaßen in der Mitte Deutschlands liegt. Während ein sicher nicht unerklecklicher Anteil die Anreise per Auto wählt: “metal motion comes in bursts, but the gas station can quench that thirst…”, gilt für mich: “and out of the subway!” – na gut, war doch nur Straßenbahn/Bus zum Berliner Hauptbahnhof. “But I’m sure I hear a train”– von Tür zu Tür in vier Stunden (davon ½ Stunde Wartezeit in Fulda auf die Bimmelbahn nach Welkers) – schneller als gedacht!
Als ich dann in Welkers aus dem Zug steige, kann ich nur noch denken “there’s nothing I can recognize; this is nowhere that I’ve known” – aber ich merke gleich an mehreren zielstrebig den Wegweisern Richtung Bürgerhaus folgenden Menschen, dass ich richtig sein muss. Nach 5 Minuten Fußweg angekommen, hmm… “with no sign of life at all, I guess that I’m alone…”? Aber nein, ich bin einfach nur zu früh da und muss noch warten, bis die letzten Vorbereitungen abgeschlossen sind. In der Zwischenzeit trudeln weitere Frühankömmlinge ein, die ersten Gespräche kommen in Gang, die ersten bekannten Nicknames aus dem Forum fallen …wo bei bei weitem nicht alle Event-Besucher auch im Forum aktiv sind. Je näher die Einlasszeit 13.00 Uhr rückt, desto mehr ähnelt die wartende, mit zunehmender Uhrzeit immer stärker in Richtung Tür strebende Menge den “Carpet Crawlers” – “they’re moving in time, to a heavy wooden door”und “there’s only one direction in the faces that I see”– sozusagen.
“At the top of the stairs, there’s hundreds of people – running around to all the doors”… – endlich werden die Türen geöffnet! Nach einer ersten Stärkung mache ich mich auf den Weg zur Ausstellung und wow! – “a magnificent chamber meets his eye”! Was für eine großartige Ansammlung verschiedenster Lamb-Memorabilia sich hier auf dichtestem Raum bestaunen lässt: verschiedenste Tonträger-Ausgaben, Eintrittskarten, Konzertposter, Presseberichte und z.B. auch eine Auswahl von Originaldias, wie sie seinerzeit bei den Lamb-Shows zum Einsatz kamen. Wahnsinn! Die vielen Besprechungen zu Album und Tournee, in die man reinlesen kann, vermitteln einem ein eindrückliches Bild davon, wie angesagt Genesis seinerzeit tatsächlich waren – ganz so hoch hätte ich den Kultstatus damals gar nicht vermutet – sogar die BRAVO feierte Genesis!
Die Ausstellung werde ich in den Pausen immer wieder zur genaueren Betrachtung ansteuern, doch viel Zeit bleibt erstmal nicht, denn bald steht schon der erste Programmblock an. Die Fanclub-Führungscrew aus Helmut, Peter, Bernd und Christian gibt eine humorvolle Einleitung zu 20 Jahren Fanclub-Dasein. Dann wird der Stab auch schon bald an Serge Morrissette weitergegeben, bei The Musical Box verantwortlich für Licht, Showdesign und Bühnengestaltung. Er präsentiert zunächst eine eigens produzierte Video-Dokumentation über die Entstehung des Albums und zur nachfolgenden Tournee. Dabei erfahre zumindest ich eine Menge neuer Details – etwa, dass man die Lederjacke, damals essenzielles Element von Peters Bühnengarderobe, heute noch in den USA kaufen kann, na sowas! Interessant sind auch zahlreiche neue Informationen zur Entstehung der Dias und der Lightshow. Man merkt, wie sehr Serge Morrissette durch seine jahrelange akribische Arbeit an Insiderkenntnis gewonnen hat – umso toller, dass er diese mit uns teilt. Wie sich diese Arbeit für die Shows von The Musical Box ausgewirkt hat, zeigt er in einer zweiten kurzen Video-Dokumentation, eine Art “Making Of” der Lamb-Shows und der sonstigen Aktivitäten von The Musical Box. Zwischen diesen beiden Dokus zeigt Serge einige Demos, die er für die DVD, die der 2007er Reissue des Lamb-Albums beilag, produziert hatte. Im Auftrag von Genesis hatte Serge die einigen sicher bekannte Zusammenstellung aus den Dias und dazu Foto-Stills zusammengestellt, mit deren Hilfe man zumindest ansatzweise die Show nachempfinden konnte. Diese Demos wirken im Nachhinein fast wie die Ausgangsbasis für die zweite, weitaus aufwändigere Videoproduktion, die im zweiten Block zu bestaunen ist. Erstmal aber eine Pause!
“The scent grows richer, he knows he must be near” – dem Kaffeegeruch nach und gleich noch so ein leckeres Stück selbstgebackenen Kuchen dazu. So gestärkt, ist es Zeit, sich den Verkaufsständen, die locker über das Bürgerhaus verteilt sind, zu widmen, der The Grand Parade of Lifeless Packaginggewissermaßen. An den vier, fünf Ständen sind teils sehr seltene Vinylausgaben, alte Konzertposter, Videos, Promo-CDs, Bücher und Zeitschriften verschiedenster Art, Box-Sets von Genesis und aus dem Genesis-Umfeld sowie weitere Kostbarkeiten zu erwerben. “Everyone’s a sales representative, wearing slogans in their shrine”– am Stand des italienischen Verkäufers hofft man inständig, der gute Mann möge aus lauter Nostalgie noch Lire-Preise auf seiner Ware stehen haben – doch weit gefehlt. Wem das absolute Sammler-Gen abgeht (so wie mir), kann sein Konsumverhalten hier wohl noch etwas besser im Zaum halten.
“Each person can’t go very far” – schnell zurück auf die Plätze, denn der zweite Videoblock mit dem Konzertfilm steht an. Klingt jetzt vielleicht etwas nach gemeinsamem Fernsehgucken und ich gebe es zu: Vor dem Event dachte ich, “joa, nett, ein wenig Video angucken und so”. Ich ahnte nicht, wie sehr ich mich irren würde. “In a glare of a light, I see a strange kind of sight” – Serge Morrissette hat sich die Riesenmühe gemacht, aus unzähligen Filmschnipseln, allesamt ursprünglich Super-8-Publikumsaufnahmen, einen kompletten Lamb-Konzertfilm zusammenzuschneiden. Wo es keine Filmaufnahmen gab, werden Fotos von der Bühne eingesetzt oder die Dia-Screens gezeigt. Den Soundtrack dazu liefert Tom Morgenstern von TM Productions, der das legendäre Konzert aus dem Shrine Auditorium vom 24.1.1975 in ebenso mühevoller Akribie zu neuem Glanz gemastert hat. Zur Erinnerung: Auf dem Archive #1 ist dieses Konzert vorhanden – mit den mittlerweile mindestens berüchtigten (wenn nicht kritisierten), von Peter Gabriel neu aufgenommenen Vocals. Hier bekommt man den Original-Peter anno 1975 zu hören. Man ist wirklich baff ob der exzellenten Klangqualität, die sich aus der zur Verfügung stehenden Quelle herauskitzeln ließ. Serge hat die Filmausschnitte dann mit der Musik synchronisiert, so dass – und das ist die große Leistung der beiden – man wirklich das Gefühl haben kann, ein Genesis-Konzert von 1974/75 von der Lamb-Tournee zu verfolgen. Das Verrückte ist, dass ich nach kürzester Zeit vergesse, dass ich einen Film gucke. OK, ich weiß schon noch, dass ich mich 2012 in Welkers befinde und es ist “nur eine Film”. Aber der schafft es, mich und viele andere in seinen Bann zu ziehen. Klar: Die Qualität einiger Filmschnipsel ist an einigen Stellen grottig – aber das ist in diesem Moment vollkommen egal. Je länger der Film andauert, desto mehr denke ich an die Textzeile “Is this the way out from the endless scene? Or just an entrance to another dream?”
Da die Konzerte seinerzeit nicht professionell gefilmt wurden, ist dieser Film die größtmöglich denkbare Annäherung an ein Konzertvideo. Er genügt natürlich unseren heutigen Seh- und Hörgewohnheiten kaum, doch hat der Film seinen eigenen Charme und er erzeugt eine authentische Atmosphäre – ich habe mehrfach Gänsehautmomente. Allein für dieses Erlebnis hatte sich die Fahrt auf jeden Fall gelohnt – denn der Film wurde nur an beiden Tagen jeweils einmal gezeigt und ist aus rechtlichen Gründen nicht für den Erwerb oder Download zugänglich. Das macht den Besuch in Welkers noch einmal umso besonderer. Diesen Film hätten viele Fans sicher gerne in ihrer Privatsammlung – immerhin hat Tom in Aussicht gestellt, den Audiopart der Bootleg-Sammlergemeinde zugänglich machen zu werden.
Nach so einem fesselnden Ereignis merkt man unweigerlich: “lips are dry, throat is dry”, da hilft nur noch ein Weg in die “singles bar”, wo Speis und Trank warten, die zu wirklich mehr als günstigen Preisen feilgeboten werden. Gleich nebenan gilt wiederum das Motto “it is shaken, not stirred, cocktails on the roof…”, denn dort hat Katrin-aka-Zahme-Lamie ihre Cocktail-Bar eröffnet und bringt mit ihren phantasievoll selbst kreierten Getränkemixes selbst gestandene Fans kurzzeitig zum Wanken. Die Cocktails tragen allesamt herrliche Namen, die auf Genesis-Songtitel oder Figuren aus den Texten u.ä. verweisen. Ein Riesenspaß und obendrein sehr lecker, wie festzustellen war!
Like a supper it is cooking in your hometown…
Die Abende, vor allem der Samstagabend, gehören dem geselligen Beisammensein und dem näheren gegenseitigen Kennenlernen. Der Landgasthof Buch fährt auf, was die hessische traditionelle Küche zu bieten hat und scheint weder Sperrstunde noch zur Neige gehende Biervorräte zu kennen. Diese persönlichen Begegnungen sind gewissermaßen “some company unthought of” – gerade, wenn man Leute aus dem Forum trifft und voller Erstaunen feststellt, dass Nickname und realer Name jetzt noch in Einklang gebracht werden müssen und dass nicht alle so aussehen wie ihre Avatare (Zitat: “ich dachte, du sähest schon so ähnlich aus wie Tony Banks!”).
Ein ausgedehnter Spaziergang am Sonntagmorgen offenbarte einem kleinen Trupp an Genesis-Fans dann den wirklichen Grund für die Wahl des Ortes. Nur einige Schritte hinter dem Bürgerhaus begannen die rapids (naja, es war ein Mühlenbach), der breite Spazierpfad konnte durchaus als broadway gedeutet werden, das lamb war bereits von der Weide entfernt und für die Ausstellung im Bürgerhaus ausgestopft worden, das ortsbekannte Stachelschwein (engl. porcupine) war vom Fanclub rasch einem Biber-Biotop untergejubelt worden und zurück am Bahnhof Welkers ertönten die subway sounds und, zumindest nach gewisser Wartezeit, auch die sounds of complaint. Da konnte man sich nur noch denken “it’s all around me” – oder, wie das Motto des Events lautete: “it is here – it is now”!
Autor: Jan Hecker-Stampehl (im Forum: Earl)
Fotos: Christian Gerhardts, Anneke Reinsperger