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The Effect (Collins, Lukather, Stang) – Rezension
Im Herbst 2024 erschien nach zahlreichen Vorab-Singles endlich das Debütalbum der Band The Effect, in der Nicholas Collins Schlagzeug spielt.
Vorgeschichte:
Als im Oktober 2023 die Meldung publik wurde, dass Nicholas Collins und Trevor Lukather gemeinsam eine Band gegründet hatten, sorgte das bei Musikfans durchaus für Erwartungen und Vorfreude. Gerade in einer Zeit, in der die traditionelle Pop- und Rockmusik im Bandformat zusehends von Rappern, Deejays und Einzelkünstlern verdrängt wird, feierten nicht wenige vorab das Potenzial dieser “next generation supergroup”.
Und dass die Herren Lukather und Collins als Söhne von einerseits Gitarrenlegende und Toto-Gründungsmitglied Steve Lukather, sowie andererseits Drummerikone, Genesis-Frontmann und Solosuperstar Phil Collins ein enormes musikalisches Potenzial haben, ist nicht nur nach dem “Like father, like son”-Prinzip eine schlüssige Vermutung. Beide hatten das zu diesem Zeitpunkt längst unter Beweis gestellt. Trevor Lukather hatte sich als Produzent diverser Musik-Acts in der Umgebung von LA und als Songwriter und Gitarrist für eigene Solosachen und Bandprojekte (beachtenswert hier vor allem ZFG mit Sam Porcaro am Bass) einen Namen gemacht und durfte als Co-Autor bei einigen Stücken auf Papas Soloscheiben mitwirken. Nicholas Collins konnte als Drummer bei Phils Not Dead Yet-Tour und anschließend auf der letzten Tour von Genesis (The Last Domino?) zeigen, dass er mühelos sowohl Pophits, als auch progressive Longtracks mit seinem Drumming bereichert und trotz seines jungen Alters ein vollwertiges Bandmitglied und ein echter Teamplayer ist. Als “Zugabe” durfte er dann auch noch Gary Wallis auf der Mechanics-Tour im Jahr 2023 vertreten.
Dennoch war das Zusammenfinden von Nicholas und Trevor in einer neuen Gruppe keine Selbstverständlichkeit, denn die Erfahrungen mit eigenen Bands waren bei beiden durchaus durchwachsen. Collins war mit BETTER STRANGERS, einer Band mit alten Freunden, durchaus bemüht, Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber trotz Veröffentlichung einiger Singles kam man nicht so recht vom Fleck. Mittlerweile pausieren BETTER STRANGERS, nachdem sie sich von ihrem Sänger getrennt haben, mit dem man offensichtlich nicht glücklich wurde. Noch schlimmer erwischte es Lukather, der nach eigener Aussage eigentlich nie wieder in einer Band spielen wollte. Er hatte zuvor seine ganze Energie in die Band LEVARA gesteckt und war dann kurz nach Veröffentlichung des ersten Albums von den anderen beiden Mitgliedern aufgrund von nervigen Egotrips aus der eigenen Band gekickt worden.
Bei THE EFFECT fanden Collins und Lukather, die beim Kennenlernen zahlreiche Parallelen in ihrer musikalischen Sozialisation entdeckten, nun ihre neue kreative Heimat, und mit Steve Maggiora (Keyboards) und Emmett Lee Stang (Leadgesang) zwei versierte Mitstreiter, um die Band zum Leben zu erwecken. Maggiora, der zeitgleich auch in der Liveband von Toto spielte, stieg jedoch Anfang Mai 2024 wieder aus. Die Gründe dafür sind bis heute unklar. Zu diesem Zeitpunkt waren die Album-Aufnahmen bereits abgeschlossen, so dass Maggioras Beiträge (Keyboards und Backing Vocals) dort verewigt sind. Als Bassist der Band fungiert Josh Paul, der jedoch nicht offiziell zum Lineup zählt und auch nicht mit den anderen tourt.
Das Album
Von der Gründung von THE EFFECT bis zum Release des Debütalbums verging ziemlich genau ein Jahr. In dieser Zeit wurden insgesamt sechs Songs vorab auf Streaming-Portalen und bei youtube veröffentlicht. Während dessen spielte die Band u.a. im Vorprogramm von Billy Idol (Frühjahr, USA) und als Opener von Toto (Sommer, Deutschland). Insgesamt umfasst der Erstling elf Stücke bei einer Gesamtspielzeit von knapp 44 Minuten. Von diesen elf Stücken wurden alle bis auf Track 7 (geschrieben von Steve Perry, Jonathan Cain und Neal Schon) von der Band selbst komponiert und getextet.
Tracklist:
Toxic Envy
Unwanted
TIND
World Between Us
Sadistic Love
High Life
It Could Have Been You
Sight Unseen
Head Of Collision
Something Wrong
Still In It
Produktion / Klang / Arrangement
Trevor Lukather, der das Album produziert hat, war hörbar darauf bedacht, der Band einen zeitgemäßen, modernen Sound zu verpassen. Die Songs sind allesamt kompakt und basieren auf wuchtigen Drums, elektrischen Gitarren und synthetischen Keyboardklängen. Stang hat als Leadsänger ein großes Volumen, eine gute Range und auch die nötige Portion Dreck in der Stimme. Es rockt größtenteils ziemlich ordentlich und erinnert oft an eine dezent aufgefrischte Version von 80er AOR. Die Arrangements sind durchgehend sehr dicht, da meistens alle Instrumente zur gleichen Zeit spielen. Hier wäre ein bisschen weniger Überfrachtung und mehr “Leere” ab und an für die Ohren angenehmer.
Formate
Während das Album in digitaler Form am 15. November erscheint, können Tonträgerfans eine CD seit Oktober erwerben, allerdings bislang nur über den bandeigenen Webshop. Wer Wartezeit und Mehrpreis aufgrund von Lieferkosten und Zoll auf sich nimmt, bekommt dann eine CD im aufklappbaren Digipack ohne Booklet. Das Albumcover schmückt das durchaus prägnante (im übrigen von Lukathers Cousin Jake Hays) gestaltete Bandlogo, während auf der Rückseite die Tracklist zu finden ist. Im Inneren gibt es ein Foto der drei verbliebenen Bandmitglieder und ein paar Credits, die aber aufgrund von Schriftgröße und Typografie selbst mit Lupe kaum zu lesen sind. Da fragt man sich schon, wer einen solchen Quatsch absegnet. Alles in allem wäre für den gezahlten Preis eine etwas wertigere Ausstattung der CD wünschenswert gewesen.
Die Songs – Track by track
Toxic Envy, der Opener, ist schon mal ein ziemliches Brett. Hard rockende Gitarrenriffs paaren sich mit treibenden Drums. Collins attestiert dem Stück, nicht nur das größte Hardrockpotenzial zu haben, sondern benennt es explizit als seinen “favorite drumming part”. Und ja, das Schlagzeug spielt hier nicht stur geradeaus, sondern bleibt in permanenter, aber insgesamt songdienlicher Unruhe. Der Chorus zeigt sich dann stadionhymnentauglich, womit die Band deutlich macht, dass sie bei aller Technik nie den Wert guter Melodien aus dem Auge verliert. Toxic Envy wurde im März 2024 als 3. Vorabsingle veröffentlicht.
Unwanted ist einen Tick straighter und groovt in der Strophe locker-flockig. Im Chorus packen THE EFFECT dann einen echten Ohrwurm aus. Das ist schon sehr eingängig auf den Punkt komponiert. Nicht umsonst war dies die erste Single der Band, die im Oktober 2023 eine prägnante Duftmarke als neue melodische Rockband hinterließ. Lukather spendiert dem Stück (wie auch allen anderen) ein nettes Gitarrensolo. Es gibt von Unwanted übrigens noch eine komplett anders klingende Balladenversion, die die Band von ihrer kuschelrockigen Seite zeigt. Sehr gelungen, aber leider nicht Teil dieses Albums. Dabei hätte man die gut als Bonustrack ans Ende packen können.
TIND steht (warum auch immer) für “There is no doubt”. Hier gibt es erstmals cleanere Gitarren zu hören, und Collins spielt mit Rimshots und Rims, was nach dem rockigen Beginn des Albums nun für eine Prise Leichtigkeit sorgt. Erneut ein eingängiges, eher poprockiges Stück mit ein paar “oohooh”- Chören, die Coldplay auch nicht besser hinbekommen hätten. TIND war Single Nr. 6, und erschien kurz vor dem Album Anfang Oktober 2024.
World Between Us schlägt wieder einen rockigeren Kurs ein. Abermals gibt es unisono zum Bass gespielte Gitarrenriffs zu einem treibenden Beat. Maggiora setzt nette Keyboardakzente, und während des Gitarrensolos packt Collins dann auch mal die Doublebassdrum aus. Auch dieser Song ist gefällig, aber etwas unscheinbarer als die vorherigen.
Sadistic Love drosselt das Tempo ein wenig. Wenn man sich die Keyboards wegdenkt, könnte man hier fast einer Grungeband lauschen. Der Song folgt einem ähnlichen Aufbau wie die bislang gehörten, und erstmals erwische ich mich bei dem Gedanken, mich nach Abwechslung zu sehnen.
Mit High Life gibt es dann zumindest wieder mehr Tempo. Der Song ist melodisch recht unspannend, hat aber als durchweg nach vorne marschierender Rocker das Potenzial, live die Bühne zum sprichwörtlichen Brennen zu bringen. Emmett variiert hier zwischen einer Art Sprechgesang (Strophe) und druckvollem Shouten in teilweise höchsten Tonlagen (Chorus). Dazu gibt es jede Menge Gang Vocals, die auch Fans von Bands wie Def Leppard gefallen dürften. High Life war die 5. Vorabsingle im Juli 2024.
It Could Have Been You (im Mai 2024 veröffentlicht) fällt dann musikalisch ein wenig aus dem Rahmen – aber positiv! Der Song war eigentlich gar nicht für das Album geplant, sondern wurde erst nachträglich angegangen. Die Band war Anfang 2024 auf der Suche nach mehr Aufmerksamkeit für sich und ihre Musik auf die Idee gekommen, dieses Cover eines alten, eher unbekannten Journey-Songs aufzunehmen und hierfür dann auch noch Ex-Journey-Sänger Steve Perry als Gastsänger zu rekrutieren. Was wie ein innovativer Coup klingt, ist für Beobachter von Trevor Lukather indes ein alter Hut. Bereits auf dem Levara-Album wirkte Perry bei einigen Songs unterstützend mit, was auch damals schon für Promozwecke genutzt wurde. Außerdem ist Lukathers Frau die Tochter von Jonathan Cain, Keyboarder bei Journey und Co-Autor von It Could Have Been You. Es bleibt also alles in der Familie. Ungeachtet dessen ist das ein richtig guter Song mit starken 80s Vibes, den sich THE EFFECT super zu Eigen gemacht haben. Von Perry ist hier zwar so gut wie nichts zu hören (was Journey-Fans durchaus etwas erzürnte), aber die Klickzahlen dieser 4. Single der Band waren signifikant höher, womit das Ziel einer größeren Bekanntheit erreicht wurde. It Could Have Been You war auch der letzte Song, bei dem Steve Maggiora nicht nur zu hören ist (er glänzt hier durch viel Keyboardarbeit und starke Backing Vocals), sondern auch im Videoclip auftritt. Kurz danach erfolgte sein Ausstieg. Die Entscheidung, diese Nummer mit aufs Album zu packen, war eine sehr gute. Sie fügt sich gut ein, und ist einer der stärksten Album-Momente. Außerdem zeigt sie eine saustarke Produktion von Lukather.
Sight Unseen setzt dann wieder auf die eigenen Trademarks der Band: rockige Riffs, dezente Synthiakzente, powervolles Drumming, mitsingtauglicher Chorus mit ein wenig “oohooh” und natürlich ein Gitarrensolo vor dem finalen Chorus.
Head Of Collision hat ähnliche Zutaten, und der Chorus ist erneut sehr ohrwurmig. Auf der Suche nach Vergleichen mit anderen Bands fiel mir hier spontan die schwedische Melodicrockcombo ECLIPSE ein, die für ihre Alben eine recht ähnliche Formel benutzen. Sicher keine schlechte Referenz, wenngleich auch ECLIPSE-Alben etwas darunter leiden, dass ihre Songs zwar sehr eingängig, aber auch leicht eindimensional klingen.
Something Wrong wurde Ende 2023 als 2. Song der Band vorgestellt. Ich fand ihn schon damals klasse und genieße auch heute noch den Kontrast zwischen den rhythmisch leicht verachachtelten Strophen und einem Chorus, bei dem Emmetts Gesangslinie “die Sonne aufgehen lässt”. An dieser Stelle ist es an der Zeit Trevors Leadgitarrenspiel ein wenig zu würdigen. Weder schreddert er ziellos herum, noch kopiert er schamlos den Stil seines Vaters. Wer genau hinhört, findet in den häufig auskomponierten Solos sowohl spieltechnische Einflüsse von Lukather senIor, als auch von Eddie van Halen (durch den extensiven Gebrauch des Whammy-Bars). Und soundtechnisch sind durch die Benutzung von Octaver und Harmonizer deutliche Anleihen bei Trevor Rabin hörbar. Insgesamt hat Trevor Lukather damit einen eigenen Stil gefunden, der dem Album gut tut.
Still In It ist das letzte Stück und tatsächlich eine waschechte Ballade. Damit wird zum Schluss noch einmal Abwechslung geboten. Die Band nimmt hier nicht nur Tempo, sondern auch Sounddichte raus, was dazu führt, dass man beispielsweise das Bassspiel von Josh Paul erstmals bewusst wahrnimmt. Die letzten Sekunden hört man Nicholas eine Drumfigur unter Einbeziehung der Toms apielen, und für einen kurzen Moment fühlt man sich an Totos I Will Remember erinnert. THE EFFECT kann also auch Balladen, und wahrscheinlich ist das nur eine Andeutung dessen, was sie noch alles können, und wovon man auf ihrem Erstling gerne mehr gehört hätte.
Gesamteindruck
Das erste Album von THE EFFECT lässt sich insgesamt gut durchhören und macht auch durchaus Spaß, wenn man den Ansatz goutiert, der ihm zugrunde liegt. Der bestand nach Aussage der Bandmitglieder darin, dass jeder einzelne Song möglichst eingängig sein und für sich bestehen soll. Also verkürzt gesagt: Singlepotenzial und Radiokompatibilität für jedes Stück. So gesehen ist THE EFFECT eine Punktlandung geglückt, und man kann das ein bisschen verstehen, wenn man sich die Veröffentlichungsstrategien aktueller Künstler ansieht, die heute mehr denn je auf Einzelsongs fokussieren und teilweise gar nicht mehr auf das Albumformat setzen.
Andererseits haben wir hier aber nun einmal ein Album. Und als Album funktioniert das Ganze eben nur mittelprächtig, da es auf Dauer an Abwechslung mangelt. Zu ähnlich sind die verwendeten Sounds, zu austauschbar die Songstrukturen. Spätestens beim fünften Stück mit ähnlichem Riffrock, Synthisound und Trevors immergleichen Gitarreneffekten wünscht man sich eine akustische Gitarre oder einen Klavier- oder Orgelsound, halt mal einen klanglichen Kontrast. Auch wäre es schön, wenn wenigstens ein oder zwei Stücke mal aus der Maxime “Viervierteltakt in circa vier Minuten” ausbrechen. Und wenn das vielleicht zu viel verlangt ist, so hätte man Maggiora, der ein ganz ausgeseichneter Keyboarder ist, zumindest ein Solo zugestehen können, statt ihm nur dabei zuzuhören, wie er Flächen füllt oder schnörkelige Soundgarnituren kredenzt. Das Ganze mag natürlich auch daran liegen, dass man das Gehörte irgendwann unweigerlich mit der Musik von Toto und Genesis vergleicht und dann feststellen muss, dass die Musik der Söhne an die der Väter in Sachen Vielfalt, Raffinesse und Klasse nicht annähernd heranreicht. Aber natürlich ist das ein leicht unfairer Gedanke. Die Produktionsbudgets von heute sind andere, die Hörerwartungen gerade jüngerer Hörerinnen und Hörer ebenfalls. Wichtiger aber ist, dass Trevor und Nicholas das Recht haben, nicht die Musik ihrer Väter zu kopieren. Und seien wir doch ehrlich: Hätten sie dies versucht, wären viele ebenso unzufrieden, denn solche Versuche müssen in der Regel scheitern.
Deshalb betrachte ich das erste Album von THE EFFECT alles in allem als einen guten, musikalisch unterhaltsamen Startpunkt einer kompetenten Band. Und wünsche mir gleichseitig für den von Collins und Lukather in Aussicht gestellten Nachfolger etwas Entwicklung, also mehr Wagnis, Abwechslung und ein paar (wie Papa Luke es nennen würde) “deep cuts”. Und gerne auch einen neuen Keyboarder und einen festen Bassisten!
Autor: Rainer Löser
Das Album gibt es auf CD derzeit nur in Nordamerika (siehe hier). Das digitale Album erscheint am Freitag, den 15. November und kann zum Beispiel bei amazonMP3 erworben werden.