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Stories Of Genesis vol.1 (Chris James) – Buch Rezension

Eine Sammlung von Geschichten, die von Genesis-Songtexten inspiriert sind: Chris James bietet eine neue Form der „Fan Fiction“.

Was macht Captain Picard in seiner dienstfreien Zeit auf der Enterprise? Wie ist Colonel Hogan in den „Käfig voller Helden“ gekommen? Wenn bei dem Fan einer Serie die Lust an solchen fantasievollen Spekulationen auf eine Leidenschaft für das Fabulieren trifft, dann entsteht „Fan Fiction“ – eine Erzählung von einem Fan für alle anderen Fans, im besten Fall so gut erzählt wie das Original. Beim Raumschiff Enterprise lassen sich einige Regalmeter mit Fan Fiction füllen, und mit einer Trilogie über Grautöne und Krawattenerotik ist die Fan Fiction sogar in den Bereich der Bestseller vorgedrungen.

„Eine neue Art der Fan Fiction“ verspricht Chris James mit seinem broschierten englischsprachigen Buch Stories of Genesis. Zu Recht. Anders als bei dem Star Trek-Universum bieten die Liedtexte von Genesis keine Welten, in der der Autor seine Geschichte ausbreiten könnte. James erzählt hier auch nicht „die Geschichte von (z.B.) Salmacis“; was in einem Liedtext enthalten ist, ist nur ein Faden in dem Erzählteppich, den er webt. Wenn man Lied und Geschichte kennt, sieht man die Verbindungen. Es wird aber auch niemandem etwas an der Geschichte fehlen, wenn er den Liedtext nicht kennt. Natürlich erhöht es den Lesegenuss, die Anspielungen und hier und da auch die wörtlichen Anklänge zu erkennen und entdecken, aber auch ohne dies gefallen die Geschichten.

Fünf Geschichten erzählt uns James hier; im Inhaltsverzeichnis gibt er auch offen an, welcher Genesis-Song ihn jeweils inspiriert hat. Das ist einerseits bequem, weil der Leser so gleich zu den Songs vorblättern kann, die ihn besonders interessieren, andererseits nimmt es natürlich auch ein wenig von der Spannung hinweg, beim Lesen herauszufinden, welches Stück Chris James hier inspiriert hat.

Buchcover

Drei Stücke dürften zu den „üblichen Verdächtigen“ gehören: Die Texte von A Trick Of The Tail, Duchessund Dreaming While You Sleep erzählen ja selbst schon eine Geschichte. James gibt sich aber nicht damit zufrieden, diese Geschichten einfach nur auszuschmücken. Für Mr. Magrew’s Incredible Journey, das sich inhaltlich noch am meisten an die Vorlage (A Trick Of The Tail) hält, findet er zum Beispiel einen außergewöhnlichen Erzähler. The Chat Show Host löst sich vom Songtext von Duchessund konzentriert sich auf einen besonderen Punkt der Ereignisse. Bei One Regret schließlich geht es weniger um den Unfall aus Dreaming While You Sleep, sondern mehr um das Weiter-Leben danach. Bei Down And Out drängen sich nicht automatisch mögliche Geschichten auf. In der kurzen Skizze The Agent Lunges schwingt aber auch ein wenig von Just A Job To Domit; sie bildet mit einer geschickten Pointe den Abschluss des Buches.

Ausgesprochen großen Mut beweist Chris James mit The Final Battle, das ziemlich genau die Hälfte des Buches umfasst. In sieben Teilen erzählt er hier eine Geschichte nach Motiven von Supper’s Ready. Es ist ausgesprochen schwierig, daran nicht zu scheitern. Ob ihm die Umsetzung gelungen ist, muss jeder Leser selbst entscheiden. Auf jeden Fall hat er einen geschickten Weg gefunden, die völlig unterschiedlichen Orte und Ereignisse der sieben Teile von Supper’s Ready zu verbinden. Science Fiction macht eben vieles möglich; dass die Namen vieler Charaktere stark an Shakespeare-Figuren erinnern, bewirkt eine merkwürdige Verfremdung, die den Rezensenten eher irritiert; andererseits, „What’s in a name?“

Die Vielfalt an Erzählpositionen und aufgerufenen Genres macht die Stories Of Genesis zu einer abwechslungsreichen Lektüre. Alle folgen jedoch dem Prinzip der Kurzgeschichte, dass der Leser mitten in die Handlung hineingeworfen wird und sich die Welt, die um die Geschichte herum besteht, gewissermaßen selbst erfinden muss. Im allgemeinen ist das kein Nachteil; bei The Final Battle sind die Dinge, die man nach dem Motto „es ist eine andere Welt, da ist das eben so“ hinnehmen muss, allerdings vielleicht etwas zu zahlreich; hier hätte sich der Rezensent etwas mehr Hintergrund gewünscht. Aufgewogen werden solche Schönheitsfehler aber in allen Geschichten durch viele geschickt eingeflochtene (Beinahe-)Zitate aus den Genesis-Texten, und man weiß nicht, wann sie besser wirken: Wenn das wortwörtliche Zitat kommt oder nur darauf angespielt wird. Natürlich muss man als Genesis-Fan im Blick behalten, dass dieses Buch mit Genesis selbst nur peripher zu tun hat, dass hier „nur“ Motive einzelner Songs aufgegriffen und variiert werden. Wer sich von überzogenen „Genesis-Erwartungen“ freimacht, kann diese fünf Geschichten entspannt genießen. Und wem sie besonders gefallen, der wird sich über den Zusatz „Volume 1“ im Titel freuen.

Autor: Martin Klinkhardt (08/2013)

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