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Still Alive And Drumming In Nashville: Eine Begegnung mit Chester Thompson
Im Herbst 2018 hatte Schlagzeuger Robert Ivanov Gelegenheit, bei Chester Thompson in Nashville eine Unterrichtsstunde zu absolvieren. Hier berichtet er von seinen Erlebnissen …
Seit ich 2012 die New Country-Band „Iron Hand“ (hier geht’s zur Band-Website) gegründet habe, war Nashville schon immer ein Ziel auf meiner musikalischen Landkarte. Zunächst war mir die Stadt als Country-Mekka bekannt, welche aber auch absolut hervorragende Pop/Rock Studio-Musiker hervorgebracht hatte. Diese haben unter anderem auf Platten von Größen wie Mark Knopfler, Eric Clapton oder sogar Toto mitgewirkt.
Für mich war es letztendlich das Interesse an der im letzten Jahrzehnt immer stärker aufkommenden New Country Szene. Angespornt durch die TV-Serie Nashville, besuchte ich also diesen Herbst die Tennessee-Hauptstadt. Meine Vorhaben: Live-Musik hören, die Musicians Hall of Fame besuchen, die Engineers treffen welche unsere kommende Platte gemischt haben. Zudem fiel mir ein, dass in der Unmenge an Weltklasse-Musikern die in Nashville residierten, auch Chester Thompson und der weniger bekannte aber nicht weniger gute Drummer Nir Z. wohnten.
Da ich von Chester wusste, dass er an der Belmont Universität seit Mitte der 2000er Jahre unterrichtet, beschloss ich, ihn einfach anzuschreiben und um eine Unterrichtsstunde zu bitten. Klar war mir bewusst, dass ich das Meiste seiner Technik und seines Spiels auch ohne Unterricht verstand und umsetzen konnte, dennoch war er neben Phil einer meiner größten und frühesten Einflüsse am Instrument und ich wollte ihn unbedingt einmal treffen. Auf meine Email antwortete er innerhalb einer Stunde und meinte eine Unterrichtsstunde sei möglich. Wir vereinbarten einen geeigneten Termin und den Preis. Auch hierauf antwortete er sehr rasch und ich sagte ihm zu. Danach erstmal keine Antwort, so dass ich erst in Nashville die finale Bestätigung bekam. Der Unterricht fand Freitagmorgens um 10 Uhr statt – dem vorletzten Tag meines Aufenthaltes in der Stadt.
Um sicherzustellen, dass an dem besagten Tag auch wegtechnisch nichts dazwischen kommen würde, suchte ich ein paar Tage davor den Schlagzeugladen auf, in welchem Chester unterrichtet. Fork’s Drum Closet ist ein fantastischer Drumstore und die Mitarbeiter sind sehr freundlich. Glücklicherweise wiesen mich diese darauf hin, dass Steve Jordan, welchen ich bereits mit Eric Clapton und John Mayer erlebt hatte am Donnerstag gegen 18 Uhr einen kostenlosen Workshop im Laden geben würde. Das ist etwas, das sehr sehr selten vorkommt, da Steve Jordan ein unglaublich viel gebuchter Session-Schlagzeuger ist. Ich dachte „wow das wird ja immer besser“ und nahm mir selbstverständlich vor, diesen Termin zu besuchen, da ich Steve Jordan sehr schätze.
Schließlich war ich am Donnerstag um 16h bei Fork’s und es trafen bereits die ersten Schlagzeuger ein, um einen guten Platz zu Nähe der Bühne zu ergattern. Als Steve Jordan dann schon um 17:30 Uhr eintraf, war der Laden rappelvoll und er musste sich durch die Leute zu einem der aufgebauten Schlagzeuge kämpfen. Er fing gleich an, aus dem Nähkästchen zu plaudern und Fragen zu beantworten, als er auf einmal seinen Satz unterbrach und sagte: „Ladies and Gentlemen, it is only in Nashville where you visit a drumstore full of drummers and suddenly geniuses enter the room … please welcome: Chester Thompson!“
Chester hatte sich unbemerkt in den Raum geschlichen, um seinem Kollegen zuzuhören – dies war Steve aber nicht entgangen. Natürlich wurde er gebeten am Drumset daneben Platz zu nehmen und es dauerte auch nicht lange bis die beiden Ausnahme-Schlagzeuger anfingen über einen Groove zu jammen. Als später die Frage & Antwort-Runde weiter ging, stellte jemand Steve eine interessante Frage: „Steve, du spielst doch mit so vielen unterschiedlichen Künstlern und so verschiedene Stile, schaffst du es da dich unterzuordnen?“ Daraufhin antwortete Steve: „Wenn jemand auf diese Frage zu beantworten weiss, dann wohl Chester, der jahrelang einen Superstar begleitet hat welcher selbst einer der besten und bekanntesten Schlagzeuger der Welt ist.“ Chester beantwortete die Frage dann ungefähr so: „Wenn ich auf der Bühne sitze höre ich einfach zu und ordne mich der Musik unter. Es geht dann nicht darum eine Meinung zu haben sondern darum, den gespielten Song so gut wie möglich zu unterstützen“. Vor meinem Unterricht also schon so ein Highlight! Ich freute mich auf den nächsten Morgen.
Am Freitagmorgen erschien ich also kurz vor 10 und warte in einem ziemlich kleinen Raum mit 2 Schlagzeugen auf den Meister. Als er um 10:10 noch nicht erschienen war, habe ich schon daran gezweifelt, ob er den Termin vielleicht vergessen hatte. Vielleicht hätte ich ihn am Vorabend persönlich anstupsen sollen, um ihm mein Kommen zu bestätigen? Mir ging dann der Satz aus einem Interview mit Phil durch den Kopf, wo er schmuzelnd meinte: „Bei Genesis kam es auch mal vor, dass Chester morgens verspätet zur Abfahrt erschien“. Während ich also grübelte, ging ich vor den Raum und dort stand er auf einmal vor mir mit einer Umhängetasche voll Sticks.
Er begrüßte mich und wir setzten uns in den Raum. Jeder von uns beiden nahm an einem der Schlagzeuge Platz. Chester ist eher zurückhaltend und ruhig, aber sehr freundlich und er fragte mich wo ich herkäme. Ich erzählte ihm dass ich Luxemburger sei, aber seit 16 Jahren in München lebe. Ich erzählte weiter, dass ich ihn dort im Rahmen eines Workshops im Jahre 2003 und auch drei mal mit Phil Collins und Genesis erlebt hatte. Daraufhin sagte er „I love Munich. I love the English Garden“.
Dann fragte er mich, was mein Anliegen für den Unterricht sei. Ich hatte ihm erzählt, dass ich ein abgeschlossenes Schlagzeugstudium hinter mir hätte und seine Licks und Fills über die letzten 28 Jahre in- und auswendig gelernt hatte. „Wenn es dir nichts ausmacht würde ich dich gerne viele Sachen fragen.“ worauf er meinte: „OK, that’s fine but first I wanna hear you play“. Ich nahm also meine Sticks und spielte ihm einen simplen Beat vor mit ein paar Fill-Ins und brach nach 1-2 Minuten wieder ab. Er lobte mich für meinen Sound und meine Technik, was mir sehr schmeichelte. Ich erzählte ihm dass ich auf den Videos gesehen hätte dass er oft die französische Paukentechnik anwendete. (Daumen nach oben, Stick geht im 90° Winkel aufs Fell) Er erklärte mir, dass er diese bereits vor zwei Jahrzehnten abgelegt hätte, weil er bei einem Genesis Stadion-Gig den vollen Widerstand eines Rimshots auf den Daumen bekommen hätte und er danach lange Schmerzen gehabt hätte.
Wir unterhielten uns übers Schlagzeugspielen, Genesis und natürlich über Phil, der für mich vom Schlagzeugspiel her meinen größten Einfluss darstellt. Er verriet mir auch einige persönliche Sachen, aus denen man definitiv heraushörte wie er Phil als Schlagzeuger und Musiker schätzt. Er freue sich, dass Phil wieder auf Tour sei und war nicht verwundert, dass Nicholas trommelt. Dieser hätte bereits mit 5 Jahren unglaublich gut getrommelt. Als wir eine Weile redeten wollte er mir noch ein paar Tipps auf den Weg geben und zeigte mir ein paar Unabhängigkeits-Übungen. Er spielte ein Ostinato mit den Füßen (wiederkehrender Rhythmus) und legte darüber eine Rudiments-Übung auf der Snare. Was einfach beim Hören klang, entpuppte sich als schwer zu Spielen und er musste bei meinem Spiel lachen, weil es doch recht holprig klang. Ich versprach ihm, dies zu üben und er sagte er würde mir die Übungen noch per eMail zusenden (was er auch tat).
Die zwei Stunden Unterricht vergingen wie im Flug und zum Schluss gab er mir noch eine Lebensweisheit mit auf den Weg. Ich fragte ihn Folgendes:
„Ich habe oft die Situation, dass ich für unterschiedlichste Gigs gebucht werde, wo die akustischen Gegebenheiten eher suboptimal für meine optimale Klangentfaltung sind. Oft werde ich dann auch noch von den jeweiligen Sängern oder Solisten gebeten leiser zu spielen. Dabei hsbe ich das Gefühl, dass mein Instrument überhaupt nicht mehr so klingt wie es in meiner Klangvorstellung gedacht war. Manchmal würde ich demjenigen Musiker, der vorne steht dann sehr gerne sagen: „Hey, mein Sound ist so und wenn es dir nicht passt, dann dreh halt lauter!“ oder „Das ist ein Schlagzeug und kein Streichelzeug!“ Was denkst du darüber?
Darauf antwortete Chester: „Nehmen wir mal an du besuchst ein Restaurant und sie zeigen dir die Speisekarte. Du entscheidest dich für ein Gericht und fragst, ob sie die Zwiebeln weglassen könnten. Nun kann der Kellner entweder sagen ‚Klar, machen wir gerne.‘ oder ‚Nein, das Gericht gehört so und wir bieten es nur so an.‘ – welche Variante gefällt dir besser?“.
Ich antwortete ihm, dass ich natürlich glücklicher wäre wenn Sie das Gericht passend nach meinem Geschmack kochen könnten.
Daraufhin lächelte er, hob die Schultern und sagte: „Siehst du? Wir sind Diener. Wir spielen für die Musik. Wenn der Bandleader, Komponist eine Anweisung gibt, dann spielt man so wie dieser es sich wünscht“. Nach den eigentlichen 2 Stunden Unterricht blieben wir noch einige Zeit im Laden und schauten uns gemeinsam Snare Drums an und probierten einige aus. Für ein gemeinsames Foto war natürlich auch noch Zeit und dann tauschten wir noch Nummern aus. „Falls er mal in München wäre, würde er sich melden“ meinte er.
Als Kind hatte ich ein Bild von Genesis, wie sie spielten gemalt. Etwa so, wie ich es aus dem damaligen MTV-Clip von 1992 Knebworth kannte. Chester war ein Held! Für mich in der gleichen Liga wie damals Michael Jordan oder Ayrton Senna. Dass ich zwei Stunden mit ihm persönlich verbringen durfte kann man durchaus als einen erfüllten Kindheitstraum bezeichnen. Chester Thompson ist ein sehr netter, bescheidener und weiser Mann, der obwohl er amerikanisch ist, sehr gut in das doch eher zurückhaltende britische Muster der Genesis-Musiker gepasst hat. Ich bin sehr froh, dass ich sagen kann: Ich habe „mit ihm gespielt!“
[Im zweiten Teil nimmt uns Robert Ivanov mit ins Phil Collins Konzert im Forum, Los Angeles]