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Steve Hackett – The Air-Conditioned Interview (1994)

In England hatten wir 1994 die Gelegenheit, ein exklusives Interview mit Steve Hackett zu führen.

Bei unserem letzten Aufenthalt in England hatten wir die Gelegenheit ein exklusives Interview mit Steve Hackett zu machen. Dieses fand am 2. April 1994 in London statt. Ein großer Dank geht an dieser Stelle an Steve und seinen Manager Billy Budis für all ihre Geduld und Unterstützung.


it: Wir würden zunächst sehr gerne über Dein aktuelles Album Guitor Noir sprechen. Wie entwickelte sich das ganze Projekt, woher kamen die Ideen, und waren diese ganz neu, oder waren da auch ältere Ideen vorhanden?
Steve: Nun, wir hatten ein Studio gebaut, ein eigenes Studio, und wir hatten es fertig, bevor wir mit den Aufnahmen für Guitor Noir anfingen. Aber das war auch der große Unterschied zwischen diesem Album und anderen, da ich sonst in den Studios anderer Leute arbeitete, was meistens zu Zeitdruck führte. Guitar Noir war das erste Album, bei dem man nicht den Eindruck hat, dass es in Eile entstanden wäre. Es sind recht viele alte Ideen auf dem Album, aber auch neue Songs sind vertreten. Das lag aber auch daran, daß zwischen den letzten LPs immer sehr viel Zeit verging.

Das meiste Material ist in zirka zwei Jahren aufgenommen worden. Ihr wolltet wissen, was mich bei den Liedern inspiriert hat. Nun, einige der Stücke oder besser gesagt das beste Material kommt aus Träumen. Dann, wenn du schläfst und eine Melodie träumst und danach aufwachst und dich an diese Melodie erinnerst, kann daraus sehr starke Musik werden. Das Lied There Are Many Sides To The Night zum Beispiel enthält eine langsame Sequenz, die sich am Anfang des Songs befindet und die Grundlage für die Timeless-Single bildete; sie kam von einem Traum. Das war eines dieser starken Erlebnisse, die ich erlebte. Ich bin immer sehr froh, wenn ich etwas träume, und ich denke, dass das sehr gut ist. Als ich davon träumte und diese Melodie hörte, dachte ich, daß es sehr stark klingt und daß ich es mochte.

Ich hatte allerdings, noch während ich träumte, den Eindruck, dass jemand anders diese Melodie bereits erfunden hatte. Als ich dann aufwachte, wußte ich natürlich, dass noch keiner diese Melodie erfunden hatte, und erinnerte mich wieder daran. Ich erinnerte mich aber mehr an das Gefühl, das ich hatte, und nicht an die wirkliche Melodie. Aber da das Gefühl sehr stark war, machte ich daran weiter und arbeitete die Akkorde aus, und so entwickelte sich dann das Lied. So etwas passierte mir ein- oder zweimal, und es ist ein sehr starkes Gefühl, wenn es passiert. Im Augenblick arbeite ich an einer anderen Sache, die für die Zukunft geplant ist; dabei spielt eine komplette Melodie, die ich räumte, eine Rolle. Es klang sehr kraftvoll, und ich freue mich schon sehr darauf, an diesem Stück weiterzuarbeiten.

Steve im it-Interview 1994

Es ist einfacher zu sagen, dass etwas von einem Traum kam, aber ab und zu hat man einfach keinen bewussten Prozess beim Schreiben eines Songs, und es kommt einem einfach eine Idee in den Kopf, und man sagt sich:,,Oh, das ist wirklich eine gute Melodie“. Aber es ist viel schwieriger, wenn man sich hinsetzen muß und die Dinge ausarbeiten muß. Es ist einfacher, wenn etwas von allein passiert. Manche Ideen können für immer bestimmt sein und andere nur für einen kleinen Teil.

it: Gibt es Lieder, die nicht aus einem Traum heraus entstanden sind, sondern die du durch Experimentieren mit der Band geschrieben oder entwickelt hast?
Steve: Ja, ich würde sagen, daß ein Song wie Lost In Your Eyes ein Beispiel dafür wäre. Wir waren in Amerika auf Tour, und wir reisten durch alle möglichen Szenarien, und der Text war eigentlich für ein Liebeslied gedacht, aber es wurde zu einer Art Reiselied. Als wir von Ort zu Ort fuhren, hörte ich viel Country-Musik im Radio, und ich dachte, daß diese Country-Musik nicht wirklich die Atmosphäre dieses Landes einfängt, wie die Landschaft wirklich ist. Das, was ich wirklich hören wollte, war etwas wie dieser Song.

Es gibt da diesen Spruch von Bands, dass ein Lied im Bus auf dem Weg zum Konzert geschrieben wurde. Nun, einige Lieder sind tatsächlich im Bus auf dem Weg zu einem Konzert geschrieben worden. So etwas geschieht ab und zu. Aber eigentlich entstand dieser Song in meinem Kopf. Er war ursprünglich nur eine Idee für ein Riff, aus dem dann ein Harmonika- Riff, also eine blues-orientierte Nummer wurde. Tatsächlich hat Guitar Noir ein sehr breitgefächertes Gefühl für viele verschiedene Musik-Stile auf einem Album vereint. Ich bin immer noch von klassischer Musik beeinflusst, das zeigt sich auch an den Streicher-Elementen und Melodien, aber zudem bin ich auch an Musik interessiert, die nicht so durchdacht und ausgearbeitet ist. Als ich aufwuchs, hörte ich mir viel Material an, und ich erinnere mich daran, daß ich als Teenager unter anderem den Blues mochte, der mich zu dieser Zeit inspirierte.

Es machte sehr viel Spaß, dieses Album aufzunehmen. Ein Teil davon wurde aufgenommen, bevor ich eine komplette Band hatte, und als die Musiker dann vor zirka zwei Jahren zu uns stießen, kam es zu dieser Zweiteilung des Albums. Die eine Hälfte, die zusammen mit der Band oder mit der Band vor meinem geistigen Auge und mit gedanklich geplanten Live-Auftritten entstand, und die andere Hälfte, über die wir bereits sprachen. Songs, die ihre Zeit brauchen, die von Träumen oder verschiedenen Situationen kommen können.

Ich glaube nicht, daß auch nur ein Song-Writer soviel Licht auf seine Arbeit werfen kann, da für den Fall, daß man wirklich das Geheimnis kennen würde, wie man ein schönes Lied schreibt, das Ganze zu einem automatischen Prozess würde. Aber das ist es nun wirklich nicht. Deswegen ist es für mich schwer, zu beschreiben, wie ich meine musikalischen Ideen bekomme. Ich weiß da wirklich nicht mehr als irgendeine andere Person. Aber zum Glück kommen diese Ideen noch, und ich bin sehr froh darüber. Ich möchte, daß aus jeder Idee eine wundervolle musikalische Idee wird.

it: Eine Frage zu den Musikern und der neuen Band: Wie hast du die Musiker gesucht und gefunden?
Steve: Nun, es lief alles über mündliche Empfehlungen ab. Es ist wirklich einfach gewesen. Es existiert da ein Network in der Musikbranche. Die Band war zusammengestellt worden, um live auf Tour zu gehen, und dann gefiel es mir sehr, eine Band zu haben, und ich wollte erneut mit ihr arbeiten. Aber die Band wurde im Grunde gegründet, um Material live auszuprobieren, um neue Ideen umzusetzen. Ich war dann von den einzelnen Individuen sehr angetan. Die Beziehung zwischen der Band und auch den Technikern in den Studios hat für mich schon immer eine große Rolle gespielt. Jeder hat seine eigenen Ideen bei den Dingen, die man tut, auch dann, wenn man eine festgelegte und sehr gute Idee im Kopf hat.

it: Enthält Guitar Noir Material, welches bereits für das unveröffentlichte Album Feedback geschrieben worden war?
Steve: ja, und einige andere Teile von Feedback haben sich auf den unterschiedlichsten Projekten und LPs wiedergefunden. Deshalb kann man sagen, dass es praktisch keine Idee des Feedback-Albums gibt, die nicht in irgendeiner Form verwendet wurde.

it: Warum wurde Feedback nie veröffentlicht?
Steve: Nun, zu jener Zeit geschahen alle möglichen Dinge in unserem Leben. Ich wechselte das Management, zog um und baute ein Studio. So kam eins zum anderen, und wenn ihr mich fragt, warum, kann ich nur sagen, dass ich bei diesem Projekt nie das Gefühl hatte, dass es ein wirkliches Album-Projekt wäre. Das liegt auch daran, dass Musik für mich Klang bedeutet und der Klang eines Songs so wichtig ist wie das Lied selber. Das war schon immer so. je mehr wir am Material arbeiten, desto besser wird der Klang, desto besser wird das Spiel, desto besser wird die Produktion und desto besser wird der Gesang. Das Ganze war wirklich ein Lernprozess für mich.

it: Wie hast du die Lieder ausgewählt, die du dann auf der Guitar Noir-Tour gespielt hast?
Steve: Normalerweise habe ich eine Auseinandersetzung mit der Band. Wir erörtern die Lieder, die sie spielen wollen, dann sprechen wir über die Lieder, die ich spielen möchte, und letztendlich, und das ist das Schöne an einer Solokarriere, setze ich meinen Willen durch – ganz im Gegensatz zu einer Band, wo niemand seinen Kopf durchsetzen kann oder seinen Kopf zumindest nicht ganz und gar durchsetzen kann. Es gibt so viele unglückliche Musiker in Bands, deshalb ist es wunderbar, daß diese Entscheidung nur von mir allein und niemandem sonst gefällt wird.

Obwohl es mir bestimmt in hohem Maße gefällt, wenn Leute gewisse Songs live hören oder spielen möchten, und ich möchte so etwas auch auf jeden Fall wissen. Einige Stücke sind live leichter umzusetzen als andere. Nicht alle Lieder eignen sich für einen Live-Auftritt. Mit der Technik von heute sind viel mehr Sachen möglich, als das noch früher der Fall war, aber das macht natürlich die Live-Auftritte auch viel komplizierter. Je mehr Technik man benutzt, desto mehr kann auch schiefgehen.

it: Du hast für diese Tour auch altes Genesis-Material wie beispielsweise das Gitarrensolo von Firth Of Fifth ausgesucht. Warum?
Steve: Ich spiele solche Songs, von denen ich denke, daß sie Gitarrenmelodien sind, und die live eine Bedeutung für mich haben. Ein Stück wie … In That Quiet Earth zum Beispiel habe ich auch auf meinem eigenen Live-Album veröffentlicht, weil es eine Melodie von mir war, die von der Band genommen wurde. Und deshalb habe ich mich nach vielen Jahren des Widerstrebens dazu entschlossen, diese Platte ins richtige Licht zu rücken. Von Zeit zu Zeit wird es immer wieder Melodien geben, von denen ich meine, dass sie dem frühen Material eine gewisse Ehre erweisen.

it: Hast du ein wirkliches Verlangen danach, das alte Genesis-Material zu spielen, oder möchtest du lediglich etwas für die Genesis-Fans tun, die zu deinen Konzerten kommen?
Steve: Nun, ich würde gerne etwas tun, um den Fans einen Gefallen zu erweisen, aber generell kann man sagen, dass die meisten Fans erwarten, dass man exakt das spielt, was man schon vor zwanzig Jahren gespielt hat. Das liegt daran, dass Nostalgie für uns alle ein sehr starkes Gefühl ist. Es geht mir mit Künstlern, die ich in den Sechzigern gesehen habe, genauso. Da wäre ich auch total glücklich, wenn sie exakt das gleiche auf der Bühne spielen würden, was sie schon 1967 spielten.

So wunderschön das auch ist und so wunderschön diese Gedanken auch sein mögen und auch wenn sie sehr intensiv und wichtig für dich geworden sind, der Künstler, der auf der Bühne steht oder sitzt, wie es zu dieser Zeit war, muss das Gefühl haben, daß sich in all diesen Jahren etwas verändert, weiterentwickelt und fortbewegt hat. Ich bin mit dieser Sache namens Progressive Rock in Berührung gekommen, dem viele Leute in der heutigen Zeit ein dreckiges Image verpassen.

Ich denke, dass die progressive Musik eine gute Sache war, denn sie bedeutete, daß Dinge an den Ursprung zurückgeführt und weiterentwickelt werden konnten und dass Musiker ihr Spiel und ihr Schreiben ausdehnen konnten. Es war die Idee einer variablen Form. Ich habe auf eine Art und Weise nie meine progressiven Wurzeln verloren, was die eigentliche Bedeutung des Wortes angeht. Es ist bloß so, dass ich gerne mit der Technologie von heute weitermachen möchte.

Die Dinge haben sich verändert. Es sind jetzt Sachen möglich, von denen wir früher nur träumten. Es ist so, als würde man einen Film oder ein Foto machen. Da gibt viele verschiedene Eindrücke von Klängen. Ich mag es, wenn alle modernen Erfindungen im Einsatz sind. Ich liebe das Spielen, aber ich mag auch das Experimentieren und Singen und das Live-Spielen und auch das Vermischen von allen möglichen Gedanken und Ideen. Alles ist erlaubt. Man verweigert sich nicht der Technik. Aber das Ganze kostet natürlich Zeit, und das kann bedeuten, dass das Aufnehmen von Platten länger dauert. Es ist heute möglich, eine Platte so klingen zu lassen, als würde eine große Anzahl von Menschen dahinterstehen, obwohl in Wirklichkeit nur ein kleines Team in das Projekt involviert ist.

Ich finde, dass diese Tatsache sehr aufregend ist, genauso wie das Zusammentragen von all diesen verschiedenen Klängen von verschiedenen Orten zu einer großen Gesamtszene. Und da denke ich immer wieder an ein Bild, und es gibt da viele verschiedene Details auf diesem Bild, und man hat nun die Möglichkeit, bestimmte Personen aus diesem Bild herauszugreifen und zu beschreiben. Ich denke immer visuell, und ich möchte, dass ein Song imstande ist, dich fortzuführen und dich in eine gewisse Situation zu versetzen. Ich mag es, wenn dir etwas auf diese Art bewusst wird und das Lied dir so eine Geschichte erzählt.

Es muss sich dabei nicht immer um eine wirkliche Geschichte handeln, sondern auf die Idee kommt es an. Wenn ein Schriftsteller eine Geschichte erzählt, benutzt er die Darstellung, um zu enthüllen, wie die Dinge von A zu B werden. Wenn ein Regisseur eine Geschichte erzählt, dreht er vielleicht zunächst das Ende, und die letzte Szene, die zu sehen ist, mag eventuell der Anfang sein.

Eine Platte aufzunehmen ist ähnlich. Ich mag Lieder, die eine offenbarende musikalisch-erzählende Geschichte in sich bergen. Ab und zu kehre ich also tatsächlich zu der progressiven Idee zurück, zu Liedern, die etwas länger sind und die Möglichkeit haben, daß etwas in ihnen geschieht. Häufig beende ich einen Song und denke dann, dass es wohl nett wäre, wenn ein gewisser Teil vielleicht doch am Anfang wäre, oder wenn das Lied weitergehen würde, könnte ich hier und da noch etwas einfügen. So geschieht es häufig, daß ich ein offensichtlich fertiges Bild habe und ich dann anfange, Teile in die Ecken einzufügen, und dadurch wird das Bild immer größer. Ich glaube, dass das eine gute Art ist zu arbeiten, und ich mag das sehr, weil das Schwierigste an einem Lied der Anfang ist. Wenn man allerdings eine gute, ausdehnbare Idee hat, ist es häufig einfacher, einen Anfang zu finden.

it: Würde es dich reizen, einen Film zu machen, um deine Ideen einmal so umzusetzen?
Steve: Ich denke, dass Musik das gleiche leisten kann wie ein Film. Musik ist auf eine bestimmte Art wie ein Film für die Blinden, da sie eine Geschichte erzählen kann. Sie kann ein Bild oder eine Stimmung erzeugen, und sie kann dich an einen Ort versetzen, an dem du dich heiß oder kalt fühlst, wenn du dieser Musik lauschst. Ich glaube immer noch, dass die Musik an sich ein sehr starkes Medium ist.

it: Es gab da zwei Projekte, die vor beziehungsweise nach dem Guitar Noir Album abliefen. Zunächst zum neueren Projekt, dem Song für TUI mit dem Titel Timeless. Wie kamst du dazu?
Steve: Nun, wir waren hier mit einigen Leuten zusammen, die sich Zombo Screen nennen und in erster Linie Filmmusik machen, und wir verstanden uns sehr gut. Jonathan Shannon erwähnte, daß es da diese Gesellschaft in Deutschland gebe, die nach Musik suche. Sie würden bald in der Stadt sein, und alles müsse sehr schnell ablaufen, so wie das halt in diesem Geschäft ist. Wir dachten darüber nach und machten einige Tapes mit bereits existierendem Material fertig, und wir wollten sehen, ob sie etwas davon mochten.

Dann gingen wir zu ihnen und spielten es dort den Verantwortlichen vor. Wir arbeiteten danach noch ein weiteres Stück aus und spielten es ihnen vor. Sie meinten allerdings, dass ihnen das Material, was wir ihnen ursprünglich präsentierten, besser gefallen hätte. Das war Musik, die für Guitar Noir vorgesehen war. Wir zerwarfen dann alles, was wir bisher für sie gemacht hatten und fingen an, eine neue Version dieser Filmmusik, die wir für sie gemacht hatten, zu schreiben. Sie fügten das Ganze dann mit dem bereits vorhandenen Material zusammen, und letztendlich machten sie selber daraus eine tanzbare Version. Ich glaube, sie haben es einfach auseinandergenommen und einen Tanz-Rhythmus daruntergelegt.

Dann sagten sie, dass dies einen sehr großen Anklang finden würde. Sie, beziehungsweise Warner, fragten uns dann, ob sie diese Version benutzen könnten, und wir sagten unter dem „Just for fun“-Aspekt zu. Aber der Schlüssel zu dem Ganzen liegt im Grunde in der Tat sache, dass es für uns bemerkenswert war, wie ein kleines Stück Musik von mir, das ich abkapselte, zu diesem Lied für TUI wurde, welches wirklich viele Prozesse durchgemacht hat. Ich glaube, dass ich bei der letztendlichen Version, die dann zur Single wurde, gerade mal zwei Noten gespielt habe. Wir haben drei Versionen des Themas aufgenommen, und ihr habt recht, wenn ihr sagt, dass die letzte am nächsten an das Original heranreicht.

Es war wirklich eine sehr kurze, knappe Sache, die Warner da wollte. Ich arbeitete auch mit Aron Friedman zusammen, der ebenfa lls von Billy gemanagt wird und der sich auf tanzbare Musik spezialisiert hat. Er arbeitete auch bei Guitar Noir mit mir zusammen, und er ist ein sehr cleverer Typ. Er kommt ursprünglich aus dem Jazz, macht aber auch „Dance“-Sachen und hat somit eine Basis verschiedener Musikrich tungen. Man könnte auch sagen, dass er sich an dem Wendepunkt der ,,Dance“-Musik hier in England befindet, und er ist in der Clubszene sehr angesehen. Am Ende entstand ein wirklich fremdes Produkt, wenn ich bedenke, was ich ursprünglich machen wollte. Das ist also die Geschichte dieses Stückes Musik.

it: Was verbirgt sich hinter Sonic Obsession?
Steve: Es ist im Grunde der Name für dieses Projekt und alle Leute, die damit zu tun hatten. Dazu gehören meine Wenigkeit und Aron, Jerry Peal und das Aufnahmeteam. Also ist Sonic Obsession nicht mehr als ein Projektname. Es wird vielleicht in Zukunft noch andere Dinge von Sonic Obsession geben. Das liegt auch daran, wie sich alles weiterentwickelt. Aber zugegebenermaßen steht dieses Projekt nicht an erster Stelle in meinen gedanklichen Plänen, da ich in der Zwischenzeit auf so viele andere Dinge stolz geworden bin. Es wäre für mich ein Zuschlag, wenn daraus etwas werden und das Ganze weitergehen würde. Aber wenn das nicht der Fall sein sollte, wäre das auch nicht weiter tragisch. Wir sehen das ganz locker und haben da keinen Druck.

it: Denkst du, dass Projekte wie die Timeless-Single dir helfen können, in der Musikwelt bekannter zu werden?
Steve: Ich weiß nicht genau, da ich immer wieder feststellen mußte, dass meine größten Erfolge in der Musik auch immer mit den größten Kompromissen verbunden waren. Das ist irgendwie ironisch, da die Fans, die mich wirklich kennen und die wissen, was ich mache, auch meiner musikalischen Vergangenheit begegnen. Also bin ich auf gewisse Weise sehr glücklich darüber, in meinem sehr eigenen Stil weitermachen zu können. Das ist, so glaube ich, sehr ungewöhnlich, weil sehr viele Leute wahrscheinlich schon längst aufgegeben hätten.

Aber Musik ist eine Art von Besessenheit, und daher paßt der Name Sonic Obsession auch wirklich ganz gut. Die Musik läßt dich niemals allein. Bei mir war es so, dass ich als Kind Musik spielen konnte, bevor ich überhaupt ein Buch lesen konnte oder irgendwelche anderen Kenntnisse hatte. Also hat die Musik mich ausgewählt, und nicht umgekehrt. Es gab keine übertriebenen Bemühungen. Ich war einfach glücklich darüber, ein Geräusch zu machen und das dann weiter fortzuführen.

it: Das Projekt vor Guitor Noir hieß Rock Against Repatriation. Wie entwikkelte sich das Ganze, und wie haben die Musiker zusammengefunden?
Steve: Der Hauptgrund für dieses Projekt war nicht wirklich ein musikalischer, sondern ich hatte das Gefühl, daß die vietnamesischen Bootsflüchtlinge unfair behandelt wurden. Ich war betroffen darüber, dass in der Welt, die wir geschaffen haben, es immer schwerer und schwerer wird, einen Flüchtlingsstatus überhaupt zu erlangen. Zu einer Zeit musste man sich bei Regierungen lediglich als Flüchtling melden und wurde als Held und Bürger der neuen Welt willkommen geheißen.

Ich wendete mich dann an andere Leute aus dem Musikgeschaft und fragte sie, ob sie genau so dachten wie ich. Sehr viele Künstler taten dies, und wir nahmen dann eine Cover-Version von Sailing auf. Jeder der Anwesenden, mich eingeschlossen, hätte zwar einen neuen Song schreiben können, aber es ging einfach darum, nicht etwas völlig Neues zu kreieren. sondern eine alte Idee in einem neuen Licht zu sehen. Die Idee, dass Menschen davonsegeln, und was so eine Reise mit sich bringt. Anders gesagt: Konnt ihr euch eine Welt vorstellen, in der ein Pilgervater in Amerika ankommt, um dort zu hören, dass er wieder umkehren muss, da er religiös verfolgt wird und das eine Tatsache sei, die nicht nachzuweisen sei, und dass er deshalb für die nächsten fünf Jahre ins Gefängnis müsse und der Schlüssel weggeworfen würde.

Die anderen Mitreisenden müßten ebenfalls zurücksegeln oder würden eingesperrt, bis ein passendes Gefängnisschiff sie dorthin zurückbringen würde, woher sie gekommen sind. Vielleicht wollte ich wieder ein Gefühl aufleben lassen, das mehr mit der „alten“ Welt zu tun hat. Es ist so, daß man weiß, dass man den Lauf der Dinge nicht völlig verändern kann, wenn man etwas unternimmt, aber man hat schon einiges erreicht, wenn man bei einigen Menschen die Aufmerksamkeit auf ein Thema gelenkt hat.

Steve Hackett 1994

Wir waren mit dem Geld, das wir aus diesem Projekt eingenommen hatten in der Lage, Anwälte zu beschäftigen und „dort“ einzusetzen. So haben wir viele Leute in diese Sache involvieren können, und zwar nicht nur für die Single, sondern auch in eine Auktion, bei der Rock-Memorabilia versteigert wurden. Der Anklang war wirklich sehr grols. Das Ganze dauerte fast ein Jahr. Das war nicht nur meine Zeit aber es war so, dass ich es ins Rollen gebracht hatte. Andere haben dann auch viel Arbeit in die Sache eingebracht.

Wir waren ein Team von flüchtigen Bekanntschaften und „altgedienten“ Freunden. Wir waren aber von der Sache überzeugt. Mit Wohltätigkeitsarbeit ist das so eine sache und ich warne jeden, der heute damit anfängt, davor, dass das sehr harte Arbeit ist, wenn man es richtig machen mochte. Icn meine, es ist einfach für die Teilnehmer einer solchen Wohltätigkeitsveranstaltung an irgendeinem Nachmittag die Gitarre für irgendwen zu spielen oder in die Kameras zu lächeln, aber es ist ein großer Unterschied, die Leute dazu zu bringen, etwas für nichts zu unternenmen.

Ich will mich nicht über die Schwierigkeiten beschweren, die mit Wohltätigkeitsarbeit zu tun haben, weil es darum gar nicht geht. Wir hatten eine Menge Spaß und lachten während der ganzen Zeit sehr viel.

it: Wurde nur Sailing aufgenommen, oder gab es da noch andere Lieder?
Steve: Nur dieser Song wurde tatsächlich aufgenommen. Die anderen waren darauf vorbereitet, alle möglichen Dinge, inklusive ihrer alten Hits, mit einzubringen, und wir hatten so viel Material, dass wir das am Ende niemals alles hätten verwenden können. Es war schon sehr interessant, so viele Leute aus dem Musikgeschäft kennenzulernen und mit ihnen zusammenzuarbeiten.

it: Nun zu deinen Zukunftsplänen. Du planst ja, ein Rhythm & Blues-Album herauszubringen, welches auch bereits fertig aufgenommen ist…
Steve: …ja, und ich hoffe nur, dass Phil Collins mir nicht zuvorkommt und auch eines veröffentlicht (Geläch- ter). Phil ist wirklich überall und macht alles und arbeitet mit jedem und könnte mich daher eventuell noch schlagen, und deshalb: „Hi there Phil! Ich weiß, daß du den Blues liebst.“

it: Hast du dieses Album allein aufgehommen, oder wa- ren da noch andere Musiker, mit denen du zusammengearbeitet hast?
Steve: Nein, da wa ren noch Julian Colbeck, Hugo Degenhardt, Doug Sinclair, Dave Ball und eine Horn-Section.
Billy: The Kew Horns!
Steve (erstaunt): The Kew Horns?
Billy: Ja, so nennen sie sich jetzt.

Steve: Es befindet sich sehr viel Gitarrenspiel auf dem Album, wie ihr euch das bestimmt schon denken konntet. Und zudem ist auch genausoviel Harmonika zu hören wie Gitarre. Ich fing früher live als ein Harmonika-Spieler an und möchte heutzutage, dass das auch jeder zur Kenntnis nimmt. Also, es befindet sich viel Blues-Harmonika darauf. Ich nenne die Mundharmonika die Trompete des armen Mannes. Es ist wirklich ein ganz erstaunliches kleines Instrument. Ich war in der Lage, es zu spielen, be- vor ich noch irgend etwas anderes spielen konnte. Und ich war immer sehr froh darüber, dass ich es nie wirklich erlernen musste. Es war für mich genauso einfach wie radzufahren.

it: Ist dieses Album ein Projekt, das du schon seit längerem machen wolltest?
Steve: Ja, ich hatte schon seit vielen Jahren vor, ein Blues-Album zu machen. In Wirklichkeit wollte ich schon in den sechziger Jahren ein solches Werk aufnehmen, aber zu der Zeit, als ich ins Musik-Business einstieg, war der Blues nicht mehr so angesagt, und deshalb wurde es dann unmöglich, ein solches Album zu produzieren. Nur ein paar Musiker, die erfolgreich wa ren, hatten die Möglichkeit weiterzu machen. Heute sieht das anders aus. Jeder kann eine Blues-LP aufnehmen, und das ist wirklich toll.

Viele dieser Leute sind nicht unbedingt gute Sän ger, sondern in erster Linie gute Musiker. Das ist auch immer mein Eindruck, nämlich die Tatsache, dass der Blues ein Medium für die Instrumentalisten ist. Es ist nie so, dass man geduldig warten muss, bis einer der Musiker sein Solo vollendet hat. Es ist viel- mehr so, dass der Schlagzeuger aus der Begeisterung heraus ein Solo startet, und häufig setzt die Band erst dann wieder ein, wenn ein Solo droht, zu lang zu werden. Aus diesen Live-Sessions entstehen dann häufig sehr gute Dinge.

Ihr werdet mich jetzt vielleicht fragen, warum ich nun gerade den Blues gewählt habe, weil er sich doch sehr von der progressiven Musik unterscheidet! Nun, damit hättet ihr wohl recht, aber wenn ich den Blues höre, möchte ich instinktiv zur Gitarre oder Harmonika greifen. Ich fühle mich einfach so gut, dass ich unbedingt mitspielen möchte. Er ist ein gutes Medium für diejenigen, die einfach nur mitmachen und mitspielen wollen. Es ist vorstellbar, dass einhundert Musiker den Blues spielen und das Ganze immer noch gut klingt. Es ist das nicht zu probende Medium, die spontane Art von Musik. Viel mehr als beispielsweise beim Jazz, bei dem man zumindest die Akkorde kennen muss. Beim Blues kann es selbst dann zu guter Musik werden, wenn niemand weiß, was genau passieren soll.

it: Musstest du nicht deinen Stil des Gitarrenspiels für dieses Album um- stellen?
Steve: Oh ja, denn man muß den Blues fühlen, und es ist wirklich so, dass man nichts erzwingen kann. Entweder liebt man ihn oder nicht. Ich habe den Blues irgendwie schon immer gefühlt. Vom ersten Moment des Kennenlernens dieser Musikrichtung an gab es da dieses Gefühl in mir. Zunächst allerdings empfand ich etwas Dunkles und Bedrohliches beim Anhören des Blues. Aber zu dem Dunklen und Bedrohlichen kam noch diese absolut spürbare Ehrlichkeit. In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, hatte der Blues, der dort in den sechziger Jahren gespielt wurde, einen großen Wert für die Menschen.

In den Siebzigern war er dann eine Art Wiederbelebung einer noch viel älteren Zeitperiode, einer Zeit des Blues, der bis in die dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre zurückreicht. Er hat sich einfach ganz wunderbar in die moderne Zeit übertragen lassen und ist immer noch eine verdammt gute Musikform.

it: Wie wird der Name des Albums sein?
Steve: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das sagen sollte. Ich habe Angst davor, zuviel zu sagen. Denn je mehr man sagt und je mehr gute Ideen man fortgibt, desto schneller werden sie die Ideen von anderen. Deshalb ist es besser, erst dann über etwas zu sprechen, wenn es erschienen ist. Wir haben auf jeden Fall einen Titel, und wir haben auch ein Cover…

it: ..von Kim Poor gemalt?
Steve: Ich darf euch das nicht sagen. Das einzige, was ich sagen kann, ist, dass ich sehr stolz auf dieses Album bin und sehr viel Spaß dabei hatte, es aufzunehmen. Ich habe es mir häufig in meinem Auto angehört, da es großartige Musik fürs Autofahren ist. Der Blues ist kein HiFi-Medium. Er klingt auch dann noch gut, wenn er von einem winzig kleinen alten Plattenspieler kommt. Als ich in den alten Tagen zu der Musik kam, gab es teilweise noch alte Grammophone, und so einiges kann heute noch gut klingen. Patti Smith klingt immer noch toll, obwohl es keine HiFi-Musik ist.

Steve Hackett schreibt einen Gruß an unsere Leser im it-Interview 1994

Es geht um die Darbietung und nicht um die Produktion. Entweder ergreift es dich tief in dir oder nicht. Andere Leute mögen vielleicht diese Leidenschaft beim Jazz empfinden oder beim Dixieland beispielsweise. Aber ich fühle es eben nicht bei diesen Musikarten, und es bedeutet mir auch nicht so viel wie der Blues. Es liegt auch daran, wie und man in der Jugend mit einer Musikform in Berührung kommt. Ich hatte die Blues-Harmonika damals bereits 10 Jahre lang gespielt. Dann lernte ich den Blues kennen, und ich dachte: „Wow! Was machen diese Musiker da bloß mit den Noten?“ Es gab damals viele Blues-Helden wie Little Walter oder Paul Butterfield für mich, und die waren auch alle Harmonika-Spieler und großartige Sänger auf ihre Art und Weise.

it: Singst du auch auf diesem Album?
Steve: Ja, ich singe auch.

it: Wir haben von Billy gehört, dass du jetzt wieder ein Rock-Album machen möchtest. Wie sieht es damit aus?
Steve: Ja, ich arbeitete gerade an einem. Wir sprechen da wirklich über viele Alben. Es laufen sehr viele Proiekte im Moment, und ich bin sehr glücklich darüber.

it: Wie sind deine Pläne für die Veröffentlichung eines Akustik-Albums?
Steve: Irgendwie wird das auf jeden Fall auch geschehen. Ich weiß aber noch nicht genau, wie das aussehen könnte. Vielleicht wird es auch ein InstrumentalAlbum geben. Aber das liegt sehr weit in der Zukunft. Es ist auch denkbar, dass ein Instrumental-Album erscheint, auf dem auch Akustik-Material enthalten ist.

Billy: Ich denke, dass wir da mehr über Ideen sprechen als über wirkliche Pläne und zu viel über Songs für Alben, die möglich wären. Nun, zum geplanten Rock-Album kann man noch sagen, dass bereits Lieder fertig produziert sind und noch ein, zwei, drei, vier oder zehn weitere Alben denkbar sind. Es läuft in der Regel nicht so, dass wir uns heute hinsetzen und sagen: „Jetzt nehmen wir ein neues Album auf.“ Die ganze Zeit über wird Musik aufgenommen. Am Ende kann das eine Stück hier oder dort erscheinen und ein weiterer Song auf einem ganz anderen Album oder in einem Werbespot fürs Fernsehen. Musik wird also immer produziert. Aber wie gesagt sind wir weit davon entfernt, zu sagen: „Okay, jetzt setzen wir uns hin und machen das nächste Album.“

Das ist, so meine ich, zu unflexibel. Steve produziert sehr viel Musik. Das ist mein Problem. Es ist sehr schwer, mit diesem ganzen Material klarzukommen, und leider ist es nicht möglich, nach zehn fertig aufgenommenen Tracks zu sagen: „Wir machen hier einen Schnitt und bringen ein neues Album heraus.“

Steve: Es wäre schön, wenn es so laufen könnte, aber wir haben viele Ideen. Billy leistet auch viele kreative Beiträge. Manchmal läuft etwas sehr geradlinig, aber häufig hat man eben eine Menge Material zur Verfügung. Die Tatsache, ein eigenes Studio zu besitzen, ermöglicht es uns, Dinge zu tun, die in der Vergangenheit nicht denkbar gewesen wären. Ich verbringe jetzt mehr Tage im Studio, als freie Tage zu haben. Es ist wirklich wunderbar, sein eigenes Studio zu haben, denn es ermöglicht auch, das Beste von dem, was du vorliegen hast, auszuwählen. Wir trennen uns von viel Material, da nicht jeder Song ein echtes Meisterstück ist. Es ist sehr wichtig, auch mal sagen zu können, daß ein aufgenommenes Lied nicht so gut ist, wie es eigentlich sein könnte.

Wir versuchen immer, die Dinge noch zu verbessern. Manchmal entsteht ein guter Song, aber der Mix gefällt uns nicht. Der Mix eines Tracks ist für uns sehr wichtig, und deshalb remixen wir die Stücke auch sehr häufig oder verwenden eventuell die ursprüngliche Aufnahme, weil wir herausfinden, dass es nicht besser zu machen ist. Aber worauf es wirklich an kommt, ist, dass wir am Ende das Beste aus dem zur Verfügung stehenden Material gemacht haben.

Tja Steve, wir schauen gerne in die Zukunft und freuen uns auf die vielen musikalischen Projekte, die von Dir noch folgen werden! Wir möchten uns nochmals bei Steve und seinem Manager Billy Budis für ihre großartige Hilfe und die gute Zu sammenarbeit bedanken.

Interview: Bernd Zindler und Helmut Janisch
Transkription und Übersetzung: Bernd Zindler
zuerst erschienen in it-Magazin #11, Juni 1994