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Steve Hackett – Live Rails – Rezension
Im Rahmen der Train On The Road Tour 2009 und 2010 entstand das Live-Album Live Rails. Anlässlich der Neuauflage 2020 wird es von Ole Uhtenwoldt neu bewertet.
Im Rahmen der Train On The Road-Tour veröffentlichte Steve Hackett im Jahr 2011 das Live Album Live Rails. Dieses markiert auch die letzte Live-Veröffentlichung in Steves Solo-Output, bevor er sich beginnend mit der Genesis Revisited II ein Jahr später verstärkt dem Genesis-Kosmos zuwandte – sowohl im Hinblick auf Konzerte, wie auch auf Veröffentlichungen (von regulären Solo-Alben mal abgesehen).
Bereits 2009, also zwei Jahre vor Live Rails erschien das dazugehörige Studio-Album Out Of The Tunnel’s Mouth; damit ist es zeitlich gesehen bereits deutlich näher am folgenden Studio-Album Beyond the Shrouded Horizon. Nach dessen Release wurde mit Fire And Ice noch das Video-Dokument der Train On The Road-Tour nachgereicht, da es sich bei Live Rails nur um ein 2CD-Set ohne DVD handelt.
Line-Up
Die Band ist dabei die gleiche geblieben – bis auf die special guests Steven Wilson und John Wetton auf Fire and Ice, die auf Live Rails fehlen. Es war noch die Zeit, bevor Nad Sylvan als hauptamtlicher Sänger dazustieß. Wie auf den Studio-Alben singt Steve seine Solo-Songs selbst bzw. im Chor, da bis auf Roger King am Keyboard alle auf der Bühne am Background-Gesang beteiligt sind. Dabei ist Steves langjähriger Schlagzeuger Gary O’Toole der eigentliche und auf technisch deutlich überlegene Sänger, wie man bei den Genesis-Tracks heraushört, die er als „singing drummer“ zum Besten gibt.
Steves zum Zeitpunkt dieses Albums zukünftige Schwägerin Amanda Lehmann bringt mit einer weiblichen Gesangsstimme durchaus Abwechslung rein und auch deren Gitarreneinsätze sind nicht zu unterschätzen, da Steve auch in den Studio-Versionen seiner Songs oft mehrere Gitarrenspuren einsetzt. Ebenso wichtig ist Rob Townsend, der mit Flöten- und Saxofon-Einsätzen einige passende Soli einbringt, aber auch Gitarrenlinien ersetzen kann und mit Steves Lead-Gitarre während einiger „Solo-Duelle“ gut harmoniert.
Fehlt noch Bassist Nick Beggs, der sich hier auf seiner vorletzten Tour mit Steve befindet, bevor er 2012 zu Steven Wilson stieß und durch Lee Pomeroy ersetzt wurde. Auf Live Railsbleibt Beggs – eigentlich die schillerndste und auffälligste Figur auf der Bühne – insgesamt ein wenig blass und unauffällig und steht eher im Hintergrund; mit Ausnahme von Bass-orientierten Songs wie Tubehead, bei denen er glänzen und seine ganze Klasse zeigen kann.
Setlist
Der große Unterschied zu Fire and Ice ist, dass es sich bei Live Rails nicht um ein durchgängiges Konzert handelt, sondern um einen Zusammenschnitt von Shows in Paris, London und New York zwischen 2009 und 2010. Dies kann sich auf die Live-Atmosphäre auswirken, wenn der Eindruck entsteht, man habe es nur mit einer Abfolge von Live-Songs außerhalb der Dramaturgie eines Konzertes zu tun. Die Spannung innerhalb der Setlist ist zwar gegeben, aber besonders der erste CD mangelt es insgesamt an Live-Atmosphäre: das Publikum ist zumeist nur am Ende der jeweiligen Tracks zu hören und wird mit Beginn des nächsten ausgeblendet – eher unglücklich, wenn man ein Konzert erwartet, es sich aber eher um eine Ansammlung von Live-Aufnahmen handelt. Mit der zweiten CD ist das Publikum dann auch mal innerhalb eines Tracks zu hören (wäre auch merkwürdig, wenn es am Ende von Steves Firth Of Fifth-Solo keinen Applaus gäbe); vielleicht stammt der Genesis-Block tatschlich vom gleichen Konzert und klingt somit organischer. Ansagen sind während der beiden CDs keine zu hören.
Aufgeteilt ist Live Rails prinzipiell in drei Abschnitte: die damals neuen Songs von Out Of The Tunnel’s Mouth, ein paar Klassiker aus Steves Back-Katalog und einige Genesis-Tracks unter seiner Beteiligung. Letztere waren vor der Genesis Revisited-Phase noch eine Besonderheit und zumeist Steves Solo-Songs untergeordnet.
Die Darbietung des durchaus vielseitigen Out Of The Tunnel’s Mouth wurde hierbei um seine Einflüsse aus der Weltmusik gekürzt: das stark spanisch angehauchte Nomadswurde nicht in die Konzerte übernommen und vom orientalischem Last Train to Istanbul wird lediglich ein kurzer instrumentaler Abschnitt als Intro der ersten CD verwendet. Der überwiegende Teil der Songs vom 2009er-Album wurde nur auf dieser Tour gespielt, denn in die folgende Breaking the Waves-Tour zu Beyond the Shrouded Horizon wurden nur Sleepersund Fire On The Moon mitgenommen.
Die übrigen Solo-Songs von Steve sind wenig überraschend: Every Day war auch auf der Selling England-Tour 2019 der Opener und hatte schon 2010 nichts von seinem Glanz verloren, ebenso wie Spectral Mornings. Mit Ace of Wands geht es sogar zurück zu Steves ersten Album Voyage Of The Acolyte und mit The Steppes und Sloganssind zwei weitere Klassiker und Highlights des 1980er-Albums Defectorvertreten. Das innerhalb dieses Instrumental-Abschnitts ebenfalls enthalten Pollution Cgeht dabei in Richtung Improvisation und Klagexperiment und erinnert leicht an The Waiting Room. Das verträumte Serpentine lebt vor allem durch Townsends Flöten-Einsätze und die Harmonie des Chors.
Die Genesis-Songs bieten vor allem für Gary O’Toole die Gelegenheit, sich als Sänger zu präsentieren und dies gelingt ihm. Bei Firth of Fifth wird das Piano-Intro von Roger King ausgespielt und die Saxofon- und Flöten-Einsätze von Townsend fügen sich gut ein. Blood on the Rooftops beginnt dann mit einem etwas längeren Intro und ist auch der einzige Song auf dem Live-Album, bei dem Steve zur Akustik-Gitarre greift. Und bei der Broadway Melody meint man sogar, das Publikum im Hintergrund mitsingen zu hören. Los Endos als vorletzter Song kommt in der bewährten Kombo mit Steves Myopia, wobei auch Dancing With The Moonlit Knight kurz angespielt wird. Als Rausschmeißer fungiert dann Clocks, bei dem man sich fast gar nicht zu sagen traut, dass Craig Blundell beim Schlagzeug-Solo auf der Selling England-Tour 2019 vielleicht noch etwas besser war, als Gary O’Toole hier.
Dem teils etwas zurückgenommenem Live-Flair steht die Spielfreude der Band gegenüber, die besonders bei den härteren Songs zu spüren ist: Tubeheadglänzt durch seine Dynamik und zeigt ebenso wie das jazzig orientierte Ghost In The Glass, was für einen guten Job Gary an den Drums macht. Rhythmisch machen auch Emerald and Ash und Sleeperseinen Schritt nach vorne, da deren Strophen durch das echte Schlagzeug (das Schlagezug wurde bei Out Of The Tunnel’s Mouthausschließlich von Roger über die Keyboards programmiert) etwas gradliniger wirken, als innerhalb der Percussion-Einbettung auf den Studio-Versionen. Auf die orchestrale Einleitung von Sleepers zu verzichten, macht im Konzert sicherlich Sinn; dafür hat es hier einen längeren Schlusspart, der Steve und Rob die Möglichkeit zum Solieren gibt. Dies trifft auch auf das stark bluesige Still Waters zu, dessen Ende geschickt auf Steves Lead-Gitarre zugeschnitten ausgespielt wird, und dadurch das ärgerliches Fadeout Studiofassung umgeht. Auch hier funktioniert der Background-Gesang im Refrain und rückt Steves Gesang in den Strophen fast in den Hintergrund. Von den überschaubaren Abschnitten, in denen er wirklich alleine singt, ist Fire On The Moon wohl noch am auffälligsten, denn es gelingt ihm, die hypnotische Intimität der Studio-Version ins Konzert zu übertragen.
Fazit:
Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass es eben kein durchgängiger Konzert-Mitschnitt ist, sondern eine Auswahl von auf der Tour gespielten Songs, ist es ein starkes Live-Dokument aus jeder Zeit, zu der Steve scheinbar noch mehr Wert auf die Darbietung seiner Solo-Songs gelegt hat. Live Rails markiert dabei gleichermaßen den Beginn eines neuen Abschnittes für Steve persönlich nach der Trennung von seiner Frau Kim Poor im Jahr 2007. Prinzipiell hat Steve auch die Essenz seiner Karriere durch die Songauswahl gut eingefangen. Natürlich kann man bei einer so breiten Diskografie nicht alles berücksichtigen, aber Klassiker wie Every Day, Spectral Mornings oder Clocksschaffen in Verbindung mit den Songs damals aktuellen Albums (das man wohl zum Spätwerk Hacketts zählen kann) und einigen für ihn speziellen Genesis-Momenten einen gelungenen Querschnitt seines musikalischen Schaffens – und das mit einer aufeinander eingespielten Band, über deren technische Fertigkeiten man nicht diskutieren muss.
Autor: Ole Uhtenwoldt
Live Rails ist bei Amazon und JPC erhältlich.
Steve Hackett: Guitars, Vocals
Roger King: Keyboards
Amanda Lehmann: Guitar, Vocals
Gary O?Toole: Drums, Percussion, Vocals
Nick Beggs: Bass, Chapman Stick, Taurus Pedals, Vocals
Rob Townsend: Sax, Woodwind, Percussion, Vocals
Disc 1:
Intro
Every Day
Fire On The Moon
Emerald And Ash
Ghost In The Glass
Ace Of Wands
Pollution C
The Steepes
Slogans
Serpentine
Tubehead
Disc 2:
Spectral Mornings
Firth Of Fifth
Blood On The Rooftops
Fly On A Windshield
Broadway Melody of 1974
Sleepers
Still Waters
Los Endos
Clocks