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Steve Hackett – The Lamb, The Nightwhale und der Sommer 2024

Steve Hacketts Sommer Tour 2024 war der erste Abschnitt seiner Lamb-Highlights Tour. Ein Bericht.

Steve Hackett ist zweifelsohne derjenige in der Genesis-Familie, der die Band-Flagge dauerhaft am höchsten hält. Seit Jahren tourt er unermüdlich und hat immer wieder, neben vielen Soloklassikern, ausgwählte Genesis-Klassiker im Programm. Viele Alben stellte er dabei bereits in den Mittelpunkt. Foxtrot, Selling England, Wind & Wuthering oder Seconds Out. In diesem Jahr ist er erstmals mit einem Programm auf Tour, dessen Schwerpunkt auf The Lamb Lies Down On Broadway liegt. Das Album feiert dieses Jahr sein 50. Veröffentlichungsjubiläum.

Steve Hackett

Doch auch sein aktuelles Soloalbum, The Circus And The Nightwhale, findet auf dieser Tour Beachtung. Dazu gibt es wie immer eine Selektion anderer Solo-Stücke und auch ein paar andere Genesis-Klassiker, die nicht auf The Lamb zu finden sind.

Im Herbst 2024 wird Steve mit seiner Band wieder eine ausgedehnte UK-Tour spielen, dazu kommen ein paar Termine in Italien, Portugal und Spanien. Etwas überraschend fand der Tourstart aber nicht in Großbritannien statt, sondern Anfang Juli in Paris. 13 Shows in Europa standen im Sommer 2024 auf dem Programm. Die deutschen Shows ware Open-Air Termine und Steve Hackett war auch Headliner des letzten Night Of The Prog Festivals auf der Loreley.

Die Live-Band und die Setlist

In seiner Band sind die gleichen Musiker, die ihn schon die letzten Jahre begleitet hatten:

Roger King: Keyboards
Jonas Reingold: Bass / Doubleneck
Craig Blundell: Drums, Percussion
Rob Townsend: Blasinstrumente, Keyboards, Percussion
Nad Sylvan: Gesang

Die Sommer-Shows 2024 hatten eine relativ stabile Setlist. Die Show bestand aus folgenden Tracks:

People Of The Smoke
Circo Inferno
These Passing Clouds
The Devil’s Cathedral
Every Day
A Tower Struck Down
Bass Solo
Camino Royale
Shadow Of The Hierophant

The Lamb Lies Down On Broadway
Fly On A Windshield
Broadway Melody Of 1974
Hairless Heart
Carpet Crawlers
Chamber Of 32 Doors
Liliwhite Lilith
The Lamia
it
Dancing With The Moonlit Knight
The Cinema Show
Aisle Of Plenty

Firth Of Fifth
Drum Solo
Los Endos (Slogans)

In Zoetermeer, wo gleich vier Shows stattfanden, variierte Steve den ersten Teil und spiele auch mal Spectral Mornings oder Ace Of Wands statt A Tower Struck Down. Im zweiten Teil spielte die Band ein Mal Dance On A Volcano statt Dancing With The Moonlit Knight. Die Show auf der Loreley war auf zwei Stunden begrenzt, daher fielen dort Every Day, A Tower Struck Down und Camino Royale weg.

Jonas Reingold

Die Spielorte

Während der relativ kurzen Sommertour spielte Steve sowohl auf bekanntem Terrain (zum Beispiel Amager Bio / Kopenhagen, Zoetermeer / Boerderij, Brüssel / Cirque Royale, St. Goarshausen /Loreley), aber vor allem in Deutschland gab es Konzerte an eher ungewöhnlichen Orten – und es waren Open Air Shows. Der Stadtpark in Hamburg war schon öfter Schauplatz von Konzerten aus der Genesis-Familie, ebenso die Parkbühne in Leipzig. Die Show in Dresden wurde von Ostra-Park in das kleinere Open-Air Gelände im Hof des Clubs Tante Ju verlegt – diese Show war mit knapp 1.000 Zuschauern wohl auch die kleinste Show der deutschen Konzerte. In Nürnberg und Winterbach spielte Steve ebenfalls erstmals in diesen Locations.

Gleich vier ausverkaufte Shows gab es in Zoetermeer, wo Steve im Prinzip auf jeder Tour spielt. Der Club dort ist gerade im Prog-Bereich legendär und vergleichsweise klein (ca 700 Zuschauer). Der Tourauftakt in Paris im Grand Rex war ein Ausrufezeichen, der Abschluss auf der Loreley ebenfalls – und mit rund 5.000 Zuschauern war dies auch die größte Show der Sommer-Tour.

Die Show

Zunächst ist auffallend, dass die Lightshow in letzter Zeit deutlich besser wurde. Das ist auch kein Zufall, denn verantwortlich dafür ist seit der letzten Tour Alec Morris. Dieser ist den Besuchern des Fanclub-Events 2017 sicher noch in Erinnerung, seinerzeit machte das Licht für die Carpet Crawlers in Welkers. Alec konnte viele Ideen einbringen und die Show hat davon ungemein profitiert.

In seinem Soloteil wurden wie gewohnt ein paar Songs seines aktuellen Albums untergebracht. These Passing Clouds ist auf dem Album eher ein kleines Zwischenstück, wurde live aber in einer deutlich längeren Version gespielt – und könnte auch so etwas sein wie das Prelude zu Shadow Of The Hierophant. Durch die Konzerte bekam These Passing Clouds nochmals einen höheren Stellenwert und rückt so auch in die Kategorie „Schlüsseltracks“ seines aktuellen Albums.

Auffallend war, dass The Devil’s Cathedral (vom letzten Rockalbum Surrender Of Silence) wieder im Set ist und somit Nad Sylvan auch im ersten Teil Bühnenpräsenz hatte. Die weiteren Songs sind allerdings eher aus der Kategorie „erwartbar“. Hier hätte man sich durchaus auch andere Tracks vorstellen können. Neben The Steppes oder Icarus Ascending (oder warum nicht Please Don’t Touch) wären auch spätere, selten oder nie gespielte Perlen (Lost In Your Eyes, Cassandra, Wolfwork, Brand New, Darktown, Enter The Night oder A Place Called Freedom) eine Option gewesen. Insgesamt deckt Steve die Phase zwischen 1993 und 2011 fast schon traditionell zu wenig in seinen Live-Shows ab.

Eines der Highlights im ersten Teil ist ein ausgedehntes Bass-Solo von Jonas Reingold. In dieses Solo baut Jonas einige Zitate ein, zum Beispiel die Love Theme aus dem Film Der Pate, Voodoo Child von Jimi Hendrix oder auch Johann Sebastian Bach (Suite Nr. I G-Dur, BWV 1007).

Ohne Zweifel bleibt Shadow Of The Hierophant das Highlight seines Solo-Sets. Das Stück hat über die Jahre nicht nur an Bedeutung, sondern auch an Wucht und Intensität gewonnen. Gespielt wird es normalerweise nur als Instrumentalstück, das heißt nur der finale Part des Stücks, in dem sich das Gitarrenthema, angetrieben von seiner Band, nach und nach aufbaut. Auch auf diesem Tourabschnitt glich die Darbietung einer Messe und man hatte zum Beispiel auf der Loreley das Gefühl, das Amphitheater würde im nächsten Moment abheben. Es ist und bleibt sein Solo-Signature-Track und seit seiner Veröffentlichung 1975 (auf Voyage Of The Acolyte) steht die Frage im Raum, warum daraus kein Genesis-Track werden konnte. Die Fans in Großbritannien können sich freuen – hier wird Amanda Lehmann wieder Teil der Band sein, was auch bedeutet, dass Shadow Of The Hierophant komplett, also mit Gesangsteil gespielt wird.

Steves Entscheidung, The Lamb nicht komplett zu spielen, war natürlich auf Grund des Zeitfaktors irgendwo logisch, aber bietet so auch Angriffsflächen. Man kann sehr schnell hinterfragen, warum Songs wie In The Cage, Counting Out Time, The Colony Of Slippermen oder Riding The Scree fehlen … und wird darauf nie eine zufrieden stellende Antwort bekommen. „The line has to be drawn somewhere“ sagte einst ein anderes Mitglied von Genesis und so ist es hier auch.

Standesgemäß startet der zweite Teil des Sets mit dem Titelsong und dem folgenden Dauerbrenner Fly On A Windshield. Nad Sylvan verzichtete hier auf eine große Kostümierung, sondern stand in schwarzer Lederhose am Mikro und sendete so auch eine kleine Referenz an Rael, der seinerzeit mit einer schwarzen Lederjacke verkörpert wurde. Broadway Melody of 1974, Hairless Heart, Carpet Crawlers und The Chamber Of 32 Doors sind alle Songs, die im Hackett-Set erwartet worden waren. Und insbesondere die Darbietung von Chamber war beeindruckend. Bei Carpet Crawlers dürften sich die Fans in London wieder auf einen Gastauftritt von Ray Wilson einstellen.

So war die spannende Frage, welche Tracks der zweiten Lamb-LP Steve wohl aussuchen würde. Die Wahl fiel auf Liliwhite Lilith, The Lamia und it. Und insbesondere The Lamia sorgte für den ein oder anderen Gänsehaut-Moment. So war das „Lamb Stew“ schneller vorbei, als man dies gewollt oder erwartet hätte und das Weglassen vieler Brückenstücke (Waiting Room, Silent Sorrow, Supernatural Anaethetist usw) machten daraus eine kurzweilige Reise. Trotzdem hätte man, siehe Auswahl-Diskussion, natürlich auch noch das ein oder andere eher ungewöhnliche Stück in einer Hackett-Version hören wollen. Vielleicht wird er ja schon bald weitere Tracks in den Set einstreuen.

Nach der Lamb-Auswahl ist der regulären Set aber noch nicht zu Ende. Mit Dancing With The Moonlit Knight (das Steve schon oft als eines seiner Lieblings-Stücke von Genesis bezeichnet hatte) und The Cinema Show gibt es noch zwei Kracher vor den Zugaben. Und dankenswerterweise wurde The Cinema Show wieder mit Aisle Of Plenty gespielt, welches ja irgendwie auch zu The Cinema Show dazugehört. Erst danach gibt es die Pause vor den Zugaben.

Auch für die Zugaben greift Hackett in die Klassiker-Kiste. Neben Shadow Of The Hierophant ist Firth Of Fifth sicher das Stück, dem man den Beinamen „Hackett Signature Track“ geben kann – zumindest was das Gitarrensolo angeht. Die Magie beider Stücke ist ähnlich. Man wird sie einfach nicht leid und kann sie immer wieder hören, weil sie einfach so gut sind. Und auch Los Endos wurde mit einer Spielfreude dargeboten, die sowohl beeindruckend als auch ansteckend ist. Überall gab es dafür stehende Ovationen. Los Endos wurde erneut durch das Solo-Stück Slogans erweitert. Davor aber konnte auch Craig Blundell sein Können unter Beweis stellen im Rahmen eines ausführlichen Drum-Solos, das überall ebenfalls Standing Ovations bekam.

Fazit

Steve Hackett bleibt live eine Institution für Genesis Fans. Er variiert seine Shows von Tour zu Tour, aber er bedient auch die Genesis-Fans der Hackett-Jahre immer recht ordentlich. Wünsche gibt es immer, aber im Genesis-Teil kommen die Fans immer auf ihre Kosten. Seinen Solo-Teil könnte er dagegen stärker variieren. Natürlich haben Songs seiner aktuellen Alben jeweils eine Berechtigung, aber die Fülle seines Solooutputs ist eigentlich eine Steilvorlage für mehr Variation, auch während einer Tour.

Seine Band ist über die Jahre gewachsen und auch wenn es hin und wieder personelle Wechsel gab, so hielt er den Kern immer zusammen. Insbesondere die Rhythmus-Abteilung um Jonas Reingold und Craig Blundell ist beindruckend. Licht und Sound waren fast überall exzellent. Chapeau, Mr. Hackett und wir hoffen, dass wir ihn noch oft live spielen sehen werden.

Autor: Christian Gerhardts
Fotos: Peter Schütz (Leipzig), Christian Gerhardts (Dresden, Loreley)


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