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Steve Hackett – Interview via Telefon (Clubtag 1998)
Während des Fanclubtreffens 1998 fand ein telefonisches Interview mit Steve statt, bei dem auch die Besucher Fragen stellen konnten.
Ein Genesis-Bandmitglied beim Clubtag? Nicht ganz, leider! Nur per Telefon – aber immerhin. Kurzfristig konnten wir Steve für einen weiteren Programmpunkt des Meetings ’98 gewinnen. Etwa zwanzig Minuten lang beantwortete er live Fragen, die ihm von verschiedenen Besuchern des Clubtags und der it-Redaktion gestellt wurden, während das Publikum über Lautsprecher mithören konnte. Es folgt die Abschrift dieses Interviews …
Steve: Hallo?
it: Hallo, hier ist Helmut Janisch.
Steve: Hallo Helmut, wie geht’s? Hier ist Steve.
it: Hallo Steve, willkommen in Deutschland via Telefon. Hier sind ein paar Fans beisammen, … (das Publikum macht sich lautstark bemerkbar) …
Steve: Wieviele sind denn da?
it: Etwa einhundert.
Steve: Etwa einhundert? Mein Gott, ich war mir nicht bewusst, daß ich zu hundert Leuten sprechen würde.
it: O.k. Steve, hier ist der erste, der eine Frage an dich hat.
Martin Christgau: Es geht um das in Kürze erscheinende Genesis-Box-Set. Inwieweit warst du an der Auswahl und Zusammenstellung der einzelnen Stücke beteiligt, und bist du mit dem Ergebnis zufrieden?
Steve: Um ehrlich zu sein, ich hatte nur damit zu tun, bei einigen Stücken ein paar Fehler zu beseitigen. Das meiste waren Liveaufnahmen von 1973 oder früher. Es ging also hier um etwas, was ich vor langer Zeit einmal gemacht habe. Ich war nicht so kreativ involviert, wie du vielleicht denkst. Ich habe mich nicht etwa hingesetzt und die Titel ausgesucht. All das wurde so ziemlich komplett vom aktuellen (Genesis-)Team gemacht, und der Rest von uns war damit einverstanden.
Martin: Hast du irgendwelche privaten Bänder zur Verfügung gestellt?
Steve: Nein, habe ich nicht.
Dirk Faßbender: Was hat es mit der Veröffentlichung einer Neuaufnahme von Carpet Crawl auf sich?
Steve: Nun, gerade gestern habe ich die Jungs das auch gefragt. Ich habe mit Tony Banks darüber gesprochen. Vor zwei oder drei Wochen trafen wir uns zu einem gemeinsamen Fototermin. Die Bilder kannst du sowohl auf der Genesis-Website wie auch auf der Steve Hackett-Website sehen. Soweit ich weiß, sind auf meiner sogar mehr. Aber … wie war doch gleich die Frage, ich hab’s vergessen. (allgemeines Gelächter)
Dirk: … Carpet Crawl, die neue Version.
Steve: Ach ja, ich habe mit Tony gesprochen, und er sagte, er sei nicht sicher, ob er glücklich mit seinen Keyboards darauf sei. Ich habe meine Gitarrenparts abgeliefert, und nun ist es nicht mehr in meinen Händen. Ich hoffte, das erste Box-Set würde es enthalten. Immerhin habe ich bei dem Song mitgemacht, weil ich annahm, es würde für das Box-Set Verwendung finden, um das alte Material interessanter zu machen. Ich denke, Bands arbeiten sehr langsam, und ich kann nur in meinem eigenen Tempo arbeiten und dieses anderen Leuten nicht vorschreiben. Das ist also nicht so einfach für mich. Ich hoffe, daß es irgendwann erscheint, aber ich weiß nicht, ob die anderen so glücklich damit sind. Das müsstest du sie schon selbst fragen.
Steffen Gerlach: Hallo Steve, hier ist Steve aus Deutschland (allgemeines Lachen). Bist du bereit für meine Frage?
Steve: Bin ich, ach, übrigens, kann jeder dort hören, was gesprochen wird?
Steffen: Oh ja, hier sind Mikrofone.
Steve: Dann sollte ich wohl vorsichtig sein.
Steffen: Gibt es irgendwelche Steve Hackett-Solostücke, die auf einem Genesis-Album erscheinen sollten?
Steve: Es gab etwas, das von Genesis geprobt wurde, dann aber von mir aufgenommen wurde: der Schlusspart des Voyage Of The Acolyte-Albums, dieser Teil mit dem Glockenspiel. Genesis probten das lange zuvor. Es war wohl 1972, und vermutlich wollten wir es auf Foxtrot unterbringen. Ja, ich bin mir ziemlich sicher.
Jürgen Kirch: Wann wirst du wieder einmal in Deutschland auf Tour gehen?
Steve: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht, denn in letzter Zeit habe ich mein ganzes Geld in mein Studio gesteckt. Manchmal habe ich Orchester gebraucht, und die sind sehr teuer. Ich wäge es üblicherweise ab, ob ich ins Studio oder auf Tour gehen soll. Einige meiner Alben haben sehr viel Geld gekostet, wie z. B. A Midsummer Night’s Dream und Genesis Revisited. The Tokyo Tapes auch, aber auf eine andere Art und Weise. Ich weiß also keine Antwort auf die Frage, und ich bin so frustriert wie jedermann. Aber ich freue mich darauf, wieder einmal in Deutschland zu spielen, sobald ich es kann.
Christian Meier: Kannst du dir vorstellen, zu Genesis zurückzukehren oder auf einem neuen Genesis-Album als Gastmusiker mitzuwirken?
Steve: Nun, alles ist möglich, aber Genesis haben im Moment ein neues Line-up, und daher glaube ich, es ist augenblicklich eher unwahrscheinlich. Ich denke, sie konzentrieren sich wohl im Moment darauf, ein weiteres Album in dieser Besetzung zu machen. Wenn Leute wie ich zu einer Band zurückgeholt werden, dann normalerweise erst, wenn sie sich vor langer Zeit aufgelöst hat und man versucht, aus den noch Lebenden eine neue Band zusammenzustellen. Deshalb müßten sich Genesis wohl zunächst einmal für einige Zeit trennen, um wieder zusammenzukommen, wenn wir alle Großväter sind, wer weiß (allgemeines Lachen im Saal). Wir sprechen alle miteinander und sehen uns gelegentlich. Es ist also möglich, aber Genesis sind langsam beim Auseinandergehen und langsam beim Wiedervereinigen. Ich weiß ja auch nicht. Tut mir leid, dass ich nicht mehr Antworten auf Lager habe.
Eddy Pachali: Wo genau fand das letzte Konzert der Lamb-Tour statt?
Steve: Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich denke, es war irgendwo in Frankreich. Ich weiß, dass noch eine weitere Show folgen sollte, die aber kurzfristig abgesagt wurde, weil nicht genug Tickets verkauft wurden. Jeder nahm an, daß dieses Konzert noch folgen würde, und es sollte eine große Party im Anschluss geben. Aber die Tour endete dann schon ein Konzert zuvor. Ich weiß nicht mehr genau … aber ich denke, es war Frankreich. Es hätte auch Norwegen sein können, aber ich bin mir recht sicher, es war Frankreich (Gelächter). Damals hatte ich keinen Terminkalender oder dergleichen.
it: Nun noch ein paar Fragen von der it-Redaktion. Welche Pläne hast du im Augenblick, was neue Alben angeht?
Steve: Ich führe zur Zeit ein Doppelleben, denn einerseits mache ich Rockalben und andererseits arbeite ich an Alben, die eher klassischen Stils und Formats sind. Momentan arbeite ich an zwei Projekten, die sehr unterschiedlich sind und bei denen ich beide Aspekte meiner … ich würde sagen Persönlichkeit … erforschen kann. Ich mag klassische Musik sehr, denn sie hat die Fähigkeit, zu schweben und dich von der Schwerkraft loszulösen. Rockmusik ist eine sehr viel direktere Art von Energie. Bei Klassik vergesse ich üblicherweise Zeit und Raum. Sie erzeugt andere Emotionen, die ich normalerweise bei Rockmusik nicht finde. Aber ich weiß, daß es auch dort möglich ist. Bei dem elektrischen Album, an dem ich arbeite, möchte ich sehr viele verschiedene Stimmungen haben. Daran arbeite ich also, und vieles daran macht mir großen Spaß.
it: Wann werden diese Alben herauskommen?
Steve: Ich weiß nicht. Beide müssen erst noch fertiggestellt werden, sind aber schon ziemlich komplett. Es wird also nicht mehr allzulange dauern. Im Moment konzentrieren wir uns auf The Tokyo Tapes und unser neues Plattenlabel. Daran arbeiten wir fast ausschließlich. Es arbeiten nur ein bis zwei Leute bei Kudos, und damit sind wir schon am Limit dessen, was wir schaffen können. Ich würde gerne drei Alben pro Jahr herausbringen, aber das ist bei der derzeitigen Lage im Musikgeschäft kaum denkbar – vielleicht eines Tages.
it: Wie stehen die Chancen, daß alte Aufnahmen aus deinem Archiv bei Camino Records erscheinen? Billy Budis hat so etwas angedeutet.
Steve: Ich habe alte unveröffentlichte Aufnahmen und denke, einiges davon ist sehr gut. Bisher haben sie nur noch nicht den Weg auf ein Album gefunden. Manchmal kommt es zur Zusammenarbeit mit anderen Leuten, und man nimmt sich vor, ein ganzes Album zusammen zu machen. Wenn aus Spaß aber harte Arbeit wird, endet es oft darin, daß nur ein oder zwei Stücke aufgenommen werden. Nicht jedes Projekt endet als ein komplettes Meisterwerk.
it: Was können wir also erwarten?
Steve: Nun, ich habe wirklich eine Menge unveröffentlichtes Zeug, aber eigentlich bin ich eher an aktuelleren Dingen interessiert. Irgendwann wird das schon erscheinen, aber es gibt noch keine Veröffentlichungstermine. Es gibt zu viele Überlegungen, die damit zusammenhängen, und ich muß mich danach richten, was bei Kudos möglich ist. Billy Budis, mein Manager, arbeitet rund um die Uhr, um sich um alles zu kümmern, was mich betrifft.
it: Prima, Steve, vielen Dank für das Interview. Es war uns eine große Freude, und wir alle wünschen dir ein gutes Jahr, viel Erfolg, und wir freuen uns schon auf deine nächste Veröffentlichung.
Steve: Vielen Dank. Es war schön mit euch zu sprechen, und es tut mir leid, daß ich mit einigen nicht reden konnte – vielleicht nächstes Mal … (Applaus vom Publikum).
it: Vielen Dank und alles Gute!
Steve: Okay, tschau!
Transkription und Übersetzung: Helmut Janisch
Fotos: Thomas Jesse, Helmut Janisch
zuerst veröffentlicht in it-Magazin 25, Herbst 1998
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