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Steve Hackett – Interview in Aschaffenburg, Colos-Saal, 23.11.2011
Im Rahmen seiner Breaking Waves Tour kam Steve Hackett auch wieder mit Band nach Deutschland. Die it-Redaktion hatte in Aschaffenburg Gelegenheit für ein ausführliches Interview mit Steve.
Vor seinem Auftritt im Colos-Saal in Aschaffenburg trafen Helmut Janisch und Christian Gerhardts auf einen gut gelaunten, aber auch traditionell nachdenklich philosophierenden Steve Hackett und erfuhren neue Details zu seiner Sicht über das Touren, die Fans, die neu entdeckte Verbundenheit zu seiner Genesis-Vergangenheit und Pläne für die Zukunft.
it: Du bist in letzter Zeit sehr viel auf Tour. Weil du Spass daran hast, oder weil du damit mehr Geld verdienst als mit Plattenverkäufen oder …?
Steve: Ich mache das, weil ich es gerne mache. Ich bin gerne auf Tour, nicht wegen finanzieller Überlegungen. Es ist der Vorsatz, Musik live zu spielen, bis die unvermeidliche Zeit kommt, in der das unmöglich ist. Die scheint aber noch eine Weile weg zu sein. Ich spiele unheimlich gerne live, und es motiviert mich – es ist wahrscheinlich meine größte Motivationsquelle.
it: Fühlst du dich heute besser auf der Bühne als, sagen wir mal, vor zehn oder zwanzig Jahren?
Steve: Was heute gut ist, möchte ich sagen, ist, dass die Technik beherrschbarer ist. Um einen guten Sound hinzubekommen muss man auf der Bühne heute die Lautstärke nicht mehr so weit aufdrehen, obwohl ich manchmal schon sehr laut spiele. Allgemein spiele ich live eher leise. Der Klang hängt nicht davon ab, dass man eine große Lautstärke hat. Er steht für sich und beruht nicht auf der Lautstärke; er kann im Flüsterton gespielt werden und trotzdem kräftig klingen. Als ich vor ein paar Jahren zuhause aufgenommen habe, da hatte ich einen großen Gitarrenklang, der klang, als hätte ich einen Haufen Verstärker dabei, aber eigentlich war er sehr klein. Man kann einen mächtigen Sound erzeugen, ohne bei der Aufnahme laut zu spielen.
it: Wie stellst du eine Setlist zusammen? Verfolgst du da einen Plan oder schaust du einfach mal, was klappt, wenn du vor der Show die Setliste festlegst?
Steve: Ich versuche etwa eine halbe Stunde Material vom neuen Album zu spielen. Der Rest geht kreuz und quer durch meinen Bestand und ist darauf ausgelegt, herauszustellen, was die Leute auf der Bühne können. Es gibt ein paar Solos, die Rob [Townsend] in der Vergangenheit für mein Empfinden ganz fantastisch gespielt hat, und diese beiden habe ich zurückgebracht, nämlich Walking Away From Rainbows und Serpentine Song – auch weil ich finde, dass die Harmonien des Serpentine Song mit den Stimmen von allen auf der Bühne sehr gut klingen, vor allem mit Amanda, mir und allen anderen. Ich glaube, wir bieten eine bessere Version davon als wir früher spielen konnten. Ich habe schon Vorteile davon, auch eine Frauenstimme dabei zu haben.
it: Wie entscheidest du, welche Songs du spielst, wie wählst du zum Beispiel einen aus fünf aus?
Steve: Das läuft zum Beispiel so: Als ich letztes Jahr [2010] im Shepherds Bush in London gespielt habe, hat Steven Wilson ein paar Stücke mit uns gespielt, und er schlug Shadow Of The Hierophant vor. Das hatte ich Jahre nicht mehr gespielt. Ursprünglich sollte er es singen, dann meinte er aber, er könne das nicht, aber er hatte den Song vorgeschlagen. Ich habe dann Amandas Stimme probiert, und wir haben die Tonart ihrer Stimmlage angepasst. Wir haben dann angefangen, das Stück live zu spielen, und es scheint bei den Leuten live sehr beliebt zu sein, beim Publikum. Die Reaktionen der Zuschauer definieren das, glaube ich. Mit der Zeit habe ich gemerkt, worauf die Leute ansprechen. Und das alles richtet sich nach der Überlegung, dass ich dem Publikum die Sorte Konzert bieten möchte, die es hören möchte, und dabei Sachen bringe, die ich selbst gerne live spiele.
it: In letzter Zeit ist es ja bei anderen Künstlern sehr in Mode gekommen, bei einem Konzert ein ganzes Album zu spielen. Hast du schonmal überlegt, das mit einem deiner Alben auch zu machen?
Steve: Vielleicht in der Zukunft. Im Moment picke ich mir lieber aus dem Kuchen aller möglichen Songs die Rosinen heraus. Das wird sich in Zukunft ändern; ich glaube, das wird jetzt das letzte Mal sein, dass wir das so machen.
it: Aber welches Album das sein wird, magst du uns noch nicht verraten?
Steve: Nein. – Ich arbeite da gerade an einer Idee für die Zukunft. Es gibt ein paar Pläne, aber erstmal muss ich dies hier durchziehen. Und lustigerweise macht es mir richtig Spaß. Ich habe mich echt gefragt: „Wie sollen wir diese Stücke spielen?“ Songs wie Waking To Lifesind wirklich schwer zu spielen, sehr schwer, aber ich habe daran bislang Freude gehabt. Live ist es anders als auf dem Album. Die Feinheiten gehen verloren, aber die Energie ist da, wenn du verstehst.
it: Vor zehn Jahren habe ich dich auf der To Watch The Storms-Tour gesehen; damals hast du eine Menge Material von Genesis gespielt. Jetzt spielst du sogar noch mehr Genesis. Woran liegt’s?
Steve: Das sage ich dir gerne. Das Hackett-Material und das Genesis-Material sind ein und dasselbe, und ich finde, es ist an der Zeit, dass ich einerseits sozusagen meine Herkunft anerkenne und gleichzeitig so viel aktive Teilnahme des Publikums wie möglich zulasse. Ich habe Konzerte gehabt, da hat das ganze Publikum jede Note der alten Genesis-Stücke wie Carpet Crawlers und Firth Of Fifth mitgesungen, von Anfang bis Ende. Vor Jahren habe ich nur ein kleines Genesis-Medley gespielt, ein bisschen hiervon und ein bisschen davon. Wenn ich das Publikum so über die Jahre richtig gehört habe, dann fühlten sie sich ein bisschen betrogen von dieser Medleysache. Sie wollten das ganze Stück hören. Also überlegte ich mir: „Mal schauen, ob wir das ganze Stück hinbekommen, komplett mit der Klaviereinleitung, die Genesis nie live gespielt haben.“ In manchen Fällen bekommen sie Hackett Plus und Genesis Plus.
it: Nick Beggs ist nicht mehr in der Band…
Steve: Im Moment nicht, nein. Er ist gerade mit Steven Wilson auf Tournee, auf dessen Album ich ja auch gespielt habe; wir haben also beide auf Steve Wilsons Album gespielt und ihm so ausgeholfen.
it: Kommt er wieder oder sind die neuen Musiker ein dauerhafter Ersatz?
Steve: Die Sache ist die, dass die Shows, die er mit Steven Wilson abgesprochen hatte, vor diesen Konzerten gebucht wurde; dafür gibt es mehrere Gründe. Ich hatte versucht, einen Agenten einzubinden, damit der Konzerte für mich bucht, und man muss den Leuten dann eine gewisse Zeit geben, damit sich zeigt, ob sie das auf die Reihe bringen und Ergebnisse liefern. Das habe ich also dem Agenten überlassen, und dann stellten wir fest, dass er es eben nicht hinkriegte. Also haben wir uns entschieden, es wieder über Brian Coles [den Tourmanager] laufen zu lassen, aber das hieß eben auch, dass es da eine Lücke von einem halben Jahr gab. Das war allerdings eine sehr produktive Zeit für mich, weil ich am Album arbeiten konnte, an der DVD, die ja jetzt auch erhältlich ist, an den Konzerten und – unproduktiv war die Zeit nicht, aber jedesmal, wenn man etwas verändern will, kann es sein, dass jemand anderes seinen Teil dazu beiträgt – oder eben nicht beiträgt. Ich musste damit ganz pragmatisch umgehen, und ich finde, wenn jemand mir nicht in der Qualität zuarbeitet, die ich brauche, dann muss ich eben anders weitermachen. Nick Beggs arbeitet also in der Zwischenzeit mit Steven, und das ist völlig in Ordnung. In der Vergangenheit habe ich mit zwei anderen Musikern gearbeitet, die ich beide sehr gut finde. Der eine ist Phil Mulford, der bei diesem Konzert spielt, der andere ist Lee Pomroy, mit dem ich in Japan gearbeitet habe. Er ist sehr gut. Bei den Shows im neuen Jahr wird er dabei sein. Sie sind alle sehr, sehr gut. Weißt du, da habe ich echt die Qual der Wahl.
it: Du hattest immer mal wieder Gastsänger auf deinen Alben. Inzwischen scheinst du dich damit wohlzufühlen, wenn du selbst singt. Glaubst du, du wirst mal wieder Gastsänger einbinden?
Steve: Vielleicht in der Zukunft, für ein spezifisches Projekt möglicherweise und für Kollaborationen. Live zu singen ist mir wichtig. Es ist überhaupt wichtig zu singen, finde ich. Mit der Zeit habe ich eine gewisse Bandbreite entwickelt, die Fähigkeit Balladen und Rocksachen zu singen, und ich glaube, meine Stimme hat sich auch verändert. Da ist physisch irgendetwas passiert; sie klingt jedenfalls besser als früher. Erfahrung lässt eine Stimme besser klingen. Man muss sich auch klar machen, dass ein Sänger nicht sein ganzes Leben lang gleich klingt. Die Stimme ändert sich. Sie erreicht einen Gipfelpunkt und wird dann wohl schwächer. Man kann auch schwach anfangen und sich dann steigern. Aber im Gegensatz zu einer Gitarre kann man sie nicht stimmen und sagen „Da, sie ist gestimmt, es passt alles.“ Singen hat viel mit Psychologie zu tun. Ich habe auch gelernt, in einer Art Balladenstil zu singen, und habe mir von den großen alten Sängern – crooners heißen sie im Englischen – abgeschaut, wie sie mit einem Crescendo in jede Note hineingingen. Freddie Mercury hat dieses Crooning auch bisweilen eingesetzt, wenn er seine Balladenstimme verwendet hat, damit er nicht ständig brüllen musste. Das ist eine Methode, bei der man die Stimme bei einer Note langsam kommen lässt und Vibrato einsetzt. Vibrato finde ich wichtig, genauso wie es beim Gitarren- und Mundharmonikaspielen wichtig ist. Ich habe im Studio sehr hart daran gearbeitet, den Gesang mit Vibrato hinzubekommen. Früher habe ich den Leuten erzählt „Ach, ich spiele Gitarre und singe auch ein bisschen“, aber jetzt sage ich ihnen „Ja, ich singe und spiele Gitarre, ich mache beides.“ Ich habe kein Problem damit. Ich habe auch kein Problem damit, meine eigene Stimme zu hören. Es gibt viele Sänger, die ich gerne mag, aber die den Klang ihrer Stimme nicht mochten. Jimi Hendrix gefiel seine Stimme nicht, Peter Green gefiel seine Stimme nicht, und ich finde, diese zwei waren tolle Gitarristen und Sänger. Mit der Zeit kommt das mit dem Singen von selbst. Man muss es nur üben, wie bei Schauspielern. Es ist nur die Frage, ob man sich selbst erlaubt, in eine bestimmte Rolle zu schlüpfen. Das hat viel mit Psychologie zu tun. Beim Singen geht es nicht um Stimmen, sondern darum, mit seiner Stimme eine Geschichts zu erzählen. Und es geht darum, diesen Song zu verkörpern, damit er authentisch ist. Man darf sich da wohl nicht zurücknehmen, sondern muss sich kopfüber in die Rolle hineinstürzen. Das hatte ich nicht verstanden, als ich mit dem Singen angefangen habe; man muss da, glaube ich, auch ein gewisses Repertoire haben, in dem man sich auslebt. Live bin ich nicht so für das Rock-Gebrülle, das mache ich nicht. Ich singe sanfter und benutze Harmonien. Auf der Platte reize ich es aber schon aus.
it: Vor kurzem habe ich mit einem anderen Sänger gesprochen, mit Ray Wilson. Was ist wahrscheinlicher: Dass du auf seinem Album Gitarre spielst oder dass er auf deinem Album singt?
Steve: Das weiß ich nicht! Ich sollte längst schon mal wieder Zeit mit ihm verbringen. Sagtest du Steven Wilson oder Ray Wilson? Ray Wilson. Ich glaube, er wird natürlich mich anrufen, damit ich auf seinem Album singe [lacht].
it: Würde dich eine Zusammenarbeit interessieren? Denn ich weiß, dass er sehr gerne mal mit dir arbeiten möchte.
Steve: Das wäre schon schön, da hast du recht. Ich finde, er ist sehr gut und hat eine sehr gute Stimme.
it: Aber Pläne gibt es nicht.
Steve: Ich habe im Moment keine Pläne, nein. Keine. Es ist im Moment alles in der Schwebe. Also, ich habe schon viele Pläne, aber ich könnte jetzt nicht sagen „dies und das werden wir sicherlich tun“. Im Moment bin ich mit diesem Album unterwegs, und das macht mir Freude, denn ich finde, einiges von den neuen Sachen ist – wie gesagt, es kommt mir vor, als würde ich in dem Stück leben. Das ist mir wichtig, es berührt mich gefühlsmäßig. Es ist mehr als ein Lied, es ist Mut, Aufrichtigkeit, ein spirituelles Bedürfnis, diese Dinge machen. Es macht mir Spaß, und es ist eine Herausforderung.
it: Könntest du dir vorstellen, für einen richtig großen Act als Vorgruppe zu spielen? Wie würde dir das anstelle von Konzerten mit rund 1000 Leuten gefallen?
Steve: Ich kann mir nicht vorstellen, als Vorgruppe zu spielen. Dafür bin ich viel zu gut.
it: Das Songschreiberkollektiv auf deinem Album hat sich geändert; deine Frau ist dazugestoßen. Wie dürfen wir uns den kreativen Prozess in dieser neuen Kombination vorstellen?
Steve: Ich finde es sehr reizvoll, mit einem Team zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass das immer möglich ist, aber wenn es sich ungezwungen ergibt, ist das eine gute Methode. Ich glaube auch, dass Songschreiber zusammen arbeiten können. Genesis war ja immerhin ein Gemeinschaftsprojekt, nicht bei jedem Stück, aber doch bei hinreichend viel Material. Ich finde aber auch, dass man bei so einer Gemeinschaftssache sich ausklinken können muss, wenn man sich zu einem bestimmten Stück oder einer bestimmten Art und Weise nicht hingezogen fühlt. Musik muss persönlich sein und authentisch. Man kann nicht alles gleichermaßen interessant finden, also muss man auswählen.
it: Unterstützt dich deine Frau mehr bei den Texten oder bei der Musik?
Steve: Beim aktuellen Album war es beides. Es ist ein Vergnügen, keine Abhängigkeit, eine sehr natürliche Arbeitsform, bei der … Ich habe diese Sachen zusammengestellt, die sich aus fortlaufenden Konversationen mit den beiden anderen Personen ergab, und ich glaube, das ist sehr wichtig. Nicht immer sind sich alle einig, was die Länge eines Stückes angeht. Da heißt es immer „Oh, das sollte aber kürzer sein! – Nein, das muss länger werden!“ Die demokratische Arbeitsweise hat natürlich ihre Grenzen. Trotzdem ist es sehr angenehm, Beiträge von anderen zu haben, auch wenn ich selbst natürlich den Rahmen, die Idee, die Stoßrichtung eingebracht habe. Es gefällt mir, dass ich den Ball selbst zu einem gewissen Grad vorantreiben kann und ihn dann jemand anderem zuspiele und schaue, was die dann daraus machen. Die Bausteine daran – die ergeben sich mit der Zeit. Manchmal ergeben sie sich beim Frühstück oder beim Abendessen, im Probenraum oder im Studio oder im Auto, wenn ich gerade über etwas völlig anderes nachdenke. So zeigt sich auch die Reihenfolge der Stücke auf einem Album, damit die Reise vollständig ist, ein musikalisches Kontinuum. Ich bin sehr froh, dass die Reaktionen auf diese neuen Sachen so stark sind.
it: In den Credits taucht der Name Jonathan Mover auf. Ist das [Turn This Island Earth] ein Überbleibsel von GTR?
Steve: Ja, von GTR mit Steve Howe und Jonathan Mover war da ein Riff übriggeblieben, ein tolles Riff in 7/8. Ich wollte immer, dass die Band das mal entwickelt, aber es passte damals in keines von den Stücken. Also haben wir es als Gruppe entwickelt und wir haben es im Orchesterstil gemacht und mit Halltönen und Orchesterdetails entwickelt – „Orchester Plus“ sozusagen. Da ist also wieder der Einfluss von GTR. Es ist schön, den Einfluss zu nutzen, wenn man ihn braucht, und wegzulassen, was man nicht braucht, weißt du. Das beste von den aufregenden Sachen aus der Zeit. Leider ist es ja so, dass, während wir älter werden – in den frühen Teenagerjahren ist die emotionale Reaktion auf Musik am stärksten. Jedes Publikum – wenn man es in der Jugend ‚einfängt‘, ist es am besten. Die älteren sind analytischer und erfahrener und so. Es ist also immer in Kampf gegen die Zeit, weil die Leute natürlich immer sagen werden „Die Musik, die ich als Teenager gehört habe, ist die beste Musik aller Zeiten“. Das kann man auch nicht in Frage stellen, weil diese Überzeugung mit Hormonen vermischt ist und ersten romantischen Erlebnissen – der musikalische Kalender und die romantische Erfahrung gehen Hand in Hand. Ich suche immer noch nach einem Publikum. Das ist eine Lebensaufgabe.
it: Wie kam der Kontakt zu Simon Phillips zustande?
Steve: Simon Phillips … Irgendwann Anfang der 80er Jahre rief mich Keith Emerson an; er arbeitete damals gerade mit Jack Bruce und Simon Phillips. Er fragte mich: „Wie würde es dir gefallen, eine Band mit uns zu gründen?“ Ich habe dann ein paarmal mit ihnen geprobt, kurz bevor Genesis das Konzert in Milton Keynes spielten [02.10.1982]. Und sie [Genesis] hörten, dass ich überlegte, dort mitzumachen, und meinten: „Das wäre der musikalische Tod.“ Und ich dachte „Hoppla, warum das denn?“ Denn Keith machte spannende Sachen, Jack Bruce hatte interessante Sachen gemacht, Simon hatte interessante Sachen gemacht, aber es schien als ob jede Idee eine Supergruppe den musikalischen Tod bedeutete. Ich sah das eigentlich nicht so. Äh… Tut mir leid, dass ich jetzt auf dieses Thema gekommen bin; ihr habt ja nach Simon Phillips gefragt. Damals habe ich eben zum ersten Mal mit Simon Phillips gearbeitet. Ich war sehr beeindruckt davon, wie er spielt. Mir gefiel auch, wie Simon auf Smallcreep’s Day von Mike Rutherford gespielt hat, und er freute sich darüber. Die Sache mit der Gruppe hat sich damals zerschlagen aus den vielen Gründen, aus denen aus vielen Gruppen nichts wird, aber Simon spielte auf einer Aufnahme von Sailing, die ich für ein Benefizprojekt für die vietnamesischen Boat People aufnahm. Er hat es umsonst getan, und er hat dort so toll gespielt, absolut perfekt und sehr beeindruckend. Vor ein paar Jahren hatte ich dann die Idee zu etwas, dass auch Simon einbinden sollte, und habe mich dabei mit Chris Squire angefreundet. Einiges von dem neuen Album kommt von uns dreien, und ich muss sagen, dass mir der Klang davon richtig gut gefällt. Es ist in mancherlei Hinsicht sehr einfach, aber sehr energisch. Simon ist ein toller Drummer. Ich arbeite gerne mit ihm, und seine Präzision ist außergewöhnlich – man kann an einem Track sitzen, ihm eine ungefähre Orientierung geben und er spielt es genau im Takt – Perfekt!
it: Klingt nach Phil.
Steve: Wie Phil? Ich weiß es nicht, weil ich mit Phil nie auf diese Weise gearbeitet habe. Mit Phil habe ich in der Ära vor den Clicktracks gearbeitet, also wurde als erstes die Band live mit Schlagzeug aufgenommen. Heute fängt man mit dem Clicktrack an, dann kommen wir mit der Rahmenidee und dann packen wir Leute in diesen Rahmen, der dann immer aktualisiert wird. So arbeite ich jedenfalls.
it: So arbeitet Phil auch.
Steve: So arbeitet Phil auch? Das liegt wohl daran, dass man viel Zeit damit verbringen kann, jemandem deine Vorstellung zu vermitteln, worum es in diesem Stück geht, aber es vorführen zu können, als ein echtes Demo, geht viel schneller. Und wenn die anderen dann Ideen aufbringen, die so viel zu dem Stück beisteuern, dass man denkt „Oh, diesen Teil könnte man ausbauen, und diesen Input verwenden“ – dann ist man flexibel, man kann etwas herausschneiden und woanders einbauen. Aber es bedeutet, dass man seine Ideen schon eingebracht hat. Man kann das dann zu den anderen schicken, und die können sich dann darüber Gedanken machen oder spontan vorbeikommen, oder sie arbeiten vielleicht zuhause daran ohne den Druck von jemandem, der ihnen Instruktionen gibt. Viele Leute, die ich kenne, arbeiten daheim, und am Ende bekommt man ein Ergebnis. – Man muss ja auch daran danken, dass die Beatles ab und zu ein Stück auf dem Klavier angefangen haben, und das war das, dann haben sie das Schlagzeug hinterher aufgenommen, nachdem das Stück fertig war. Das ist außergewöhnlich, nicht wahr, denn wie soll man denn da den Takt halten? Also editierten sie gigantisch viele Stückchen, damit das Schlagzeug dann passend zum Stück lag. Aber wenn man sich das so anhört, merkt man das nicht unbedingt. Die müssen sehr lange gebraucht haben, weil die Technik damals ja noch nicht so weit war.
it: Beyond The Shrouded Horizon gibt es als Standard-CD und als Special Edition auf zwei CDs. Fällt es dir schwer zu entscheiden, was auf das normale Album kommt, und was als Bonustrack auf die Special Edition soll?
Steve: Bei der Special Edition sagte mir Thomas Waber [von Inside Out] ursprünglich: „Kannst du eine Special Edition machen?“ Er meinte, da könnte alles drauf sein, Film, Demos, alles mögliche, solange eine zweite CD dabei ist. Ich hatte eine ganze Reihe von Stücken, die außer in Japan noch nie veröffentlicht worden waren; darauf habe ich dann viel zugegriffen und auch noch ein oder zwei neue Stücke dazugepackt.
it: Was hat es mit den vier Winden, den Four Winds, auf sich? Eines der Stücke ist ja bereits veröffentlich worden, oder?
Steve: Ja, und zwar als The Well At The World’s End. – Um das kurz zu rechtfertigen, ich wollte eine Geschichte haben, die zu vier verschiedenen Instrumentalstücken passt, die alle sehr unterschiedlich voneinander klingen. Normalerweise benutze ich Ausdrücke, die etwas mit Wasser zu tun haben, um die Stücke zu beschreiben. Aber ursprünglich und vor vielen Jahren, als wir Wind & Wuthering aufgenommen haben, kam mir diese Idee vom Haus der Vier Winde (House Of The Four Winds); die Idee, die vier Windrichtungen in musikalischer Form zu beschreiben, hat mir schon immer gefallen. Und das passiert hier, aber ich möchte mich entschuldigen, wenn den Leuten bewusst ist, woher diese Stücke, oder einige dieser Stücke kommen, den Fans, die das alles wissen, und auch noch ein anderes akustisches Stück. Bei dem habe ich auch einige Dinge geändert. Ich wollte ein Gefühl von einer durchgängigen Geschichte und durchgängigen Atmosphären schaffen. Ganz oft benutze ich Crossfades als Übergänge von einem Abschnitt zum nächsten. Einige der Leute, mit denen ich gearbeitet habe, haben das kritisiert, aber ich finde es einen sehr praktischen Weg, so etwas hinzubekommen. Bei Genesis haben wir damals immer von „bridge sections“, Brückenpassagen gesprochen, mit anderen Worten von atmosphärischen Verbindungsstücken. Manchmal war das ein bisschen Musik, manchmal nur ein Geräusch. Auf The Lamb Lies Down On Broadway gab es beides. Es gab atmosphärische Stücke, Stücke, die man nicht als tolle Musikstücke ansprechen konnte, aber die ambiente Musik von Eno, die darauf folgte, wurde davon beeinflusst, nicht anders herum. Wir hatten ein Vibraphon herumstehen; eines Tages habe ich einfach mal darauf gespielt, und das haben wir dann rückwärts verwendet auf The Lamb Lies Down On Broadway, um eine Verbindung herzustellen. Mir gefällt diese Vorstellung, dass man Momente in der Musik hat, die wie bei einem Menü zwischen den Gängen den Gaumen neutralisieren, wie ein Sorbet. Viel von dem, was auf der zweiten CD ist, kam von woanders her, und das Stück, mit dem sie beginnt, stand ursprünglich am Ende von Turn This Island Earth; ich fand dann nur, da sei ein Gitarrensolo zu viel. Aber als Stück gefällt es mir, darum habe ich es an den Anfang von etwas gestellt statt es am Ende von etwas anderem zu haben. Dann ist da dieses Focus-Stück, das offenbar überhaupt nicht von Focus geschrieben wurde. Ich wusste das gar nicht, aber irgendjemand schrieb mir und meinte „Wusstest du, dass das ein Saxophonist geschrieben hat?“ – soweit ich es kannte, war es ein Stück von Focus. Ein wunderschöne Melodie; Phil mochte sie sehr und ich auch. Das war etwas, das wir bei Genesis gehört haben, und das Stück gefiel uns, diese langsame Melodie, die in Tommy war. Eine wundervolle Kreuzung aus Jazz und Rock, fusionsartig. Niemand hat das damals „progressive“ genannt. Dreißig oder vierzig Jahre später sagen die Leute, das sei typisch progressive, aber eigentlich war das, was alle damals trieben, nicht definiert. Vielleicht hat es gleichermaßen von der klassischen Musik und der Orchestermusik und vom Jazz und Fernsehmusik und vielen anderen Musikrichtungen geborgt, an die sich die meisten Bands, glaube ich, heute nicht wagen würden. – Ich habe hier jedenfalls versucht, ein melodisches Album zu machen.
it: Enter The Nightwar mal als Instrumental unter den Namen Depth Charge und später auch Riding The Colossus bekannt. Sollte es von Anfang an ein Stück mit Gesang sein, oder hat sich das erst kürzlich ergeben?
Steve: Nein, vor Jahren hatte ich schon eine Fassung mit Gesang. Ich habe dann aber die Instrumentalversion der anderen vorgezogen. Im Hinterkopf hatte ich aber immer den Gedanken, dass das ein gutes Lied wäre, ein geradliniger Popsong, ein bisschen hymnisch. Das hatte was, und in dieser Tonlage zu singen, das hatte auch was, etwas Süßes, Naives, das die Gitarrenarbeit auch leichter machte. Aber eben auch etwas, das ganz solide im 4/4-Takt daherkommt, man kann mitzählen – und beim Publikum kommt es sehr gut an, was mich beruhigt, denn ihr könnt euch vorstellen, dass sich die Leute vor allem für die Komplexität der Stücke interessieren. Das hier ist aber ein ganz geradliniger Song. Davon gibt es einige: Diesen hier, Til These Eyes auch sehr geradeheraus. Looking For Fantasy im Kern auch.
it: Wir hören oft die Frage nach einer Best Of-Compilation, gewissermaßen eine „Einführung in Steve Hacketts Musik“. Und wie ist in diesem Hinblick die rechtliche Situation deiner alten Alben?
Steve: Ich habe das mal angesprochen. Da gibt es so viel, das in der Zukunft in unserem kleinen Team los sein wird, dass wir unmöglich alles auf einmal in Angriff nehmen können. Die juristische Lage ist so, dass alles geklärt ist und es keine Probleme gibt. Das einzige Problem ist, dass der Tag nicht genug Stunden hat, damit wir alles gleichzeitig produzieren können und noch eine Best Of. EMI hat obendrein eigene Probleme; da weiß man auch noch nicht, wann es wieder vorwärts geht. Einige der Pläne, die ich mit EMI besprochen habe, liegen jetzt erstmal auf Eis, weil die Leute dort einfach noch nicht wissen, wie ihre Zukunft als Unternehmen aussieht. Niemand wusste das. In diesem Sinne hänge ich von anderen Leuten ab, aber die meisten Rechte zu den meisten von meinen Stücken liegen wieder bei mir. Die meisten – für die ganz frühen Sachen liegen sie noch bei EMI, darum kann ich mit dem frühen Charisma-Katalog nicht ganz das machen, was ich möchte.
it: Erinnerst du dich an deine erste Session mit Genesis, vor allem an die Aufnahmen für Going Out To Get You und Wooden Mask?
Steve: Oh ja. An Going Out To Get You nun nicht gerade. Das gab es, glaube ich, schon vor meiner Zeit. Wenn ich darauf gespielt habe, erinnere ich mich nicht. An Wooden Maskallerdings schon, aber bislang hat niemand ein Band davon gefunden. Es scheint unwiderbringlich verloren zu sein – leider, denn ich glaube, es beruhte auf einer guten Idee. Aber wir haben es auch nur als Demo aufgenommen, nicht als fertiggestellten Song. Wie viele Stücke von Genesis hatte es eine einzigartige und sehr gute, seltsame Melodie. Es gibt einen Aspekt an der Musik von Genesis, der beinahe wie synkopierte klassische Musik klingt, wie swingende Kirchenlieder. Wooden Mask fällt in diese Kategorie. Ein gutes Stück. Ich glaube nicht, dass es einen Refrain hatte, aber ein paar gute Zeilen, die im Gedächtnis bleiben. Es war nicht alles perfekt, aber etliches daran war gut. Wenn ihr die anderen darauf ansprechen würdet, würden die wohl sagen „Naja, das war nun nicht so gut, nicht wahr?“ Ich bin in der Lage zu sehen, was gut daran war. Ich habe auch keine Vorbehalte gegenüber irgendeiner Ära in der Band. Ich glaube ich kann sehen, was daran jeweils gut war, und ich bilde mir ein, der objektivste [von Genesis] zu sein. Ich habe gehört, wie mancher in der Band sagt: „Ach ja, wir haben das Zeugs auch gemacht, aber da waren wir eben noch jung“ und so viel von den frühen Stücken einfach so abwertet, Material, dass doch damals leidenschaftlich von den Fans empfunden wurde und von mir heute noch, und ich glaube, es gibt ein riesiges Publikum dafür. Zugegeben: Es ist ein Publikum, das allmählich älter wird, aber es ist genauso wie es heute noch ein Publikum für Dark Side Of The Moon und all die Pink Floyd-Sachen gibt. Dieser Aspekt – ich glaube, die Floyd waren sich vielleicht der Zeitlosigkeit ihrer Musik bewusst, während Genesis immer das Bedürfnis hatten, sich zu rechtfertigen und zu aktualisieren und zu modernisieren und dabei dann auch zurückzuweisen. Damit schütten sie dann das Kind mit dem Bade aus. Weil ich ja ironischerweise die Band verlassen habe, könnte man meinen, dass mich mit der Musik nichts verbindet, aber ich fühle mich ihr sehr verbunden, deshalb spiele ich sie ja live. Ich spiele sie live, weil ich sie sehr gern habe. Ich spiele immer noch gerne Watcher of The Skies.
it: Anfang des Jahres wart ihr bei eurer Einführung in die Rock ’n Roll Hall Of Fame. Habt ihr überlegt, ob ihr dort live spielen wollt?
Steve: Ich habe es vorgeschlagen, aber niemand war interessiert.
it: Wie wird es mit der Idee einer Reunion in der Zukunft vorangehen?
Steve: Da kann ich nicht für die anderen sprechen. Ich hatte Lust dazu, ich wollte wohl spielen, aber niemand anders wollte es, also… „I’m tired of waiting“ (ich habe es satt zu warten). Hey, das ist ein Song von den Kinks!
it: Steve, wir danken Dir für das Gespräch.
Steve: Danke, es war mir ein Vergnügen, euch wieder zu treffen.
Interview: Christian Gerhardts (mit Dank an Steffen Gerlach!)
Fotos: Helmut Janisch
Transkription & Übersetzung: Martin Klinkhardt