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Steve Hackett – Highly Strung – Rezension
1983 veröffentlichte Steve Hackett sein frisch aufgenommenes Studioalbum Highly Strung. Viele Fans standen dem neuerem Rock-Sound eher kritisch gegenüber, jedoch steht das Album musikalisch den Vorgängern in nichts nach. Ole Uhtenwoldt hat es sich genauer angehört.
1983 veröffentlichte Steve Hackett sein frisch aufgenommenes Studioalbum Highly Strung. Viele Fans standen dem neuerem Rock-Sound eher kritisch gegenüber, jedoch hing das Album musikalisch den Vorgängern nicht hinterher.
Nach vielen gelungenen progressiven Solo-Ausflügen seit 1975 entschied sich Steve Hackett bei seinem sechsten Solo-Album, mehr Wert auf eine rockige Kulisse zu legen. Und in der Tat unterscheidet sich Highly Strung in vielerlei Hinsicht von seinen Vorgängern. Es ist nicht mehr ganz so vielseitig, wie beispielsweise Please Don’t Touch seinerzeit, verbindet aber trotzdem eine Reihe von Elementen, die Steve Hackett unverkennbar machen. Und so lässt sich das Album auch zweifelsfrei als eines des brillanten Gitarristen identifizieren.
Dabei steht Highly Strung nicht nur für ein Arrangement, bei dem vergleichsweise wenig die progressiven Elemente, Konzept oder fließende Übergänge im Vordergrund stehen. Es markiert auch das letzte beim Charisma-Label veröffentlichte Solo-Album von Steve. Der Sound ist weniger umfangreich, profitiert jedoch erheblich von Steves diversen Gitarreneinsätzen, die auch auf diesem Album wieder spitze sind. Rein musikalisch ist das Ganze relativ songorientiert, aber man sieht Steves stilistische Vielfalt, denn auch der rockige Teil seines Outputs ist eindrucksvoll gestaltet und absolut hörenswert.
Steve als Multi-Instrumentalist hält sich auf diesem Album jedoch größtenteils zurück und bleibt in seiner Rolle als Gitarrist – neben einem Mundharmonika-Part -, den er aber vollwertig ausfüllt. Sein zweiter großer Job ist der Gesang, den er alleine übernimmt und damit auch sehr gut zurecht kommt. Über weite Strecken singt Steve großartig und lässt sich quasi keine Schwächen anmerken. So manch einer mag wohl den Gesang eines Pete Hicks vermissen, der auf früheren Alben Hacketts tätig war, jedoch wird er durch Steve selber auf passende Weise ersetzt. Auch Nick Magnus ist als Keyboarder wieder dabei, wie immer in Höchstform. Zudem hat Steve mit Chris Lawrence am Kontrabass und Nigel Warren-Green am Cello auch einige klassische Instrumente am Start, die aber in dem Gitarren-Keyboard-Gewölbe eher unauffällig sind. Erstmals sitzt auch Ian Mosley an den Drums, der später – nach dem instrumentalen Album Bay Of Kings – noch einmal für die Sessions zum 1984er-Album Till We Have Faceswiederkehren sollte, bevor er sich schließlich der britischen progressiven Rock-Band Marillion zuwendete. Dieses Cast harmoniert sehr gut miteinander und an so manch einer Stelle lässt einen die Harmonie aufhorchen, vor allem Keyboards und Gitarren spielen auf der selben Wellenlänge.
Im Wesentlichen hat sich sich an Hacketts ausgefeilter Spieltechnik nichts geändert. Er bringt noch immer geniale Melodien zustande (in seiner Rolle als Komponist) und setzt diese wie gewohnt prächtig um. So nimmt er uns, auch wenn dem Album kein deutlich erkennbares Konzept zu Grunde liegt, mit auf eine Reise durch verschiedene Klangwelten und Stimmungen, nicht zuletzt erzeugt durch den (teilsweise sogar fast experimentellen) Gitarrensound von Steve. Insgesamt klingt das Album stellenweise etwas naiv, beinhaltet jedoch bei genauerem Hinhören eine gewisse Reife, Souveränität und Erfahrung, die Steve aus seinen bisherigen Alben gesammelt hat. Der kleine stilistische Umschwung, seien da zum Beispiel nicht mehr so zahlreichen Akustik-Passagen, zeigt außerdem, dass Steve offen für neues ist und nicht an einem einheitlichen Stil festhält… wobei er bis heute eine vorhandene Kontinuität erkennen lässt.
So haben wir neun Songs, bei einer Laufzeit von etwas weniger als 40 Minuten. Für ein Album aus dem Genesis-Umfeld vielleicht relativ kurz, aber es kommt ja vor allem auf den Inhalt an:
Camino Royale
Der Opener zeigt, wohin es auf dem Album gehen soll und legt gleich mal richtig los. Das Ganze wird durch ein kurzes, aber wirkungsvolles Piano-Intro eingeleitet, ehe Drums, Gitarren und ein Orgelsound einsetzen. Es beginnt das Leitmotiv, ein mit Keyboards unterlegtes Gitarrenthema, das im Laufe des Albums immer mal wieder aufgegriffen wird. In der Tat hat dieses Thema aber gerade zu Anfang des Albums eine besondere Wirkung und gibt quasi den Startschuss für eine ausgereifte Platte. Nach dieser Einleitung geht der Song strukturiert mit der ersten Strophe weiter, die an sich sehr mystisch und durch den hallenden Effekt, den man Steves Stimme zufügt, irgendwie verrucht klingt. Der Gesang harmoniert vor allem gut den Keys gut, die trotz ihrer Einfachheit eine gewisse Mystik in sich tragen. Passend dazu ist auch der Text rätselhaft, dessen Sinn eher im verborgenen bleibt. Der Refrain ist hingegen fast schon feierlich und emotional, was hauptsächlich an der Instrumentierung, aber auch am Vers „Only the fool learns to get through“ liegt. Steve singt leidenschaftlich und mit Freude und man merkt, das offenbar auch der Band der Song Spaß macht. Doch gerade dieser Kontrast zwischen Strophe und Refrain macht sich gut.
Gegen Ende wird das Gitarrenthema noch einmal wiederholt, bevor der Song zu einem gerifften Schluss kommt. Insgesamt also ein kraftvoller, druckvoller und dynamischer Song, als Opener überragend und auch heute noch vor allem durch seinen Kult beliebt. Übrigens wurde der Song auch live sehr stark umgesetzt, zu sehen beispielsweise in der 2003 veröffentlichen DVD Somewhere in South America … Live in Buenos Aires.
Cell 151
Der nächste Track, der nebenbei in der amerikanischen Version der CD als Opener diente, ist an Genialität fast nicht zu toppen. Er beginnt mit einem gleichmäßigen, eingängigen Rhythmus, vorgegeben von einem tiefen Streicher-Sound und mit hartem, aber regelmäßigem Schlagzeug. In dieses Soundgefüge fügt sich aber schnell ein interessantes Gitarrenthema ein, dann beginnt Steve mit den Lyrics. Die Strophen klingen sehr fröhlich, der Refrain wird dagegen auf hochemotionale Weise vorgetragen und ist melodisch sehr stark. Alles in alles auch etwas mysteriös, ist der Text hier im Sinne einer Story umgesetzt: Thematisch geht es um den Insassen eines Gefängnisses, der dort ist, weil er seine Frau erschossen hat, wobei der Song in sich zwar ironisch klingt, trotzdem aber einen Hang zur Ernsthaftigkeit hat. Dieser Insasse, den seine eigene Vergangenheit traurig macht, bewohnt die Zelle 151, will jedoch schleunigst von dort verschwinden, da er das Gefühl hat, die Zeit hinter sich gelassen zu haben.
Aber auch rein musikalisch hat das Stück viel zu bieten, denn dem Textteil schließt sich ein ausgedehnter Instrumentalteil an, der sich auf dem anfänglichen Rhythmus aufbaut. Hierbei wechseln sich Gitarre und Keys abschnittsweise ab, wobei beide immer wieder verschiedene Melodien zum Guten geben, die alle auffallend ins Gesamtkonzept des Songs passen. Besonders gelungen sind die Gitarreneinsätze, da Steve bunt gemischte Effekte einfügt, was ein wenig den Eindruck erweckt, der Song diene als Spielwiese für Gitarreneffekte. Dies ist aber keinesfalls schlecht, sondern beweist die Verspieltheit des Songs. Denkbar ist, dass diese musikalischen Abschnitte die unterschiedlichen Ideen des Gefangenen darstellen, auszubrechen.
Insgesamt erinnert dieser Schlusspart tatsächlich ein wenig an den vom Titelsong des Genesis-Albums Abacab, da auch hier auf einem Rhythmus Gitarre und Keys (fast improvisiert klingend) miteinander harmonieren. Schließlich bringt auch Hackett das Ganze nach sechseinhalb Minuten zu einem relativ schnellen Fade-Out, nachdem noch einmal das Anfangsthema sowie das Leitmotiv des Openers wiederholt wird: Ob der Verbrecher schließlich geflohen ist, bleibt jedoch jedem selbst überlassen.Always Somewhere Else
Dieser Song ist instrumental und klingt zunächst ungemütlich und geradezu deprimierend. Ruhiges Pianospiel und eine aggressive, aber von der Dynamik her sachte E-Gitarre stehen im Vordergrund und vermitteln eine eher negative Stimmung. Umso besser kommt der unerwartete, plötzliche Umschwung, der direkt erleichternd wirkt. Eine sehr positive Atmosphäre unterlegt ein Feuerwerk aus hohen Keyboardtönen, aus Bass, der besonders hier zur Geltung kommt, und eine gewohnt brillante Gitarrenarbeit. Der Track ist ausdrucksstark und der Kontrast ist technisch glänzend umgesetzt. Das kleine Meisterwerk endet nach vier Minuten mit verwobenen Klängen der Keys, die Steve an der Gitarre auch hier wieder auf die bestmögliche Art und Weise ergänzt.
Walking Through Walls
Dieser Song ist zunächst auffällig Keyboard-orientiert und beginnt mit einem simplen, monotonen Drum-Rhythmus, der sich durch den ganzen Song zieht. Steve spart im Vergleich ziemlich mit der Gitarre, denn lediglich gegen Mitte des Songs steuert er einige „fiese“ elektrische Akkorde bei. Sein Gesang ist mächtig aggressiv, klingt aber ein wenig so, als habe sich ihm der Sinn des Textes selbst nicht definitiv erschlossen. Der Text klingt aber auch nicht so, als hätte man Wert auf eine zentrale Thematik gelegt, sondern soll sich einfach gut anhören, sodass die Stimme praktisch als weiteres Instrument betrachtet werden kann. Irgendwie hört sich das ganze dann auch ein wenig nach dem typischen 80er-Jahre-Stil an, oder zumindest nach Steves Interpretation desselbigen, was keineswegs störend wirkt. So ist der Song weitgehend schlichter, vom Sound und auch vom Aufbau her, als die Vorgänger auf dem Album.
Dennoch wartet Steve nach der dritten Strophe noch mit einem Gitarrensolo auf, sozusagen als kleines Finale. Passt gut, würde aber bei vielen anderen Hackett-Songs unplatziert sein und störend wirken. Etwas zum Aufhorchen gibt’s im Schlusspart, in dem Steve uns wiederholt ein nicht enden wollendes „Walking Through Walls“ vorsingt: Jeder Vers ist mit schrägen Soundeffekten unterlegt, mit „Bloppen“ und Kaugeräuschen. Klingt zwar interessant, was das aber für den Song bedeutet, darüber darf gerätselt werden.
In Summa eher eine Durchschnittsnummer. Aber besonders hier wird der stilistische Wandel deutlich, denn so etwas hat Hackett in den 70ern nicht gemacht.
Give It Away
Hier bietet Steve einen wirklich sehr emotionalen und starken Track! Die Drums sind wieder facettenreich, der Song in sich sehr lebendig. Die Strophe ist dramatisch und lässt Spannung aufkommen, ehe sie perfekt in den Refrain überleitet, der seinerseits eine großartige Melodie vorweist. Deutlich gelungen ist auch die Korrespondenz zwischen Gitarre und Gesang, irgendwie merkt man hier, dass der Lead-Gitarrist auch den Job des Sängers übernimmt. Steve bringt die Lyrics sehr überzeugend rüber: Es geht um die erste Liebe, der man, wenn man sie dann verliert, hinterher trauert. Bevor man aber sich selbst verliert, soll man die Richtung ändern und diese Liebe „weggeben“, bis man eines Tages merkt, dass man drüber hinweg ist.
Grandios umgesetzt ist auch der ruhige Mittelteil, in dem das Eingangsmotiv akustisch nochmal eingeläutet wird. Schließlich setzen die Drums wieder ein und ein fantastisches Gitarrensolo bringen den Song zum Ausklang.
Weightless
Ausgelassene Stimmung, lockeres Piano, welches das Tempo vorgibt, und ein durchgehend entspannendes Tempo markieren dieses Stück. Der Song ist buchstäblich wie er heißt und macht einen geradezu schwerelosen Eindruck. Ein ganz leichtes Ding, in dem Steve, wie er selber sagt, seine Erfahrungen vom Drachenfliegen über Rio de Janeiro unterbringt. Die Lyrics beschreiben diese Thematik unzweideutig und die so federleichte Umsetzung des Songs unterstützt den Text. Nichtsdestotrotz ist die Instrumentierung nicht zu minimal gehalten und bringt letztlich doch die nötige Power mit. Eben wie die Erfahrung, gewichtslos zwischen Wolken und Stränden zu schweben.
So manch einer mag sich aber die Frage stellen, wie ernst man den Song nehmen kann. Rein musikalisch stellt er sicher keine Herausforderung für beispielsweise den Opener dar, aber er passt auf das Album und an diese Stelle, als etwas Unkompliziertes.
Group Therapy
Schon der Titel dieses bewundernswerten Instrumentals ist grotesk. Dieser Eindruck wird im Laufe des Songs bestätigt. Es ist eigentlich ein typisches Hackett-Instrumental, eine Hymne, die es in ähnlicher Art, zum Beispiel bei Ace Of Wands aus Steves erstem Album, Voyage Of The Acolyte, schon öfter gegeben hat, aber nie langweilig wird. Im Großen und Ganzen bietet der Song Vielseitigkeit und funktioniert dabei durch die verschiedenen Teilen, die künstlerisch gekonnt ineinander übergehen. Alle Teile wirken sehr dynamisch, wobei der Song von vornherein progressiv ist: Viele Tempowechsel und ein perfektioniertes Zusammenspiel aller Akteure machen ihn einzigartig und munter.
Eine besonders bemerkenswerte Idee ist der Abschnitt mit dem Frage-Antwort-Spiel der E-Gitarren. Mehrere Gitarren wechseln sich ab und klingen so wie die Teilnehmer der Therapie, in der jeder was in die Runde wirft, mal schneller, mal langsamer, mal lauter, mal leiser. Diese Songidee verdient Respekt und so plötzlich, wie die Arie begonnen hat, so abrupt endet sie auch wieder. Der hektische Song macht Spaß!
India Rubber Man
Diese Ballade beginnt ruhig, was eine Seltenheit auf dem sonst so lauten Highly Strung ist, und hält eine sehr schöne Atmosphäre bis zum Ende aufrecht. Durch die gefühlsbetonte Umsetzung klingt der Song fast schon tragisch, befasst sich dabei mit dem Kautschuk-Man, der immer auf Reisen ist und vermutlich selbst nicht so recht weiß, wie weit er gehen kann. Wunderschön spielen hier Streicher und Klavier miteinander und verleihen dem Song auf diese Weise ein angenehmes Klima, das besonders nochmal im Outro zur Geltung kommt. Auch das Mundharmonika-Solo in der Mitte des Songs kann sich hören lassen und klingt wie nach einem heißen Sommertag bei Sonnenuntergang auf einer Wiese gespielt. Hierbei bedient man sich einer E-Gitarrenmelodie aus Always Somewhere Else und setzt diese in leisen entspannenden Tönen gekonnt um. Vom Konzept her passt dieser Bezug, da der India Rubber Man wortwörtlich „immer irgendwo anders“ ist. Der Song hat klasse und besänftigt nochmal, bevor er übergeht in das Finale!
Hackett To Pieces
Nach einem tiefen Sound geht es wieder los mit der Anfangsmelodie des Openers! Der Übergang zu diesem Stück ist perfekt und hat den Charakter eines Spannungsbogens. Dynamik und Aggressivität zeichnen diesen Song aus, wobei die Gitarre selbst erst später einsetzt. Das Leitmotiv wird leicht verändert wiederholt, ehe das Stück mit bombastischen Drums und einem tiefen, durchgängigen Streichersound ausgeblendet wird. Er rundet das Album makellos ab, eben gerade dadurch, dass er Bezug zum ersten Song nimmt. Besser hätte man das Album nicht enden lassen können.
Zusammen genommen liegt hier ein absolut überzeugendes Werk vor, das zum größten Teil ausgereift klingt und auf hohem Niveau angesiedelt ist. Charakteristisch ist das wie bei anderen Hackett-Alben auch außerordentlich starke Gitarrenspiel, das vor allem mit den Keys ein klasse 2er-Team bildet, und bei vielen Gelegenheiten vortrefflich überzeugt. Es gefällt wahrscheinlich nicht allen Hackett-Fans, da es sich doch nicht wenig von Steves Alben aus den 70ern unterscheidet, es hat aber einen undurchdringlichen Charakter, der Wirkung zeigt.
Letztlich also eine gelungene Platte und auch von der Produktion her sicher umgesetzt. Steve hat diesen rockigen Sound einfach drauf und zeigt es mit leidenschaftlichem Einsatz, aus dem diese wunderbare Platte resultiert. Hut ab.
Autor: Ole Uhtenwoldt