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Steve Hackett – Hamburg: Genesis Revisited World Tour – Konzertbericht
Im Rahmen seiner Genesis Revisited World Tour spielte Steve Hackett mit seiner Band im Hamburger Kampnagel. Jan Hecker-Stampehl war vor Ort und schildert seine Impressionen.
Montagnachmittag, Berlin Hauptbahnhof, 16.16 Uhr, ich sitze im ICE nach Hamburg und frage mich: warum eigentlich? Bin ich da nicht doch wieder auf dem Weg zu einer weiteren Art von Coverband…? Selbst wenn da ein ehemaliges Genesis-Mitglied in Person von Steve Hackett auf der Bühne steht … was soll das Ganze?
Das hatte ich mich auch schon gefragt, als der gute Mann zum zweiten Mal seine Ex-Band „erneut besuchte“ und gar eine Doppel-CD mit alten Genesis-Werken herausbrachte – ich bin bei so etwas erstmal skeptisch … zugegebenermaßen kein intimer Kenner des Hackettschen Solowerks (obwohl ich eine erkleckliche Sammlung an CDs und Live-Bootlegs herumstehen habe), und wie ich ebenfalls gestehen muss, noch nie auf einem Hackett-Solokonzert gewesen, habe ich mir seine Darbietungen alter Genesis-Klassiker im Live-Format hier und da mal angehört, ihnen aber nie besondere Bedeutung beigemessen. Die Genesis Revisited II findet sich denn auch erst seit Ende April in meinem Besitz und wusste schon mal zu gefallen. Als ich dann die Tourdaten sah, und feststellte, um Berlin macht er wieder mal einen Bogen: Da war klar, das darf ich mir nicht entgehen lassen! Flugs also das bei der Hansestadt wohnhafte Bruderherz angehauen, ob es in alter Tradition nicht wieder „mit zu Genesis“ aufs Konzert geht, Karten besorgt, na denn…
Die Location Kampnagel hat den typischen Charme eines zur Kulturstätte umfunktionierten alten Industriestandortes. Nackter Beton, alles etwas rustikal, ohne aber allzu verranzt zu wirken. Den Gang in den Saal absolvieren durch die Gerüstkonstruktion für die Empore, um uns dann auf unsere Plätze im Parkett, Reihe 11 zu begeben. Tolle Sicht auf die Bühne, nah dran, aber kein Risiko für eine Nackenstarre. Der Sitznachbar in der Reihe vor mir nimmt mir die Aufgabe ab, mal durchzuzählen, wieviel Leute schätzungsweise in den Saal passen: Er meint, an die 2.500 Leute – ich bin schlecht im Schätzen und überlasse anderen gerne die Korrektur dieser Zahl. Jedenfalls ist es pickepackevoll und das Publikum in einer merkwürdig gefassten Form von Erwartung. Die Vorab-Unterhaltungen sind eher gedämpft, aber je mehr die 20-Uhr-Marke überschritten wird, desto mehr steigt doch die Spannung.
Gute zehn Minuten nach acht kommt die Band auf die Bühne und wird bereits überschwänglich begrüßt. Die Setlist beginnt Genesis-typisch mit Watcher Of The Skies und bewegt sich auch in den weiteren Stücken erstmal mehr in der Gabriel-Ära, ehe mit Blood On The Rooftops ein Part mit mehr Stücken aus der frühen Collins-Ära kommt, wobei es keine strikte Trennung gibt, denn hier geht es ja nicht um Gabriel-Ära oder Collins-Ära, sondern um das, was die Songauswahl allem voran prägt: die Hackett-Ära, also die sieben Jahre, in denen er der Band angehörte. Eine Einzelkritik der Musiker oder einzelnen Songs möchte ich den Lesern ersparen, da hat eh jeder seine eigenen Vorlieben. Die Gesamtleistung indes war mehr als beeindruckend und geradezu packend.
Woran liegt’s? Aus meiner Sicht an der großen Spielfreude einer fantastisch eingespielten Band, die an diesen um die 40 Jahre alten Stücken einen Spaß hat, als hätten sie die gerade erst im Proberaum erstmals einstudiert. Mit einer Menge Schwung gehen Hackett und Konsorten zu Werke, mit dem Mut, neue Dinge wie das häufiger eingesetzte Sopransaxofon zu wagen und den Staub, der auf den Stücken gewissermaßen liegt, einmal ordentlich wegzupusten. Im Gegensatz etwa zu den (zu Recht!) hochgelobten The Musical Box geht es hier nicht um eine werkgetreue inszenierte Darbietung, sondern die Stücke werden – obwohl im Prinzip in den ursprünglichen Arrangements belassen – angeeignet und mit dem persönlichen Touch der rundum überzeugend agierenden Musiker versehen. Bei aller Professionalität gehen den Profis ein paar Kleinigkeiten schief, Nad Sylvan vergisst einen Teil der Lyrics bei Supper’s Ready und ist schon fast zu früh beim legendären „a flower?!“, Roger King setzt einen Keyboardlauf im selben Stück etwas zu früh an und muss über sich selbst lachen. Das ist überhaupt das Stichwort: Es ist eine überaus gut gelaunte Band auf der Bühne zu beobachten, die Blicke und verbalen wie non-verbalen Scherze fliegen hin und her. Der Humor durfte bei Genesis eigentlich doch nie fehlen – insofern macht die Hackett-Live-Band keine Ausnahme. Den Vogel schießt der Multi-Instrumentalist Rob Townsend ab, von Steve Hackett unter anderem mit dem Instrument „lead banana“ vorgestellt. Der Mann tanzt bei den groovigen Teilen, was das Zeug hält, foppt Roger King ein ums andere Mal und verstrahlt eine dermaßen gute Laune, dass es zumindest uns angesteckt hat.
Das wäre alles nur albern, wenn auf der anderen Seite nicht die in weiten Teilen überzeugende Performance stünde. Für mich waren absolute Highlights Fly On A Windshield / Broadway Melody Of 1974, das sehr atmosphärische Blood On The Rooftops, die packenden Versionen von The Musical Box und Dancing On A Volcano und überraschenderweise: Eleventh Earl Of Mar, vielleicht, weil man das nicht so auf der Rechnung hatte. Das sind die Leuchttürme in einem Set, das durchweg auf einem hohen Niveau an Musikalität und Stimmung bleibt. Bemerkenswert ist, wie andächtig alle zuhören, bis auch die letzte Note verklungen ist, nur, damit dann frenetischer Applaus aufbrandet, der oft lange anhält und gegen Ende immer häufiger in Form von standing ovations erfolgt.
Fazit: Ein rundum gelungener Konzertabend, für den sich die Fahrt nach Hamburg auf jeden Fall gelohnt hat und der lange noch nachhallen wird.
Setlist:
1 Watcher Of The Skies
2 The Chamber Of 32 Doors
3 Dancing With The Moonlit Knight
4 Fly On A Windshield
5 Broadway Melody Of 1974
6 The Lamia
7 The Musical Box
8 Blood On The Rooftops
9 Unquiet Slumbers For The Sleepers…
10 …In That Quiet Earth
11 Afterglow
12 I Know What I Like
13 Dance On A Volcano
14 Entangled
15 Eleventh Earl Of Mar
16 Supper’s Ready
Zugaben:
17 Firth Of Fifth
18 Los Endos-Medley
Autor: Jan Hecker-Stampehl