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Steve Hackett – GTR (feat. Steve Howe, Phil Spalding, Jonathan Mover, Max Bacon) – Rezension
Mitter der 80er Jahre gründete Steve Hackett mit Steve Howe (Yes) eine Supergroup – GTR. Die Band veröffentlichte nur ein Album, das 2015 von Esoteric als 2CD wiederveröffentlicht wurde. Harald Köhncke ordnet es ein.
Im Sommer 1986 erfüllte sich ein heimlicher Traum so mancher Progressive Rock Fans: die beiden 70er Legenden Steve Hackett (ex-Genesis) und Steve Howe (ex-Yes) taten sich zu einer „Supergroup“ zusammen.
Doch die Enttäuschung mit Veröffentlichung des ersten (und letzten Albums) kam schnell: es gab weder neue Firth Of Fifth-Solos noch frickelige Siberian Khatru-Nachfolger zu hören, sondern Mainstreamrock.
Kurz zur Vorgeschichte: nach seinem durchwachsenen 83er Album Highly Strung hatte Steve Hackett den Majorlabelvertrag verloren und sogleich beim Kleinlabel Lamborghini ein weiteres Album herausgebracht: Bay Of Kings. Auf diesem widmete er sich von Anfang bis Ende der klassisch beeinflussten Akustikgitarrenmusik. 1984 folgte dann schnell die nächste Platte bei Lamborghini – Till We Have Faces – die südamerkanisch durchsetzten Rock bot und wenig Erfolg hatte. Hackett befand sich finanziell in einer Sackgasse.
Steve Howe hingegen war seit der Yes-Auflösung Ende 1980 nicht mehr in der Band und hatte stattdessen 1982 und ’83 mit den ersten beiden Alben der Allstar-Gruppe Asia große Erfolge gefeiert. Doch 1984 stieg er dort aus, weil ihm der Sound zu keyboardlastig wurde und es immer Streit mit John Wetton gab.
Manager Brian Lane brachte die beiden orientierungslosen Gitarrenhelden zusammen und die Ziele für GTR waren logischerweise i) Erfolg und ii) Gitarren statt Keyboards.
Zunächst brauchte man Mitmusiker: Bassist wurde Phil Spalding, der schon in einer ganzen Reihe von meist erfolglosen Bands und Projekten gespielt hatte. Unmittelbar vorher war er bei Ian Page & Bop gewesen und in Toyahs Band. Das Schlagzeug bediente Jonathan Mover, welcher gerade von einer Kurzzeitmitgliedschaft in der Band Marillion kam. (Sein Nachfolger bei Marillion wurde interessanterweise Ian Mosley, der bis dato in Steve Hacketts Band gespielt hatte.) Als Sänger suchte Hackett Max Bacon aus. Diesen hatte er kurz zuvor kennengelernt, als er dessen Hardrock-Band Nightwing im Studio geholfen hatte – die wiederum den Song Cell 151 von ihm gecovert hatte. Schließlich stellt man für die Keyboards… niemanden ein! Es sollte ein Gitarrenalbum sein. Letztlich haben die Gitarreros diesen Ansatz nicht ganz durchgehalten bzw. gemogelt: Hackett und Howe betätigten für die Aufnahmen des Albums Synthesizer über ihre Gitarren.
Auf dem selbstbetitelten Album sind zehn Stücke und dabei erhält jeder der drei später hinzu gekommenen Instrumentalisten genau einen Songwritercredit (neben Hackett und Howe). Zwei Songs sind Solostücke von Hackett bzw. Howe und einer wurde von Geoffrey Downes ganz alleine geschrieben. Downes (Asia, ex-Buggles, ex-Yes) war der Produzent von GTR, was etwas verwundert: ein Keyboarder als Produzent für eine Platte ohne Keyboards? Es könnte eine Erklärung für die massiven Gitarren-Synthies sein.
Was man auf GTR bekommt, hat (wie oben schon erwähnt), mit Progressive Rock nichts zu tun, auch nicht mit NeoProg à la Marillion. Stattdessen ist es dicht an dem dran, was Asia zuvor gemacht hatten. Relativ kurze Songs (überwiegend vier Minuten und ein bisschen), eingängige Melodien und Refrains und eine sehr moderne Produktion, die man heute vielleicht als typischen 80er Sound einstufen würde. Die Drums klingen steril, der Bass bleibt oft im Hintergrund und die Gitarrensythesizer erzeugen allerlei Effekte.
Im Gegensatz zu Asia sind aber tatsächlich die Gitarren etwas weiter in den Vordergrund gemixt und sowohl Hackett als auch Howe zeigen ihre für Fans wiedererkennbare Technik in Riffs und Fingerpickings, mit akustischen Gitarren und auch der Lap Steel Gitarre (Howe) oder der Tappingtechnik (Hackett) – jedoch nicht in längeren Solos. Es gibt auf dieser Scheibe nur wenige und kurze Solos. Man wollte sich eindeutig von der Musik der Vorgängerbands distanzieren. „Arena Rock mit Komplexität“ sollte es sein, so formuliert von Steve Howe.
Auch die Songtexte gehen in Richtung Arena Rock: ziemlich oberflächliche Phrasen mit Wiederkennungswert haben hier das Sagen.
Auf einige der Songs möchte ich kurz genauer eingehen:
The Hunter ist der Song, bei dem weder Hackett noch Howe am Songwriting beteiligt waren. Tatsächlich fällt das im Rahmen der LP/CD überhaupt nicht auf und weil dieses Stück sich etwas Zeit lässt und Akustikgitarren, einen teilweise prominenten Bass und schöne E-Gitarren von beiden Protagonisten zu bieten hat, ist es für mich einer der Höhepunkte auf dem Album. Aber… es gibt hier und auch beim Rest der Platte eine Einschränkung und das ist der Gesang von Max Bacon, den man mögen muss. Oder man gewöhnt sich daran. Dass er aus einer Heavykapelle kommt, ist leicht vorstellbar und auch wenn er Brite ist, hat sein Gesang eine sehr amerikanische Qualität. Gerade dieser Gesang rückt GTR in die Nähe von Melodic Rock-Bands wie Ratt, Foreigner oder Night Ranger, obwohl die Instrumentierung weniger hart und dafür differenzierter ist.
The Hunter platzierte sich in den USA auf der 85 und im UK und Deutschland gar nicht. Es wurde später noch einmal von Asia aufgenommen (zu finden auf der Kompilation Anthology) mit John Payne am Gesang und ordentlich Keyboards und fügt sich dann auch sehr gut in deren 90er Veröffentlichungen ein.
Interessant sind natürlich auch die beiden Solostücke. Hackett To Bits hat mit dem Song Hackett To Pieces von Highly Strung nichts zu tun (außer einem humorvollen Wortspiel), es ist vielmehr eine abgewandelte Version von Please Don’t Touch. Etwas kürzer, etwas moderner und leicht bearbeitet ist dies ein typischer „Hackett“, der dennoch ausgesprochen gut in den Kontext der GTR-LP passt.
Ebenso lässt sich das kurze Sketches In The Sun klar Steve Howe zuordnen. Es soll sich hierbei um eine Neubearbeitung des Demos High, das für Tormato von Yes aufgenommen worden war, handeln. Dies ist allerdings meiner Ansicht nach kaum hörbar. In der vorliegenden Version wäre dieser „Song“ für ein Yes-Album vermutlich in ein komplexeres Stück integriert worden.
When The Heart Rules The Mind wurde im letzten Jahr von Steve Hackett in einer Soloversion neu veröffentlicht. Es ist DIE Singleauskopplung des Albums, denn sie belegte in den USA Platz 14 und im UK 82 (in Deutschland nicht platziert). Die Originalversion hat catchy Melodien, einige tolle Gitarrenläufe und auch einen weichgespülten, sich immer wiederholenden Refrain zu bieten. Der kann nach mehrmaligem Anhören nerven oder einfach spurlos vorbei laufen. Hackett gelingt es in seiner eigenen Version (die nicht auf dieser GTR CD ist!) sehr gut, die Gitarren (auch die von Howe) zu reproduzieren; dabei hat er Hilfe von Steve Rothery (Marillion). Sein Gesang ist für meine Ohren angenehmer als der von Bacon. Die Backgroundchöre klingen 2018 nicht mehr so schmalzig und Effekte/Synthesizer werden reduziert. Insofern ein gelungenes Update, besser als das Original. Ich frage mich allerdings, ob da ein echter Drummer spielt?
Als letzten Song spreche ich Imagining an, das finale Stück des Albums und mit sechs Minuten auch das längste. Dieses ist der einzige Song, der ein bisschen Prog beinhaltet. Zunächst hören wir ein langes Akustikgitarrenintro, ähnlich zu den akustischen Intros von Hackett oder kurzen Akustiksongs von Howe. Dann beginnt der Hauptteil, bei dem sich beide Gitarristen mehr als zuvor ausleben dürfen und der Bass richtig funky klingt. Außerdem ein Lied, bei dem der Refrain ins Ohr geht und es nicht übertreibt. Am Ende gibt’s dann ein akustisches Outro. Gelungen!
Das 2015 Remaster des Albums klingt sehr transparenter, der „80er Jahre“-Höreindruck wurde leicht abgemildert. Als Bonus gibt es drei Single- bzw. Remixversionen.
Außerdem ist neben einem informativen und schön aufgemachten Booklet eine zweite CD dabei mit 14 Songs des Konzerts vom 19.07.1986. Dieses ist als King Biscuit Flower Hour schon mehrfach veröffentlicht worden. Die Soundqualität ist nicht ganz top, trotzdem lohnt sich das Konzert. Zum einen, weil viele Songs (neun der zehn Albumtracks wurden gespielt) organischer klingen. Das mag auch daran liegen, dass Hackett und Howe auf die Gitarrensynthesizer verzichteten und Matt Clifford als Keyboarder einstellten.
Das eben erwähnte Imagining wird live wie die meisten anderen Stücke noch etwas ausgebaut. Dazu gibt es je einen Solosong der beiden Gitarristen zu hören (Spectral Mornings und Pennants) und auch noch je einen Song aus deren Vergangenheit. Das ist für Hackett I Know What I Like und für Howe Roundabout. Interessant zu hören wie GTR diese Stücke interpretiert. Natürlich sind sie nicht „besser“ als die Originale und werden ein wenig dem 80er Sound und dem Konzept von GTR angepasst, so dass es sich nicht um originalgetreue Wiedergaben der 70er Versionen handelt. Außerdem ist Max Bacons‘ Stimme wie schon gesagt gewöhnungsbedürftig.
Die gerade genannten Songs bilden des Mittelteil der Live-CD, der von den GTR-Stücken eingeklammert wird. Ein Song fehlt noch, auch ein GTR-Original, der aber nicht auf dem Album ist: Prizefighters war damals für ein zweites GTR-Album vorgesehen, doch Hackett stieg vor den Aufnahmen aus. Teilweise wurde die Nachfolgeplatte ohne ihn aufgenommen, jedoch nie veröffentlicht. Wer sich dafür interessiert, kann unter diesem Link genauer nachlesen.
Steve Hackett hat seine eigene Version von Prizefighters auf Feedback 86 veröffentlicht. Die Liveversion von GTR passt homogen zu den anderen Songs, die Soloversion hingegen hat bis auf den Refrain und die Leadgitarre in Bezug auf Sound und Stimmung nicht sehr viel Ähnlichkeit damit.
Insgesamt gesehen finde ich die Live-CD eine anhörenswerte Dreingabe zum Rerelease, auch wenn natürlich kein komplettes GTR-Konzert angeboten wird. Im Netz kann man nachlesen, dass üblicherweise viel mehr Solosongs von den beiden Hauptakteuren gespielt wurden. Die Songreihenfolge auf der Live-CD ist dementsprechent entweder nicht richtig, oder es handelte sich um ein spezielles Konzert (es wurde im Radio übertragen).
Im Rückblick ist zu erkennen, dass Hackett und Howe ihre Ziele mit GTR nur teilweise erreichten. Die Platte war erfolgreich, sie kam in den USA auf Platz 11, im UK auf 41 und in Deutschland auf 39. Trotzdem war es für die beiden Steves keine Geldquelle, da der Prozess des Songschreibens und die Aufnahme reichlich Geld verschlungen hatten.
Ich könnte mir vorstellen, dass dem wenige Wochen nach (oder vor; je nach Quelle) Invisible Touch erschienenen Album noch mehr Erfolg und dann auch Durchhaltevermögen für die Band GTR gegönnt worden wäre, wenn die Arrangements noch glatter gewesen wären, der Frontmann noch besser gekleidet und der Produzent erfahrener und mit einer Vision ausgestattet gewesen wäre.
Doch diese Vermutungen sind müßig, immerhin ist es ein Poprockalbum mit tollen Gitarren geworden, tatsächlich ein bisschen wie rockigere Asia.
Für Hackett war dies dann auch der einzige Ausflug in kommerziellen Poprock. Schon seine nächste Veröffentlichung 1988, Momentum, bot wieder völlig entgegengesetzte Kost. Allerdings gelang es ihm auch erst mit seinem eigenen Label Camino Records und den um die Jahrtausendwende erschienenen Alben, sich nach einer langen Durststrecke kommerziell und künstlerisch zum zweiten Mal freizuschwimmen.
Tracklist der 2CD von 2015 (Digipak, Esoteric Records)
CD1:
When The Heart Rules The Mind
The Hunter
Here I Wait
Sketches In The Sun
Jekyll And Hyde
You Can Still Get Through
Reach Out (Never Say No)
Toe The Line
Hackett To Bits
Imagining
Bonus Tracks:
The Hunter (Special GTR Mix)
When The Heart Rules The Mind (Single Version)
The Hunter (Single Version)
CD2 (GTR live in L.A. 1986):
Jekyll And Hyde
Here I Wait
Prizefighters
Imagining
Hackett To Bits
Spectral Mornings
I Know What I Like (In Your Wardobe)
Sketches In The Sun
Pennants
Roundabout
The Hunter
You Can Still Get Trough
Reach Out (Never Say No)
When The Heart Rules The Mind