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Steve Hackett – Fire And Ice – Rezension

Im Rahmen seiner Breaking The Waves Tour spielte Steve Hackett ein denkwürdiges Konzert in London, das auf DVD erschien.

Von Steve Hackett gibt es mittlerweile einige Live-Veröffentlichungen. Für mich haben die Meisten davon aber ein großes Manko:

Die Setlist – Ich bin kein Freund des Weges, den Steve in den letzten Jahren live genommen hat, seitdem er das Album Genesis Revisited II im Jahre 2011/2012 aufgenommen und anschließend veröffentlichte. Nichts gegen Nostalgie, aber wenn die neuen Titel und etliche Perlen seines eigenen Werkes dadurch an den Rand gedrängt werden, finde ich das schade. Mir ist durchaus bewusst das Steve im wirtschaftlichen Sinne richtig handelt und die Reaktionen geben ihm auch Recht. Aber aus künstlerischer Sicht finde ich das er sich was unter seinem kreativen Wert, denn er hat regelmäßig neue Alben amStart welche eher spärlich im Set vorkommen.

Zunächst war es meine Idee einfach ein Review über die DVD zu schreiben (inklusive der originalen Reihenfolge) aber ich habe mich anders entschieden. Ich hoffe es inspiriert Genesis Fans, welche aber noch Neulinge in Hacketts Soloschaffen sind, einzutauchen und weiterzureisen.

Zuletzt hatte Steve auf der 2011/2012er Tour zum Album Beyond The Shrouded Horizon den Fokus auf sein Solomaterial gelegt. Während dieser Tour wurde die DVD Fire And Ice veröffentlicht. Aufgenommen wurde sie am 30.11.2010 im Londoner O2 Shepherd’s Bush Empire. Es handelt sich dabei um eines der finalen Konzerte zum 2009er Out Of The Tunnel?s Mouth Album. Damit begab sich Steve 2009 und 2010 zum ersten Mal seit der Tour zum 2003er Album To Watch The Storms wieder auf Konzertreise.

Ein paar Worte zur Band:

Nick Beggs, ehemals von Kajagoogoo, spielt einen tollen Bass und weiß auch am Chapman Stick zu glänzen.
Amanda Lehmann (Gitarre und Gesang) und Roger King( Keyboards) sind verlässliche Stützen im Gesamtkonstrukt während Rob Townsend an Saxophon und Flöte Akzenze setzt.
Abgerundet wirddas Line-Up von Gary O’Toole, der nicht nur als Schlagzeuger perfekt zur Musik passt sondern auch einen tollen Sänger abgibt wenn es um die alten Genesis Klassiker geht.

Die Qualität der rergulären DVD reicht bildtechnisch nicht an spätere Veröffentlichungen ran. Man merkt doch, dass es beim Filmen im Shepherds Bush Empire einfacher zuging. Es gibt aber ein paar tolle Einstellungen bei denen man den Musikern sehr gut auf die Finger schauen kann. Der Bildschnitt ist nicht zuhektisch und verzichtet auf Effekthascherei. Da mir einfach gehaltene Konzertfilme mehr liegen ist das für mich eher ein Plus.

Der Sound ist sehr gut. Die Mängel in der Bildqualität werden für mich durch den musikalischen Inhalt aberausgeglichen. Ich finde es ist die perfekte DVD welche man Neulingen in Steve Hacketts Solokosmos empfehlen kann, da es hier eine gute Mischung an Trackls seines Soloschaffens gibt.

Aber für den Beginn ist es nicht schlecht ein paar komplette Genesis Songs dabei zu haben. Das gab es von Steve Hackett vorhernämlich auch noch nicht. Außer den Instrumentals wurde nur Blood On The Rooftops komplett gespielt und das auch erst seit 2004, sieht man von den Japan Konzerten im Jahre 1996 zur Veröffentlichungvom ersten Genesis Revisited Album ab.

Zu Beginn des ca 2,5 stündigen Filmes hat man die wartenden Fans außerhalb des Empires gefilmt. Hier merkt man auch direkt warum die DVD Fire And Ice heißt, denn an dem Tag war das Wetter in London nicht sehr gut. Es war sehr windig und eineg roße Portion Schnee gab es auch dazu. Nach dieser kurzen Portion Ice folgt aber schnell das Fire, und zwar nicht zu knapp.

Mit einem sphärischen Intro kommen die Musikerauf die Bühne und eröffnen mit Valley Of The Kings druckvoll das Konzert.Die Klammer um die Dramaturgie sind zwei Stücke vom 1979er Album Spectral Mornings. Every Day folgt auf Steves Begrüßung der Zuschauer in einer tollen Version (inklusive zweistimmiger Gitarre zusammen mit Amanda Lehmann) und Clocks – The Angel Of Mons beendet die Show (zusammen mit dem Gast Steven Wilson) nicht weniger beeindruckend. Besonderns Gary O’Tooles Schlagzeugsolo ist klasse.

Auf der DVD wird deutlich, wie wichtig Gary für die Band nicht nur am Schlagzeug sondern auch am Gesang war. Nichts gegen seinen Nachfolger Craig Blundell, aber ich mag ihn eher bei Steven Wilsons Band. Gary ist ein Allrounder und hat viele Highlights im Laufe des Abends. Den Titelsong von Spectral Mornings hat man übrigens an diesem Abend, wie auf den 2010erEngland Konzerten, nicht gespielt. Von Steves Soloklassikern ist das der offensichtlichste, der nicht im Set ist und genau das macht Platz für andere Dinge.

Emerald And Ash ist der Erste von ganzen fünf aktuellen Liedern von Out Of The Tunnel?s Mouth. Zum Zeitpunkt des Konzertes war Steve aber schon weiter, dazu später mehr. Dieses Lied ist eines der Kategorie ‚warum macht Steve nicht mal ein bisschen Platz im Set um solchen Songs ein bisschen mehr Raumzu geben?‘ Eine wirklich tolle Version. Das Einzige, aber das kann man bei allen Liedern schreiben, ist die bleibende Frage wieviel von Steves Gesang live ist. Da die sonstige musikalische Qualität von der Band außergewöhnlich ist kann ich darüber hinwegsehen.

Weitere Tracks vom Tunnel Album sind Fire On The Moon, das wahnwitzige Instrumental Tubehead (mit kleiner Ansage von Nick Beggs während Steve seine Gitarrepreparieren muss um mit dem Geigenbogen ein bisschen auf Jimmy Page zu machen), Sleepers sowie dem bluesigen Still Waters. Vom letzten Lied abgesehen sind es nicht nur Highlights im Set sondern auch Dreh- und Angelpunkte die für den nötigen Kontrast sorgen, um nicht zu sehr auf die Nostalgieschiene abzurutschen.

Die Verteilung über den ganzen Abend anstatt der ersten halben Stunde tut der Sache sehr gut. Still Waters hätte man mit vielleicht etwas anderem tauschen können da es, für mich, nicht so funktioniert. Die zwei überraschendsten Lieder kommen aus den 90er Jahren. The Golden Age Of Steam (vom 1999er Album Darktown) spielt im Jahre 1939 in Amsterdam als man, wie Steveden Song ankündigte, Kinder als Spione einsetzte. Musikalisch fälltes ein bisschen aus dem Rahmen, macht das Konzert aber umso abwechslungsreicher. Sierra Quemada, aus dem 1993er Werk Guitar Noir, ist ein bisschen mein heimliches Highlight der DVD. Nach einem kurzen Intro von Gary O’Toole folgt eine wirklich klasse Version. Dieses Instrumental dürfte ruhig öfter im Set auftauchen. Alleine diese Version rechtfertigt schon die Anschaffung von Fire And Ice.

Das Bemerkenswerte ist das Sierra Quemada auf zwei Klassiker von Steves Soloalbum Voyage Of The Acolyte von 1975 folgt und sich dahinter kein bisschen verstecken muss. Die zwei Lieder von Steves Debüt sind Ace Of Wands und Shadow Of The Hierophant. Ace Of Wands besitzt nicht ganz den Drive der Studioversion macht aber dennoch Spaß. Shadow Of The Hierophant ist zum ersten Mal seit den 70er Jahren auf diesen Englandkonzerten im Set, abgesehen von dem Instrumentalteil den es auf Livealbum The Tokyo Tapes von 1996 zu hören gab. Laut Hacketts Ansage hat Steven Wilson ihm nahegelegt, es mal wieder live zu spielen. Amanda Lehman übernimmt dabei Sally Oldfields Gesangsteil. Steven Wilson kommt zur zweiten Hälfte an der Gitarre als Gast (übrigend barfuß) dazu. Lustig, wie Gary einen Dirigent imitiert. Das Outro lässt sich nur so beschreiben dass ich die gesamte Band in einen Rausch reinspielt. Nicht nur Gary bearbeitet sein Schlagzeug wie ein Wahnsinniger sondern auch allen anderen merkt man den Spaß an der Nummer an. Steven Wilson hatte Recht behalten, vielen Dank!

Eine Kuriosität ist sicher das Cover von Bob Dylans All Along The Watchtower mit Special Guest John Wetton (von Asia und King Crimson). Es ist zwar ganz nett zu sehen wie Steve und die Band mal etwas stilistisch ganz anderes spielen, aber irgendwie passt es für mich nicht so sehr ins Programm. Toll finde ich allerdings wie Steve und Amanda Lehmann an den Gitarren solieren. Und auch für die Leute vorort ist es sicher eine nette Geschichte. John Wetton war danach anscheinend auch im wahrsten Sinne des Wortes schnell weg, da Steve ihn am Ende des Konzertes bei der Verbeugung gesucht hatte. Da im Anschluss Still Waters folgt ist das die Stelle der DVD die mir am wenigsten gefallen.

Jetzt fehlen eigentlich nur noch die Genesis-Songs. Wie schon oben geschrieben hat Steve auf dieser Tour, abgesehen von den Genesis Revisited Shows in Japan 1996, erstmals mehrere Lieder komplett gespielt und sich nicht nur auf die instrumentalen Teile beschränkt. Sie lockern das Set immer wiederauf. Die Reaktionen der Leute sind sehr euphorisch und auch Steve sieht man den Spaß an. Als ich ihn 2011 gesehen hatte waren es ungefähr die gleichen Lieder und ich hatte die Befürchtung, dass es in Zukunft davon mehr werden könnten. Das es dann so schnell passieren würde, hätte ich aber auch nicht gedacht. Hier hält sich die Auswahl aber im Rahmen.

Generell klingen alle ein Tick moderner im Sound. Manche funktionieren besser als andere aber da will ich nicht kleinlich sein, da der Kontrast zum Solomaterial sehr gut ist. Watcher Of The Skies ist der Erste Trip Down Memory Lane und wird, wie alle Genesis Lieder, von Gary O’Toole gesungen. Roger Kings Keyboardsounds klingen authentisch und die Version macht Spaß. Auf den Titel folgt auch mein Favorit von Steves Kommentaren am Abend: I wrote this one on the way here, just a simple blues form. The Carpet Crawlers klingt wie eine Mischungaus der Studioversion und der Seconds Out Version. Gary lehnt sich meistens an Peter Gabriels tiefer Studioversion an, gegen Ende traut er sich aber mehr und baut ein paar hohe Stellen mit ein.

Sein Gesang auf Blood On The Rooftops ist wohl auch der Grund, warum man ihn mehr Lieder zum singen (und spielen!) gegeben hat. Seit 2004 hat Steve das Lied komplett im Set. Genesis haben ihn nie live gespielt. Auch hier ist es ein Highlight des Abends dem ein kurzes Chapman Stick Solo von Nick Beggs mit dem Titel The Darkness In Men’s Hearts vorrausgeht. (Nick hat es aufdem gleichnamigen Soloalbum 2013 veröffentlicht). Einziges Manko ist, dass Steve den Anfang an der Akustikgitarre einen Tick zu schnell spielt.

Am interessantesten ist die Version von Los Endos. Ein kleiner Ausschnitt von einem anderen Genesis Klassiker (Dancing In The Moonlit Knight) und das Intro von einem andern Hackett-Song (Myopia vom 1986er Till We Have Faces Album) sind nichts neues. Das Besondere ist allerdings das Intro von einem Instrumental namens Prairie Angel, welches erst auf dem 2011er Album Beyond The Shrouded Horizon erschein und eines meiner Lieblingslieder ist. Die Version leidet für mich nur darunter, dass man beide Intros hintereinander verwendet hat, denn der Übergangvon Prairie Angel zu Myopia ist mir zu abrupt. Hier hätteich es besser gefunden wenn man von Prairie Angel direkt zu Los Endos gesprungen wäre. Gerade in dem Moment wo man denkt wie perfekt das klingen könnte, kommt es zu einem seltsamen Stopp. Aber ansonsten passt die Nummer. Ich bin zwar nicht so der Freund von Rob Townsends Flötensolo, aber ich finde es gut, dass Steve bei den Liedern vom Original abweicht. Der Titel beendet auch den Hauptteil des Abends.

Die erste Zugabe ist Firth Of Fifth. Hatte man sich zuvor auf das Instrumental beschränkt gibt es nun die volle Dröhnung und völlig zurecht hat man Steves bekanntesten Beitrag für Genesis in die Zugabe gesetzt, trotzdem bin ich froh, dass man danach noch Clocks als Rausschmeiser gebracht hat.

Das Besondere ist aber, wie sich durch die gewählte Reihenfolge ein ganz eigener Flow ergibt. Vor allem im Rücklick mit den letzten Setlists im Gedächtnis, wo es immer üblicher wurde, am Anfang des Abends ein paar neue Lieder als Alibi zu spielen, um dann für den Großteil des Abends die üblichen Verdächtigen zu bringen. Die Genesis Songs lockern die Atmosphäre auf und sind genau richtig verteilt (2 in der ersten Hälfte, 1 in der Mitte und 2 gegen Ende). Sie geben den Leuten Zeit zum durchatmen, sich den neuen Songs zu stellen und auch eintauchen zu können ohne zu denken – wann kommen die Hits?

Die zwei Deep Cuts aus den 1990ern bringen einen frischen Wind in die Setlist hinein. Das alles in Wellenbewegungen, und ein paar ein Ausbuchtungen nach oben und unten, ergibt am Ende eine tolle Dramaturgie und somit eine tolle DVD.

Bonusmaterial ist keines vorhanden. Das finde ich aber nicht schlimm, denn in den meisten Fällen schaut man sich das ehnicht so oft an. Alles in einem gebe ich eine klare Kaufempfehlung. Vor allem für Genesis Fans, die den nächsten Schritt in Steves Solokosmos tätigen wollen, finde ich es passend. Ganze 13 Lieder aus seinem Schaffen gibt es zu hören, dagegengesetzt sind 5 Genesis-Klassiker (und ein Bob Dylan Cover). Das Solomaterial fokussiert sich auch auf wenige Alben. Für eine komplette Werkschau ist das zwar nicht ausreichend, aber man findet beim Weiterhören auf den Alben genug Anknüpfpunkte.

Hier nochmal alle Songs inklusive der Angaben der Alben:

Valley Of The Kings (Genesis Revisited, 1996)
Every Day (Spectral Mornings, 1979)
Emerald And Ash (Out Of The Tunnel’s Mouthh, 2009)
The Golden Age Of Steam (Darktown, 1999)
Watcher Of The Skies (Genesis, Foxtrot, 1972)
The Carpet Crawlers (Genesis, The Lamb Lies Down On Broadway, 1974)
Fire On The Moon (Out Of The Tunnel’s Mouth, 2009)
Ace Of Wands (Voyage Of The Acolyte, 1975)
Shadow Of The Hierophant (With Steven Wilson) (Voyage Of The Acolyte, 1975)
Sierra Quemada (Guitar Noir, 1993)
The Darkness In Men’s Hearts (Nick Beggs, The Darkness In Men’s Hearts, 2013)
Blood On The Rooftops (Genesis, Wind And Wuthering, 1976)
Tubehead (Out Of The Tunnel’s Mouth, 2009)
Sleepers (Out Of The Tunnel’s Mouth, 2009)
All Along The Watchtower (With John Wetton) (Bob Dylan, John Wesley Harding, 1967)
Still Waters (Out Of The Tunnel?s Mouth, 2009)
Prairie Angel (Beyond The Shrouded Horizon, 2011)
Los Endos (Genesis, A Trick Of The Tail, 1976)
Firth Of Fifth (Genesis, Selling England By The Pound, 1973)
Clocks – The Angel Of Mons (With Steven Wilson) (Spectral Mornings, 1979)