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Steve Hackett – Feedback ’86 – Rezension

Nach dem Erfolg des GTR Albums Mitte der 80er plante Steve Hackett ein Soloalbum, das Feedback heißen sollte. Zu dieser Veröffentlichung ist es nie gekommen, Teile davon jedoch kursierten seit langem in Fankreisen. Nun hat Steve das ALbum als Soloalbum fertiggestellt.

In den Jahren 1986/87, als Steve Hackett mit dem GTR-Album und der anschließenden Tournee bemerkenswerte Erfolge (vor allem auch kommerziell) verzeichnen konnte, entstanden auch die acht Titel, die dann für sein geplantes nächstes Solo-Album mit dem Titel Feedbackzusammengestellt wurden. GTR waren zwar bei Arista unter Vertrag, als Solist konnte Hackett jedoch damals keine Plattenfirma finden. Sein Vertrag bei Charisma war mit Highly Strung abgelaufen. Bay Of Kings und Till We Have Faces erschienen bei Kleinlabels, ebensowie das 1988 veröffentlichte zweite Akustik-Album Momentum. Feedback wollte niemand veröffentlichen – trotz musikalischer Kompromisse und trotz des Erfolges von GTR – und dieser Zustand blieb bestehen, bis ein neues Management und andere Veränderungen zu Beginn der ’90er Jahre eine positive Kehrtwende in Steves Karriere brachten… nur hatte er bis dahin andere musikalische Wege eingeschlagen, die doch einiges entfernt waren von dem 80er-Jahre-Sound von Feedback, und so blieb das Album in der Versenkung.

Neben dem Abblocken der Plattenfirmen soll Steve im Laufe der fast 15 Jahre die Nichtveröffentlichung auch damit begründet haben, dass die für Feedback aufgenommenen Stücke nicht homogen seien, also nicht zueinander passten; außerdem habe er bereits alle interessanten Ideen aus Feedback in späteren Veröffentlichungen verarbeitet. Heute führt Steve auch an, er sei damals den Plattenfirmen wohl einfach zu alt gewesen; tatsächlich habe er geglaubt, mit 35 Jahren sei es nun eben vorbei, und hätte nicht geahnt, wie sich dies im darauf folgenden Jahrzehnt ändern sollte. Nun, da Steve mit Camino Records sein eigenes Plattenlabel hat, ist es für ihn viel leichter möglich, Aufnahmen zu veröffentlichen, und da fügt es sich ganz gut in die Nostalgiewelle ein, die die Genesis-(Ex-)Mitglieder befallen hat, dass Feedback nun als Feedback 86 doch noch erschienen ist – eine der besonderen Gefälligkeiten, die Steve und sein Management der Fangemeinde immer wieder zu bieten haben.

Ganz neu ist es fü̈r viele Mitglieder dieser Gemeinde freilich nicht, was sie mit den acht Tracks der CD zu hören bekommen. Im Laufe der Jahre kursierten Tapes unter Steves Anhängern, die – in nicht besonders guter Tonqualität – Studio-Outtakes aus den Feedback-Sessions enthalten und auch in Zukunft interessante Objekte bleiben, da auf ihnen auch hörenswerte Alternativ-Versionen mancher Songs enthalten sind. Das Highland-Label hat ein solches Tape als Bootleg-CD herausgebracht (Oh! How I Love You, HL469). Darüber hinaus wurden einzelne Stücke bereits veröffentlicht oder Teile daraus in anderen Werken Steves verwendet. Als Stammbesetzung der „Band“ kann man Steve, seinen altbewährten Keyboarder und Drum-Programmierer Nick Magnus und den Sänger Chris Thompson (einst Sänger bei Manfred Mann wie heute Noel „Smallcreep’s Voice“ McCalla, der auf Mike Rutherfords erstem Solo-Album sang) anführen. Hinzukommen noch eine Handvoll Gäste. Geschrieben und produziert wurden die meisten Titel von Steve Hackett. Die Eröffnung macht Cassandra. In seiner eher poporientierten Aufmachung war dieses Lied damals ein potentielles Lockmittel für Plattenverträge. Das einleitende und immer wiederkehrende Gitarrenmotiv ist sehr einprägsam, anfangs wechseln sich Strophen und Refrain (bei dem Steve mitsingt) ab, bis in der zweiten Hälfte an Text nur noch die „Cassandra“-Rufe verbleiben und die E-Gitarren von Steve Hackett und Brian May solistisch auftreten, und zwar eher im Dialog als im Duell. Textlich geht es um das Vorhersagen von Unglück: Die Seherin Kassandra aus der griechischen Sagenwelt war eine Tochter des Königs Priamos von Troja und sagte den Untergang der Stadt voraus. Man glaubte ihr jedoch nicht, und darunter litt sie sehr – Hellsehen-Können als Fluch ist das Thema von Cassandra. Neben Brian May sind hier als Gäste auch Ian Mosley (Schlagzeug) und Pete Trewavas (Bass) von Marillion zuhören. Ian, ein langjähriger Freund Steves, hatte bereits auf Highly Strung mitgewirkt. Cassandra war bereits Bonus-Track der US-amerikanischen Ausgabe von Guitar Noir, allerdings in einer teilweise später eingespielten Aufnahme, auf der Steve auch alleine singt und einen kurzen instrumentalen Mittelteil in einem maschinellen Rhythmus eingebaut hat. Auf dem Highland-Bootleg ist auch eine kürzere, instrumental abgespeckte Version mit weniger Hall enthalten. Gemeinsam mit Steve Howe für GTR geschrieben wurde Prizefighters, eine Hymne auf die heldenhaften Preisboxer. GTR nahmen den Song zwar nicht mehr auf, da ja kein zweites Album zustande kam, präsentierten ihn aber auf der Bühne, und so ist er auch auf dem GTR-Livealbum aus der King Biscuit Flower Hour enthalten. In der Studioversion wurde Prizefighters auf Kim Poors Vorschlag mit zwei Sängern besetzt – zu Chris Thompson kam noch Bonnie Tyler hinzu (die 1990 auch an Steves Rock Against Repatriation-Projekt mitwirkte). Den Refrain des Liedes kann man sich gut mit winkenden Feuerzeugen eines stadionfüllenden Konzertpublikums vorstellen. Bei einem Gitarrensolo spielt der bundlose (fretless) Bass collaparte, d. h. er spielt oktavversetzt dasselbe wie die Gitarre, bis diese dann frei variiert; auf das Solo folgt die Bridge des Songs mit einem synkopierten bassdrumdominierten Rhythmus. Steve hätte Prizefighters wie auch Cassandrazur heutigen Zeit nicht so oder überhaupt nicht geschrieben, wie er im Interview bekannte. Bei der GTR Liveversion schafft es MaxBacon nicht wie Bonnie Tyler, durch seinen Gesang einen Kontrast zwischen sanft gesungener Strophe. Every day a little harder … „) und heroischem Refrain zu erzeugen.

Das Instrumental-Solo besteht bei GTR aus dem Riff von Slot Machine. Bei einer nur inoffiziell kursierenden Version des Songs singt Thompson alleine, und die Instrumentalanteile unterscheiden sich etwas. Slot Machine wurde gemeinsam geschrieben und produziert von Steve Hackett und Brian May. Es ist ein typischer ’80er Rock Song mit wilden Gitarrensoli und doch etwas ganz Besonderes, denn passend zum Titel (oder wurde umgekehrt der Titel passend gewählt?) ist auch viel Geräuschmusik zu hören, erzeugt u. a. durch diverse Effektgeräte. Eingebettet ist das laute und schnelle Stück in eine Ballsaalszenerie: Zu Beginn wird ein Wiener Walzer von Johann Strauß angestimmt, ein Gentleman fordert eine Lady zum Tanze auf, und abrupt setzt das Gitarrenintro ein, das Ähnlichkeit zum Intro von Vampyre With A Healthy Appetite (vom Guitar Noir-Album) hat. Die Strophen sind in Moll, die Kehrverse in Dur gehalten. Am Ende des Stückes stellt die Lady – quasi nach dem wilden Tanz – fest, dass ihr Kleid zerrissen ist [?]. Text wie Musik handeln von der Spielsucht an Spielautomaten. Steve kennt Brian May, seit er Queen ca. 1985 nach deren Auftritt bei „Rock in Rio“ traf, und er hatte nach dem Ausklingen von GTR sogar überlegt, ein vergleichbares Projekt mit Brian zu starten. Von Outtake-Tapes ist eine Alternativversion bekannt, die im instrumentalen Mittelteil sehr interessante Elemente enthält, die hier leider nicht verwendet wurden.

Mit Stadiums Of The Damned erhält man ein bereits veröffentlichtes Stück in der bekannten Fassung von der Till We Have Faces-CD-Wiederveröffentlichung. Der Name des Stückes stammt aus einer Liedzeile bei Bob Dylan. Inspiriert wurde es von einer Geschichte bei Dostojewski (Schuld und Sühne), wo eine Frau dem Mörder ihres Onkels verzeiht und ihm zugeneigt ist; Steve hat die Szenerie auf Fußball-Hooligans übertragen. Die Idee des (Steve beinah an Richard Wagner erinnernden) gesampelten Blechbläser-Parts gegen Anfang wird er wohl in Zukunft wieder einmal aufgreifen, eventuell bei der Arbeit mit einem Orchester. Interessant ist das Holzbläser-Motiv am Ende, welches nicht in Dur oder Moll, sondern in der Kirchentonart Lydisch gehalten ist. Don’t Fall war zwar bislang unveröffentlicht, wurde von Steve selbst aber bereits in der Vergangenheit „geplündert“. Auf der Kompilation The Unauthorised Biography war Don’t Fall Away From Me enthalten, ein musikalisch mit dem vorliegenden Titel verwandter Love-Song, zu dem Brian May die Lyrics geschrieben hatte. Möglicherweise wird Brian selbst es noch einmal wieder verwenden. Mit verändertem Refrain und anderem Text hat Steve diesen Song außerdem bereits als Solid Ground auf Blues With A Feelingveröffentlicht. Markant bei der Feedback-Version ist das Intro im Mundharmonika-Sound, ein mehrstimmiges Heulen wie eine Dampflok mit freien Harmonika-Improvisationen. Ein Gitarrensolo in der Mitte des Liedes ist sehr melodiös, ein weiteres gegen Ende eher extrovertiert. Bei einer inoffiziellen kürzeren Version wird das Riff härter gespielt, und der Bass spielt in Sechzehntelnoten dazu, wodurch das ganze effektvoller wird.


Oh How I Love You
schlägt etwas ruhigere Saiten an. Thompson singt sehr emotional diese Ballade, die bereits von dem Akustik-Livealbum There Are Many Sides To The Nightals Instrumentalversion bekannt ist. Das obligatorische Akustikgitarrensolo darf nicht fehlen.

Notre Dame Des Fleurs wurde bereits auf der 1988er Momentum-Tour gespielt. Der passend zur Musik sakral anmutende Titel stammt eigentlich von einem Buch, in dem Jean Genet über seine Erfahrungen im Gefängnis mit Homosexualität berichtet. Stilistisch führt Notre Dame… das Tremolospiel fort, welches Steve mit Black Light einst etabliert hatte, doch ist Notre Dame … deutlich tiefgehender und harmonisch komplexer. Entgegen der Behauptung des genannten Highland-Bootlegs ist es nicht identisch mit Beja Flor von Steves o.g. Livealbum. Attacca, das heißt ohne Pause, geht es nach einem überleitenden Gitarrenlauf weiter mit The Gulf, ebenfalls in der bekannten Version von der Till We Have Faces-Neuauflage, identisch bis auf leichte Änderungen im Instrumentalteil. Chronologisch betrachtet wird klar, dass es hier nicht um den 1990/91er Golfkrieg geht, sondern um den der 1970er/80er Jahre: Steve erinnerte sich an eine Krise, in der sowohl Ayatollah Khomeini als auch US-Präsident Jimmy Carter zu Gott beteten und zu völlig unterschiedlichen Entscheidungen kamen.

Das eigentliche Album ist hiermit zu Ende. Es ist ein geschichtlich interessanter Rückblick auf ein Vakuum in Steves Werdegang, nur war ja vieles doch schon bekannt. Fans der ’80er-Jahre-Pop/Rockmusik kommen keinesfalls zu kurz, Prog-Rock-Fans werden hier und da staunen oder zumindest amüsiert schmunzeln. Das Cover ziert übrigens Kim Poors 1978er Wasserfarben-Gemälde zu Blood On The Rooftops. Die beiden Personen darauf sind dieselben wie auf dem Please Don ‚t Touch-Frontcover. Interessanterweise sieht man auf dem Bildschirm (unter Wasser) die über Wasser gelegene Landschaft.

Autor: Andreas Lauer
(ein Teil der Zitate und Informationen dieses Artikels entstammen einem Interview, das Alan Hewitt im Herbst 2000 mit Steve Hackett führte)