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Steve Hackett – Cured – Album Rezension
Nach Veränderungen im musikalischen Umfeld und einer kleinen Schaffenspause kam Steve Hackett 1981 mit seinem fünften Album Cured zurück. Thomas Jesse blickt zurück.
Hintergrund
Das Jahr 1981 sollte für Steve Hackett einige Veränderungen bringen. Nach intensivem Touring seit dem Herbst 1978 mit ca. 100 Shows in Europa und Amerika und intensivem Feilen an seiner Solo-Karriere, klagte er in der ersten Hälfte des Jahres über gesundheitliche Probleme. Er musste sich stationär wegen Magengeschwüren behandeln lassen. Er nutzte die Zeit der Rekonvaleszenz, um für mehrere Monate nach Brasilien zu gehen, und dort über den Fortgang seiner Karriere und einer gesünderen Lebensweise nachzudenken. Er hörte mit dem Rauchen und dem Konsum von Alkohol auf, nahm ab und begann zu joggen. [1]
Er verhandelte erfolglos mit seiner Plattenfirma Charisma über die Veröffentlichung eines Live-Albums (erst 1992 auf Time Lapse und 2001 in der Live-Archive 70,80,90s-Box wurden zahlreiche Konzertaufnahmen herausgebracht). Charisma bestand auf einem neuen Studio-Album, da Steves Karriere gut lief und mit neuem Material weiter befördert werden sollte. [2]
Aus sowohl ökonomischen Gründen, als auch wegen seines Unbehagens, wieder Bestandteil einer Bandmaschinerie zu sein. seine“ Bandmates wünschten mehr Mitspracherechte beim Songwriting), trennte er sich von seinen Musikern bis auf Nick Magnus.
Mit diesem begann er an einem neuen Album zu feilen. Die meisten Stücke hatte Steve schon während seines Brasilienaufenthalts geschrieben. So ging es im Frühsommer in Londons Redan Studios [3] an die Aufnahmen. Steve griff wieder auf John Acock als Ingenieur und, neben ihm und Nick Magnus, als Produzenten zurück. Steve spielte außer Gitarren auch Bass, während sich Nick auf die Keyboards konzentrierte. Das Album weist zwei Neuerungen auf. Ein Schlagzeuger wurde von Linn-Drum-Computer und SdS5-Drumsynthesizer ersetzt. Der Linn-Drum war gerade neu auf dem Markt. [4] Beide Instrumente wurden von Nick gespielt. Den Gesang übernahm Steve selbst. Er hatte auf seinen vorigen Alben die Hintergrundstimmen mitgesungen und war gesanglich verantwortlich für die Stücke The Hermit, Carry On Up The Vicarage und The Ballad of the Decomposing Man (featuring „The Office Party“).
Er singe gerne, wie er sagt, nehme gerade Gesangsunterricht und so lag die zukunftsweisende Entscheidung nahe. Bruder John spielte Flöten auf Overnight Sleeper und Bass Pedals auf The Air-Conditioned Nightmare, während Bimbo Acock einen Gastauftritt als Saxophonist auf Picture Postcard bekam. Das Album erschien am 14. August 1981 (am Tag seiner Hochzeit mit Kim Poor) unter dem sinnigen Titel Cured und sollte in den UK-Charts die Position 15 erreichen. [5]
Als Singles wurden ausgekoppelt Hope I Don’t Wake (B-Seite: Tales Of The Riverbank, japanische und kanadische Pressung: A Cradle Of Swans, italienische Pressung: Funny Feeling) und Picture Postcard (B-Seite: Theme from Second Chance). Die beiden Single-B-Seiten sowie The Air-Conditioned Nightmare live vom Reading Festival bilden die Bonus-Tracks der 2005-Remaster.
Das Cover / Gestaltung des Albums
Schon das Cover-Artwork zeigt einen Bruch mit der Vergangenheit – keine Kunstwerke von Kim Poor, sondern Fotos. Die Vorderseite ziert einen entspannt lächelnden Touristen Steve Hackett, vor ihm ein paar Drinks, im Hintergrund das Meer und Palmen. Die Rückseite wird von einem Palmen-Meeres-Villen-Panorama gebildet. Die Aufnahmen wirken leicht unscharf und zeigen Urlaubsfeeling auf den Bahamas. Kim Poor war nicht glücklich mit dem Cover, Charisma wollte jedoch die fröhliche Stimmung des Albums visualisiert umsetzen. Nach der Veröffentlichung sah sich Charisma Protesten zahlreicher Fans ausgesetzt, die eine Fortführung der Malerei von Kim Poor als Covergestaltung sehen wollten. [6]
Das Innerbag der LP enthält die Songlyrics sowie ein SW-Foto von Steve und Kim.
Die Songs
Hope I Don’t Wake
Der Song beginnt mit Acapella-Gesang von Steve (welch eine Ansage! Ich kann sogar Acapella!), der den Refrain intoniert. Dann setzt die Drum-Maschine ein, Gitarrengeplinker, eine Bankssche Orgel und ein schöner, warmer Bass musizieren gefällig. Alles recht easy listening. Die Bridge endet mit einem typischen Hackett-Gitarrensolo und dann ist es leider schon nach 3:47 Minuten mit einem Fadeout vorbei.
Ein seichter, sonniger Opener, der sich gut als Single-Auskopplung eignete, aber seinen Vorgängern (The Steppes und Co) nicht das Wasser reichen kann.
Picture Postcard
Die zweite Single-Auskoppelung ist nicht die Ursache für das Cover oder beinhaltet Urlaubsstimmung. Steve singt sehr hoch im Falsett über Einsamkeit, über reale Erlebnisse, die eine Ansichtskarte nicht ersetzen kann: „Don’t want a postcard / Showing some distant view / Just want someone to / Laugh when I blow a fuse…“
Ein Pop-Song, der jedoch mit überraschenden Effekten, wie z.B. einem Saxophon-Solo, glänzen kann. Ab Minute 2:25 kommt sogar Yes-Feeling (90125) auf, auch an Jon-Anderson-Solo-Alben und Supertramp kann man denken, aber ist das noch der Steve Hackett von Voyage Of The Acolyte oder Spectral Mornings?
Can’t Let Go
Düsterer Beginn, dunkle Keyboards, „Damdadadam“ auf dem Bass lassen endlich ein Stück im Stil der beiden Vorgänger-Alben erwarten, aber nix da. Ein kurzer Gitarrentake leitet einen an AOR der US-Westcoast erinnernden Song ein. Der Refrain wird von Steve sehr hoch intoniert und nervt mit der Zeit. Ein klasse Gitarrensolo im Schlussdrittel gepaart mit schönem Keyboardspiel sorgt für einen harmonischen Ausklang.
The Air-Conditioned Nightmare
Das erste Instrumental des Albums bildet den mächtig krachenden Abschluss der LP-Seite 1. Eine sägende Gitarre soliert, ehe düster dräuendes Keyboardgedonner das Stück vorantreibt. Steve und Nick duellieren sich mit ihren Instrumenten, Bruder John ergänzt an den Bass-Pedals. Kein Albtraum, eher ein Traum für Progrock-Fans. Leider stoßen die synthetischen Drums in den Soundkaskaden an ihre Grenzen. Sie geben dem Stück den Touch des Vorhersehbaren, des klinisch-technisch Ausgetüftelten. Live-Aufnahmen werden zeigen, welch tolles Bandfeeling das Stück erwecken kann. [7]
Damit beginnt die 2. LP-Seite wieder sehr sonnig-hell mit schöner Gitarre, die in einen Disco-Rhythmus, so typisch für die 80er-Jahre, übergeht. Ein Stück über das Ende einer Beziehung. Mit seiner Ex-Band? Ist die Frage zu weit hergeholt?
Bei ca. Minute 2:25 erfolgt ein rockiger Gitarreneinschub, der das Geplätscher für wenige Sekunden unterbricht und für Überraschung sorgt.
A Cradle Of Swans
Das obligatorische Stück für die akustische Gitarre. Leicht verhallt, romantisch, virtuos gespielt. Ein weiterer Bruder von Horizons, Kim u.ä. Sehr ruhig beginnend nimmt es Fahrt auf, um an den Flamenco erinnernd schließlich zu verwehen.
Overnight Sleeper
Mit der akustischen Gitarre eröffnend wird das Lied von fanfarenartigen Keyboards erdrückend übertönt. Ein Bass klingt drohend im Hintergrund, ein iberischer Rhythmus pulsiert, bis Steves Gesang einsetzt und sich eine Melodie ins Ohr bohrt, die John Hackett wundervoll auf der Flöte zelebriert. Steve singt auch einmal in einer tieferen Tonlage. Wieder die Melodie, gekrönt mit einem Gitarrensolo und schon ist Schluss. Der Höhepunkt des Albums, in dem es um einen Albtraum geht. Der Protagonist sieht sich von rasenden Zügen in Tunnels verfolgt, bis er das Licht am Ende sehend aufwacht. Das glückliche Ende einer als Albtraum erlebten Zeit. Der Bezug zu Steve Hacketts eigener Vita liegt auf der Hand.
Turn Back Time
Ein sanfter, balladesker Ausklang des Albums. Möchte Steve wirklich die Zeit zurückdrehen?
Mit gefühlvoller Stimme singt er: „When I’m far away from you / What I’d give to learn to / Turn back time…“ Eine Liebeserklärung als schöner, ruhiger, melancholischer Abschluss eines Albums mit eher flotter, poppiger, ungewöhnlich leichter Kost.
Tales Of The Riverbank
Die B-Seite der Hope I Don’t Wake Single ist die Adaption eines Stücks einer TV-Kinderserie aus den 50er-Jahren. Erst Jahre später fand Steve heraus, dass das Original nach dem Titel Andante in Cvon Mauro Giuliani komponiert wurde. [8] Ein schönes Stück auf der akustischen Gitarre gespielt, das Erinnerungen an die Musik des Barock weckt und als Bonustrack auf der Remaster-Ausgabe von Bay Of Kings wiederveröffentlicht wurde.
Theme from Second Chance
Wurde geschrieben für die gleichnamige TV-Serie mit Susannah York und Ralph Bates. [9] Ein romantischer Song auf der akustischen Gitarre, die von John Hacketts Flöte kongenial begleitet wird. Das Stück findet auf dem akustischen Album Bay Of Kings als Second Chance seinen Platz.
Fazit
Das Jahr 1981 brachte den frischen Wind der Veränderung ins Genesis-Universum. Phil Collins startete mit einer unglaublich erfolgreichen Solo-Karriere durch, Genesis reduzierten ihre Songs auf eingängige, gradlinige, z.T. poppig-rockige Stücke, ihre Vergangenheit beinahe vergessend, und verblüfften die Fans mit dem Abacab-Album.
Steve Hackett löste seine Band auf, änderte seine Lebenseinstellung und versuchte sich an mainstreamiger Musik, jedoch ohne augenzwinkernd gelegentlich die Zeit zurückzudrehen.
Er produzierte mit Cured ein Album mit kurzen, z.T. radiotauglichen, am US-Markt orientierten, oft dem Pop zuzurechnenden Songs. Nur zwei Instrumentals fanden Eingang in das Album. Er wollte jedoch nicht auf das Einflechten von kurzen, auch schrägen Gitarrensoli, Zitaten aus der klassischen Musik mittels der akustischen Gitarre, den Einsatz neuer Technik (Linn-Drum) und Blasinstrumenten wie Flöte und Saxophon verzichten.
Das Album ist geprägt von einem „Funny Feeling“ und ist durch kurze Stücke zugänglicher und leichter als seine Vorgänger. In einem Interview sagte Steve einmal, dass er Musik für die Hausfrau machen möchte. [10] Mit Cured ist es ihm gelungen, Musik zum Hören bei alltäglichen Beschäftigungen zu produzieren.
Steve Hackett bewies Mut, in dem er auf einen Sänger verzichtend die Vocals selbst intonierte. Leider singt er oft gezwungen klingend hoch. Dies führt schnell zur Übermüdung des Hörers. Leider ist auch der schöne Harmoniegesang der beiden Vorgänger-Alben verloren gegangen. Erstaunlich ist der Einfluss von Nick Magnus, der oft mit seinen Keyboards dominiert und Gefahr läuft, Steves Gitarre in den Hintergrund zu schieben und die Lieder zu erdrücken.
Dem Album haftet eine Sterilität an, die wohl durch das synthetische Schlagzeug, der Modulation von Steves Stimme und der klinischen Produktion hervorgerufen wird. Womöglich eine beabsichtigte Anbiederung an die populäre Musik der 80er-Jahre.
Genesis verloren mit ihrem musikalischen Wandel zahlreiche „Altfans“, konnten jedoch viel mehr neue Anhänger um sich scharen und damit kommerziellen Erfolg generieren. Steve gelang das eher nicht. So versuchte er auf dem nächsten Album Highly Strung einen Mittelweg zu finden oder mutig sein Ziel anzugehen, ein Album mit akustischer Musik zu machen (Bay Of Kings). Also doch lieber Turn back time? Denn die besseren Pop-Songs haben immer noch Phil oder Mike mit den Mechanics geschrieben.
„…It wasn’t a conscious decision to start writing commercial songs. I think one or two of them came out that way because of the use of the drum machine. The album had more lightweight feel. In many ways it was more a duet between Nick Magnus and myself. I was working with the limitations of my own voice rather than with people who had cast iron voices and so I think it was an album finding my way.” [11]
Diese Worte Steve Hacketts weisen auf künftige Entwicklungen hin. Er sang nun seine Stücke bei neuen Studioaufnahmen wie auch live selbst. Eine über Jahre stabile Band sollte er erst wieder ab ca. 2000 ins Leben rufen. Zu der Zeit sollte er in Roger King einen ähnlich starken Partner für Keyboards und Produktion wie Nick Magnus finden. Ein derart kommerziell ausgerichtetes Album produzierte er jedoch nicht mehr ohne künftig auf auf Pop-Songs zu verzichten.
Betrachten wir Cured als ein Album des Übergangs, als Wegweiser für Steve, sich mit seiner Auffassung vom Künstlerdasein in einem immer kommerzieller werdenden Markt eine Nische zu erobern. So können wir über die großen Schwächen des Albums hinwegsehen und es gelegentlich bei der Hausarbeit hören. Es hat seinen berechtigten Platz in Steves Oeuvre.
*2. Alan Hewitt, Sketches of Hackett, Wymer, Bedford, 2. Auflage 2011, S. 84, Brian Gibbons Aussage
*3. Hier traf er seinen späteren Tourdrummer Ian Mosley und nahm ein Stück mit Box Of Frogs auf.
*4. Siehe: https://en.wikipedia.org/wiki/LinnDrum und z. B.: https://en.wikipedia.org/wiki/LinnDrum
*5. Siehe: https://www.chartsurfer.de/artist/steve-hackett/cured-album_fvvfpv.html
*6. Siehe: Interview mit Kim Poor, Teil 2 im IT 14, Seite 15 vom März 1995
*7. Siehe: z. B.: Bonus-Track zu den CD-Remaster-Ausgaben
*8. Linernotes zur 2005 Remaster-Ausgabe, Virgin VJCP-68800, Mini-LP-CD, zu Mauro Giulani:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mauro_Giuliani
*9. Siehe: https://www.imdb.com/title/tt0162108/
*10. Siehe: Artikel im: Musikexpress Nr. 5, Mai 1978
*11. Linernotes zur 2005 Remaster-Ausgabe, Virgin VJCP-68800, Mini-LP-CD