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Steve Hackett – Collingswood (USA) 2018 – Konzertbericht

2018 tourt Steve Hackett zwar erneut und spielt etliche Konzerte, jedoch nicht in Deutschland. Anfang des Jahres führt ihn der Tourplan einmal mehr nach Nord- und Südamerika. Thomas Jesse war in Collingswood dabei und schildert uns seine Eindrücke.

Vorbemerkung:

Geneigter Leser!

Dir wird sehr schnell auffallen, dass die unten stehenden Zeilen von großer Subjektivität gefärbt sind. Der Autor bittet dafür vorab um Entschuldigung. Bittet aber zu beachten, dass ein Fan, früher hätte man gesagt Enthusiast, für den Text verantwortlich zeichnet und glaubt, seine Worte an verständnisvolle, ja, Fans / Enthusiasten zu richten.

So, nur zu:

“The show can begin
I’m falling asleep to dream” (*1)

1. Privates:

Dieses Jahr begehe ich die 40. Jahrestage des Kaufs meiner ersten, damals aktuellen Alben von Genesis (And Then There Where Three), Peter Gabriel (II), Anthony Phillips (Wise After The Event) und natürlich Steve Hackett (Please Don’t Touch). So wollte ich dieses Highlight meiner Genesis-Karriere irgendwie groß feiern. Egoistisch wie ich manchmal bin, nur für mich alleine.

Es traf sich der glückliche Umstand, dass ich mit meinem Bruder aus familiären Gründen vom 15.02. bis 22.02.2018 einen Kurztrip nach New York, Philadelphia und Washington unternehmen konnte. Zeitlich passte das Konzert von Steve Hackett am 16.02.2018 wunderbar ins Reisekonzept. Ein Konzertticket und einen Schlafplatz im Philadelphia – Apple Hostel (*2) gab es noch, so dass diesem, meinem persönlichen Anniversary-Date, nichts im Wege stand.

2. Die Location:

Collingswood (*3) ist eine Kleinstadt (was ist in den USA schon klein?) zehn Meilen von Philadelphia, östlich des Delaware in New Jersey gelegen. Vom Hostel, Downtown Phili, gelangt man mit der U-Bahn in 15 Minuten in den Ort und muss dann noch 15 Minuten zum Scottish Rite Auditorium laufen (gar nicht so einfach im Dunkeln die richtige Abzweigung auf der großen Kreuzung zu finden – aber die Amis sind sehr freundlich und auskunftsfreudig: „Straight ahead, passing Aldi! – die gibt es tatsächlich auch in den USA“).

Das Scottish Rite Auditorium (*4) ist ein Konzert-/Theatergebäude aus den 30er Jahren. Von außen trutzig wie ein Klotz, innen mit einem sehr schönen, aber düstereren holzgetäfelten Saal, wie an das Innere des „House of Usher“ Poes erinnernd. Den Namen hat es übrigens nach den Riten einer Freimaurerloge, die sich im 18. Jahrhundert in West-Virginia / USA gründete (*5). Auf der Bühne hätten auch gleich Sinatra und Co. auftreten können. Aber das Publikum wartete wie ich gespannt auf Steve Hackett.

3. Publikum:

Der Saal war mit knapp 1000 Leuten nahezu ausverkauft. Ein netter, älterer Platzanweiser geleitete mich zu meinem Sitz, halbrechts im Rund, ca. 15 Reihen über der Bühne mit wunderbarer Sicht auf die selbige. Der Saal füllte sich mit freundlichen, aufgeschlossenen Menschen (Durchschnittsalter ungefähr 55 Jahre). Mit meinen Sitznachbarn entspannte sich gleich ein Gespräch über die erste Show von Steve Solo, oder auch Genesis, die man gesehen hat und immer wieder: „A dream come true!“ Um es vor weg zu sagen: Ich habe selten (eigentlich noch nie) ein so enthusiastisches Publikum bei einem Steve Hackett Konzert erlebt wie hier.

4. Die Band:

Pünktlich um 20 Uhr kam Steve mit Band zu den Soundmalereien von A Land Of Thousand Autumnsauf die Bühne. Neu in der Band ist Jonas Reingold: Bass & 12 String (The Flower Kings, Kaipa, Karmakanic, The Tangent), der seine Vorgänger schnell vergessen lässt und den ich schon mit Kaipa live gesehen habe. Ja, fast exakt vor einem Jahr vor 25 Leuten in Berlin …(*6).

Steve und seine Mitwirkenden waren sofort in ihrem Element. Ein flüchtiger Gruß von Rob, eine tiefe Verbeugung sowohl von Gary als natürlich auch von Steve und schon ging es richtig los mit der Show.

5. Show – Konzept, musikalische und visuelle Umsetzung und Setlist:

Steve Hackett tourt ja nun seit einigen Jahren mit dem gleichen Konzept: In der ersten Hälfte des Konzerts werden Songs aus seinem riesigen Soloschaffen dargeboten und nach einer Pause folgt das Genesis-Oeuvre. Hier und heute spielte er folgende Stücke:


1
Set 1:

Please Don’t Touch
Every Day
Behind the Smoke
El Niño
In the Skeleton Gallery
When the Heart Rules the Mind
Icarus Ascending
Shadow of the Hierophant

Set 2:
Dancing With the Moonlit Knight
One for the Vine
Inside and Out
The Fountain of Salmacis
Firth of Fifth
The Musical Box
Supper’s Ready

Zugabe:
Myopia / Slogans / Los Endos

Am nächsten Tag ersetzte er die Zugabe Los Endos durch Dance On A Volcano und baute The Steppes in Behind The Smoke ein. Diesen kleinen Veränderungen blieb er während der Tour in Kanada und Nordamerika von Show zu Show treu.

Das Konzert begann mit einem kräftigen Please Don’t Touch. Wie gemacht für eine Livedarbietung, wie gemacht als Opener. Das Publikum war sofort hellwach, begann nach den ersten Akkorden zu jubeln, die 20 Moving-Head-Projektoren tauchten Bühne und Saal in eine Flut von bunten Lichtkaskaden. Mir liefen wohlige Schauer über den Rücken. Nach diesem gelungenen, instrumentalen Einstieg, verbeugte Steve sich mit verschmitztem Lächeln und warmen Worten vor dem Publikum, seinem nun 40-jährigen Album Please Don’t Touch und der lange in der Vergangenheit liegenden ersten US-Tour.

Er setzte das Programm mit seinem 1979er Uptempo-Song Every Day fort und erntete wieder frenetischen Applaus. Sein Gesang kam dem von Peter Hicks sehr nahe, war sicher und wohl moduliert und über sein Gitarrenspiel brauchen wir keine Worte zu verlieren.

Auch das Paket aus seinen drei Liedern vom aktuellen Album The Night Siren, die er ohne nennenswerte Ansagen durchspielte, konnte gefallen. Es zeigte sich, wie sehr die Band zu einer Einheit geworden ist. Da wird ein Lachen ausgetauscht, da werden locker und leicht Taktangaben gemacht, mal ein Solo von Rob, Roger oder Gary eingeflochten. Natürlich kontrolliert der Meister dies alles. Immer lockerer wurde das Spiel, angefeuert von einem unglaublich abfeiernden Publikum. Allerdings fehlten längere Ansagen; politische Statements wie noch ein Jahr zuvor in Europa gab es nicht.

Es sollten nun die Highlights des Solosets folgen. Steve bat um Stille und erzählte dann, dass er ja nichts gegen Reunions, insbesondere einer ganz bestimmten, habe, aber bei der Band, aus dessen Fundus der nächste Song stammt, ganz sicher schon. Er wolle nun When the Heart Rules the Mindspielen. Ein Lied, das er sehr liebe und dem sogar ein, wenn auch kurzer, Charterfolg beschert war. Nad kam auf die Bühne und half wie alle anderen Steve beim Singen. War da Playback im Spiel? Steves Stimme klang so glasklar und sauber wie nie, aber ich konnte nichts dergleichen feststellen. Egal, es war eine Freude dem zuzuhören und zu zusehen (hervorzuheben Rogers Keyboardspiel). Das Publikum raste, sang mit, klatschte, tanzte. Mir wurde nun so richtig bewusst in Amerika zu sein. Dieses AOR-Ding trifft voll ihren Nerv. Ein Höhepunkt für die Amis, die das Ende des Songs mit Standing Ovations bejubelten.

2Dem Höhepunkt für die Amis, folgte nun einer für mich: Icarus Ascending. Nad sang ihn brilliant, nahe an Richie Havens Stimme. Die Band zog das Stück herrlich in die Länge, Steves Soli waren einfach nur schön. Wie wundervoll kann ein Musikstück sein? Ich hatte, wirklich erstmalig an diesem Abend Tränen in den Augen. Diese Musik hat Steve nur für mich komponiert. Wenn ich diesen Song höre, bin ich eins mit der Welt. Ja, das war ich dort in den USA. Es gibt die seltenen Momente des absoluten Glücks für einen Musikzuhörer, der sich mit Künstler, mit seinem Nachbar, mit allen in dem Saal als Einheit fühlt. Hier war er und es sollte nicht der einzige sein.

Das folgende Shadow Of The Hierophant wurde wie so oft in der instrumentalen Schlusssektion gespielt. Ich war noch sehr gerührt von Icarus Ascending, so dass ich eine Pause gebraucht hätte, aber dieser Song von Voyage Of The Acolyte riss mich wie immer mit. Auffällig waren hier das Bass- und Schlagzeugspiel. Man wird wie von Wellen des Sounds mitgetragen und hofft, es würde nie enden…

Nach einer kurzen Pause begann der zweite Teil des Konzertes. Nad trat auf die Bühne und begann a-capella zu singen: „Can You Tell Me Where My Country Lies….” Das Publikum sang nach kurzem, ehrfürchtigem Erstaunen mit. Die Band stimmte ein und da war sie, diese mystische, ehrfurchtsgebietende Stimmung eines Genesis-Konzerts der „Selling England“-Phase. Nach dem perfekten Opener Dancing With The Moonlit Nightsegelte Steve zum Wind & Wuthering-Album und spielte wie im letzten Jahr „zu Ehren eines außer -ordentlichen Keyboarders“ Tonys One For The Vine, dem Inside And Out folgte. Letzteres leitete er mit einem Lob auf Phils erstes Schreiben eines Textes für Genesis und der Aussage, dass es eine Schande war, dieses Stück nicht auf’s Album zu packen, ein. Wirkte dieses Wunderwerk der Genesis-Musik im letzten Jahr aufgrund des damals schwachen Gesangs noch etwas enttäuschend auf mich, so war es diesmal eine Offenbarung. Meine Güte, hatte ich eine Gänsehaut! Nicht nur ich, der ganze Saal bebte als die letzten Akkorde ausklangen. Steve fragte das Publikum, ob sie wissen wollten, was die Jungs von Genesis nachts um 12 Uhr machten. Nun, komponieren und so etwas Skurriles wie Fountain Of Salmacis zustande bringen. Ah, Steve ging ganz in die Anfänge seiner Karriere mit Genesis zurück, zu Nursery Cryme und es folgte, richtig: The Musical Box mit dem vom Genesis Revisited II bekannten Geplinker einer Spieldose. Aber, halt, da fehlt doch noch etwas? Wollte der geneigte Hörer nicht Steves berühmtestes Gitarrensolo vernehmen? Ja, richtig – Firth Of Fifthmogelte sich zwischen die beiden Stücke von 1971. Ich kann hier nicht jedes der drei Highlights aus dem Genesis – Universum einzeln würdigen. Es war wunderbar, der Musik zu lauschen und dem Spiel der Musiker im Einklang mit einer fantastischen Lightshow zuzu -sehen.

3Nach dem riesigen Applaus für The Musical Box (tränten meinem Nachbarn etwa die Augen?) kehrte fast atemlose Ruhe im Saal ein, denn Steve ließ sich seine akustische Gitarre geben und nahm auf einem Hocker Platz. Jonas schnappte sich die 12-String. Das konnte nur eines bedeuten…

Eine Andacht begann. Jeder Genesis – Fan kennt sie, die Akkordfolge zu Lover’s Leap.

Nad intonierte die Verse:

„Walking across the sitting-room, I turn the television off

Sitting beside you, I look into your eyes

As the sound of motor cars fades in the night time

I swear I saw your face change, it didn’t seem quite right

…And it’s hello babe with your guardian eyes so blue

Hey my baby don’t you know our love is true….”

Und alle Menschen im Saal sangen mit. Das habe ich noch nie erlebt, mitsingen bei dem heiligen Gral der Genesis-Musik – aber es geschah. Ich bin jetzt noch zu Tränen gerührt, wenn ich daran zurückdenke. Wie immer versetzt mich diese Musik in unaussprechliche Verzückung. Viel zu schnell war der Höhepunkt eines wunderbaren Konzertes zu Ende. Die Band spielte sich in einen Rausch, Nad sang so gut wie nie, die Lightshow veredelte die Musik kongenial und Steve wollte und wollte es nicht enden lassen…

„…There’s an angel standing in the sun, and he’s crying with a loud voice,

„This is the supper of the mighty one“,

Lord of Lords,

King of Kings,

Has returned to lead his children home,

To take them to the new Jerusalem….”

In dem Augenblick habe ich mit feuchten Augen gefühlt, was diese Verse bedeuten….

Nach langem, nicht enden wollenden Applaus kam die Band nochmals auf die Bühne um mit dem aus Hackett Solo Gems veredelten Los Endos eines der für mich besten Konzerte mit Genesis-Musik der letzten Jahre enden zu lassen.

6. Fazit


Plakat
Ich kann dem geneigten Leser nicht erklären, wie ich nachts gegen 23.30h den Weg zurück nach Philadelphia in mein Hostel fand, so berauscht war ich von dem Konzert. Natürlich begibt sich Steve mit der Songauswahl auf einen sicheren Pfad, klar habe ich mir einen Block (aus Anlass des 40ten „Geburtstags“) mit mehreren Stücken von Please Don’t Touch gewünscht, so hat z.B. Narnia gefehlt und natürlich kann dieses Konzept der „zwei Shows“ ermüden. Das schrieb ich auch zur Berlin-Show vor einem Jahr. Nur habe ich in den USA sehen gelernt, wie sehr die Fans es genauso wollen. Wir dürsten doch alle nach Genesis-Musik auf der Bühne, pilgern zu Cover-Bands (apropos: Muss ich jetzt noch zu The Musical Box im Herbst?) und saugen jedes Gerücht über eine Reunion in uns auf. Steve Hackett hört auf seine Fans – clever, weil es ihm Einnahmen bringt, aber auch mit Liebe zu dieser, seiner (Mit-) Musik, die er uns in fast dreistündigen Konzerten nahebringt. Dafür gebührt ihm mein Respekt und tiefer Dank.

Hej, eh ich’s vergesse: Happy Birthday Steve – nachträglich! See You in October in London!

Nachbemerkung:

Nun, geneigter Leser / Fan / Enthusiast, hat es Dir gefallen? Wollen wir dem Autor dieser Zeilen die verständnisvolle Gnade, die wir einem Kinde, das im Spiel Unsinn angestellt hat, zugestehen, auch zukommen lassen? Sag ja und vergiss das Gebot „Please Don’t Touch“….

Anmerkungen:
*1: aus: Steve Hackett: How Can I?
*2: https://www.expedia.de/Philadelphia-Hotels-Apple-Hostels.h8120372.Hotel-Beschreibung
*3: https://en.wikipedia.org/wiki/Collingswood,_New_Jersey
*4: http://scottishriteauditorium.com/
*5: http://freimaurer-wiki.de/index.php/Schottischer_Ritus
*6: https://www.kaipa.info/ und https://www.derhoerspiegel.de/portal/interview/musiker/kaipa-da-capo-tour-2017

Autor: Thomas Jesse
Fotos: Michael Aarons & Cathy Poulton