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Steve Hackett – A Midsummer Night’s Dream – Rezension
1997 veröffentlichte Steve Hackett über das EMI Classic Label eine Vertonung von Shakespeare’s A Midsummer Nights Dream. Bernd Vormwald bringt euch das Werk und seine Hintergründe näher.
Anno 1595/96 schrieb William Shakespeare sein Theaterstück A Midsummer Night’s Dream, vermutlich anlässlich einer Hochzeit in Adelskreisen. Genau 400 Jahre später ist es kein Geringerer als Steve Hackett, der zu diesem Werk eine Art akustisches Bilderbuch abliefert. Hackett ist beileibe nicht der erste Künstler, der sich von Shakespeares Fünfakter inspirieren ließ; stellvertretend für alle seien Carl Orff und Woody Allen genannt. Orff brachte zwischen 1917 und 1967 gleich sechs komponistische Versionen zu Papier und Ohr, Allen drehte 1982 seinen Spielfilm A Midsummer Night’s Sex Comedy.
Um ein tieferes Verständnis für das neue Hackett-Album zu erlangen, ist es hilfreich, die Shakespearsche Vorlage zu kennen. Das Theaterstück spielt an vier Tagen in zwei Welten, der Welt des Tages und der Welt der Nacht/des Waldes. In der Welt des Tages spielt die Rahmenhandlung um den Herrscher Theseus und seine Verlobte Hippolyta. Am athenischem Hof des Rationalisten Theseus herrscht eine starre Gesellschaftsordnung mit klaren Gesetzen und einer festen sozialen Hierarchie. Die Welt der Nacht/des Waldes ist wesentlich komplexer und irrationaler. In dieser Welt tummeln sich die vier Liebenden (Lysander, Demetrius, Hermia, Helena), die sechs Handwerker, die unbeobachtet ein Theaterstück einstudieren wollen (z. B. Weber Nick Bottom) und last but not least die Elfen, die unsichtbaren Feld-, Wald- und Wiesengeister (Oberon, Titania, Puck, Peaseblossom, Cobweb, Moth, Mustardseed u. A.).
Hinterließ das Album Genesis Revisited bei vielen Zuhörern noch zwiespältige Eindrücke, darf man bei A Midsummer Night’s Dream (Hackett: „Die anspruchvollste Musik, die ich für Gitarre und Orchester geschrieben habe“) einheitlichere, positive Urteile erwarten. Das dtv-Lexikon beschreibt Shakespeares Stück als Verbindung von Zauber, Witz, Ironie und romantischem Gefühl. Treffender könnte ein Kurzurteil über Hacketts gekonnte musikalische Umsetzung auch nicht ausfallen. Es gelingt ihm die Atmosphäre einzufangen, die eine Johannisnacht (= midsummer night) im 16. Jahrhundert mit Volksbräuchen, Aberglauben, Magie, Spuk, Ausgelassenheit und Verzauberung verbreitete. Hauptinstrument ist die akustische Gitarre, unterstützt durch ein Orchester unter der Leitung von Hacketts Cousin Matt Dunkley. Die Arrangements stammen jedoch diesmal aus der Feder von Steve Hackett und Roger King, der In The Beached Margent Of The Sea mitkomponierte und bei Celebration die Orgel spielt. Sporadisch kommt auch Steves Bruder John flötistisch zum Einsatz und das Cover, Titania Awakes, stammt wie immer von Kim Poor.
• The Palace Of Theseus
Ort der Handlung der ersten Szene des ersten Aktes ist der Palast von Theseus, der von Hackett im Wechselspiel mit dem Orchester majestätisch beschrieben wird.
• A Form In Wax
(siehe Shakespear, 1. Akt, 1. Szene, Zeile 49)
Hermia liebt Lysander, Hermias Vater Egeus hat jedoch Demetrius für Hermia ausgewählt und sucht/findet im alten Recht Athens, in personam Theseus, Rechtfertigung für sein Einmischen in Hermias Leben. Laut Theseus steht es Egeus frei, was er mit seiner Tochter macht, sie ist nur eine Form aus Wachs. Egeus kann diese Form gottgleich prägen oder einschmelzen. Nach dem elegischen Orchestereinstieg und sanfter, gitarristischer Weiterführung steigert sich A Form In Wax zu einem grandiosen, hektischen Höhepunkt um wieder elegisch zu enden. Die Wehmut am Anfang und Ende des Stücks beschreibt wohl die Gefühle Hermias, der hektische Teil ließe ich als Auflehnung gegen die freiheitsfeindlichen etablierten Werte und Gesetze interpretieren, die in Theseus‘ unbarmherzigem Richterspruch deutlich werden.
• By Paved Fountain
Wir befinden un in der Welt des Waldes: Ehekrach bei Elfenkönig Oberon und seiner Königin Titania. Oberon und Titania beschuldigen sich gegenseitig ein Verhältnis mit Theseus bzw. Hippolyta gehabt zu haben. Das zärtlichtraurige Gitarrenstück ist dem Hackett-geneigten Hörer bereits als Beja Flor von der Live-CD There Are Many Sides To The Night vertraut. Die Tremolofingertechnik wurde von Hackett schon häufiger verwendet, z. B. bei Black Light, When The Bell Breaks oder Pierrot.
• Titania
Hackett widmet der Elfenkönigin ein eigenes Gitarrenstück, das jedoch nicht ganz den positiven Charakter einfängt/ den Shakespeare ihr gab.
• Set Your Heart At Rest
(II, 1, 122)
Oberon ist scharf auf Titanias „Indian Boy“, einem Kind das sie nach dem Tod seiner leiblichen Mutter in Obhut genommen hat. Oberon möchte den Buben als Knappen, Titania erwidert mit Nachdruck: „Set your heart at rest!“ – „Schlag’s dir aus dem Kopf!“ Mit verhaltenen, traurigen Gitarrenklängen scheint Hackett die Gefühle der „Adoptivmutter“ Titania zu beschreiben. Das Stück endet mit einer kurzen, angefügten Orchesterpassage.
• Oberon
Oberon wird von Hackett mit lebhaften Gitarrenklängen versehen – eine treffende Beschreibung des Elfenkönigs, der bei alledem, was er mit seinem Adjutanten Puck ausheckt eigentlich jederzeit von einem positiven Charakter geleitet wird. Lediglich das letztlich erfolgreiche, egoistische Trachten nach Titanias „Indian Boy“ muss man ihm negativ anlasten.
• Within This Wood
(II, 1, 138 und II, 1, 192)
Within This Wood ist eine sperrig-spröde musikalische Beschreibung des zweiten Haupthandlungsortes/ inklusive von Hackett auf der Gitarre imitierten „Kuckuck, Kuckuck“-Rufen.
• In The Beached Margent Of The Sea
Dieses orchesterlastige, filmmusikartige Stück aus der Feder Hackett/King macht Appetit auf weitere gemeinsame Werke der Beiden. Die Assoziation zum Duo Anthony Phillips/Harry Williamson (Tarka) liegt nahe.
• Between The Cold Moon & The Earth
(II, 1, 156)
Oberon erzählt seinem Adjutanten Puck, dass er Amor auf seinem Flug durch die Kälte zwischen Mond und Erde beobachtet habe. Einer seiner Liebespfeile habe sein Ziel verfehlt und statt dessen eine kleine Blume getroffen, deren Saft aufs Augenlid eines Lebewesens getropft seither ganz wundersame Dinge vollbringe: Wenn der/die Beträufelte erwacht müsse er/sie unsterblich das Wesen lieben, welches er/sie nach dem Erwachen als Erstes erblickt. Puck erhält den Auftrag diese Blume zu finden, denn Oberon hat einen Plan bezüglich Titanias „Indian Boy“ ausgeheckt und auch sonst noch Einiges mit dem „Liebeszaubersaft“ vor. Die romantische Musik schildert mit Gitarre und Orchester wohl den erwähnten Flug Amors.
• Puck
Das Stück Puck klingt aus zweierlei Gründen vertraut: Erstens beginnt es mit Horizons-artigen Flageolett-Tönen, und zweitens erklang es bereits als Bacchus auf There Are Many Sides To The Night und als Baroque bei früheren Hackett-Konzerten. Puck läßt sich mit vielerlei Beinamen charakterisieren. Puck, eine Art „Harald Schmidt der Elfenwelt“, ist ein Hausgeist der englischen Folklore, dessen Spezialität allerlei Schabernack um Haus und Hof herum ist. Hackett erfasst Puck mit einem quirligen, geheimnisvollen Gitarrenstück sehr treffend.
• Helena
Das sensible Wesen der liebessehnsüchtigen Helena, die im Laufe der Handlung von allen möglichen Liebesirrungen und -wirrungen gebeutelt wird, wird von Hackett weitestgehend sologitarristisch treffend dargestellt.
• Peaseblossom, Cobweb, Moth & Mustardseed
Nachdem Oberon Titanias Augen mit dem (III, 1, 150) liebesrasend machenden Blumensaft benetzt hatte, wachte sie auf und erblickte den Weber Bottom, der kurz vorher von Puck mit einem Eselskopf versehen wurde. Titania gibt Bottom die Elfen Bohnenblüte, Spinnweb, Motte & Senfsamen, die seinerzeit alle catweazleartig zu Heilzwecken verwendet wurden zur Bedienung. Da Stück beginnt mit ein paar Flötentönen von John Hackett. Bruder Steve legt daraufhin mit hektischer Virtuosität los, übergehend in einige Akustikgitarren-Effektspielereien inklusive The Colony Of Slippermen-Zitat! Nach weiteren Kostproben klangmalerischer Gitarrenkunst folgt ein kurzes, rhythmisches Clocks-Zitat. Anschließend wird es virtuos-melodiös. Dieses Stück, in dem sich eine Gliederung in vier Teile erkennen lässt, klingt insgesamt wie sein Titel: eigenwillig bizarr.
• Mountains Turned Into Clouds
(IV, 1, 187)
Im vierten Akt des Shakespearschen Werkes finden die Ereignisse der Nacht ihren Schlusspunkt. Oberon hat sich von Titania den „Indian Boy“ ergattert und sie von ihrem Liebesleiden bezüglich Weber Bottom erlöst. Theseus begibt sich mit seiner Gefolgschaft auf die Jagd, wo sie die vier Liebenden schlafend im Wald vorfinden. Theseus entdeckt, wohl ob des friedvollen Anblicks, sein Herz und ruft, die Einwände von Hermias Vater abweisend, ein dreifaches Hochzeitsfest aus. Demetrius ist verblüfft über Theseus‘ Sinneswandel, der die alten Gesetze über Bord wirft und beschließt gleichzeitig, die Ereignisse der Nacht, die an Bedeutung verlieren, obwohl sie natürlich die weitere Realität der Betroffenen maßgeblich beeinflussen: „Dies alles scheint so klein und unerkennbar wie ferne Berge, die zu Wolken werden.“ Wie krückenhaft doch Worte sind, um mit ihnen Musik zu beschreiben zeigt sich bei diesem reinen Orchesterstück. Tip: Einfach nur zuhören – grandios!
• The Lunatic, The Lover & The Poet
(V, 1, 7)
Theseus glaubt nach wie vor nicht an die Wahrheiten der Verrückten, der Dichter und der Liebenden, tut sich im Gegensatz zu seiner Gattin Hippolyta schwer mit dem Irrationalen, dem Feenzauber. Theseus tut die Vorstellungskraft der drei Genannten als reine Gaukelei ab, erkennt nicht, dass das Seltsame doch einen Sinn hat. Nach dem Orchestereinstieg mit Flöte widmet Hackett den Dreien ein dreivierteltaktiges Gitarrenstück.
• Starlight
Tiefe, mystische Flötenklänge münden in ein traumhaftromantisches, entspanntes und entspannendes Stück Musik, dessen Thema sich bereits beim ersten Anhören als Ohrwurm erweist. Hätte derlei Musik den Hauch einer Chance in irgendwelche Charts zu kommen, böte sich Starlight als Singleauskopplung an.
• Lysander And Demetrius
Nach erneutem flötenorchestralem Intro widmet Hackett den beiden Jünglingen, die nach diversen Irrungen und Wirrungen doch in den Hafen des Glücks fanden – ein abwechslungsreiches Gitarrenstück, das ihre Charaktere und Auseinandersetzung beschreibt.
• Celebration
Die strengen Gesetze sind aufgehoben, die vier jungen Liebenden sind am Ziel und eine neue Ordnung hält Einzug – ein Grund zum Feiern, auch für Hackett und seine musikalischen Mitstreiter, die in Celebration noch einmal alles geben (so z. B. Roger King, der in die Tasten der Kirchenorgel von St. Simon Zelotes, Chelsea, greift, dass es eine Freude ist). Diverse musikalische Themen von A Midsummer Night’s Dream werden noch einmal zitiert. Mit dieser Mischung aus Fanfare, Hymne und Ouvertüre setzt Hackett im Grunde den eigentlichen Schlusspunkt unter ein bemerkenswertes Album.
• All Is Mended
(V, 1, 411)
Im Shakespearschen Original wendet sich Puck noch einmal abschließend ans Publikum. Steve Hackett verabschiedet sich mit einer Art kleinem, musikalischem Epilog, der als End Of Day bereits den Schlusspunkt unter das Live-Album There Are Many Sides To The Night setzte.
Autor: Bernd Vormwald 1997
Anmerkung: Einige der analytischen Anmerkungen und Interpretationen sind dem Buch Ein Sommernachtstraum (dtv Klassik 2355) entnommen. Vielen Dank an Frank Günther (Übersetzer) und Sonja Fielitz (Essay-Autorin).