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Steve Hackett – A Genesis In My Bed: The Autobiography – Rezension
Auch Steve Hackett veröffentlichte im Sommer 2020 seine eigene Autobiografie. Siegfried Göllner hat sie für euch gelesen und bewertet.
Nach Mike Rutherford mit The Living Years und Phil Collins mit Not Dead Yet ist Steve Hackett nun der Dritte des ‚klassischen‘ Genesis-Line-Ups, der seine Autobiographie vorlegt. So unterschiedlich wie die drei Charaktere sind auch ihre Zugänge zu diesem Genre. Bei Rutherford der nicht ganz durchgehaltene Versuch, mittels Parallelen und Gegensätzen zur Lebensgeschichte seines Vaters eine Art Generationengeschichte zu erzählen, bei Collins eine (beinahe) schonungslose Lebensbeichte. Hackett, der sich keines Ghostwriters bedient hat, nimmt uns in A Genesis In My Bed (der Titel wird im Buch aufgeklärt) mit auf eine durchkomponierte Reise durch spirituelle und musikalische Inspirationen von seiner Jugend bis in die unmittelbare Gegenwart.
Wer Steve in Interviews gerne zuhört, wird die Lektüre besonders genießen, es ist als sitze er dem/der Lesenden gegenüber und erzähle von den alten Zeiten. Wie in seinen Songtexten bedient er sich einer metaphernreichen Sprache, humorvoll, eloquent, jedoch niemals überkandidelt. Das gilt besonders für die Kapitel über seine Kindheit und Jugend, wenig verwunderlich, sind doch die frühesten Erinnerungen der meisten Menschen recht bildhaft. Die Zeit des Aufwachsens und der Sozialisierung bilden einen Schwerpunkt des gerade einmal 167 Seiten (Anhang und Fotostrecke nicht mitgezählt) schmalen Buches.
Die Passagen über die (seit 1974 geschlossene) Battersea funfair auf dem Gelände westlich der durch Pink Floyd berühmt gewordenen Battersea Power Station erschließen uns Hacketts Hang zu einer Geräuschwelt, wie er sie bis heute gerne auf seinen Alben verwertet. Der Park, den er mit The Wheel’s Turning auf dem Album Wolflight verewigt hat, bot in seiner Kindheit den Kontrast zum dunklen Alltag im smogbelasteten London mit noch vielen zerbombten Häusern und den noch dunkleren Erfahrungen in den repressiven Schulen. Gerade in diesen Passagen über seine Kindheit und Jugend ist es reizvoll, dass Steve immer wieder auf Songs – auch relativ rezente – verweist, die durch diese oder jene Begebenheit, eine Person, ein Gefühl oder eine Erinnerung inspiriert wurden, hier bietet sich so manches Aha-Erlebnis.
In den späteren Kapiteln werden die Metaphern spärlicher, auch wenn er seinen Einstieg bei Genesis – vor allem auf Grund des völlig anderen Backgrounds von Banks, Gabriel und Rutherford – als Mission zum Mars bezeichnet. Die Selbstzweifel, die er beim Einstieg hatte – beinahe hätte er es sich anders überlegt! – sind ebenso wie sein Ringen um Anerkennung ein wiederkehrendes Motiv.
In Fankreisen wurde in diesem Zusammenhang ja immer ein besonders belastetes Verhältnis zu Tony Banks vermutet. Damit muss nach der Lektüre wohl ein wenig aufgeräumt werden. So findet Steve nicht nur wertschätzende Worte für alle Bandkollegen (für einen etwas weniger), auch vom Kampf Gitarre gegen Keyboards ist wenig zu lesen. Im Gegenteil, Hackett sieht sich selbst als Verfechter der möglichst originellen und wuchtigen Sounds und als treibende Kraft hinter der Aufstockung von Tonys Tasten-Arsenal, als Bestärker der Experimentierfreudigkeit – das ist ja auch etwas, das sein Solowerk auszeichnet. An manchen Stellen könnte der Eindruck entstehen, dass er seine Rolle überschätzt bzw. seinen Beitrag übertrieben darstellt – das relativiert sich sofort, als er klar darlegt, wann er sich tatsächlich selbst mit eigenem Material vorwagte, statt ’nur‘ Interpretationen und Verziehrungen einzuwerfen.
Wir erfahren einiges über das Gleichgewicht in der Band, verschiedene Allianzen und den wachsenden Drang von Steve nach Unabhängigkeit und zu eigenen Entscheidungen. Obwohl er im Rückblick einräumt, dass er seine Solokarriere ab einem etwas späteren Zeitpunkt wohl problemlos auch als Bandmitglied hätte fortführen können, macht er deutlich, weder die Entscheidung zum Ausstieg zu bereuen, noch scheint er nachtragend gegenüber den Kollegen. Einzig die Rolle eines einstigen Mitstreiters bei der Endabnahme der TV-Doku Sum Of The Parts scheint Steve nach wie vor sauer aufzustoßen. Es ist derselbe, der seine Meinung über Steves Soloaktivitäten geändert hatte.
Viele werden von der Kürze des Buches auf den ersten Blick eventuell enttäuscht sein. Auf Seite 57 sind wir bei Steves Einstieg bei Genesis angekommen, auf 112 ist er schon wieder draußen. Gegen Ende hin nimmt die Erzählung nochmals deutlich an Fahrt auf, die Zeit ab der Veröffentlichung von Highly Strung bis heute – fast 40 Jahre – wird auf 30 Seiten abgehandelt. Hier legt Steve einen Sprint hin, der aus mancher Sicht verständlich ist, es waren weder seine formativen Jahre, noch (bis etwa zur Jahrtausendwende) Jahre besonderen künstlerischen oder kommerziellen Erfolgs, obwohl er sich in vielen verschiedenen Stilen nun erst richtig ausprobierte. Aber es waren auch Jahre persönlicher Krisen und Selbstzweifel, man erfährt auch Hintergründe seines zunehmenden Rückzugs besonders in den 1990ern, aber auch von einer erstaunlichen spirituellen Begabung, so dass man sich wünscht, er möge es doch bei Phil mit Handauflegen versuchen. Lediglich auf den letzten Seiten leidet der Erzählstil ein wenig unter dem sympathischen Zug des Autors, alle seine Mitstreiter zu würdigen.
Auslassungen sind bei dem Tempo, mit dem uns Steve durch seine Geschichte führt, dennoch eine logische Folge. Und tatsächlich erfahren wir nicht jeden Konflikt, nicht jedes Tüfteln um diesen oder jenen Song. Auch Kim Poor spielte sicherlich eine größere Rolle in seinem Leben, als ihr Steve in diesem Buch zumisst. Mache hätten vielleicht gerne (noch) mehr Anekdoten über gestohlenes Equipment, Nervenzusammenbrüche und Groupies, die eine oder andere Alkohol- und Drogeneskapade gelesen… Das alles wäre Geschmackssache. Was ausgelassen wird, wird wohl mit guten Gründen ausgelassen. In diesem Sinne wäre auch eine Gegenüberstellung mit früheren Aussagen nicht zielführend: Erinnerungen und Einschätzungen ändern sich im Laufe der Jahre. Hackett scheint an einem Punkt im Leben angelangt, an dem er abgeklärt und zufrieden zurückblicken kann. Nur ein Labelboss, Musikkritiker und Punk kommen nicht gut weg.
A Genesis In My Bedist kein erschöpfendes Nachschlagewerk – obwohl das lobenswerte Register (Personen, Orte, Songtitel) die Möglichkeit dazu bietet – sondern eine äußerst kurzweilige, in einem Rutsch bewältigbare flüssige Erzählung. Es ist Steve Hacketts Geschichte und man hat nach der Lektüre das Gefühl ihn besser zu kennen, zu verstehen, was ihn antreibt, was ihm wichtig ist. Was kann man mehr erwarten?
Autor: Siegfried Göllner