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Secret World Project (Peter Gabriel Tribute Album) – Rezension
Das polnische Tribute Projekt um Piotr Grausch ist dem Klassik-Genre zuzuordnen. Das Projekt macht nicht nur durch die Auswahl der Tracks auf sich aufmerksam. Thomas Jesse hat reingehört.
Vorbemerkung:
The Secret World – Eintauchen in die geheime Welt des Musikers Peter Gabriel. Nichts Geringeres hat das polnische Musikprojekt gleichen Namens mit ihrer Interpretation von Songs des Künstlers vor. Es möchte mit teils minimalistischer, teils symphonischer Musik eine Reise in die von Gefühlen, Atmosphären, Bildern geprägten Klanglandschaften Gabriels antreten und die Zuhörerinnen und Zuhörer dabei mitnehmen.
Hintergrund / Albumtitel:
Piotr Grausch ist der Mastermind hinter dem Projekt. Schon in jungen Jahren war er fasziniert von Peter Gabriels Musik und wollte immer mal Stücke von ihm nur auf Piano interpretiert hören. Er ist Bauunternehmer und hat eine Stiftung zur Kulturförderung (DIFA) gegründet. Die DIFA ermöglichte es ein Konzept u.a. zur Finanzierung des Projekts zu erstellen. Als es an die Realisierung von Piotrs Traum ging, gesellten sich neben dem Pianisten Szymon Siwierski immer mehr Musikerinnen und Musiker dazu. Die Idee einer kollektiven Zusammenarbeit war geboren. Wenn man schon nicht mehr nur als Solist musizieren sollte, warum nicht die entstehende Musik auch gleich in aufwendiger grafischer Gestaltung auf Tonträger veröffentlichen?
Piotr Grausch gilt als ruhiger, introvertierter Mensch. So kann es kein Zufall sein, dass er sich diesen Titel ausgesucht hat. Auch die Wahl der Stücke spiegelt sich darin wider. Um die Songs Here Comes The Flood und Mercy Street herum wurden eher unbekanntere Stücke aus Peter Gabriels Oeuvre ausgewählt. Lieder, die auch im Original z. T. Instrumentals sind. So stammen einige aus den Filmmusiken zu Birdy und Passion.
Ach, erwähnt wurde noch gar nicht, dass auf Gesang gänzlich verzichtet wird.
Covergestaltung:
Kühle, einsame, nordische Landschaften zeugen von traumartigen dunklen Seelentiefen. Durchbrochen werden sie von transparenten Kuben. In diesen Würfeln leuchtet es mal strahlend gelb, mal erotisch rot, aber auch schwarz wie ein Stück Kohle, oder weiß wie Watte oder Schnee. Man erkennt schemenhafte Gestalten, taucht ab in Welten, die in Welten liegen, die …
Das sind atemberaubenden Fotografien, die die Stücke kongenial begleiten. Die Musik in Verbund mit ihnen könnte eine Installation, eine Ausstellung zum Highlight machen. Brian Enos Ambient-Video-Installationen kommen dem Rezensenten dabei in den Sinn. Er wünscht sich eine Vinyl-Ausgabe mit größerem Booklet.
Musikerinnen und Musiker:
Szymon Siwierski: grand piano, synths
Patryk Rynkiewicz: trumpet
Agnieszka Kowalczyk: cello
Piotr Jaraszkiewicz: drums
Maciej Pruchniewicz: guitars
Marcin Pater: vibraphone
Paulina Frackowiak: bass
Piotr Jaraszkiewicz: drums
Jakub Mizeracki: guitars
Adam Fordon: drums
Agnieszka Kowalczyk: cello
Mieszko Nowacki: handpan
Katarzyna Fiebiger: crystal harp
Songs:
Start 1:25
Welch ein bizarrer Beginn! Im Original auf PG III leitet das fragmentartige Stück als Saxophon-Solo auf Synthesizerteppichen I Don’t Remember ein, oder doch nicht? Ist es nicht eher ein für sich allein stehendes kurzes musikalisches Fragment? Hier wird daraus ein ebenso kurzes Cello-Solo-Stück. Es ist von wunderschöner Schwermut getragen. Besticht das Original noch durch das fetzige Saxophon mit extrovertierter Jazzigkeit, so ist es hier von magischer Suggestivkraft. Wie gebannt werden wir in die geheime Welt gezogen …
Here Comes The Flood 5:02
… um die Flut über uns zusammenschlagen zu lassen. Klavier, Cello, ein gestreicheltes Schlagzeug und eine wundervolle Trompete, die den Gesangspart übernimmt, fließen dahin. Die Melodie wird fast unerträglich schön in die Länge gezogen bis sie sich in einem Crescendo austobt, um sanft zu vergehen.
Mercy Street 4:00
Ein seicht schwebendes Piano singt die Melodie in hohen Tönen, die etwas Überirdisches haben. Eine Trompete setzt hauchend ein. Das Cello steigert die Musik in ferne und doch nahe (Innen-) Welten. Hier wird unglaublich schön das Leid Anne Sextons, ihre Einsamkeit, ihre Verzweiflung interpretiert. Der Rezensent liebt das Original und nun gesellt sich eine ihn zu Tränen rührende Alternative hinzu – ein Highlight!
With This Love 4:01
Regentropfen gleich perlt das Piano, das Cello beginnt die Melodie zu zelebrieren, das Piano unterstützt. Ist das Original von Passion schon von einer (an)klagenden Traurigkeit, stürzt uns diese Version in tiefe Verzweiflung, die sich ab Minute 3:33 in einem tiefen Schrei entlädt. Das ist moderne, fast minimalistische Kammermusik.
Wallflower 3:48
Der Song von PG IV ist in seiner naiv einfachen Soundmalerei berührend schön. Ja, das Piano nimmt diese zerbrechlich spröde Schönheit auf. Das Cello singt die Hymne an die Entrechteten. Gemeinsam lassen sie die Musik als Anklage gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt sprechen.
Lead A Normal Life 4:51
Wir begeben uns zurück zu PG III, dem Album mit dem Peters Klangspielereien begannen. Das Original zeichnet sich durch stakkatoartige Tupfer des Vibraphons aus. Synthesizer und verzerrte Stimmen lassen den Wahnsinn erwachen. Hier wird das Intro von einem Klavier übernommen, das von Cello und einer wunderbar jazzigen Gitarre begleitet wird. Da, endlich kommen die Vibraphontupfer, aber höher gestimmt. Der Interpretation mag zunächst der Drive des Originals fehlen, doch mit zunehmender Dauer wird herrlich gejazzt. Eine fantastische Soundcollage explodiert zum Ende förmlich. Das könnte auch aus einem ECM – Album stammen. Ein weiteres Highlight!
Love To Be Loved 4:14
Der Weg führt uns zu US. Impressionistische Sounds, von Keyboards und Gitarre erzeugt, beruhigen den Zuhörer bzw. die Zuhörerin. Ein softes Schlagzeug führt uns in die Melodie. Das Stück bekommt nun einen herrlich jazzigen Drive. Die Melodie dient jedoch nur als Grundlage um jazzige Ausflüge von Gitarre und Piano zu ermöglichen. Mit einem Augenzwinkern wird dieses „Therapiestück“ von US sehr frei interpretiert – einfach cool.
Slow Marimbas 3:38
Das ambientartige Stück stammt ursprünglich vom Birdy-Soundtrack. Diese Interpretation ist ähnlich schwebend. Die Marimba wird von einer Handpan (ein Blechklanginstrument) ersetzt.
Hier bleibt das Secret World Project ganz dicht am Original.
Soft Dog 5:24
Das Lied ist die B-Seite der Single Shock The Monkey. Ist das Original schon skurril (eine Art Basslinie um die sich merkwürdige Vocals, Synthesizerteppiche, Saxophonausbrüche und Geräusche gruppieren), so ist es diese Version erst recht. Auch hier sind die Instrumente verzerrt, die Basslinie übernimmt eine schräge Gitarre, über die eine Klarinette musiziert. Das Schlagzeug treibt das Stück an bis sich alles ins Chaos stürzt. Mhm, ist das Freejazz mit Klezmer – und Metalanklängen?
Of These, Hope 4:51
Neun Musikerinnen und Musiker spielen nun zusammen, um das fantastische Stück von Passion in einem dichten, großen symphonischen romantischen filmmusikalischen Meisterwerk erklingen zu lassen. Ein Pianosolo verschafft kurz Luft, ehe die Trompete zum Grande Final ruft. Ein E-Gitarren-Solo lässt es proggig enden. Das dritte Highlight.
Der würdige Abschluss des Albums? Mitnichten, denn wir haben da noch die B-Seite der Single Big Time…
Curtains 1:28
Das Original ist ein leider kaum bekanntes ruhiges meditatives Lied mit kaum hörbarem Gesang von Peter. Diese Version betört mit einem dahingehauchten Piano, das einen kurzen Epilog des Albums bildet und den Kreis schließt.
Zusammenfassung
Im Booklet wird Peter Gabriel zitiert:
„I love music that takes me to the unknown.“
Dieses Motto haben The Secret World Project erfüllt. Sie führen die Zuhörerinnen und zuhörer sowohl mit der Auswahl als auch der Interpretation der Stücke ins Unbekannte. Sie tauchen kongenial in Peters geheime Welt ein und erschaffen daraus sogar eine neue. Ihre Spannbreite reicht von Kammermusik über Jazz, Rock zu Ambient. Beginnt das Album erst verhalten, geradezu minimalistisch, steigert es sich bis zur symphonischen Hymne Of These, Hope, um mit Curtains wieder minimalistisch auszuklingen.
Diese dichte intensive Musik zwingt uns zum konzentrierten (zu)hören. Wenn man sich darauf einlässt, verbreitet sie eine hypnotische Kraft, die einen in ein sagenhaftes unbekanntes Land zieht – das der Musik.
Eine kritische Anmerkung zum Schluss sei gestattet. Die komplexe Musik und die Auswahl der Stücke wird den Kreis der Interessierten einschränken und zwar in den der Peter Gabriel Nerds und Liebhaberinnen und Liebhaber ernster Musik im Stil von Johann Johannson oder den „Ambient-Jazz“-Alben des ECM Labels. Vielleicht möchte das Project aber eben nur die ansprechen?
Autor: Thomas Jesse
Das Album Secret World Project bekommt ihr in Deutschland als klares Vinyl und CD bei JustForKicks.
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