- Artikel
- Lesezeit ca. 3 Minuten
Richard Macphail – Private Tales & Stories (6)
Im sechsten Teil der Erzählungen von Richard Macphail erläutert er, wie Genesis eine fertige Band wurden.
(aus it-Magazin #19, Juni 1996)
Der Genesis-Sound live und im Studio
Richard: „Meiner Meinung nach ließ die Produktion von Trespass und Nursery Cryme einiges zu wünschen übrig. Man fing nicht ganz das ein, was meiner Ansicht nach die Band ausmachte. Die Musik war zwar da, aber ich fühlte bei der Studioaufnahme deutlich den Verlust an Power. Die Liveauftritte strahlten eine unglaubliche Energie aus, von der bei den Alben nicht mehr viel zu spüren war. Anscheinend war der Sound von Genesis schwierig einzufangen, und die Technik hatte damals sicher auch noch ihre Grenzen. Wie auch immer, bei Foxtrot fühlte ich zum ersten Mal, dass etwas davon auf dem Album enthalten war, insbesondere bei Supper’s Ready.“
Supper’s Ready
Richard: „Eine ganze Zeit lang hörten wir uns Supper’s Ready jeden Tag an. Sicherlich macht der Maßstab des Werkes es zu etwas Besonderem. Es ist fast wie die Bibel, ein wenig wie die ganze Geschichte. Das fängt mit diesem merkwürdigen Traum an, über den Peter erzählt – eine Art Beginn. Dann geht es durch all diese Dinge, all diese Schlachten – Peter hatte die Vision von dem ganzen Stück, die Idee, was daraus werden könnte. Die anderen haben ganz klar auch daran mitgewirkt, und es gibt wunderbare Passagen, aus rein musikalischer Sicht, wie den phantastischen Rhythmus, die Stimmungswechsel und dergleichen. Aber ich erinnere mich an ein Interview zu Star Wars, das mit einigen der Schauspieler des Films geführt wurde. Sie drehten Tag für Tag, hatten aber keine Vorstellung, was sie da taten. Eine Menge wurde danach mit Spezial-Effekten bearbeitet, und erst als sie den Film im Endprodukt sahen, erkannten sie, was es tatsächlich war. Ich glaube, dass es einigen der anderen Bandmitglieder mit Supper?s Ready fast ähnlich erging. Tagtäglich arbeiteten sie daran, die einzelnen Teile zusammenzufügen. Sie schrieben eine Sequenz und fügten sie mit einer anderen zusammen. Schließlich nahmen sie alles auf, und erst danach spielten sie es auch live. Das Stück ist eine jener künstlerischen Schöpfungen, die man nicht so einfach erklären kann. Es kamen viele Dinge zusammen. Die Fans würden Supper’s Ready nicht allein nur wegen seiner Länge mögen oder wegen der Melodien. Es steckt sicher etwas mehr dahinter. Ich würde sagen, Peter hat es fertiggebracht, so etwas wie die Essenz des Erwachsenwerdens einzufangen. Es handelt von dem Prozess, dem Lebensabschnitt, in dem er sich gerade selbst befand: erwachsen zu werden, das erste Mal mit einer Frau auszugehen etc. Ich denke, es fängt etwas von dem Wandel vom Jungen zum Mann ein, und darum hat das Stück auch diese Wirkung.“
Widmung auf dem LP-Cover von Genesis – Live: „This album is dedicated to Richard Macphail who left April, 1973.“
Richard: „Als ich Supper’s Ready hörte, fühlte ich, dass das der Punkt war, an dem mein Job erledigt war. In dem Moment, als der Song fertig und auf einem Album erschienen war, wusste ich, dass, selbst wenn die komplette Band am nächsten Tag vom Bus überfahren worden wäre, wenigstens dieses Stück weiterexistieren würde, um ihr wahres Können zu dokumentieren. Für mich war es ein Meilenstein, der das Ende einer Ära markierte: diese ganze Entwicklungsphase von Charterhouse über das Cottage bis hin zu den Alben. Mit Foxtrot hatte Genesis eine gewisse Plattform erreicht. Obwohl der Höhenflug sich später noch fortsetzen sollte, war ich mir sicher, dass sie nun auf sicheren Füßen standen. Ich war sehr damit zufrieden, dass sie etwas produziert hatten, was die Band wirklich widerspiegelte. Ich glaube, ich begann damit auch zu erkennen, dass ich diesen Job nicht bis an mein Lebensende machen würde. Es zog mich zu anderen Aufgaben hin, und ich wußte, dass das nicht das Aus für Genesis bedeuten würde. Bis dahin hatte ich das Gefühl, dass, wenn ich früher ausgestiegen wäre, ich die Verantwortung zu tragen hätte, falls Genesis danach nicht weitermachen würden. Also beschloss ich 1973 die Band zu verlassen. Es gab mehrere Gründe dafür, der wichtigste aber war, dass ich einfach etwas anderes machen, neue Dinge ausprobieren und mehr Freiheit haben wollte. Es war das erste Mal, dass ich die Band verließ – aber ich sollte wiederkommen.“
… weiter zu Teil 7