- Artikel
- Lesezeit ca. 5 Minuten
Ray Wilson – The Next Best Thing – Rezension (2004)
Rays zweites Soloalbum erschien etwa 15 Monate nach seinem Debüt Change. The Next Best Thing wurde ein anderes Album – Christian Gerhardts hat es für euch angehört.
Zu Beginn des Jahres 2003 überraschte Ray Wilson mit Change, einem durch und durch melodiösen Akustik-Album. Viele gute Melodien reihten sich aneinander, das Album stand ganz im Zeichen seiner Live & Acoustic-Spaßtour. Viele hatten nach seinem Ende bei Genesis mit einer Weiterentwicklung des Cut-Sounds gerechnet, doch Ray hatte andere Dinge im Sinn. Mit Change gelang ihm auch ein Achtungserfolg, der Titelsong genoss erfreulich viel Airplay, das Album kam in die deutschen Charts. Eine gute Basis also für eine Solokarriere.
Doch das ist vorbei, direkt nach der Bandtour im vergangenen Herbst begannen für Ray die Arbeiten an seinem zweiten Solo-Studioalbum. Zwölf Songs zwischen Melancholie und kraftvoller Rockmusik sind dabei herausgekommen.
The Next Best Thing ist weitaus nachdenklicher, als es nach den ersten Hörproben klingt. Vor allem aber ist kein Fast-Food Album, sondern eines, das seine Qualitäten erst nach mehrfachem Hören freilegt.
Eine der zentralsten Veränderungen ist die Hervorhebung von Klavier und Keyboardsounds, für die sich Irvin Duguid verantwortlich zeigt. Duguid hatte vor zehn Jahren bereits mit Stiltskin gespielt, allerdings nur bei den Live-Shows. Stiltskin ist ein Schatten aus Rays Vergangenheit, der ihn noch immer einholt. Sein größter Hit überhaupt, Genesis hin oder her, war bekanntlich
Inside. „Ich will, dass man diesen Song mit mir in Verbindung bringt“, verriet Ray am Rande des RayVent und somit überrascht es dann nicht mehr, dass Inside auf The Next Best Thing zu finden ist. Aus dem gleichen Grund hatte Ray bekanntlich den Cut Song Another Day für Change neu aufgenommen. Wo wir gerade beim Thema sind, auch ein Cut-Song befindet sich auf dem neuen Album. Adolescent Breakdown, eine B-Seite der Another DaySingle, wurde für das neue Album neu eingespielt und ist hier sicher nicht fehl am Platz.
Ray spannt einen Bogen aus erneut einfallsreichen Melodien, diesmal kraftvollem Rock und auch ein bisschen Prog. Interessant: Mit dem Song These Are The Changes lehnt er sich erstmals auch politisch aus dem Fenster. Offenbar soll aus diesem Umstand Kapital geschlagen werden, denn These Are The Changes wurde als Remix als Single veröffentlicht. Gleiches könnte auch mit Inside passieren. Die Neuaufnahme ist solide gemacht, der Song hat nichts an seiner düsteren Kraft verloren und passt tatsächlich gut zum Album. Was passiert, wenn man die Erfahrungen der Acoustic-Tour mit elektrischen Gitarren und intelligentem Gesang kombiniert, kann man bei How High erleben. Qualitativ hochwertig, als Single aber vermutlich eben auch hochwertig ungeeignet.
How High beweist, welche Reife Ray als Musiker mittlerweile hat und gehört zu den absoluten Highlights des Albums. Auf hohem Niveau geht es weiter mit einem verspielten The Fool In Me und
Adolescent Breakdown, das eine wohltuende Frischzellenkur erfahren hat. Beim RayVent stellte Ray fünf neue Songs vor, darunter auch eben How High, das er aber nur einmal spielte und die Ballade
Sometimes, die er an beiden Abenden darbot. Sometimes basiert auf einem Klavier und lebt von Rays anklagender Stimme und ist ein weiterer Beleg dafür, wie gut Ray sich weiterentwickelt hat. Gleiches gilt auch für eine weitere Ballade namens Alone, das zu Beginn fast schon karibisches Sonntagabend Flair versprüht, ehe Ray dem mit den ersten Zeilen „Autumn leaves are falling down“ ein jähes Ende setzt.
Magic Train könnte als Single funktionieren, ist dafür vielleicht jedoch etwas zu verkatert. Auch dieser Song lebt von einer starken Melodie, intelligent arrangiert und kraftvoll umgesetzt. Das Thema des Songs dürfte keinem so richtig unbekannt sein „she said she wanted me, but it might take a little time“, da platzt es dann eben aus einem heraus. Mit ein bisschen Wut im Bauch singt er über die Achterbahnfahrt der Liebe.
The Actor, vielleicht das Highlight des Albums, hat mit Liebe nicht viel zu tun. Es geht um Genesis und die Abrechnung mit dem emotionalen Kahlschlag der Rockmaschine. „I swallow what I want to say…I’m broken up I cannot breathe“ – klare Aussagen eines Mannes der trotz allem gerne Teil dieses, sagen wir: Experiments gewesen ist. Vielleicht hat dieser Song auch geholfen, die Sache endgültig mit einem gewissen Maß an Lockerheit zu betrachten. Beim RayVent kündigte Ray den Song übrigens an als ein Lied über einen Mann, der sein Publikum verloren hat. Bevor der Titelsong als Klangcollage das Album abschließt, gibt es mit Pumpkinhead noch mal einen Song in aggressiver Stiltskin-Manier und ein weiteres Juwel, Ever The Reason, das sich im Ohr einbrennt und zuweilen an Coldplay erinnert, was dieser Tage mit Sicherheit ein Qualitätsbeweis ist. Negativ ins Gewicht fallen bei diesen beiden Songs aber die eher schwachen Produktionen und Arrangements. Da hätte man weitaus mehr herausholen können.
Es scheint in Mode zu kommen, dass Alben nicht mehr länger als 50 Minuten sind. Die letzten Alben von Starsailor, Herbert Grönemeyer, Alanis Morissette, Mike & The Mechanics oder eben auch Ray Wilson gehen alle in diese Richtung. Dadurch wird es tatsächlich etwas angenehmer, sich ein Album komplett anzuhören. Im Falle von The Next Best Thing ist das eine gute Sache, das Album ist durchaus abwechslungsreich, es hat aber seine Schwächen in Produktion. Wenn Ray daran arbeitet, hat er wohl doch noch eine große Karriere vor sich. How High can you go?
These Are The Changes: Das Kuriosum einer Single-Auskopplung
Viel gerätselt wurde im Wilson-Lager, was denn nun die erste Single werden soll. Inside wurde lange als Favorit gehandelt, aber richtig einigen konnte man sich auf keinen der zwölf, nein, elf Songs. Irgendwann schien man die Single gefunden zu haben. These Are The Changes passt mit seiner politischen Aussage prima in die aktuelle politische Stimmung und „könnte funktionieren“. Also wurden schnell drei Live-Tracks (Gouranga, Ghost und
Gypsy) der Rockpalastaufnahme als Bonustracks ausgewählt. Doch zu dieser Version kam es nie, denn irgendwann stellte man fest, dass der Single Standard in einigen Ländern, darunter England, aber nicht Deutschland, nur bei insgesamt drei Tracks liegt. Also wurde die Produktion gestoppt und eine Version ausschließlich mit Ghost und Gypsy produziert. Während die Produktion im Prinzip schon zu Ende war, gab es dann plötzlich das Angebot eines Remix für den Track, der die Erfolgschancen für die Charts wohl vergrößern wird. Also nahm InsideOut die Single mit den beiden Live-Tracks aus dem Programm (die gibt es jetzt nur noch bei Ray) und produzierte eine weitere Single mit dem Remix, der Album-Version und – tataa – Gouranga als Live-Track. Und diese kommt jetzt erst am 19.7.04 auf dem Markt. Ein Video wurde dazu auch bereits gedreht.
Fazit: Der Running Gag im Wilson Lager dürfte gewesen sein: „Any News about the new single production?“ – „Yes, these are the changes we made“….
Autor: Christian Gerhardts