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Ray Wilson – Stiltskin: SHE – Rezension

Bereits Ende 2004 kündigte Ray Wilson an, den Namen Stiltskin eventuell wieder verwenden zu wollen, da er extrem rockiges Material geschrieben habe. Zusammen mit Uwe Metzler und Andy Hoff produzierte er SHE, ein neues Stiltskin Album. Im März 2006 veröffentlichte Ray das Album. Was SHE wirklich ist, versucht Christian Gerhardts zu klären…

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Zwölf Jahre später dann ein Comeback. Zwölf Jahre, das sind Zeitspannen, die eigentlich eher Peter Gabriel für sich gepachtet hat. Ray Wilson hat seit 1995 aber viel probiert und auch viel veröffentlicht.
Calling All Stations mit Genesis, Millionairhead mit Cut, Change, The Next Best Thing (Soloalben) und diverse Live-Alben. Aber ein Teil von Ray ist eben ein härterer Rocker, als es uns seine bisherigen Alben glauben lassen wollten. Bei seinen Konzerten gab es regelmäßig Stiltskin-Abschnitte mit lauten Gitarren und krachenden Drums, bei denen oft auch eine grungige Version von I Can’t Dance gespielt wurde.

Für Ray ist seine Zeit bei Genesis Segen und Fluch zugleich. Da verwundert es kaum, dass die neue Stiltskin CD SHE rein optisch wenig an Genesis erinnert, selbst der Name Ray Wilson wird sehr sparsam verwendet. Fotos der Bandmitglieder oder von Ray kommen im Booklet auch nicht vor. A propos Band – wer ist jetzt eigentlich Stiltskin?

Von der Original-Besetzung ist nur Ray Wilson dabei. Anders als noch auf The Mind’s Eye hat Ray die Zügel fest in der Hand. Das Debütalbum war in erster Linie Pete Lawlers Werk, was das Songwriting angeht. Pete ist nicht mehr dabei, überließ Ray aber den Bandnamen. Irvin Duguid spielte bei Stiltskin in der Live-Band und ist auf SHE ebenfalls an den Tasten. Dazu kommt Nir Z, neben Ray der einzige Link zu Genesis auf diesem Album. Nir spielte auch bereits bei Cut_ die Drums. Alvin Mills spielt Bass und Uwe Metzler Gitarre. Dazu kommen eine Reihe Gastmusiker und sogar Streicher. Produziert wurde das Album von Peter Hoff und Ray. Mehr zur Entstehung von SHE gibt es in einem separaten Artikel.

SHEbeginnt mit einem Ausrufezeichen. Nach der ersten Minute werden sofort alle Fronten geklärt.
Fly High ist alles andere als ein Song, der auf Nummer sicher geht. Vor allem aber gibt der Opener direkt den Grund dafür, warum SHE ein Stiltskin Album wurde. Der Song ist kräftig, stolpert durch die Strophen, erledigt seine Melodie somit quasi selbst, bevor es in einem furiosen Finale zu einem melodiösen Ausgleich kommt. Fast hat man den Eindruck, dass hier sofort alle abgeschreckt werden sollen, die irgendein Pop-Album erwartet haben. Jedenfalls hatte Ray recht, als er vor einiger Zeit sagte, dass das neue Material zu hart für ein Ray Wilson-Album sei.

Moderater klingt da schon Taking Time, aber der Sound der Gitarren bleibt rockig. Taking Time ist allerdings getragener als Fly High und geht schneller ins Ohr. Der erste richtige Knaller ist SHE, der Titelsong. Über die gesamte Spielzeit wird der Song von einem (offenbar gewollt) monotonen Ton getragen, dazu kommt Rays verzerrte Stimme, sich die ganze Zeit einredend, dass man über eine Frau hinweg ist. „Don’t tell me that it’s over – no!“

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Ursprünglich sollte das Album mal Lemon Yellow Sun heißen. Ray hatte diesen angedachten Titelsong bereits öfter bei seinen Solo-Shows gespielt. Lemon Yellow Sun ist auf SHE das, was einem typischen Ray Wilson-Song am nächsten kommt. Eingängige Melodie, weniger Grunge, mehr Pop. Ein bisschen fällt der Song aus dem bisherigen Album heraus, was aber auch bedeutet, dass SHE Abwechslung bietet. Und genau so geht es auch weiter. Wake Up Your Mind ist mit seinem kräftigen Refrain und den prägnanten Strophen einer der besten Tracks des Albums. Ein Rock-Song durch und durch, der etwas an die Band LIVE erinnert. Ähnliches gilt für Sick And Tired, auch wenn der Refrain hier deutlich härter ist und die dritte Strophe nicht etwa Ray singt, sondern von einem gewissen „Adonis“ quasi gerappt wird. Auch hier genießen ebenfalls die Strophen hohen Wiedererkennungswert. Sowas spricht zumeiste für die Qualität der Songs. Gemächlicher geht es bei der Retro-Ballade Constantly Remindedzu, allerdings erneut gut produziert und dem Gesamtsound dienlich. Spätestens jetzt ist auch klar, was
The Next Best Thing nicht hatte – nämlich einen guten Sound.

Als grenzwertig muss man Show Me The Way bezeichnen. Der Song ist nicht nur brillant, sondern hat auch das Zeug zu einer Art „Sommer-Hit“. Es dauert aber nicht lange, bis man einen zweiten Song in
Show Me The Way entdeckt – Clocks von Coldplay. Der Keyboard E-Piano Sound bzw diese Sequenzen sind fast identisch, dazu kommt der Einsatz der Drums, der ebenfalls leicht Coldplay-typisch ist. Dem Song selber tut das allerdings keinen Abbruch, und genau wie Lemon Yellow Sun ist Show Me The Way auch durch seine Akustik Gitarren eine Art Belüftung für das ansonsten ziemlich rockige Album. Rockig geht’s auch weiter, mit Stiltskins Antwort auf The Barry Williams Show. Fame rechnet ab mit der Fast-Food TV-Kultur, insbesondere Talkshows und Pop-Idol Verblödung. Fame klingt nicht nur zynisch, sondern auch ziemlich verbittert. Das Business ist heutzutage eben kein Spaziergang mehr. Der kritische Ansatz von Fame ist übrigens der erste nach einer Reihe von Songs, bei denen es um zwischenmenschliches mit „ihr“ ging. Aber auch in Fame gibt es eine „She“. Wohl kaum ein Zufall.

Das Finale des Albums bilden Some Of All My Fears, der einzige Track bei dem Nir Z nicht Schlagzeug spielt und auch der einzige Track, bei dem Ray am Bass zu hören ist. Ein bisschen erinnert der Song sogar an die Beastie Boys. Summer Days dagegen ist in sich selber verschachtelt und die Strophen stehen im Gegensatz zu den meisten Songs auf diesem Album. Quasi eine Art Anti-Hit. Aber gerade das ist es, was den Song nach mehrfachem Hören interessant macht. Am Ende gibt es sogar ein für dieses Album seltenes Gitarrensolo (Some Of All My Fears hatte im Ansatz auch ein Gitarrensolo). Zum Abschluss bietet Better Luck Next Time soliden Pop-Rock und das neue Stiltskin-Abenteuer ist zu Ende.

Stiltskin haben sich zwölf Jahre mit einem neuen Album Zeit gelassen, aber eigentlich war es Ray Wilson, der über einen für seine Verhältnisse langen Zeitraum an diesem Album arbeitete, das erst nur ein Projekt war, dann ein Cut-Album werden sollte und dann doch zu Stiltskin wurde. Der größte Unterschied zu Rays früheren Alben – oder auch bzw. insbesondere dem ersten Stiltskin Album – liegt in der Qualität der Produktion. Mit Peter Hoff in den Benztown Studios hat Ray einen goldenen Griff getan. SHE klingt durch die Bank edel produziert, hier scheppert nichts wie noch z.B. bei
Pumpkinheaddes letzten Soloalbums, das alleine auf Grund einer mittelmäßigen Produktion etwas auf der Strecke blieb. SHE wird das nicht passieren.

Neben der guten Produktion hat das Album zwölf Songs, die sich in abgestuften Nuancen alle auf einem erstaunlich hohen Niveau befinden und somit mühelos an The Mind’s Eye vorbeiziehen können. Ein Song wie Inside wurde seinerzeit zum Hit, weil eine Levi’s-Werbung den Song zum Kult machte. Auf SHE gibt es eine Reihe von Songs, die ein ähnliches Potenzial haben, wenn man sie denn laufen lässt. Allen voran Wake Up Your Mind, mit Abstrichen auch Fame und Sick And Tired. Doch auch der Titelsong hat auf seine eigene Art Hit-Qualitäten. und dann wäre da noch Show Me The Way, ein fast unverschämt geiler Song.

Ray hat erklärt, SHE sei das beste, was er bisher zustande gebracht hat. Dies kann man nur unterstreichen. SHE ist nicht einfach irgendein Album, es ist erfrischend rockig und bietet dennoch genug Abwechslung, um nicht langweilig zu werden. Auch für Genesis-Fans gibt es auf diesem Album eine Menge zu entdecken. Auf Grund der Qualität des Gesamtwerks sollte einem zweiten Frühling für Stiltskin nichts mehr im Wege stehen. Aber wer ist eigentlich SHE?

Autor: Christian Gerhardts