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Ray Wilson – Song For A Friend – Album Rezension
2016 startete Ray mit der Ankündigung, ein Doppelalbum zu veröffentlichen. Schließlich entschied er siuch, zwei separate Alben zu produzieren. Das erste, Song For A Friend, ist ein akustisches Werk geworden. Christian Gerhardts hat sich damit näher befasst und erklärt, warum Ray Wilson in der Form seines Lebens ist.
Ray Wilson wurde seine Genesis-Vergangenheit nie wirklich los. Zuweilen wollte er das nicht, in anderen Momenten konnte er es nicht. Bei vielen Diskussionen um seinen Beitrag zur Band, der nun schon fast 20 Jahre zurückliegt, wird vergessen, dass er seit Jahren interessante Soloalben veröffentlicht. Herausragend waren dabei sicher Change und SHE. In den letzten Jahren hatte er zwar weiterhin solide und gute Songs und Alben produziert, aber gleichzeitig hatte man das Gefühl, dass seine Entwicklung etwas stockte. Nach Chasing Rainbows (2013) gab es somit einen unterschwelligen Bedarf, sich neu zu positionieren.
Backseat Drivers sollte sein neues Album ursprünglich heißen und ein Doppelalbum werden. Ray hatte die Idee, es mit einer akustisch und einer elektrisch produzierten CD zu bestücken. Quasi in letzter Minute entschied er sich aber, daraus zwei getrennte Werke zu machen. Im it-Interview verrät er auch, warum: Das nun vorliegende akustische Song For A Friend wäre auf einem solchen Doppelalbum wohlmöglich zu wenig beachtet worden. Das zweite Album wird Makes Me Think Of Home heißen und soll im Herbst erscheinen. Von der Backseat Drivers Idee sind zwei Aspekte geblieben: Der Song Backseat Driving, der auf Song For A Friend zu finden ist, sowie die Tatsache, dass Uwe Metzler an allen Songs maßgeblich beteiligt war.
Song For A Friend hat ein insgesamt luftiges Arrangement, jedoch sind die Songs relativ nachdenklich, oftmals melancholisch, ohne den Aspekt Hoffnung aus dem Blick zu verlieren. Ray widmet das Album einem guten Freund, der nicht mehr lebt – mehr dazu später. In der Zeit, als ich es die ersten Male hörte, hatte ich selbst einen Verlust in meinem unmittelbaren Umfeld zu verarbeiten. Mein Vater starb und von einem Moment auf den anderen hatte ich einen völlig neuen Bezug zu vielen Songs des Albums. Zwar war mein Grundgefühl ohnehin schon sehr positiv – ich hatte den Eindruck, dass ihm hier etwas Größeres gelungen ist – bedingt durch die Begleitumstände wurde das Album aber intensiver. Das ist exakt die Macht, die Musik ausüben kann. Wenn sie dich packt, dann ist das eines der wunderbarsten Dinge, die passieren können.
Song For A Friend ist aber weit davon weg, nur ein Album über Verlust zu sein. Es ist in erster Linie ein sehr direktes Werk, das durch seine Melancholie unglaublich viel Tiefe hat. Durch seine Stimme, das zurückgenommene Arrangement bei den meisten Songs und auch seine überschaubare Länge mit zehn Tracks wird Song For A Friend schnell eindrücklich. Es gibt keine Knaller-Nummer, die man im Radio rauf und runter dudeln muss. Es gibt es aber eine ganze Reihe von schönen Melodien und interessanten Arrangements. Ray selbst nennt das Album eine Sammlung von kleinen und großen Geschichten.
Das musikalische Rückgrat ist Uwe Metzler. Uwe hatte bereits Alben wie SHE geprägt, aber auf Song For A Friend ist er der Motor. Er hat alle Songs geschrieben und arrangiert, während Ray vor allem die Gesangsmelodien erdacht und ausgefeilt hat – und natürlich die Texte verfasste. Die Instrumentierung ist zurückgenommen – zwar beschränkt sich Ray nicht nur auf akustische Instrumente, aber das Album transportiert ein eher leichteres und luftiges Gefühl, wie man es von Unplugged-Konzerten kennt. Neben Ray und Uwe Metzler findet man auf dem Album auch einige bekannte Musiker aus Rays Umfeld und seiner Vergangenheit. Lawrie MacMillan am Bass etwa, Ali Ferguson (Gitarre), sein Bruder Steve oder auch Nir Z., der bei zumindest einem Song (How Long Is Too Long) dabei ist. Song For A Friend mag am ehesten an Change erinnern, aber das wird dem Album nicht gerecht. Change war eine Ansage mit Doppelpunkt, Song For A Friend ist ein Statement mit Ausrufezeichen. Eines, das man nicht unbedingt sofort sieht. Die Tiefe und die Klarheit sind die Eckpfeiler. Den Rest muss der Hörer mit sich selbst ausmachen. Ein paar Gedanken zu den einzelnen Songs:
Old Book On The Shelf
Das Album beginnt mit diesem Song und man hat zunächst das Gefühl, dass man sich da erst mal warmspielen will. Ray singt zunächst auch eher eine Art Sprechgesang, aber die Magie ist mit dem Refrain plötzlich da. Ray schafft es immer wieder, griffige Refrainmelodien aus dem Hut zu zaubern. Das Besondere hier aber ist, dass diese nicht aufdringlich ist. Der Text hat keine persönliche Bedeutung, es ist eine von Rays Geschichten, in diesem Fall handelt sie davon, dass man mit sich selbst auch mal zufrieden sein soll, verpackt in eine Geschichte eines Barbesuchers, der frustriert ein Buch auf dem Regal entdeckt, es liest und seine eigene Geschichte darin findet.
Over My Dead Body
Allein der Titel ist schon ziemlich düster. Inhaltlich handelt der Song von zwei Freunden, die sich aus den Augen verlieren, weil der eine sein Leben in die Hand nimmt und der andere sich gehen lässt. Am Ende trifft man sich wieder bei der Beerdigung. Der Song lebt von der Akustik-Gitarre und Rays Gesang. Interessanterweise hat das Stück irgendwie einen tiefen und einen flotten Refrain. Interessanter Aufbau!
Cold Light Of Day
Nach dem toten Körper kommt das kalte Licht. Der Song ähnelt ein wenig dem letzten, fällt insgesamt vielleicht etwas ab, ohne dabei gleich belanglos zu werden. Wiederum gelungen: der Refrain. Der Song handelt von Eifersucht und Bitterkeit und dass diese Gefühle nur einen selbst zerstören, nicht aber die Person, die man damit eigentlich meint.
Song For A Friend
Zentrales Element des Albums ist der Titelsong. Er handelt von Rays Heimat und seinem besten Freund, der sich das Leben nahm, nachdem er durch einen Badeunfall an den Rollstuhl gefesselt war. Ray erinnert sich in dem Song an die jungen Jahre als Freunde und versucht, die Situation des Todes aus Sicht des Freundes zu skizzieren. Nach eigener Angabe hat Ray den Song exakt ein Mal eingesungen und musste dabei weinen. Er empfand diese Version aber als so intensiv, dass er es dabei beließ. Es ist eher eine Uptempo-Nummer, aber mit viel Melancholie. Vielleicht das Herzstück des Albums.
How Long Is Too Long
Das Thema bleibt, die Musik wird anders. Zuweilen erinnert das Stück an Rhiannedes letzten Albums. Thematisch hat Ray versucht, die Gefühle seines Freundes als gelähmter Mann zu verstehen. Entsprechend wird es auch musikalisch fordernd, werden Emotionen, Akkorde, Gesang gebogen. Es ist aber auch eines der Stücke, die hängenbleiben. Und ein Stück, das ein echtes Schlagzeug enthält.
Not Long Till Springtime
Ein Song für Rays Lebensgefährtin, die sich während einer Tanztournee verletzte und am Boden zerstört war. Es ist ein Song über Hoffnung und musikalisch ein gute funktionierende Popnummer. Es ist auch die erste Single des Albums. Hier hat man aber den Eindruck, dass es dafür bessere Kandidaten gegeben hätte. Kurios ist die Textzeile „good things come to those who fight to win the day“ (die guten Dinge passieren denen die kämpfen um einen erfolgreichen Tag zu haben). Das klang auf früheren Alben noch anders – da sang Ray oft Variationen von „good things come to those who wait“ (Gute Dinge passieren denen, die warten). So ändern sich die Zeiten.
Backseat Driving
Ursprünglich wäre das der Titelsong des Albums geworden. Ein schönes Lied mit Wiedererkennungswert über das Leben auf Tour und die verschiedenen Sprachen, Diskussionen und Situationen – verglichen mit politischer Propaganda aus Lügen und Angst.
Parallel Souls
Ein Song über Spiritualität, die vierte Dimension, die viele von uns fühlen, aber nicht erklären können, und wie sie uns durchs Leben führt. Der Track hat eine fantastisch gute Struktur und einen abwechslungsreichen Verlauf.
Tried And Failed
Leilala, leidedei. Ray entdeckt das Lagerfeuer für seine Musik. Ein Song über eine Frau, die immer falsche Entscheidungen traf und die falschen Partner hatte, sich aber letztlich selbst „befreit“ hat. Der Song funktioniert, gehört aber eher zu den unauffälligeren Stücken.
High Hopes
Ja, es ist der Pink Floyd Song des Albums The Division Bell. Nun ist bekannt, dass Ray Pink Floyd mag und bei seinen Konzerten auch ab und zu mal einen Floyd-Song spielt – insbesondere auch für Ali Ferguson, der dann singt und noch ein größerer Floyd Fan ist. Kurios ist der Song hier trotzdem. Ray hat sich immer etwas gesträubt, Coverversionen aufzunehmen. Und: Ali Ferguson spielt auf diesem Song …. nichts! Am Ende aber gelang Ray, im Stile des Albums eine sehr schöne Fassung dieses Klassikers zu produzieren. Zwar hält er sich nah ans Original, aber er schafft es, dem Song mit seiner Stimme seinen eigenen Stempel aufzudrücken.
Ohne das zweite Album zu kennen – man hat den Eindruck, es war eine gute Entscheidung, zwei getrennte CDs zu produzieren, die auch musikalisch anders sind. Man kann Song For A Friendim Hintergrund laufen lassen und nebenbei hören. Das wären aber Perlen vor die Säue. Das Album hat Tiefgang, es wirkt wie aus einem Guss und es wird auch nicht langweilig, obwohl eigentlich immer die gleichen Instrumente zu Einsatz kommen. Ein großer Vorteil ist, dass Ray das Werk auf zehn Songs beschränkt hat, was in diesem Fall etwas mehr als 40 Minuten sind. Das Album ist nicht nur eine Einheit, es ist auch genial abgeschlossen mit High Hopes. Und was viel wichtiger ist: Nie hat Ray seine Stimme so gut in Szene gesetzt und nie war das Songwriting besser. Dieser Anteil geht auf das Konto von Uwe Metzler. Song For A Friendkönnte das Album sein, mit dem Ray sich viele neue Hörer erschließt. Er hat damit als Musiker einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht.
Song For A Friend ist bereits als Digibook erschienen und kann bei amazon und JPC bestellt werden.
Autor: Christian Gerhardts