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Ray Wilson – Live At Radio Konin (PL) – Acoustic Trio Konzertbericht
Am 3. Oktober spielte Ray Wilson eine Radioshow in Konin (Polen). Mittlerweile hat er in Polen eine große Fangemeinde aufgebaut, so dass auch diese Radioshow viel Interesse auf sich zog. Maciek Soroczynski war dabei und schildert seine Eindrücke.
Am 15. August 2010 um 15:00 ging Radio Konin nach fünfjähriger Pause wieder auf Sendung. Der Termin war kein Zufall: Genau um diese Uhrzeit hatte der Sender vor 18 Jahren den Betrieb aufgenommen und wurde damit der erste Sender in der Region. Die Senderleitung wollte dies gebührend feiern und fragten Ray Wilson, ob er eine Show für sie spielen würde. Die Antwort war klar – das war eine perfekte Gelegenheit für Sender und Künstler, füreinander zu werben. Nachdem das Datum feststand, hingen überall in der Stadt Poster, die Ray Wilsons akustisches Konzert für den 3.Oktober 2010 ankündigten. In den Radiosendungen konnte man Stücke von Ray hören, beispielsweise Propaganda Man. Und es gab Gewinnspiele, bei denen man jeweils zwei Karten für die Show gewinnen konnte.
Ein paar Tage vor dem Konzert musste Ray zwei Konzerte in Deutschland absagen, weil er mit dem Hals und der Stimme Probleme hatte. Er kehrte nach Poznan zurück und liess sich unter anderem mit Antibiotika behandeln. Glücklicherweise fand das Genesis-Klassik-Konzert am 2. Oktober vor gut 5000 Leuten statt und ich war beruhigt, was die Show in Konin anging. Rays polnischer Manager Bartek erzählte mir jedoch, dass Ray Calling All Stationserst wieder im Dezember singen würde, um seine Stimme ganz zu erholen. Die letzte Information, die ich vor dem Konzert bekam, besagte, dass die Show live in Radio Konin übertragen würde. Angeblich wurde das Konzert so auch in Chicago gehen.
Viele Fans aus dem ganzen Land wollten das Konzert sehen, weil es die letzte akustische Show in Polen in diesem Jahr sein würde. Aus diesem Grund organisierte Ewa, die den polnischen Ray Wilson Fanclub leitet, ein Fantreffen in der Palacyk Cafeteria in der Nähe des Veranstaltungsortes. Dort trafen wir uns, unterschrieben die Grußliste für Ray und auch das Geburtstags- bzw. Hochzeitsgeschenk für Rays Manager mit den besten Wünschen für die Frischvermählten.
Am Veranstaltungsort freute ich mich, dass die meisten von uns in der ersten Reihe saßen – und ich hätte nicht aufgeregter sein können, denn dies würde meine erste Akustikshow von Ray werden. Ray, Filip und Steve kamen auf die Bühne und begannen mit dem Titelsong von Rays erstem Soloalbum, Change. Einen besseren Einstieg hätte ich mir nicht denken können; trotz seines Alters ist das eines meiner Lieblingslieder. Dem folgte ein Stück, dass sogar Frauen zu Genesiskonzerten gelockt hat: Follow You Follow Me. Begeistert mich nicht so, aber es kam ja auch gleich Shipwrecked hinterher mit einem fantastischen Solo von Filip Walcerz am Anfang. Es klang viel besser als die Fassung, die er auf Genesis Klassik-Shows spielt, ganz großartig.
Vor Razorlite hielt Ray eine kurze Ansprache: “Radio Konin hatte ja jetzt wohl fünf Jahre Urlaub, was ja vorkommen kann… Ich habe auch mal Urlaub gehabt – ungefähr fünf Minuten lang, glaube ich. Ich mag Urlaub nicht so besonders.” Dann spielte er einen alten Genesis-Song, den noch Peter Gabriel gesungen hatte, nämlich Carpet Crawlers, und dazu eine kurze Geschichte: “Wie manche von euch wissen, habe ich angefangen, in Bands zu spielen, als ich 13 Jahre alt war – ganz schön lange her, vielleicht zehn Jahre. Und meine erste Band war eine Punkband. Ich muss sagen, ich fand’s klasse. […] Traurigerweise hat sich der Bassist damals umgebracht, er hat sich erschossen und ich habe Jahre später dieses Lied für ihn geschrieben. Ich habe versucht, es positiv zu schreiben, soweit man überhaupt etwas positives über so ein tragisches Ereignis schreiben kann, aber ich habe mir versucht vorzustellen, dass er an einen besseren Ort gegangen ist. Es heißt Another Day.” Nach dieser bewegenden Ansage hörte das Publikum dem Stück mucksmäuschenstill zu. Um die Stimmung zu heben, spielte man dann Jesus He Knows Me, das ihm großen Applaus brachte. Als akustische Version klingt das Stück noch einmal ganz anders als bei den Genesis Klassik-Shows; es schien mir ruhiger und gefiel mir daher umso besser. Diese besondere Stimmung behielten sie bei den nächsten drei tollen Stücken (meinen Lieblingssongs) bei: Lemon Yellow Sun von She, ein Stück von “dem wahrscheinlich besten Mitglied von Genesis” namens Another Day In Paradise, das live ungefähr eine Million mal besser klingt als auf dem Album, und Propaganda Man, für das Filip Walcerz die perfekte Klavierbegleitung zu Rays und Steves akustischen Gitarren bot – nders als bei den Ray Wilson & Stiltskin Shows, wo ja Ali Ferguson E-Gitarre spielt. Das soll nicht heißen, dass Steve hier nicht passt, aber die beiden Versionen sind ganz unterschiedlich.
Dann eine totale Überraschung: Beach! Wir waren alle sprachlos, dieses Stück live zu hören. Die rätselhafte Atmosphäre wurde vom nächsten Stück aufgehoben, nämlich Genesis‘ That’s All. Den Song fand ich toll, seit ich ihn zum ersten Mal gehört habe und beide Fassungen, die von Collins und die von Wilson, sind stark. Da habe ich keinen Favoriten. Für dieses Stück gab es, das sollte erwähnt werden, gewaltigen Applaus. Selbst als Ray und die Band schon anfingen, Sarah zu spielen, klatschten die Leute noch. Dann erzählte Ray eine andere Geschichte: “Zu meiner Linken sehen Sie meinen Bruder Steve Wilson. [Applaus – nach ein paar Sekunden] Das reicht! [lacht] Haha, es klappt! Steve war der Grund, dass ich mit dem Singen angefangen habe. Ich habe ja schon erzählt, dass ich mit 13 in einer Punkband war, aber schon vorher hat Steve in einer Rockband gesungen […] und er stand dort und sang und ich saß unten und schaute ihm zu und war stinkig, weil die Mädchen ihn anschauten und bewunderten [Applaus] Naja, zwei oder drei oder so… [lacht] Und ich fand, das müsse aufhören, also habe ich wegen Steve angefangen zu singen. Deshalb lasse ich ihn jetzt ein Lied singen. Also, meine Damen und Herren: Mein Idol – Steve Wilson!” Was kann ich über Steves Version von dem U2-Song One sagen? Keine Frage, sie war toll. Ich glaube sogar, sie war noch besser als beim Rock May Festival in Skierniewice, wo ich sie beim Auftritt von Ray Wilson & Stiltskin zuletzt gehört hatte. “Ich möchte jetzt ein Stück für euch spielen, das ich in Polen geschrieben habe, als ich hierhergezogen bin. Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, dass ich, als ich noch jünger war, nicht erwartet hätte, dass ich mit 39 oder 40 in Polen leben würde. Aber so ist es… und wisst ihr, es ist richtig schön. Ich bin gerne hier. Und ich habe dieses Stück geschrieben über die Erfahrung, in der einen Welt zu leben und dann eine andere zu betreten, und ich habe ja dann auch meine Beziehung mit Gosia und so weiter. In dem Stück geht es um diese Erfahrungen.” Ganz offensichtlich würde er jetzt On The Other Side von seinem letzten Album Propaganda Man spielen, und das tat er dann auch. Dieses Stück muss ich persönlich live hören, damit es mir gefällt. Dem folgte ein weiteres Stück aus der Solokarriere eines Genesismusikers: Mike Rutherford’s berühmtes Another Cup Of Coffee. Manche finden, dass seine Version besser sei als das Original, aber wie bei Phil und Ray kann ich nicht sagen, wer mir besser gefällt. Darauf kamen weitere Klassiker, nämlich Land Of Confusion und Inside. Die akustischen Versionen davon waren einfach phänomenal. Das letzte Stück der Show war The Airport Song … oder? Als Ray, Steve und Filip die Bühne verließen, rief das Publikum nach Zugaben, und bekam sie auch. Die drei kehrten auf die Bühne zurück und stiegen mit Solsbury Hillvon Peter Gabriel wieder ein. Der Klavierteil am Anfang von Constantly Reminded vom letzten Stiltskin-Album war fantastisch. Ray beendete das Konzert mit einem Stück , das er mit dem Sänger von Budka Suflera nach dem Konzert in Stargard Szczecinski am 18.6.2010 aufgenommen hat. Budka Suflera ist eine berühmte polnische Band, die sich schon 1969 gegründet hat. Ihr Sänger Krzysztof Cugowski entpuppte sich als großer Fan von Ray, der ihn daraufhin nach Poznan ins Studio einlud. Das Konzert endete mit einer neuen Fassung des Calling All Stations-Songs Not About Us.
Wie üblich bot sich nach dem Konzert die Gelegenheit, mit Ray zu sprechen und ein Foto mit ihm oder sein Autogramm zu ergattern. Er schien aber ein wenig abwesend zu sein. Womöglich fühlte er sich nach seiner Erkrankung noch nicht wieder ganz auf der Höhe. Im Gespräch mit ihm und seinem Manager erfuhr ich einige Details über die Guaranteed Pure-Alben. Ray bestätigte, dass es zwei Studio-Alben gab, und ein Live-Album, aber er erinnerte sich nicht mehr daran, außer daran, dass sie seiner Ansicht nach nicht gut waren. Er bat mich, Steve danach zu fragen. Wie sagte Christian über Rays Haltung zu Guaranteed Pure? “Ich glaube, er geniert sich ein wenig für die Alben.” Das könnte hinkommen. Es ist aber schade, und ich sagte Ray, dass beispielweise Wish I Was At Home Tonight in meinen Augen ein tolles Stück für eine Akustikshow wäre, worauf er meinte: “Ich müßte den Text neu schreiben, weil sich mein Leben verändert hat.” Ich konnte mir auch die Frage nach dem Jägermeister nicht verkneifen. Er meinte, er tränke den nicht mehr, denn jetzt in Polen sei er zu Wodka übergegangen – französischem Wodka (Grey Goose). Wir erzählten, dass wir im Dezember nach Poznan kommen und ihm Jägermeister als Weihnachtsgeschenk mitbringen wollten; seine Antwort: “Weihnachten kann ich vermutlich mal einen trinken…”
Auf die Frage nach einem neuen Album erzählte Rays Manager, dass sie inzwischen zehn Demos hätten, und dass sie, wenn kein komplettes Stiltskin-Album dabei herauskäme, ein “Best of Ray Wilson”-Album mit einigen neuen Stücken machen würden. Als er erfuhr, dass wir in Poznan dabei sein würden, verriet Bartek noch, dass das Konzert dort für eine Genesis Klassik-DVD aufgenommen werden könnte. Das wäre natürlich schön. Zuletzt fragte ich ihn noch nach der Zusammenarbeit mit der polnischen Popsängerin Patrycja Markowska, der Tochter der Sängers der berühmten Rockband Perfect, Grzegorz Markowski. Er meinte, die Leute von ihrem [Markowskas] Label hätten sich eine kommerzielle Version von Constantly Reminded vorgestellt, bei der Ray auf Englisch und Patrycja auf Polnisch singen würden. Bei dem Wort “kommerziell” hat Ray das Angebot abgelehnt – ich glaube, das war auch die richtige Entscheidung. Denn wir alle wollen, dass Ray das macht, was er gerne macht, ohne auf die Popcharts oder das große Geld zu schielen.
Artikel und Fotos von Maciek Soroczynski
deutsch von Martin Klinkhardt