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Ray Wilson – Interview über Song For A Friend in Leipzig 2016
Es ist ein spannendes Jahr für Ray Wilson. Gleich zwei Album bring er heraus. Kurz nach Veröffentlichung des ersten Albums traf sich Christian Gerhardts am Rande der Show in Leipzig, um über die aktuellen Projekte und Zukunftsaussichten zu diskutieren.
Es ist ein interessantes Jahr für Ray Wilson: Angekündigt als ein Doppelalbum mit dem Titel Backseat Drivers, erscheinen die beiden Hälften nun als separate Alben. Das erste Album, Song For A Friend, ist bereits erschienen und markiert den akustischen Teil. Das andere Album, Makes Me Think Of Home, erscheint im Herbst und ist ein Full-Band-Rockalbum. Im nächsten Jahr jährt sich zudem die Veröffentlichung von Calling All Stations zum 20. Mal. Und selbst die Flüchtlingssituation in Europa wurde zum Thema eines Interviews, das Christian Gerhardts mit Ray Wilson am 16. April 2016 im Vorfeld seines Auftritts in Leipzig führte.
it: Seit unserem letzten Gespräch ist eine ganze Weile vergangen, und ich habe dich seit dem Tag in Dresden noch nicht wieder live erlebt.
Ray: Ja, das war 2013 … Damals und in der Zeit danach hat sich nicht viel getan, aber dieses Jahr ist das anders, da gibt es viel neue Musik und damit bleibt das Leben für mich interessant. Wenn man so viele Shows im Jahr macht wie ich, dann ist es wichtig, für Abwechslung zu sorgen und dem Publikum neue Songs vorzustellen – aber natürlich auch Songs aus der Vergangenheit zu spielen, die sie gerne hören.
it: Es kommt bei Fans häufig vor, besonders wenn sie sich mehrere Konzerte einer Tournee ansehen, dass sie größ0ere Setlist-Variationen erwarten.
Ray: Ganz genau. Für einen Künstler ist das ein Albtraum: Warum spielst du dies, warum spielst du das nicht, und so weiter. Das ist schon hart, aber die meisten Shows sind nicht darauf ausgelegt, dass man sie zwanzig Mal anschaut, wie das viele meiner Fans machen. Ich versuche schon, immer wieder Dinge zu ändern. Aber man darf nicht vergessen, dass die meisten Zuschauer die Show nur ein Mal sehen.
it: Manche Leute – Bruce Springsteen zum Beispiel – spielen manchmal bis zu vier Stunden.
Ray: Springsteen ist ein Genie, wenn es um Liveauftritte geht. Aber ehrlich gesagt genügt mir ein Rockkonzert von zwei bis zweieinhalb Stunden. Bands wie Pink Floyd könnten vielleicht länger machen, aber wenn man Stücke von vier bis fünf Minuten Länge hat, sind 2 ½ Stunden genug. Auch für mich als Fan.
it: Ich war überrascht, als ich das Album Song For A Friend zum ersten Mal gehört habe. Manche Leute fanden schon aufgrund der Teaserausschnitte, dass Song For A Friend dein bestes Album seit Change sein könnte. Ich würde das nicht so sehen, schon weil Change sehr gradlinig war und Song For A Friend ist eher melancholisch mit mehr Tiefe. Man war auch überrascht, dass du das ursprüngliche Konzept von Backseat Drivers als Doppelalbum mit einem akustischen und einem elektrischen Album aufgegeben hast. Wie kam’s, dass du das in letzter Minute geändert hast?
Ray: Weil mir alle gesagt haben, dass ich das tun sollte – von der Vertriebsseite bis hin zum Marketing. Ursprünglich wollte ich einen Vertrag mit InsideOut machen. Sie wollten es aufteilen, und die akustische Hälfte wollten sie überhaupt nicht haben. Sie wollten nur das elektrische Album, das ja später in diesem Jahr kommt. Ich habe mein Konzept mit dem Doppelalbum verteidigt, aber es hieß, das sei nicht die beste Idee es auf diese Art zu machen und die Vertriebsleute sahen das genauso. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr ging mir auf, dass die Leute das akustische Album als zweite Hälfte übersehen werden würden. Und ich bevorzuge das akustische Album, es ist magisch. Die Plattenfirma in Polen wollte das akustische Album nicht als erstes herausbringen, weil sie natürlich überlegten, was sie ins Radio bringen könnten. Aber ich sagte: So ist es halt. Und später sagten sie, es sei eigentlich ein großartiges Album – inzwischen gefällt ihnen die Vorstellung, dass das akustische Album zuerst erscheint. Song For A Friendist für mich ein viel zu gutes Album, um übersehen zu werden. In manchen Aspekten könnte man es mit Change vergleichen, aber Change war viel stärker produziert, mit Nir Z. am Schlagzeug, Andy Hess am Bass und Adam Holzman am Keyboard und so weiter. Das war eine ganz andere Sache, weil ich da auch Gitarre gespielt habe. Auf Song For A Friend spiele ich überhaupt keine Gitarre. Da singe ich nur. Die Musik kommt von Uwe Metzler, die Texte und die Gesangsmelodien sind von mir. Das ist nicht wie bei Tony Banks, der einem oft noch eine Melodie zum Singen geschrieben hat. Uwe hat da keine Melodie geschrieben, die schreibe ich selbst. Manchmal entwickelt sich die Melodie aus der Musik. Musikalisch kommt also alles von Uwe, und manchmal macht Ali noch ein paar atmosphärische Sachen. Ich habe mich unwahrscheinlich angestrengt, das Album nicht allzu sehr zu produzieren. Wir haben noch ein paar Percussion-Ideen ausprobiert, aber die haben wir dann wieder herausgenommen; wir haben uns die ganze Zeit bemüht, die Produktion schmal zu halten. Es geht um die Stimme und um die Gitarre; das sind die Dinge, auf die man sich konzentrieren muss.
Die Antwort lautet also: Es hat sich einfach so ergeben, dass sich das geteilt hat, und die ursprüngliche Idee von Backseat Drivers schien nicht mehr passend – das ergab keinen Sinn, also habe ich beschlossen, zwei Dinge zu verschiedenen Zeiten zu veröffentlichen. Als ich mich dann durchgerungen habe, beide Alben doch selbst zu veröffentlichen, habe ich beschlossen: Ich mache eine Kampagne, die über die nächsten sechs bis acht Monate läuft. Ich habe sechs Videos – das würde eine Plattenfirma niemals machen – zwei Albumveröffentlichungen und auf der Marketingseite habe ich Pressematerial, Radiomaterial und Fernsehmaterial, diesmal auch für Großbritannien – sowie Werbung auf Facebook und auf Youtube. Ich mache Nägel mit Köpfen und schau mal, was passiert. Ich bin wirklich zufrieden damit. Ich habe ein Video für den Song Amen To That, der auf dem nächsten Album herauskommt. Das Video ist klasse und witzig. Wir haben sechs Tage gefilmt – für ein Video ist das lang, auch Genesis haben nicht so lang gedreht und die hatten das Geld ja. Ich spiele 22 verschiedene Personen in dem Video und es ist wirklich witzig. Ein bisschen kommerzieller, aber lustig.
Dann gibt es ein Video zum Song Makes Me Think Of Home, das wir ja jetzt schon live spielen. Sightsphere hat das Video dafür gemacht. Das Stück ist atmosphärischer mit großartigen Instrumentalteilen und klingt ein kleines bisschen nach Pink Floyd, ein kleiner bisschen nach Gabriel und anderen. Das Video geht mehr in Richtung Pink Floyd-Video. Wir haben es gefilmt, ohne dass ich darin zu sehen bin, und ich dachte: Ok, zwei Drittel davon sind richtig gut, also filmen wir jetzt noch zwei Tage mit mir. Es ist schön, sich dafür mal die Zeit nehmen zu können. Bislang hat mir die Zeit gefehlt. Man veröffentlicht etwas, dann ist es erschienen, die Fans haben es und man überlegt: Was jetzt? Jetzt habe ich mir die Zeit genommen. Ich habe eine ganze Reihe verschiedener Bausteine, um die Alben zu bewerben und hoffe, dass die Leute die Songs mögen.
it: Zwei Alben in einem Jahr sind ja recht ungewöhnlich. Wann hast du beschlossen, ein Doppelalbum beziehungsweise zwei einzelne Album zu machen, weil du so viel Material hattest?
Ray: Wir haben angefangen, mit Uwe ein Stiltskin-Album zu schreiben, aber dann haben wir wieder aufgehört. Ich hatte keinen Spaß daran. „Können wir ein bisschen mehr akustisch arbeiten?“ Uwe spielt akustische Musik ganz großartig. Wir haben das eigentlich nie so aufgenommen, es waren immer Rock-Sachen. Also habe ich vorgeschlagen, dass wir das Material auf akustische Musik reduzieren, und die Sachen, die er mir geschickt hat, waren einfach fantastisch. So hatte ich einfach viel mehr zu sagen. Angefangen hat alles als Stiltskin-Album, aber dann ging es genau in die Gegenrichtung weiter.
it: Ich habe gesehen, dass Nir Z bei einem Stück mitspielt.
Ray: Ich habe Nir gebeten, auf allen Stücken Percussion zu spielen, aber er hatte keine Zeit dafür. Auf dem zweiten Album Makes Me Think Of Home spielt er alles, aber als wir am Akustikalbum gearbeitet haben, kam ihm ein anderes Projekt dazwischen. Also habe ich ihn gebeten, How Long Is Too Long zu spielen, denn dort wollte ich Schlagzeug in der zweiten Hälfte haben; so haben wir es dann auch gelassen. So ist das Album nicht überproduziert. So sollte es ja auch eigentlich sein.
it: Im Booklet erzählst du, dass es um verschiedene Geschichten im Leben geht. Die Texte scheinen sich vor allem mit dem Altwerden, Sterben, Versagen und Enttäuschungen zu beschäftigen.
Ray: Kommt auf den Blickwinkel an: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Ich sehe es anders als du, ich sehe viel Zuversicht und positive Elemente darin. Um das Positive schätzen zu können, muss man erst die Negativität akzeptieren. Ausnahmen sind Song For A Friend, in dem es um den Tod eines Freundes geht, und auch How Long Is Too Long. Aber es geht bei diesem Album nicht um negative Dinge. Es ist handelt mehr von Hoffnung, Glaube – auch an sich selbst, Liebe, Leidenschaft, auch Wut, Frustration und Herzlichkeit.
In Old Book On The Shelf geht es um den Blick aufs Leben. Die Geschichte ist natürlich erfunden, dass da jemand in Amsterdam in einer Bar sitzt, ein Buch vom Regal nimmt, es liest und merkt, dass sein eigenes Leben darin erzählt ist. Over My Dead Body – dort geht es um das Gefühl, wenn man verraten wird, es ist nicht Traurigkeit, sondern dieses Verratenwerden und Verletztwerden: „The next time I’ll see you I’ll be dead and buried“. Das ist die Idee. Die Botschaft ist aber eher, dass man nicht zu lang warten sollte, um die Hürden zwischen uns abzubauen.
Cold Light Of Day beobachtet, wie die Mitglieder einer Band die Gruppe verlassen und dadurch quasi ein wenig die Stimmung vergiften. Und in Backseat Driversgeht es um den sinnlosen Klatsch und Tratsch im Leben. Insgesamt ist es also überhaupt nicht negativ, finde ich.
it: Nachdem ich vor kurzem meinen Vater verloren habe, habe ich eine ganz andere Verbindung zur Musik bekommen – auf jeden Fall höchstwahrscheinlich einen anderen als wenn das nicht passiert wäre. Ich habe nach den Stücken gesucht, in denen es um deinen Freund geht, und war mir nicht sicher, ob ich sie gefunden habe. Der Titelsong ist sicherlich einer von ihnen, aber das wirkt mehr wie ein allgemeiner Rückblick – singst du da über deine Mutter?
Ray: Über seine Mutter, da geht es um James. Als ich nach Edinburgh gezogen bin, habe ich anfangs ein Zimmer in seiner Wohnung gemietet. Er hat mir sehr geholfen. Er war ein großartiger Mensch. Er war einer von den Leuten … wenn mir etwas Gutes passiert ist, hat er mir immer als erster gratuliert. Heutzutage sind die Leute – wenigstens in Schottland – eher so drauf, dass sie es nicht mögen, wenn es gut für dich läuft. So war er eben nie. Er hat sich immer gefreut, wenn es gut lief. Er war der lauteste Typ auf der Party, die Mädchen haben ihn angehimmelt, er hat immer Quatsch gemacht – einfach ein toller Mensch. Dann hatte er diesen tragischen Unfall. Er wollte im Urlaub mit Freunden von einem Trampolin in einen Swimmingpool springen, ist mit dem Hals auf dem Rand des Pools aufgeschlagen und hat sich das Genick gebrochen. Da war er dann vom Hals abwärts gelähmt. Auf einmal war er nicht mehr der Typ, der allen Schwung der Welt hat, sondern komplett gelähmt und konnte sich kaum noch bewegen. Drei Jahre lang hat er versucht, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Er war so voller Ideen. Und dazu die Verzweiflung darüber, an den Rollstuhl gefesselt zu sein, sich überhaupt nicht bewegen zu können, all diese großen Träume zu haben und sie nie umsetzen zu können, war am Ende einfach zu viel für ihn. Am Ende hat er sich von seiner Pflegerin an den Hafen in seinen Geburtsort fahren lassen, ein kleines Fischerdorf in der Nähe von Edinburgh. Dann hat er sie gebeten, ihm einen Pullover aus dem Auto zu holen, weil ihm kalt sei. Während sie zum Auto ging, ist er mit dem Rollstuhl ins Meer gefahren und hat sich so umgebracht. Das ist die Geschichte, wie ich sie verstanden habe. Darum geht es in diesem Stück, und da kommt auch mein Bezug zur Seeluft her, worüber ich in dem Song singe …
it: Das andere Stück, How Long Is Too Long,scheint sich um Einsamkeit zu drehen.
Ray: Ja, denn er hat sich einsam gefühlt, so kommt es mir zumindest vor. Er ist von einem Extrem ins andere gekommen. Wie würdest du dich in seiner Lage fühlen? Es muss schrecklich sein. How Long Is Too Long war das erste, das ich für ihn geschrieben habe. Ein gutes Stück, aber ich hatte das Gefühl, das damit noch nicht alles gesagt war. Ein paar Wochen später habe ich Song For A Friend geschrieben, und da habe ich ganz genau sagen können, was ich sagen wollte. Ich habe es ein einziges Mal gesungen, ich habe es nie wieder im Studio gesungen. Keine Neuaufnahmen, keine Overdubs. Dieses Lied zu singen hat mich sehr aufgewühlt. Ich glaube, man kann hören und fühlen, dass ich Tränen in den Augen hatte. Am Ende kam es mir gut und passend vor, ihm das Album zu widmen. Etwas besonderes, um an ihn zu erinnern.
it: Hätte dann nicht vielleicht Album For A Friendals Titel besser gepasst?
Ray: Naja, Song For A Friendklingt besser als Album For A Friend. Außerdem ist dieses Stück das wichtigste auf dem Album. Das ermöglicht, dass dein Geist durch die Musik weiterlebt.
it: In deinen Stücken gibt es oft eine Zeile „good things come to those who wait“ („Gutes kommt zu denen, die abwarten“), aber in Not Long Till Springtime heißt es auf einmal „good things come to those who fight to win the day“ („Gutes kommt zu denen, die kämpfen, um sich durchzusetzen“). Woher der Sinneswandel?
Ray: So habe ich das nie betrachtet. Ich finde, beides stimmt. Wenn man nicht nachgibt, wenn man dranbleibt, dann erreicht man am Ende sein Ziel. Ich glaube aber, wenn man das Glück hat, ein geduldiger Mensch zu sein, was ich nicht bin, dann kann es sein, dass du deine Ziele erreichst, wenn du dich auf das konzentrierst, was du in deinem Leben brauchst und daran arbeitest, es zu erreichen, wenn du geduldig genug bist. Deshalb verwende ich die Zeile. Ich benutze auch „freedom is everything“ (Freiheit ist alles) ziemlich oft. Das ist eine ganz bedeutsame Aussage. Vor allem wenn man sich anschaut, was heute in Europa passiert, wird es noch viel wichtiger. Es ist jetzt noch wichter dara zu erinnern, wie glücklich wir sein können, frei zu sein. Es gibt in der Politik viele Bestrebungen, die Freiheit der Bevölkerung einzuschränken und zu kontrollieren, und das finde ich gefährlich.
it: Wie ist es für dich? Du lebst ja in Polen, und dort ist es ja nicht so ganz einfach, wenn einem Freiheit wichtig ist.
Ray: Das stimmt, aber diese extreme Rechte, die es dort gibt, ist nicht so typisch für das Polen, das ich kenne oder andere Teile Europas. Es ist immer noch eine Minderheit und ich hoffe, das bleibt auch so. Es ist vielleicht typisch für Menschen, die niemals herausgekommen sind und ihr Leben vor dem Fernseher verbringen und für Leute, die nicht reisen, nie Leute treffen, keine Freundschaften schließen und nicht andere Kulturen kennenlernen. Wenn man das nicht tut oder wenn man das nicht mag, wird man leichter nationalistisch und entwickelt diese engstirnige Mentalität. Wir müssen dafür die richtige Perspektive behalten. In der Migrationsfrage ist es natürlich schwierig für ein Land wie Deutschland, das handelt. Aber ich habe den größten Respekt davor, was Deutschland da tut, das ist eine sehr menschenfreundliche Entscheidung. Ob man dem nun politisch zustimmt oder nicht, liegt bei jedem einzelnen. Dafür gibt es dann ja Wahlen. Aber vom humanitären Standpunkt her ist das mal ein eindeutiges Statement, vor allem, weil es aus einem Land mit all dieser negativen Geschichte, zwei Weltkriegen und so weiter kommt! So eine Kehrtwendung zu machen und etwas so zutiefst menschliches zu tun – mit der Zeit werden die Deutschland darauf zurückblicken und es als eine große Geste begreifen. Ich verstehe die Frustration und den Streit, aber es ist ein sehr menschliches Vorgehen, aber es braucht starke Menschen um das zu begreifen.
it: A propos Hoffnung. War es deine Idee, High Hopes aufs Album zu packen?
Ray: Nein, das hat nichts mit mir zu tun. Uwe erzählte, dass er eine Version von High Hopesaufgenommen hat, aber ich habe keine Pink Floyd-Stimme. Diese Gilmour-Nummer ist Alis Ding, das macht er. Uwe hat es mir geschickt und ich habe gesagt, ok, das singe ich. Dann fand ich es richtig gut. Es ist auch ein toller Song. Und die Botschaft des Stücks passt ja auch gut zum Ende des Albums. Das Lustige daran ist, dass Ali auf dem Stück überhaupt nicht spielt [lacht] – das ist schon schräg, er ist ja ein großer Floyd-Fan und kann unglaublich gut Gilmours Stil nachspielen und auf diesem Stück spielt er überhaupt nicht.
it: Das Album ist 44 Minuten lang…
Ray: … so wie ein Album sein sollte. Das passt. Für diese Art von Liedern hat das Album eine gute Länge. Wenn man Tangerine Dream ist oder Pink Floyd, dann kann man die Alben auch länger machen, aber hier musste es nicht länger sein. Ich bin vollkommen zufrieden mit der Albumlänge – und das nächste Album wird nicht viel anders sein. Ein bisschen länger vielleicht, aber nicht viel. Es ist also wie früher. Das Schöne daran ist, dass wir es auf Vinyl herausbringen können. Wir müssen nicht ein, zwei Stücke weglassen oder ein Doppelalbum machen und dann nicht genug Stücke dafür haben. Bei Chasing Rainbows habe ich zwei Stücke für die LP-Version streichen müssen, weil das Album dafür zu lang war.
it: Ich habe dich mal gefragt, ob du Lust hättest, ein Album mit Coverversionen zu machen. Damals hast du gesagt, du würdest nie eine Coverversion auf ein Album packen. Nachdem mit High Hopes jetzt doch ein Cover dabei ist, könntest du dir ein Album nur mit Coverversionen jetzt vorstellen?
Ray: Ich habe ja dieses Springsteen-Ding live im Radio gemacht. Ich liebe diese Musik. Aber ich glaube nicht, dass ein ganzes Album sinnvoll wäre, zumindest jetzt noch nicht. Falls ich sowas machen würde, dann bestimmt nur eine überraschende Songauswahl, Neil Diamond oder den Song Can’t Take My Eyes Off You (Frankie Valli). Ganz sicher nicht die Sachen, die man erwarten würde. Thin Lizzy würde ich wahrscheinlich gut hinbekommen. Mit deren Gitarrist habe ich ja bei einem Tribut-Konzert für Frankie Miller gesungen. Brian Johnson! Vielleicht ein frühe Achtziger Heavy Metal Projekt. Oder ein Harry Belafonte Cover Projekt. [lacht]
it: Bei deinen Konzerten hast du schon zwei oder drei Songs von den neuen Alben gespielt. Werden es in den nächsten Wochen mehr werden? Wie sieht deine Setliste aus, wenn die beiden Alben erschienen sind?
Ray: Kommt auf das Konzert an. Ich spiele ja noch Genesis Classic-Konzerte. Nicht mehr ganz so viele. Aber wenn wir in bestimmten Clubs auftreten in Aschaffenburg, Augsburg, Hamburg, Hannover, Berlin und anderen, dann gibt es viel neues Material. Bevor die Alben herauskommen, kann man nur sechs oder sieben Stücke spielen, die eher unbekannt sind. Danach kommen weitere hinzu. Und manchmal klingen die Stücke live nicht so wie auf dem Album. Das kommt vor. Mit Shouting In My Sleep ist das passiert. Wir haben es endlos oft geprobt, aber es hat nie so gut geklungen wie auf dem Album. Momentan proben wir sechs Stücke vom Akustikalbum. Für manche Stücke brauchen wir auch Uwe, für Song For A Friendzum Beispiel. Vom elektrischen Album proben wir aktuell fünf Stücke.
it: Wirst du für die akustischen Konzerte auch die Stücke vom elektrischen Album vereinfachen?
Ray: Das glaube ich eher nicht! Nein. Ich spiele ja auch nicht so viele akustische Shows. Vor allem mit Ali und Kool, manche auch mit Uwe. Wir spielen Stücke von Song For A Friend. Vielleicht könnte man einen oder zwei Songs von Makes Me Think Of Home anpassen, aber ich glaube nicht, dass wir das tun werden. Ich bin mir da noch nicht sicher.
it: Gibt es noch andere Unterschiede zwischen den beiden Alben, außer dass eines akustisch und das andere elektrisch ist?
Ray: Von den Texten her ist Song For A Friend persönlicher. Das elektrische Album hat ein Stück über die schottische Unabhängigkeitsbewegung. Vor zwei Jahren habe ich aufgehört, Alkohol zu trinken, weil ich fürchtete, dass ich heute nicht hier sitzen würde, wenn ich damit nicht aufhören würde, und habe ein Stück darüber geschrieben: The Next Life. Makes Me Think Of Home legt nahe, dass ich an meine Heimat denke, aber eigentlich ist es genau umgekehrt. Scott Spence hat Calvin & Hobbesgeschrieben, das Stück handelt natürlich von den Cartoonfiguren. Er hat es für seine Kinder geschrieben, die diese Cartoonfiguren sehr mögen. The Spirit kommt von Uwe Metzler, eine Art Cowboy- und Western-Song. Drei verschiedene Stilrichtungen kommen da zusammen. Melancholisches or Prog wie Makes Me Think Of Home und Anyone Out There?, das ist auch von Scott. Und darüber hinaus Rock und Pop.
it: Am Ende hast du dich entschieden, keinen Vertrag mit einer Plattenfirma zu machen?
Ray: Nein, denn wenn man sich die Wirklichkeit anschaut, steht einem digital die Welt offen. In punkto Marketing ist man auf bestimmte Gebiete festgelegt. Bei mir sind das Polen, Deutschland und Großbritannien. Ich habe eine kleine Firma. Wenn ich einen Vertrag mit einer Plattenfirma hätte, dann ergäben sich andere Möglichkeiten, vielleicht in Holland oder den USA. Aber dann müsste ich ihnen auch eine Lizenz für zehn oder zwölf Jahre einräumen, und solange würde mir das Album nicht gehören. Das wollte ich nicht. Ich möchte die Kontrolle haben. Das ist meine große Stärke und gleichzeitig meine große Schwäche. Ich habe genug Geld, dass ich machen kann, was ich möchte und meine Ambitionen sind realistisch. Ich habe auch kein Bedürfnis, mir Ferraris zu kaufen. Eine Plattenfirma ist dann nützlich, wenn es eine von den großen ist, mit weltweitem Vertrieb und so weiter. Aber das passiert nur, wenn irgendwas auf dem Album kommerziell erfolgreich ist – das würde alles ändern. Aber möchte ich das? Da bin ich mir nicht sicher. Das ist mir nicht so wichtig. Ich habe einen Nummer-1-Hit gehabt, ich habe bei einer der größten Bands der Welt gesungen. Habe ich alles schon erledigt. Was ich wirklich zum Glücklichsein brauche, ist eine gewisse Kontrolle über mein Schicksal zu haben. Und ich spiele gerne live. Es gibt nicht so viele Bands, die so viel live spielen wie ich, Jahr für Jahr. Es ist für mich gut so, wie es ist.
it: Wir hören oft die Frage: „Warum macht Ray nichts in Italien, England oder den USA?“
Ray: Das ist schlicht und ergreifend eine Marketingfrage. Solange sich die Situation dadurch nicht wirklich grundlegend verändert – welchen Sinn hätte es? Es würde bestimmt Spaß machen, in Nordamerika oder Fernost aufzutreten, aber das ist im Moment einfach nicht realistisch. Konzerte dort würden wohl Genesis Classic Shows sein – vielleicht eines Tages. Nächstes Jahr werden wir Stücke wie The Dividing Line oder There Must Be Some Other Wayauch live spielen; dann hat Calling All Stations ja 20-jähriges Jubiläum.
it: Kannst du dir vorstellen, Calling All Stations als ganzes Album zu spielen?
Ray: Nicht das ganze Album, dafür ist es nicht gut genug, um die Wahrheit zu sagen. Vielleicht sechs oder sieben Stücke. Zwei habe ich ja schon genannt. The Dividing Line war live richtig gut, Congo ist live auch viel besser als auf dem Album. In Deutschland und Polen ist es wichtig, die Show sehenswert zu halten. Wenn ich in England oder Nordamerika spiel, kann ich irgendwas spielen; die haben mich ja noch nicht live erlebt, das wäre dann ohnehin neu für das Publikum.
it: Mit Steve Hackett bist du ja ein paarmal live aufgetreten. Habt ihr Pläne für weitere gemeinsame Projekte, vielleicht sogar auf einem Album?
Ray: Ja, schon. Aber ehrlich gesagt ist es nicht so wichtig. Es hat Spaß gemacht, denn die Stücke haben mir gefallen und Steve ist ein sehr netter Mensch. Ob wir was Neues machen… Steve hat vor einem Jahr mal gesagt, dass er da etwas geschrieben hätte – aber er ist sehr beschäftigt, insofern ist das schwer zu sagen. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn er etwas Interessantes hat. Wenn nicht, dann ist es auch okay.
it: Was denkst du über das Musikgeschäft allgemein heutzutage?
Ray: Die Frage ist schwer zu beantworten. Wir nähern uns im Moment dem Punkt, an dem man sich überlegen muss, ob es noch sinnvoll ist, ein Album zu veröffentlichen? Ich finde, dass wir wirklich kurz davor sind, dass sich Albumveröffentlichungen nicht lohnen, wenn man nicht gerade Adele heißt. Diese ganzen Streamingdienste und so weiter machen es wirklich schwer. Vinyl ist wieder im Kommen, aber damit kann man auch keine ganze Albumproduktion abdecken. Bei jedem Album, an dem ich arbeite, frage ich mich: Ist das jetzt das letzte, das ich mache? Sollte ich es bei Spotify veröffentlichen? Das jedenfalls unter keinen Umständen. Da verdient man nichts, man verliert nur. Für den Konsumenten ist es natürlich toll. Quasi kostenlose Musik …
it: Ray, danke für das Gespräch.
Ray: War mir wieder ein Vergnügen!
Makes Me Think Of Home soll im Oktober erscheinen und ab August vorbestellbar sein.
Übersetzung: Martin Klinkhardt