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Ray Wilson – Interview in Heiligenhaus 2006
Am Nachmittag vor dem Ray Wilson & Band-Konzert trafen Helmut Janisch und Christian Gerhardts bei brütender Hitze Ray Wilson zum Interview über die Entstehung von SHE, weiteren Plänen und einem Genesis-Rückblick.
„Ich habe jetzt eine Basis für weitere Konzerte in England“
it: Du hast gerade eine Tour durch Großbritannien hinter dir, merkwürdigerweise die erste seit etlichen Jahren, obwohl es doch deine Heimat ist. Wie war der Zuspruch? Planst du für die nächste Zeit weitere Konzerte dort?
Ray Wilson: Am Anfang der UK-Tournee hatte ich sehr gemischte Gefühle. Ich wollte keine Tour unter dem Motto „Ray Wilson’s World Of Genesis“ machen, aber der Promoter hat das so verkauft. Letzten Endes habe ich deshalb so viele Shows spielen können, übrigens alle in Theatern. Es war also von vornherein ein Kompromiss. Ich wollte etwas anderes, aber bei den ersten Auftritten hat das Publikum so darauf angesprochen. Ich hatte so deutlichen Zuspruch gar nicht erwartet, ich war eher auf eine schwierige Tour eingestellt, besonders in einigen Städten im Süden von England. Und jetzt hat sich herausgestellt – einige Fans haben ja auch Konzertkritiken in Internetforen veröffentlicht – dass es richtig gut funktioniert hat! Ich schätze, dass ich ein paar neue Fans gewonnen habe. Ich habe meine übliche Mischung gespielt: eine Hälfte eigenes Material, eine Hälfte Genesis. Aber ich war mir wirklich völlig unsicher, ob wir damit durchkommen würden. Wir wurden ja als „World of Genesis“ beworben, aber ich wollte kein ganzes Konzert nur mit Genesis-Material bestreiten. Den Leuten hat die Mischung aber gefallen. Stücke wie The Actor und vor allem Change – Change, also das Lied, ist extrem gut angekommen. Und dabei war es in Großbritannien nie als Single erschienen. Ich weiß noch, ich spielte den Song und dachte: „Ich wünschte, ich hätte die Unterstützung gehabt, um es zu veröffentlichen.“ Change war populärer als alle anderen Nummern, die ich gespielt habe. Das hat mich überrascht, weil es ja kein typisches Genesis-Arrangement ist oder so, sondern ein ganz normaler Song mit einer guten Melodie. Die Englandtour war definitiv ein Erfolg und ich glaube, ich habe jetzt eine gute Basis, mehr Gigs in England zu spielen.
it: Vor der Englandtour hast du zum ersten Mal eine Tournee durch Südamerika gemacht. Was für eine Erfahrung war das?
Ray: Südamerika ist einfach großartig! Um ehrlich zu sein, ich finde jedes Land, in dem die Menschen so eine mediterran-südliche Einstellung haben, also zum Beispiel Italien – Spanien war genauso, als ich da mit Genesis war, und auch Südamerika – ich finde, dort gibt es das beste Publikum der Welt. Diese Leidenschaft! Wenn man in Italien spielt, dann klatschen die Menschen auch mitten im Song, wenn man irgendetwas tut. Als Entertainer ist das sehr bewegend. Ein bisschen passiert das auch weiter im Norden, die Deutschen machen das auch ein wenig, aber nicht so sehr. Und wenn man nach Großbritannien kommt, dann passiert so was überhaupt nicht, und auch in Skandinavien herrscht eine ganz nüchterne Atmosphäre. Aber Südamerika! Vor allem beim Konzert in Buenos Aires war es sensationell. Wir hatten mehr als 2000 Leute in den Theatern. Wunderbar, das zu erleben. Und ich möchte dort wieder auftreten, obwohl es schwierig zu organisieren ist und teuer obendrein. Außerdem kann man dort nichts vom Merchandise verkaufen, um die Kosten wieder reinzuholen. Man muss die Sachen schon dort herstellen lassen, sonst ist der ganze Kram mit dem Zoll und so ein einziger Alptraum. Aber das war eine großartige Tour!
it: Wir werden ständig gefragt, ob du auch mal nach Nordamerika kommst. Wie sieht es damit aus?
Ray: Was die USA angeht, ist es ganz einfach. Ich habe jetzt zum dritten Mal angefragt, und zum dritten Mal haben die Veranstalter in Nordamerika gesagt: Genesis waren in den letzten Jahren bei uns nicht so erfolgreich – wir glauben nicht, dass es klappt. Daryl Stuermer dürfte es, glaube ich, genauso gehen. Ich bin mir nicht so ganz sicher, aber ich glaube, er spielt viel in Südamerika. Und macht so eine Genesis-Sache, glaube ich. Aber wenn man die Veranstalter in Nordamerika fragt, dann sagen sie eben, dass Genesis dort keinen so großen Erfolg haben. Also ist ein Konzert, auf dem Ray Wilson Genesis spielt, auch nicht besonders interessant. Es gibt immer Leute wie Dave [Negrin], der eine Show im Staat New York auf die Beine stellen wollte. Das wäre großartig. Aber wenn man erstmal die ganzen Gitarren und so weiter hinüber geflogen hat, ist das Konzert wieder sehr teuer geworden. Man muss schon mindestens ein Dutzend Konzerte spielen und auch Merchandise verkaufen, um die Kosten zu streuen und wenigstens auf eine schwarze Null zu kommen. Genauso in Kanada. Wir hatten ein Angebot für eine Show in Montreal, aber das Geld reichte einfach nicht, um das durchzuziehen. Daran scheitert es immer. Wenn ich finanziell so gestellt wäre wie Mike oder Tony, dann würde ich es tun, ohne zu zögern. Dann würde ich dort spielen und auch noch Geld draufzahlen. Aber in der Lage bin ich eben nicht. Ich muss meine Veröffentlichungen selbst finanzieren, und das ist harte Arbeit. Trotzdem würde ich gerne in Nordamerika spielen und die Reaktionen erleben. Auch in Kanada, das ja ein großer Markt für Genesis war. Die Show, wie ich sie in England gespielt habe, würde dort wohl auch gut funktionieren. Aber bislang hat sich keine Gelegenheit ergeben.
it: Du tourst gerade durch Deutschland, wo es offensichtlich einen guten Markt für dich gibt. Zum ersten Mal warst du 2002 hier und hast eine akustische Open Air-Show in Duisburg gespielt….
Ray: Ja, ich war vor ein paar Tagen wieder in Duisburg.
it: …und damit hat es ja offensichtlich angefangen. Und jetzt sehen wir, dass du mehr von dem härteren Material spielst, dass du dein Repertoire und deine Setlist geändert hast. Würdest du diese Sommerkonzerte als Vorläufer einer Stiltskin-Tour oder vielleicht als Testkonzerte ansehen?
Ray: Gut, die Konzerte im Herbst werden härter sein. Aber das Stiltskin-Album ist ja natürlich lange noch kein Heavy-Metal-Album. Es ist Rockmusik. Auf den Konzerten im Sommer spielen wir vier Stücke von dem Album. Im Herbst spielt dann Uwe [Metzler] mit, was dem ganzen nochmal Feuer unter dem Hintern macht. Dreiviertel der Show werden härter sein. Beispielsweise werde ich im Herbst statt der Akustikversion die Fassung vom Cut-Album spielen von Another Day, und auch bei Sarah. Die Balance wird sich also verschieben, und die Shows jetzt gerade sind… ja, sie sind irgendwo in der Mitte zwischen dem, was ich gemacht habe und dem, was ich machen werde.
„Ich könnte
The Dividing Line und
One Man’s Foolin meinen Live-Set aufnehmen“
it: Du spielst auch endlich wieder Calling All Stations…
Ray: Ja, wir haben es für die Englandtour in die Setlist genommen. Das hätte ich schon vor langer Zeit machen sollen. Ich habe dieses Stück von Anfang an geliebt und Congo gehasst; das ist ja allgemein bekannt. Da gibt es noch einige Stücke wie Dividing Line – das war ein klasse Stück, und One Man’s Fool war auch fantastisch. Die könnte ich natürlich auch wieder spielen. Vielleicht wenn wir nächstes Jahr touren. Von den Sachen würde ich gerne mehr spielen. Und das wäre dann ja auch zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung des Albums. Daran hat mich ein kanadischer Veranstalter erinnert. Er wollte den zehnten Jahrestag [der Veröffentlichung von Calling All Stations] feiern, und ich dachte nur: „Wen kümmert’s denn?“ – Aber es war schon eine interessante Sache. Calling All Stations war sehr beliebt, es ist ein Spitzensong, aber extrem schwierig zu singen. Eine harte Nuss.
it: In deiner Band spielt jetzt ein neuer Gitarrist namens Alex Ferguson. Wie hast du ihn kennen gelernt und warum ist dein Bruder Steve nicht mehr dabei.
Ray: Er heißt Ali Ferguson. Alex Ferguson ist der Trainer von Manchester United [alles lacht]. Ali ist ein Freund von Lawrie und Ashley [Macmillan, Bassist und Schlagzeuger in Rays Band], und sie kommen alle drei aus Dunfermline in Schottland. Er hat ein paar Sachen für Dougie MacLean gemacht, einen Folkmusiker, der, soweit ich weiß, in Nordamerika erfolgreich ist. Folkmusik also. Er hat da dieses Stück, Caledonia…
„Steve und ich sind einfach am Ende angekommen, was die Zusammenarbeit betrifft „
it: Das hat Fish gecovert!
Ray: Ja genau, das ist ein Song von Dougie MacLean. Er hat eine Menge toller Sachen geschrieben, ein ganz begabter Mann. Also, Folkmusik und Ali [Ferguson] hat akustische Sachen mit ihm gespielt. Er spielt lockerer, leichter. Wenn er E-Gitarre spielt, dann eher so wie David Gilmour, würde ich sagen. Uwe [Metzler] dagegen ist eher Rock’n’Roll. Zusammen ergeben die beiden dann eine gute Mischung. [links ein Foto von Ali Ferguson, von Christian Gerhardts]
Was Steve angeht… Ich glaube, wir hatten einfach den Punkt erreicht, wo wir aufhören mussten miteinander zu arbeiten. Er hat mich einfach wahnsinnig gemacht, und außerdem habe ich musikalisch wohl mehr von ihm verlangt als er geben konnte, kurz gesagt. Vor allem als wir die Tour in Großbritannien gemacht haben und Stücke wie Entangled spielen wollten und die Originalversion von Ripples, da brauchten wir jemanden, der sowas spielen kann. Und das ist nunmal nicht Steves Stil, er kommt mehr vom Blues. Es war einfach genug. Außerdem ist es sehr schwierig mit mir zu arbeiten, da will ich gar nicht drum herum reden, aber ich bin immer fair zu den Leuten. Ich kümmere mich um die Jungs in meiner Band. Aber grade wenn sie dann den ganzen Stoff auswendig können, möchte ich alles wieder ändern. Ich gebe ihnen eine Setlist, sie schauen sie sich an und danach spielen wir nicht ein einziges Stück von der Liste. Sowas kann einen natürlich wahnsinnig machen. Und sie kümmern sich um ihre Ausrüstung; sie bauen ihre Instrumente auf und räumen den Rest weg und das erwarte ich auch von ihnen. Wir sind eben nicht in der Lage, drei Roadies für 200 Pfund pro Tag zu beschäftigen. Geht nicht. Sonst machen wir Verlust mit der Tour und können nicht weitermachen. Wenn es mal soweit ist, dass zu jeder Show über 1000 Leute kommen, sieht alles anders aus. Jedenfalls verlange ich viel von den Musikern, aber ich arbeite genauso hart. Ja, und Steve… Ich habe meinen Bruder sehr gern, daran hat sich nichts geändert. Aber es ist besser für uns beide, wenn wir nicht mehr zusammen arbeiten. Ob das nun für immer so sein wird, weiß ich nicht, aber wir brauchten ganz sicher mal Urlaub voneinander, denn so ging es einfach nicht mehr gut.
it: Jetzt eine Frage, die von unserem Webseite-Forum kommt: Du bist ja viel auf Tour. Verändert das dein Wesen und, wenn ja, wie? Wird es dadurch schwieriger, die Bodenhaftung zu behalten?
Ray: Naja. Ich muss dazu sagen – vor einigen Jahren hatte ich mich furchtbaren Depressionen zu kämpfen. Sie begannen gegen Ende meiner Zeit mit Genesis. Aber das war nicht der Grund. Da kamen viele Dinge zusammen. Ich war sehr lange mit einem Mädchen namens Vicky zusammen gewesen und das ging damals zu Ende. Dann ging meine Zeit mit Genesis zu Ende, das Cut-Projekt lief nicht gut. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Ich wusste, einige Genesis-Fans mochten Calling All Stations, andere nicht, einige mochten meinen Gesang auf den Genesissongs, anderen gefiel er nicht. Ich musste eine Entscheidung treffen und sagen: „Okay, vergesse ich Genesis komplett, übernehme ich ein bisschen davon, gehe ich zurück und mache wieder ein Stiltskin-Projekt oder noch eine Cut-Nummer. So viele Fragen, die ich mir beantworten musste. Und ich hatte ein ernstes Problem mit Depressionen und fehlender Motivation. Ich wollte mit niemandem reden. Jedes Mal wenn eine Tour anstand, wollte ich sie absagen. Tyla hatte alle Hände voll zu tun, dass ich überhaupt irgendwas machte. Jemand wollte ein Interview mit mir machen und ich wollte mit diesem Jemand nicht reden. Lauter solche verdrehten Situationen. Seit einigen Jahren nehme ich chinesische Medizin, um mit meinen Depressionen umgehen zu können, und sie hilft mir sehr gut. Ich wollte auch nie Valium oder so einen Kram einnehmen, aber ich habe dann eingesehen, dass irgendwas passieren muss. Also ging ich zu einem chinesischen Kräuterheilkundler in London und einem in Edinburgh. Zwei, drei Monate danach wurde alles besser. Eine unglaubliche Erfahrung, und es wurde wirklich alles besser. Meine Einstellung, meine Gesundheit, mein Sexleben, meine Kreativität, alles. Depressionen zu haben ist einfach die Hölle. Nachdem ich das überwunden hatte, waren die letzten Jahre auf Tour – zum allerersten Mal – richtig erfreulich für mich. Ich musste immer gegen mich ankämpfen: „Das mache ich jetzt!“ und eine Stimme in mir antwortete „Lass es!“. Inzwischen habe ich Freude an dem, was ich tue. Und um die Frage zu beantworten: Im Moment möchte ich überhaupt nur noch auf Tournee sein. Wenn ich mich über irgendetwas beklagen wollte, dann darüber, dass ich nicht genug auf Tour sein kann. Es gibt leider nicht genügend Märkte, die mich unterstützen. Der deutsche Markt ist gut für mich, in Polen geht es auch, ein wenig auch in Italien, aber italienische Veranstalter sind ziemlich schwierig. Und jetzt ging es in England los – da möchte ich einfach weitermachen.
it: Du bist jetzt schon eine ganze Weile ein unabhängiger Künstler. Das ist ja schon ein Unterschied, als einen festen Plattenvertrag zu haben, wie promotest du das neue Album, She?
Ray: Ja, jetzt mache ich ja auch Promotion für meine eigenen Alben, mit Unterstützung von SPV beim Vertrieb, aber das Geld für die Vermarktung kommt aus meinem Portemonnaie. Man muss jetzt schon Verlosungen machen, damit man überhaupt mal im Radio gespielt wird. Zurzeit verschicken wir SHE an deutsche Radiosender – nur an deutsche, weil ich es mir nicht leisten kann, das auch in Großbritannien zu machen. Um im Radio gespielt zu werden, muss man entweder zahlen oder man macht eine Verlosung und bekommt dafür Radiozeit. Im Moment organisiere ich fünf Aktionen, bei denen jeweils zwei Leute aus Hamburg, Köln, Berlin, München und Frankfurt zum Edinburgh Festival kommen. Sie bekommen die Flüge, Fünf-Sterne-Hotel und Karten für die Show. Sowas kostet mich pro Aktion etwa 2200 Euro. Insgesamt sind das 11000 Euro, nur damit wir im Radio gespielt werden. Sonst wird man eben nicht gespielt, oder nur auf einzelnen Sendern oder WDR2, die mich ohnehin schon unterstützen.
it: Change wurde viel gespielt.
Ray: Ja, aber man braucht das jüngere Radio, man muss eine Single zum Abheben bringen…
it: Wie z.B. EinsLive…
Ray: Ganz genau sowas. Dann schaut man sich das an und denkt: Okay, ich habe ein Vermögen ausgegeben, um das Album zu produzieren, und ich muss noch ein Vermögen für die Promotion ausgeben, und am Ende könnte es ein Ladenhüter werden. Dann steht man wieder am Anfang und hat das ganze Geld in den Sand gesetzt. Also, das macht mir nicht so viel aus, ich will mich darüber nicht beklagen. Aber ab und zu braucht man mal ein bisschen Glück, irgendwas, das für einen arbeitet. So dass man wieder ein bisschen Geld einsetzen kann und in Clubs spielen kann und so weiter.
„Wenn Levi’s käme und mir £ 50.000 gibt, würd ich das Geld nehmen und es sofort wieder investieren“
it: Also hast du noch nicht bei Levi’s angerufen, um einen Song in einem Werbespot unterzubringen?
Ray: Nein, solche Sachen – abgesehen davon, dass das nicht besonders cool ist… ich meine, heute ist es egal, aber damals war es nicht cool, sowas zu machen. Aber um ehrlich zu sein, wenn Levi’s käme und sagte: Hier sind 50000 Pfund, ich würd sie nehmen, ich würde mir ein Bein dafür ausreißen. Denn ich würde das ganze Geld sofort wieder in das System investieren. Ich hätte kein Problem damit, wenn Levi’s mir Geld gibt, obwohl es nicht leicht ist, solche Sachen zu arrangieren. Aber so etwas brauche ich einfach, einfach ein bisschen Glück. Ich habe dieses Stück, She, ob es einem nun gefällt oder nicht, und Lemon Yellow Sun, ob einem das nun gefällt oder nicht, ich finde beide Stücke klasse und ich bin überzeugt, dass das aktuelle mein bestes Album überhaupt ist. Und es ist es wert, dass es sich in ordentlichen Stückzahlen verkauft, damit ich das Ganze wieder machen kann. So denke ich darüber.
„Stiltskin, das bin ich, der mit weiteren Gitarristen arbeitet“
it: …Das bringt uns direkt zu Stiltskin. Ziemlich oft wird bei uns gefragt, wer denn eigentlich Stiltskin ist?
Ray: Am Anfang waren Stiltskin Peter Lawlor und ich. Er schrieb die Stücke und spielte Gitarre und ich sang. Die Gesangslinien und dergleichen kamen von mir. Pete sang mir eine Menge Melodien vor und er schrieb natürlich die Songs. Das war Stiltskin. James Finnigan war ein guter Freund von Peter und spielte am Anfang den Bass. Er fing an, mit Stiltskin zu arbeiten, hat sich aber sehr schnell mit Peter verkracht, verließ die Band und wir suchten uns einen anderen Bassisten. Wir hatten auch zwei Schlagzeuger in nur achtzehn Monaten! Stiltskin [zur Zeit von The Mind’s Eye; Übers.] im engeren Sinne war aber nur das Team aus Gitarrist/Songwriter und Sänger. Bei She habe ich mit einer ganzen Menge Leute zusammengearbeitet. Uwe ist ein Gitarrist und schreibt Stücke. Und ich habe für dieses Album kaum Musik geschrieben, außer Show Me The Way, da hört man, dass das mein typischer Kompositionsstil ist. Im Großen und Ganzen kam Uwe einfach mit einem Haufen Gitarrenriffs und Melodienstücken an und stellte sie Peter Hoff vor, dem Produzenten. Wir haben dann die Hintergrundelemente aufgenommen und danach habe ich die Melodien dazu geschrieben. So haben sich die Stücke entwickelt. Scott Spence hat auch einiges beigetragen. Er hat eine ganz eigene Art zu schreiben; She zum Beispiel, ich finde es hochinteressant, wie er den Song entwickelt hat. Und Taking Time, mein Lieblingsstück, ist auch von Scott. Stiltskin heute, das bin ich und eine Reihe von Gitarristen, mit denen ich Stücke schreibe, unter einem Namen, an den sich die Leute erinnern. Die Musik ist härter und ich glaube, ein Ray Wilson-Fan muss eine Vorstellung bekommen von dem, was ihn da erwartet. Wenn man Stiltskin auf ein Poster packt, dann bin das nicht ich, der mit einer akustischen Gitarre spielt. Die vorherigen Sachen, Change zum Beispiel, waren sehr akustisch, aber das hier ist ein Rockalbum.
it: Es hätte auch ein Cut-Album sein können
Ray: Das hätte ich auch machen können, ja. Aber Cut ist nicht so bekannt wie Stiltskin. Eine Marketingfrage. Ganz einfach.
it: Hast du die ursprünglichen Mitglieder der Band gefragt, ob sie mitmachen wollen?
Ray: Ich hatte Peter Lawlor gefragt, ob er mitmachen wollte. Er hat abgelehnt. Also kaufte ich den Namen, die Namensrechte…
„Ich dachte über das ursprüngliche Line-Up nach, aber das wäre ein Alptraum geworden“
it: Du hast die Namensrechte also von Peter erworben?
Ray: Er hatte das Patent auslaufen lassen, also habe ich den Namen einfach gekauft. Er war deswegen anfangs ein bisschen sauer, aber ich habe mit ihm gesprochen und gesagt: Wenn du dabei sein willst, arbeite ich gerne mit dir. Wir haben darüber ausführlich gesprochen, aber er wollte nicht. Er ist in der Werbebranche und verdient Millionen damit, von Coke Light bis Levi’s – er hat immerhin drei Anzeigen für Levi’s gemacht. Er ist in der Spitzenklasse im Werbegeschäft. Außerdem ist er ein bisschen älter geworden und hat drei Kinder, da steht ihm der Sinn nicht mehr nach Rock’n’Roll. Er wollte also nichts mehr damit zu tun haben. Ich hatte darüber nachgedacht, das alte Line-Up wieder zusammenzubringen, aber das wäre ein Alptraum gewesen, ein echter Alptraum. Also schaue ich mir das Ray Wilson / Stiltskin-Ding an – das Album heißt jetzt Ray Wilson Stiltskin und kommt auch so in die Läden. Das habe ich wegen des Vertriebs gemacht. Man braucht Leute, die das Album auch in die Läden bringen. Es ist nicht „einfach so“, dass man ein Album macht und dann kommt es in die Läden. Man muss sie dazu bringen, dass sie es im Laden haben wollen. Deshalb ist der Name Ray Wilson in mancher Hinsicht besser als der Name Stiltskin, jedenfalls für den Vertrieb. Aber es ist dasselbe Material, dasselbe Album, nichts anderes. Ich habe ein paar zusätzliche Stücke, aber ich will die Fans nicht über den Tisch ziehen, indem ich das Album ändere. Wir haben drei zusätzliche Stücke und einer davon kommt auf die nächste Single. Natürlich kauft niemand Singles, aber wenn jemand möchte, wir packen einen Song namens Keep On Believing auf die Lemon Yellow Sun Single. Was auch interessant ist: Wir haben sogar herausgefunden, dass einige von den jungen Radiosendern die Stücke bereits spielen. Für mich ist das wichtig, weil es meine Fanbasis erweitert. Viele meiner Fans sind 25, 30 und älter und es wäre toll, wenn sich einige 18- bis 25-jährige für die Musik begeistern können. Und das schafft man aber nur, wenn die Stücke auf den Jugendwellen gespielt werden. Radio Fritz in Berlin spielt den Song. Früher haben die unsere Sachen nie gespielt, das machten dann eher die Mainstream-Sender für Erwachsene. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass Stiltskin auf dem Cover steht oder weil die Songs cooler sind. Ich meine, She klingt ziemlich cool. Lemon Yellow Sun klingt melodischer und erwachsener und wird in den Jugendwellen wahrscheinlich nicht so ankommen. Darum haben wir zuerst She ausgekoppelt. Wenn die Frage also lautet, warum She ein Stiltskin-Album ist, dann aus Marketinggründen. Und es zeigt den Leuten, dass es ein Rockalbum ist.
it: Es kursierte die Information, dass du Phil Collins bitten wolltest, auf einigen Tracks zu spielen. Stimmt das, und was ist daraus geworden?
Ray: Ich habe darüber nachgedacht, aber ich hab’s dann einfach gelassen. Es hätte keinen Sinn gehabt. Ich habe das Stiltskin-Projekt ständig unter neuen Blickwinkeln gesehen – wir haben inklusive einiger Gigs mittendrin gut 18 Monate gebraucht, um fertig zu werden. Ich fand, das mit Phil wäre eine gute Idee, und dann dachte ich wieder, dass sich dieser ganze Genesis-Kram aus meinem Leben verpissen sollte und dann gab es wieder Zeiten, wo es mir gefiel. Mein Leben spielt sich in der Wirklichkeit ab, ob sie mir gefällt oder nicht, und die Englandtournee hat mich sehr viel zufriedener gemacht. Das war schon ein großer Unterschied. Aber als ich das Stiltskin-Album gemacht habe, wollte ich einfach nie wieder das Wort Genesis hören. Ich wollte auch nichts davon spielen. Und dann kam die Englandtour und ich dachte, „eigentlich ist das gar nicht mal so schlecht.“
it: Du erwähntest gerade Taking Time. Am Ende gibt es da eine Passage, die die Zuhörer an Iron Maiden erinnert. Ist das Absicht?
Ray: Ja! Das ist eine Anspielung auf Iron Maiden. Sie haben darauf natürlich kein Copyright – wie denn auch. Es kommt von The Number Of The Beast; das habe ich als Kind oft gehört. Das haben wir aus Spaß gemacht. Der größte Teil von dem Album wurde ja betrunken geschrieben. Ich hatte meine Jägermeister-Phase, wurde Jäger Wilson, war das ganze Album über betrunken und hörte neun oder zehn Monate danach wieder auf, weil ich fürchtete, Alkoholiker geworden zu sein.
it: Daraufhin wurdest du Apfelschorle Wilson.
Ray: Ganz genau! Von einem Extrem zum anderen, aber ich war auch sowas von breit. Später haben wir darüber gelacht. Wir haben eine großartige Audio-Aufnahme, auf der Peter und ich uns über irgendetwas gar nicht Komisches totlachen; sowas passiert natürlich, wenn man betrunken ist. Die Aufnahmen sind ein ganz schönes Erlebnis. Es war ein langer Weg.
it: Also beim Schreiben – du sagtest, du warst dabei meistens betrunken…
Ray: Nein, immer! [lacht]
it: Okay.
Show Me The Way, das klingt wie
Clocks von Coldplay. War das beabsichtigt?
Ray: Ja, von der Produktion her ja.
it: Die Keyboards klingen sehr ähnlich…
Ray: Stimmt, es ist eine ähnliche Idee [summt die Keyboardmelodie]. Auf jeden Fall, was die Produktion und den Drumsound angeht. Ich spielte den Song auf der akustischen Gitarre; so habe ich ihn entwickelt, und ich fand, es wäre cool, dieses Coldplay-Gefühl dort hineinzubringen. Ich schätze, es ist deshalb der einzige Song auf dem Album, der einen anderen Kontext als die anderen hat. Er klingt ein wenig, als wäre er für
Change bestimmt gewesen. Eigentlich hätten wir ihn besser vom Album nehmen sollen, damit Platz für ein anderes Stück ist, das besser zum Ganzen passt, aber der Song war so gut, dass wir ihn auf dem Album gelassen haben.
it: Du hast also noch nicht mit Chris Martin telefoniert?
Ray: Nein, um Gottes Willen! Wenn es um Ideenklau geht – man kann niemanden schädigen, indem man eine Idee kopiert, wie ein Song produziert wird. Das ist auch nicht ungewöhnlich. Ich erinnere mich, dass wir gerade
Inside mit Stiltskin gemacht hatten; da hatte Peter den Sound entwickelt, und dann veröffentlichen The Cranberries ihr Stück
Zombie – und das klang verdammt gleich. Und war ein Riesenhit. Aber das war eine Produktionsfrage. Niemand konnte behaupten, dass Zombie wie Inside klang, obwohl die Ähnlichkeit bei der Produktion deutlich zu hören war. So ist das mit Musik. Und
Clocks ist ein großartiges Stück. Also haben wir beschlossen, die Essenz davon zu nehmen, in unser Stück zu stecken und mal zu schauen, was herauskommt.
it:
Some Of All My Fears ist von den Beastie Boys beeinflusst..
Ray: Oh ja! Auf dem Stück spiele ich den Bass. Und ich liebe den Song Sabotage. Ich wollte, dass das Stück genauso aggressiv ist wie es sich gegen Terrorismus usw. äußert. Uns gefiel die Energie in dem Stück. Und ja, wir hatten wieder die Idee mit dem Bass!
it: Wer rappt in
Sick And Tired?
Ray: Adonis Star, ein schwarzer Künstler aus Miami, der ein paar Mal mit Peter Hoff gearbeitet hat. Er ist jetzt in London und arbeitet mit einigen anderen zusammen, hat einen Vertrag bei EMI oder so. Mir fällt gerade der Name seines Projekts nicht ein, aber er ist ein großartiger Sänger. Er hat auch ein paar Sachen mitgeschrieben und singt die Hintergrundmelodie auf ein, zwei Stücken, eine tolle Stimme. Ich hätte ihn gerne auf der Tour dabei, aber er hat gerade einen Vertrag unterschrieben und leider kaum Zeit.
„Ich kann mir Nir Z gegenwärtig in meiner Live-Band nicht leisten“
it: Im Herbst geht ihr als Stiltskin auf Tour, wer wird in der Liveband sein? Sitzt Nir Z am Schlagzeug?
Ray: Nein, Nir kann ich mir nicht leisten. Viel zu teuer. Er ist ein guter jüdischer Junge und weiß, was er wert ist [lacht]. Er macht immer Witze darüber, dass ich Schotte bin, und daher… Er ist ein guter Mensch, der soviel Geld nimmt, wie er kriegen kann. Und so ist es eben. Ich kann ihn mir nicht leisten. Nicht bevor meine Zuschauerzahlen pro Abend 1000 überschreiten, und soweit sind wir noch nicht. Er ist ein toller Schlagzeuger. Und ich habe ihn gerne auf Aufnahmen dabei, schon weil er sich sehr gut im Studio auskennt. Er wird von GMS gesponsert, einer Firma, die tolle Schlagzeuge herstellt mit großartigem Klang. Sie sponsern ihn also und er haut auf die Trommeln – ich habe noch nie jemanden so hart zuschlagen sehen, er ist in diesem Bereich, wo er wie Phil Collins so richtig draufhaut und das ist genau das, was ich für Rockmusik haben möchte. Nick d’Virgilio, der andere Schlagzeuger bei Genesis, ist auch klasse, in manchem sogar noch besser, aber vielleicht kein richtiger Rockdrummer. Also, ich habe schon darüber nachgedacht, ob ich Nir frage, aber es geht finanziell nicht. Außerdem tourt er nicht mehr so viel.
it: Er war mit Nena auf Tour.
Ray: Er war mit Nena auf Tour, aber ihr könnt euch ausrechnen, was er dafür bekommt.
it: Sie spielt vor 10.000 Leuten.
Ray: Ja genau, deshalb kann man das nicht vergleichen. 10.000 Leute kaufen eine Karte für 30 Euro, ja? Am Ende kommt da eine Million Euro rein. Und in dem Bereich bin ich noch lange nicht. Aber das ist schon in Ordnung, Nir hat eine Familie und macht, was ihm Geld bringt. Und ich kann ihm keins bieten.
it: Wer wird dann in der Liveband sein?
Ray: Uwe Metzler [siehe Foto] wird dabei sein, und Ali auch. Wir werden als zu sechst sein. Diese Band und Uwe Metzler.
it: Was ist aus der Stiltskin-Homepage geworden?
Ray: Die Homepage… Ich habe erkannt dass ich das Ray Wilson und das Stiltskin-Projekt zusammenbringen muss, also ist es ein weiteres Ray Wilson-Album, das eben ein Rockalbum ist. Es ist Ray Wilson mit Stiltskin. Ursprünglich wollte ich das nur locker verknüpfen. Aber mit der Zeit habe dann eingesehen, dass ich dafür keinen Plattenvertrag bekommen würde, weil niemand das wollte. Okay, einige schon, aber das wäre finanziell sinnlos gewesen, 80% des Albums zu verschenken. Also gab es dafür keine Unterstützung. Es ging aber gar nicht mal um die Musik, sondern um den Markt. Das Musikgeschäft hat zurzeit Probleme und die Plattenfirmen gehen auf Nummer Sicher. Und ich habe gemerkt, dass meine erste Idee nicht funktionieren würde: Einen Vertrag über etliche Millionen abzuschließen und zehn Jahre lang als Superstar zu touren [lacht]. Also habe ich das Projekt in das integriert, was ich die letzten fünf Jahre aufgebaut habe. Da gab es sowieso keine andere Möglichkeit. Jetzt wo wir einige Songs davon auf den Sommerkonzerten spielen, passt es ja auch wieder.
In der Vergangenheit haben wir mehr akustische Sachen gemacht, hatten aber auch immer den Rockteil mit
Inside und
Footstepsund so. Jetzt haben wir etwa zwei Hälften und das funktioniert auch. Prima! Robert Palmer hat sowas ähnliches gemacht, wenn er Jazzstücke und entspanntere Nummern hatte, hat er seine Show in zwei Sets gespielt. Plattenfirmen finden das furchtbar, weil sie dir so kein Etikett verpassen können. Aber wenn deine Show wie bei mir ein paar Stunden lang ist, dann ist es nicht angenehm, zweieinhalb Stunden lang nur Rockmusik vorgesetzt zu bekommen. Wir haben akustisches Material und Rock .
it: Wie stehen die Chancen für eine Wiederveröffentlichung von
The Mind’s Eye, vielleicht mit Bonustracks? Hast du darüber mal mit Virgin oder EMI gesprochen?
Ray: Die Rechte für das Album gehören Peter Lawlor, die würde er mir niemals abgeben. Das ist nicht nötig. Ich möchte auch nicht so sehr auf das Album eingehen.
Inside ist das Stück, an das sich die Leute erinnern.
Footsteps hat es in die Top 20 geschafft, hier in Deutschland und anderswo. Ansonsten war es kein großes Ding. Nein, ich glaube nicht, dass wir zu dem Album zurückgehen werden. Vielleicht ein paar Live-Versionen von den Stücken. Mehr aber auch nicht.
„Ich will eine DVD machen, die es wert ist, gekauft zu werden“
it: Auf deiner Webseite bietest du einige schöne Videos an, zum Beispiel eine Performance von Sarah, als du die Vorband für Westernhagen gemacht hast, und Change aus der Kirche in Rathenow. Gibt es irgendwelche Pläne für eine DVD?
Ray: Pläne für eine DVD gibt es immer. Wir werden eine Show von der Herbsttour aufzeichnen. Wo, steht aber noch nicht fest. Ich habe versucht, Rockpalast dazu zu bringen, dass es in der Harmonie in Bonn sein wird, weil man dort sehr gut aufnehmen kann, aber dort gibt es nicht genug Platz. Ich werde versuchen, meine eigene Crew zusammenzustellen. Ich weiß, dass Nazareth in Worpswede gefilmt haben. Meine Band kennt die Jungs von Nazareth, weil sie aus Dunfermline sind. Und sie haben die DVD in Worpswede gefilmt, wo ich mein Livealbum aufgenommen habe. Und sie sagten, dass die DVD sehr ordentlich geworden sei. Es hängt ja alles an der Beleuchtung, wisst ihr. Ein gutes Publikum braucht man natürlich auch. Worpswede war immer ein Spitzenpublikum. Viel Licht, eine große Bühne, erhöhte Positionen am Ende der Halle für gute Kameraperspektiven, das ist alles wichtig. Gegenwärtig suchen wir noch den geeigneten Ort. Danach habe ich das Herbstkonzert, und Rockpalast – das Ding von der Change–Tour, und den akustischen Gig in Rathenow. Das einzige Problem mit dem Akustikgig liegt darin, dass die Leute in Rathenow kaum Englisch konnten, so dass die ganzen Witze in der Akustikshow nicht ankamen. Naja, das habe ich damals gemacht, dem Publikum gefallen die Geschichten, die ich erzähle; inzwischen mache ich das nicht mehr so viel. Aber eigentlich wollte ich ein Akustikkonzert aufnehmen und veröffentlichen. Aber deswegen habe ich es nicht gemacht. Der Humor war ein wichtiger Teil der Show, dass Phil seinen Job zurückhaben wollte und der ganze Kram, den ich da erzählt habe. Darum habe ich das nie veröffentlicht. Im Moment ist der Plan der, dass wir das Herbstkonzert aufnehmen und dies und das von den anderen Shows benutzen. Ich möchte, dass es sich lohnt. Nicht nur ein Gig. Ich habe so viel. Sogar Amateuraufnahmen aus dem Camcorder. Mir fehlt nur die Zeit, das alles durchzugehen. Ich habe sogar noch Zeug aus der Genesis-Zeit, den Auftritt bei Rock Im Park und Material von hinter der Bühne. Es war der letzte Auftritt von Genesis, der letzte Moment, als ich von der Bühne komme und frage: “Das war’s jetzt?” und Tony Smith, der Manager von Genesis, sagt: “Ja, das war’s” und er meinte das wortwörtlich. Das war’s. Und ich hatte da gerade das Gefühl: “Ja, das ist es jetzt.”, fühlte das ganz genau, es war der beste Auftritt, wie das Publikum reagiert hat und wie es auf der Bühne klappte, das war wie bei Robbie Williams. Eine Wahnsinnsatmosphäre. Und das war das letzte, was wir gemacht haben. Davon habe ich eine Menge Aufnahmen, und ich möchte sie auf der DVD haben, damit sich die Anschaffung auch rentiert.
it: Das ist also der Plan für 2007?
Ray: Ja, damit werde ich mich nächstes Jahr beschäftigen. Ich wollte eigentlich kein neues Album veröffentlichen, nur ein wenig aufnehmen und ein paar Songs schreiben.
it: Wird das nächste Album ein Ray Wilson-Album oder eher eine Stiltskin-Nummer?
Ray: Hey, wer weiß das schon. Das ist die Preisfrage. Könnte alles sein. Auch irgendwas, das ich nicht machen sollte und trotzdem tun werde. Weiß ich aber jetzt noch nicht.
it: Gibt es Pläne für weitere gemeinsame Projekte mit den Turntablerockers oder Armin van Buuren oder dem verschwundenen Projekt mit DJ Sha?
Ray: Um ehrlich zu sein, dieser ganze Kram gefällt mir eigentlich nicht. Ich fand die Sache mit Armin van Buuren interessant, er hat
Another Day in eine Trance-Nummer verwandelt, und manches davon hat mir auch gefallen. Er hat auch Gypsy bearbeitet und das hat mir noch besser gefallen, aber es kam eben nicht so an. Turntablerockers, nun, für so etwas bin ich immer offen, je nachdem wie es aussieht. Das ist auch etwas anderes, es hält die Musik interessant. Es ist langweilig, wenn man immer wieder dasselbe spielt. Man muss verschiedenes ausprobieren. Aber geplant ist da nichts.
it: Du hast mit Joey Kelly gejammt, gibt es da Pläne?
Ray: Mit Joey ist das so, dass die Kelly Family bekanntermaßen kein besonders cooles Image hat. Bei Joey ist das anders, wegen all der Sportsachen, die er macht, und dem ganzen verrückten Kram. Für ihn habe ich viel Zeit, ein sehr aufrichtiger Mensch. Er gibt selbst zu, kein toller Musiker zu sein – er glaubt, er sei echt mies. Er hält sich auch nicht für talentiert – er ist ein Geschäftsmann und kümmert sich für die Familie ums Geschäft. Auf seinem letzten Album hatte er einen Song namens Flip A Coin, sehr ungewöhnlich und ziemlich aggressiv. Mir gefiel, wie er darauf redete. Es klang beinahe wie Rap. Er hat da etwas sehr Spannendes gemacht – ich bin Sänger, er nicht. Wir überlegen, ob wir mal etwas gemeinsam machen und ob das klappt, aber das ist alles in einer ganz frühen Phase.
it: Als wir die Fragen zusammengestellt haben, sah es so aus, als könnten wir das Interview ohne eine einzige Frage zu Genesis durchführen. Aber in den Foren…
Ray: …drehte sich alles um Genesis.
it: Nein, nur zwei oder drei Fragen.
Ray: Gut, denn dazu gibt es nicht viel zu sagen…
„Ich denke, dass für den Fall einer neuen Genesis-Tour die Beteiligung von Steve Hackett wichtiger wäre als die von Peter Gabriel“
it: Eine Frage war, ob die ehemaligen Mitglieder von Genesis
She gehört haben und wie sie es finden?
Ray: Nein. Keine Ahnung. Sie haben nichts gesagt. Ihr wisst ja selbst nur zu gut, dass Genesis nicht die Jungs sind, die sich wortreich zu etwas äußern, sie halten sich sehr bedeckt. Vor einiger Zeit sprach ich mit Dale Newman, der ja auf The Farm arbeitet, und nicht einmal er hört, was los ist. Und er arbeitet mit Mike zusammen! Da wird nichts erzählt. Nick Davis hat mich letztens auch mal angerufen. Er rief an – sie machen glaube ich gerade eine 5.1-Version von
Calling All Stations, er rief also an und sagte mal hallo, ich fragte, was los sei und er sagte “Keine Ahnung”. Ich glaube, nicht einmal Genesis selbst wissen, was sie machen werden. Vielleicht wissen sie es aber auch schon und schweigen sich einfach nur aus. Und immer geht das Gerücht, dass Peter damit zu tun hat, was natürlich herrlich wäre. Für mein Teil fände ich es wichtiger, dass Steve Hackett dabei wäre, wenn Genesis noch eine Tour spielen würden. Das fände ich noch besser, als wenn Peter beteiligt wäre. Die Phase bei Genesis, die ich am meisten mag – und jeder weiß ja, dass
A Trick Of The Tail mein Lieblingsalbum ist, ist die Zeit, in der der Steves Beiträge die meiste Magie entwickelten. Peter Gabriel ist natürlich eine Legende. Aber es würde mich weniger reizen, Genesis zu sehen, weil Peter das alte Material wieder singt, als zu erleben, wie Steve Hackett Gitarre spielt. Keine Ahnung. Am Ende geht es sowieso nur ums Geld.
it: Es wurde auch gefragt, ob du die Möglichkeit hast, Nowhere Else To Turn neu aufzunehmen oder live zu spielen
Ray. Ähm… ich erinnere mich kaum noch an den Song… äh..
it [singt die ersten Worte an]
Ray: Ahja. Da sollte ich die Lyrics zu schreiben. [rollt seine Augen]
„Banjo Man und der andere Kram, das war ein Haufen Scheiße“
it: Es klingt ein wenig wie ein Song von den Mechanics.
Ray: Ja, sie hatten schon alle Tonspuren aufgenommen und hatten keine Ahnung, was sie damit tun sollten, also gaben sie es mir. So fing das an. Eine Ausnahme gab es,
There Must Be Some Other Way. Dafür schrieb sich der Text sehr gut. Und
Small Talk hatte Andeutungen an Solsbury Hill als Instrumental. Was ich mit dem Stück angerichtet habe, gefällt mir offen gestanden nicht so sehr, aber was besseres ist mir nicht eingefallen. Und ihnen auch nicht. Not About Us ist natürlich ein schönes Lied. Klingt auch wie Mike & The Mechanics, bis man versucht es zu spielen und merkt: In diesem Stück sind so viele Akkorde, dass es für den Musiker ein echtes Genesis-Stück ist. Wenn man es hört, klingt es wie Mike & The Mechanics.
Banjo Man und der andere Kram, naja, das war ein Haufen Scheiße, wenn ihr mich fragt. Und die Jungs von Genesis fanden das auch. Das waren zweitklassige Songs.
Nowhere Else To Turn war auch so ein zweitklassiger Song, der nicht aufs Album kam, weil wir ihn nicht gut genug fanden. Ich meine, nehmt mal den Song
Calling All Stationsund vergleicht ihn mit
Nowhere Else To Turnoder
Banjo Man – die kann man gar nicht miteinander vergleichen. Die würde ich auch nie in meine Setlist aufnehmen. Ich spiele ja auch nicht
Congo, und das war die erste Single, die sie ausgekoppelt haben.
it: In deinem Forum schlug jemand vor, du solltest
Sign Your Life Away live spielen.
Ray [tiefer Atemzug] Ja. [Pause] Es gab hier und da Bruchstücke in den übrig gebliebenen Stücken, die ganz gut waren. Die hatten was, aber das reichte nicht, um das ganze Lied zu tragen. Es ist gut, dass die Stücke als B-Seiten oder so verfügbar sind, aber das genügt dann auch. Und wenn ich meine Setliste ergänzen würde – ich spiele ja sowieso nur, was ich spielen will.
Ripples zum Beispiel, den Song liebe ich, also spiele ich ihn.
Entangled genauso. Von
Calling All Stationsgefallen mir nicht so viele Stücke wie von
Trick Of The Tail. Wenn ich in den Plattenladen ginge und würde nicht zufällig auf dem Album singen, würde ich nicht
Calling All Stationskaufen, sondern
Trick Of The Tail. Und deshalb spiele ich ein paar Stücke davon, weil ich sie mag. Wenn ich überhaupt etwas von
Calling All Stationsdazunehmen würde, dann
One Man’s Fool – das war ein gutes Stück – oder
The Dividing Line.
„Ich würde gern auch Domino oder In The Cage spielen“
it:
The Dividing Line war einer der stärksten Momente in den Konzerten 1998.
Ray: Ja, ein ziemlich guter Live-Track. Der funktionierte einfach. Andere taugen live einfach nicht so gut, Shipwrecked zum Beispiel. Das war kein toller Genesis-Live-Song, also haben wir ihn bald aufgehört zu spielen – er war langweilig. Und dann hast du Sachen wie Domino. Domino würde ich gerne in meinem eigenen Set spielen. Großartige Nummer. Das andere Stück, das wir nicht gespielt haben, war
In The Cage. Das haben sie immer live gespielt und mit mir nicht. Wir hätten es machen sollen, weil das sehr gut klang. Aber wir hatten schon
Domino und
Home By The Sea – mit
In The Cage wäre dann zuviel von diesem Stil da gewesen. Ich hätte lieber
Domino und
In The Cage gehabt und
Home By The Sea ausgelassen, weil mir das Stück nicht gefiel.
it: Die letzten Fragen, da genügen kurze Antworten.
Ray: Kurze Antworten gebe ich nicht. [lacht]
it: Was ist dein Lieblingswhisky?
Ray: Wahrscheinlich Glenmorangie Sherry Wood, den mag ich sehr gerne. Ich bevorzuge die weniger rauchigen Malts, die Torfrauchnote mag ich nicht so. Laphroaig beispielsweise würde ich nicht gerne trinken. Während der Prohibition galt Laphroaig angeblich als Medizin und durfte getrunken werden.
it: Wie steht’s mit Bier?
Ray: Oh, deutsches Bier ist fantastisch. Macht aber dick.
it: Benutzt du einen PC oder einen MAC?
Ray: Beides. Zum Aufnehmen ist ein Mac aber besser.
it: Was machst du, wenn du keine Musik machst? Hast du eine Modelleisenbahn?
Ray: Ich mache ständig Musik. Ich habe keine Hobbys. Das dürfte wohl eine Lücke in meinem Leben sein, muss ich sagen. Eine Lücke, die ich ausfüllen muss, vielleicht mit Gartenarbeit wie Tony Banks. Ich brauche etwas anderes, aber ich habe keine Hobbys. Ich bin durch und durch Musiker.
„Ich würde diese mobilen Rasenmäher fahren, wenn ich kein Musiker wäre. Vielleicht läuft dann I Know What I Like im Hintergrund“
it: Was würdest du tun, wenn du kein Musiker wärst?
Ray: Ich würde einen dieser Rasenmähertraktoren fahren wie Forrest Gump [Gelächter]. Ihr lacht, aber ich meine das ernst. In der Innenstadt von Edinburgh gibt es diesen Hügel namens “Arthur’s Seat” [König Artus’ Sitz], auf dem König Artus berühmterweise saß und den Krieg zwischen Schottland und England vor zahllosen Jahren bedachte. In der Mitte der Stadt ist also dieser Hügel, sehr schön und man kann drum herum fahren. Wenn ich zuhause bin, gehe ich fast jeden Morgen dorthin. Man kann die Nordsee sehen und so. Also gehe ich dorthin, kaufe mir erstmal einen Kaffee und setze mich irgendwo hin. Das ist übrigens die Geschichte von dem Song
Gouranga. Den habe ich geschrieben auf dem Weg zum Kaffeeholen. Ich gehe auf Arthur’s Seat hinauf, telefoniere manchmal eine Stunde mit meiner Mutter und beobachte diesen kleinen Mann, der mit dem Traktor den Rasen mäht. Ich schaue ihm zu und denke: Aus dieser kleinen Tätigkeit schöpft der Mann so viel Frieden – und ich bin in den letzten Jahren dort hinaufgefahren mit meinen Depressionen und meinem friedlosen Leben, wenn alles ein Problem war. Und dieser Mann war mit sich im Reinen und ich nicht – und das wollte ich aber. Und jetzt bin ich es. Ich fahre zwar keinen Rasenmäher, aber die Möglichkeit besteht. Vielleicht spielt dann
I Know What I Like im Hintergrund. [lacht]
it: Die letzten drei CDs, die du gekauft hast?
Ray: Ich habe Breaks Co-op –
The Sound Inside gekauft, die hatte ich im Fernsehen in England gesehen… Was noch? Ein Randy Newman-Album,
Land of Dreams, eine alte Scheibe, die Mark Knopfler und Jeff Lynne [vom Electric Light Orchestra] produziert haben. Ein herrliches Album mit humorvollen Texten. Und, ja, Bruce Springsteen –
Seeger Sessions.
it: Das ist ein lustiges Album, und noch eines, das in betrunkenem Zustand aufgenommen wurde.
Ray: Das war nicht zu übersehen [lacht], ein cooles Album, sehr anders. Aber es gibt nicht viel, was mich musikalisch richtig begeistert, muss ich sagen.
it: Der letzte Gig, auf dem du warst?
Ray: Dafür habe ich keine Zeit, weil ich selbst ständig auf der Bühne stehe… und ich gehe nicht gerne auf Konzerte. Das sollte ich vielleicht nicht sagen, weil mein Lebensunterhalt davon abhängt, dass die Leute auf Konzerte gehen, aber ich selbst mag es nicht so. Was mir gefällt, ist aber, wenn man den Künstler noch direkt sehen kann. Da bin ich dann auch ein Trainspotter, wenn ich ein Konzert verfolge, achte ich auch auf die Produktion, welche Gitarren die Leute benutzen und so weiter.
it: Nenn uns die drei Stücke, auf die du am meisten stolz bist.
Ray: Okay. Auf dem neuen Album
Taking Time, weil ich einen Refrain hinbekommen habe, der zwei Takte lang dauert, das ist eine Leistung [lacht] und [denkt nach]
Gypsy hab ich immer schon gemocht und – was hab ich noch gemacht –
Alonemag ich auch. Wegen der Atmosphäre. Musikalisch ist der Song nicht so interessant, aber es ist ein bisschen wie
Wicked Games von Chris Isaak. Die drei Stücke.
it: Nenn uns die drei Stücke, auf die du gar nicht stolz bist
Ray: [antwortet sehr schnell]
The Airport Song, Swing Your Bagund
Banjo Man [lacht]. Aber eines Tages werde ich diesen ganzen albernen Kram auf einem Album zusammenfassen.
it: Herzlichen Dank dafür, dass du dir so viel Zeit für dieses umfassende Interview genommen hast!
Ray: Danke, es war mir ein Vergnügen.
Interview und Transkription: Christian Gerhardts
Fotos: Helmut Janisch