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Ray Wilson im it-Interview – Gelsenkirchen 2002
Nach seinem ersten echten Solokonzert in Deutschland traf Christian Gerhardts den früheren Genesis-Frontmann Ray Wilson am 16.06.2002 in der Kaue Gelsenkirchen für ein exklusives Interview.
Nach dem Konzert in der Kaue (Gelsenkirchen) hatten wir Gelegenheit, ein ausführliches Interview mit Ray zu führen.
it: Die
Storytellers-Tour ist jetzt über ein halbes Jahr alt. Wie verlief die Tour bisher? Erzähl uns etwas über die Idee der Tour!
Ray: Ich toure eigentlich gar nicht seit sieben oder acht Monaten, obwohl die ersten Konzerte vor mehr als einem halben Jahr stattfanden. Ich hab 13 Mal in Edinburgh gespielt, fünf Mal in Italien, fünf Mal in England und nun zwei Mal in Deutschland, das ist alles. Das ist keine echte Tour, es sind nur einige Akustik-Shows, die Spaß machen sollen. Ich war in Stiltskin, hatte meine eigene Band Cut, spielte bei Genesis – vor allem bei Genesis, die ja die bekannteste aller Bands waren, bei denen ich spielte, gibt es unglaublich viele Fans, die ihre alten Sachen hören wollen. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, von all diesen Bands eine Unplugged-Liveshow zu machen. Die Leute wollen alte Genesis-Klassiker hören, also spiele ich sie. Es macht einfach Spaß! Genesis spielen diese Sachen nicht mehr, Phil auch nicht und Peter macht auch nichts.
it: Peter bereitet eine Welttournee vor und hat ein neues Album fertig.
Ray: Ja, aber er wird kaum Genesis-Klassiker bringen. Er hat seit Ewigkeiten versucht, aus der Genesis-Nummer raus zu kommen und wird sein eigenes Ding bis an sein Lebensende machen. Also spiele ich die Songs, ich nehme das nicht allzu ernst, es soll einfach Spaß machen.
it:Es ist also so, dass sich deine Situation entsprechend entwickelt hat. Das Ende von Genesis, der relativ geringe Erfolg von
Millionairhead, dann hat man hat dich bei Virgin vor die Tür gesetzt…
Ray: Na ja, ich war ja bei Virgin als Genesis-Mitglied unter Vertrag. Als Genesis vorbei war, war das eben auch vorbei. Der Vertrag war sehr umfangreich. Hätte ich ihn nicht als Genesis-Mitglied unterschrieben, wäre alles OK gewesen. Das Cut-Album hat sich 20.000 oder 30.000 Mal verkauft, ohne Genesis wäre das OK gewesen, der Vertrag wäre weitergelaufen, es wäre gut gewesen. Aber ich war eben bei Genesis… und dann haben die auch noch das Album wie ein Genesis-Album beworben, das gefiel mir nicht. Hätte ich damals zum Beispiel bei InsideOut Records unterschrieben, wäre alles in bester Ordnung gewesen! Wir hätten uns entwickelt. Alle wären glücklich gewesen und es gäbe keine Probleme. Aber sobald man ins Profibusiness einsteigt, geht alles den Bach runter. Eigentlich war Virgin nicht so schlecht. Aber ich will nicht der Sklave der Musikbranche sein, ich will spielen, weil ich es mag zu spielen. So einfach ist das!
it:So was hört man auch oft von Fish.
Ray:Ja, Fish war recht bekannt in Deutschland und Amerika. Aber das will eigentlich keiner. Die wollen alle nur raus, ihren Kram spielen und davon leben können. Das ist es doch, worum es in der Musik geht. Es geht nicht um Zahlen oder Erfolg, der sich an Plattenverkäufen misst. Es geht um Abende wie heute mit 200 oder 300 Leuten, denen es Spaß macht.
it: Du ziehst also Club-Konzerte den Stadiongigs vor?
Ray:Auf jeden Fall – hier kann ich das machen, was ich will. Mit Genesis war das – es war wie eine Maschine. Jeden Abend zweieinhalb Stunden die gleichen Songs – es war eine furchtbare Tour – einfach anstrengend. Es war für meine Stimme eine Strapaze. Ich muss Gabriel-Songs singen, Collins.Songs und Wilson-Songs. Zweieinhalb Stunden. Fünf Abende pro Woche. Ich war jedes Mal total fertig. Da war ich dieser Sklave der Musikbranche. Jedes Mal habe ich gedacht „packst du es auch morgen Abend?“ Diese Gedanken haben mich wahnsinnig gemacht. Kann ich
Congo oder
Carpet Crawlers singen? Schaffe ich die hohen Passagen? Und dann immer die gleiche Setlist. Wenn ich jetzt auftrete, streiche ich einfach Songs, die ich eventuell nicht schaffen könnte. Ich habe nicht mal eine festgelegte Setlist. Ich spiele einfach drauf los. Jeder Abend ist anders. Bei Genesis war alles mit Ausnahme der ersten 3 oder 4 Shows identisch. Das war kein Spaß! Das ist aber leider normal in dem Geschäft. Jemand wie Prince ist da die Ausnahme. Der erzählt nicht mal seinen Musikern, was er als nächstes spielt.
it:Nun, du nimmst grade ein neues Album auf, lass uns mal darüber sprechen, mit Genesis ist es ja nun vorbei und es wurde oft genug darüber gesprochen
Ray:Ja, Genesis ist für mich für alle Zeiten erledigt.
it: Du hattest vor einiger Zeit Samples auf deiner Website, mittlerweile aber nicht mehr. Heute hast du vier neue Songs gespielt, namentlich
Beach, Change, Gouranga und der letzte Song heute Abend. Wie heißt der?
Ray: Dafür gibt es noch keinen Namen. Der Arbeitstitel könnte
Cry sein, man wird sehen. Der Song ist noch recht neu.
it: Welche Musiker sind bei den Aufnahmen beteiligt?
Ray: Nir spielt auf vielen Songs, mein Bruder Steve natürlich – ich spiele auch etwas Gitarre und Bass, Andy Hess von den Black Crows spielt bei manchen Songs Bass, Adam Holzman hat mal mit Miles Davis gearbeitet und spielt Keyboards, ebenfalls Keyboards spielt Irvin Duguid – er spielt derzeit bei den Fish-Konzerten, auf denen Fish das ganze alte Marillion-Material präsentiert. Einen Gitarristen namens Taj. Ich hab auch Akkordeons und Banjos mit auf dem Album. Ganz verschiedenen Sachen, es ist nicht unplugged, aber viele Songs sind mit diesem Sound entstanden.
it: Du hast einen neuen Plattenvertrag und dein Album ist fertig.
Ray: Ja, ich bin bei InsideOut und das Album ist fast fertig. Es wird im Februar erscheinen. Es wird zwar Anfang September fertig sein, aber sie werden es vor Weihnachten nicht mehr veröffentlichen. Das
Live And Acoustic-Album wird im Juli erscheinen.
it: Das wurde auch schon bei amazon.de angekündigt
Ray: Ach ja? Da weißt du mehr als ich. Aber gut so.
it: Planst du eine weitere Tournee nächstes Jahr?
Ray: Ich habe gar nicht vor, mit dem Touren aufzuhören. Ich werde im Herbst mehr Shows in Deutschland spielen. Die werden dann etwa 2 Stunden dauern. Ich werde dann wohl mit richtiger Band kommen.
it:Hast du die Band Cut aufgelöst?
Ray:Nein, nicht wirklich! Nir spielt ja auf dem Album mit, Steve auch. John und Paul sind zwar nicht direkt beteiligt, aber hatten auch ihren Anteil in frühen Versionen der Songs. Den Song
Gouranga gibt es schon lange und die beiden haben daran mitgewirkt. Von den mittlerweile verschwundenen Soundclips der Website habe ich drei für das Album vorgesehen:
Beach,
Gouranga und einen Song namens
Cool Water, den man akustisch schlecht bringen kann.
Change ist ein relativ neuer Song.
it:Wie war denn die Resonanz auf die Shows in England, Italien und Deutschland, mal abgesehen von den 13 Shows in Edinburgh?
Ray: Gestern in Duisburg war es schon etwas schwierig. Es lief aber sehr gut. Über 1000 Menschen, es war nicht unbedingt das, was ich machen wollte, aber am Ende hat’s ne Menge Spaß gemacht. Die Show hat immer funktioniert. In England rede ich mehr, was natürlich an der Sprache liegt und an der eigentlichen „Storytellers“-Idee. Aber heute lief es auch sehr gut, die meisten deutschen Fans sprechen ja Englisch, in Italien ist das nicht so. Ich hab in Italien gar nicht so viele Genesis-Songs gespielt. Die Italiener mögen aber vor allem die alten Genesis-Klassiker. Ich habe seitdem meine Setlist um einige alte Genesis-Songs erweitert. Insgesamt bin ich mit den Konzerten sehr zufrieden, egal ob da 50 oder 500 Leute sind – oder sogar weit über 1000 wie in Duisburg – es klappt einfach.
it: Kannst du dir vorstellen, noch mal mit Stiltskin zu arbeiten?
Ray:Das wird nie passieren. Ich meine, ich würde schon gerne. Die Konzerte waren das beste, was ich je erlebt habe. Da war so viel Energie, weil wir uns alle so gehasst haben. Da war diese brutale und wilde Energie, ich war 25 und habe jeden Song nur geschrieen. Das war klasse! Ich erinnere mich an eine Show in Hamburg. Das war das beste Konzert, das ich je gespielt habe. Ich könnte mit Pete Lawlor nicht mehr zusammenarbeiten. Wir reden nicht mal miteinander.
it:Klingt wie eine Art Waters/Gilmour Konflikt?
Ray:Nein, das ist es nicht. Ich habe ihn immer gehasst und er hat mich genauso gehasst. Pete wollte immer der Sänger sein, aber das war ich. Trotzdem singt Peter auf jedem Song und ich wusste davon gar nichts. Bei Rest In Peace singt er die ganze Zeit mit. Peter ist merkwürdig. Er kommt aus guten Verhältnissen und verdient mehrere Millionen im Jahr. Das geht in der Musikbranche eigentlich nicht. Er sagte einmal: „Ich habe Angst davor, arm zu sein“. Und deswegen hat er aufgehört. Er ist sehr talentiert und schreibt gute Songs, aber er beteiligt niemand anderen – überhaupt kein bisschen. Ich habe damals schon
Another Day geschrieben, aber er wollte es nicht. Wegen dem Song habe ich dann schließlich meinen Vertrag bei Virgin bekommen. Aber mit Stiltskin wird es nie mehr weitergehen. Niemals. Das interessiert auch sowieso keinen (Gelächter).
it:Erzähl uns mal die Hintergründe zum Remix von
Another Day!
Ray: Ahhh! Ich habe einen Track eingespielt mit den Turntablerockers. Ich singe auf der ersten Single ihres neuen Albums. Es ist noch nicht veröffentlicht. Dazu kam es, als ich vor einigen Wochen in Stuttgart war und eigentlich etwas für einen Soundtrack machen wollte, doch dazu kam es nicht, also sang ich etwas für die Turntablerockers ein. Gleichzeitig machte ich etwas mit Armin van Buren, den ich dort kennen lernte. Wir haben einen Trance-Mix von
Another Day gemacht, das war echt gut! Nicht unbedingt das, was wir uns so anhören, aber es war ein großer Spaß! Beim Dance-Festival Sensation werde ich den Song im Ajax-Stadion live singen. Ich freu mich da wirklich drauf! Da lernt man auch mal was anderes kennen. Es gibt so viel zu entdecken. Ich höre ohnehin sehr viel Musik. Ich mag Hip-Hop, Elemente von Rap, Heavy Metal, Pink Floyd, Rush, Genesis – auch Barbara Streisand. Ich bin da sehr offen. Zu dem Yet Another Day-Projekt wird es sogar ein Video geben, das in Rumänien produziert wird, da komme ich dann auch drin vor. Ich hab einen Blues-Song eingespielt für Frankie Miller, er ist Schotte und sitzt derzeit im Rollstuhl und kann nicht mehr singen. Ich bin sehr beschäftigt. Das ist einfach die beste Zeit in meinem Leben!
it:Deine Konzerte machen dir auch sichtlich Spaß…
Ray:Ja, und es ist jeden Abend anders. Und ich bin der Sklave von niemandem. Ich brauche nicht irgendein Geld von sonst wem, ich muss keine 20.000 CDs verkaufen, ich könnte nur fünf verkaufen – es würde völlig egal sein. Ich bin kein Sklave von Genesis mehr und auch nicht vom Musik-Business. Es ist einfach die beste Zeit meines Lebens!
it:Hast du mal mit Mike und Tony gesprochen?
Ray:Nein, die reden nicht mit mir. Ich glaube, die schämen sich, wie das alles gelaufen ist. Ich hab gehört, dass sie sich schämen, weil sie mich so schlecht behandelt haben. Tony ist ein feiner Kerl, ich hab ihn mehrfach getroffen seit dem Ende von Genesis – seine Frau ist sehr nett. Ich glaube Tony und Mike bedauern beide, wie sich die Dinge abgespielt haben. Ich mache sie für nichts verantwortlich, denn ich glaube nicht, dass es letztendlich ihre eigene Entscheidung war. Sie werden viel Druck vom Management bekommen haben. Eigentlich sind sie beide sehr ehrlich. Sie haben einfach das gemacht, was sie tun mussten. Es war mir gegenüber aber sicher nicht fair.
it: Wie hast du dich gefühlt, als es zu Ende ging?
Ray: Es war schrecklich, ich habe mein Haus verloren, ich war sehr deprimiert, verlor dann auch noch meine Freundin. Das waren alles Nachwirkungen dieser Business-Maschine. Das ging bis zur Selbstaufgabe. Es war wirklich so schlimm. Heute bin ich frei und es geht mir sehr gut. Ich spiele einfach drauf los. Es ist mir egal, wie viele Genesis-Songs oder eigene Sachen ich spiele. Es muss einfach nur Spaß machen. Und das kann mir keiner mehr nehmen. Das ist meine Show und sie wird es immer bleiben, so lange meine Stimme hält.
Es war gut, bei Genesis mitzumachen, aber sie haben die falsche Entscheidung aufgrund falscher Gründe getroffen – wegen des Geldes. Sie wollen den guten Namen von Genesis nicht ruinieren, indem sie wenige Platten verkaufen. Ich kann das zwar verstehen, aber es sind die falschen Gründe. Man macht Musik, weil man die Musik liebt, und nicht des Profites wegen oder der Anzahl der verkauften CDs. Die brauchen das Geld doch sowieso nicht. Ich brauch das auch nicht. Also was soll das Ganze?
it: Hast du schon neues Material von Peter Gabriel gehört?
Ray: Naja,
Father, Son bei Jools Holland.
it:Das ist jetzt nicht ganz so neu. Ich meinte von seinem neuen Album!
Ray: Ach so, nein – aber ich war immer ein Fan von Peter. Eine neue CD von ihm würde ich immer kaufen. Es hat ja nun auch lange genug gedauert. Er ist einfach einer der besten Musiker in der Rock-Szene.
it:Deine Version von Biko ist sehr beeindruckend.
Ray:Vielen Dank! Aber seine ist unübertroffen.
it:Wie dem auch sei, danke für das Gespräch.
Foto, Interview & Transkription: Christian Gerhardts
Technische Unterstützung durch Christian Gudrian und Martin Timmerbeil