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Ray Wilson – GENESIS Klassik – Live In Berlin with the Berlin Symphony Ensemble – Rezension

2009 tourte Ray Wilson erstmals mit seinem neuen Showkonzept GENESIS Klassik. Seine Band wurde für diesen Zweck um klassische Instrumente des Berlin Symphony Ensemble verstärkt. Am 13.08.09 spielte die Band eine Show für Radio Berlin, die nun auf CD erhältlich ist.

Ray Wilson & the Berlin Symphony Ensemble

Die Fakten zuerst: Live In Berlin ist bereits das fünfte Ray Wilson-Live-Album. Zuvor gab es bereits Live And Acoustic (2002), Live (2004), An Audience And Ray Wilson (2005) und Ray Wilson & Stiltskin Live (2007). GENESIS Klassik: Live in Berlin unterscheidet sich aber von den anderen Live-Alben, speziell konzeptionell.

Die Vorgeschichte

Ende letzten Jahres gab es bereits Diskussionen darüber, ob es ein neues Showkonzept für Ray Wilson geben soll. Die Idee war zunächst, Konzerte mit einem ganzen oder halben Orchester zu spielen. Dass dies sehr teuer werden würde, war schnell klar und man entschied sich für eine größere Band mit Streichern und einem Pianisten. Die ersten GENESIS Klassik Konzerte fanden im Sommer 2009 statt – meistens spielten Ray und seine Band Open Air. Die Ausnahme bildete ein Radiokonzert am 13. August 2009 bei 88.8 in Berlin, bei dem diese CD entstand.

Die Band

Das Line-Up der Band veränderte sich für diese Shows, allerdings wurde die Band „nur“ größer, d.h. die bekannten Musiker der Ray Wilson-Live-Band waren nach wie vor dabei. Interessant ist die Rückkehr von Steve Wilson als zusätzlicher Gitarrist – Steve war seit Sommer 2006 nicht mehr dabei (näheres dazu im Interview mit Ray 2006).

Ray Wilson: Vocals, Acoustic Guitar
Ali Ferguson: Lead Guitar, 12 String
Lawrie MacMillan: Bass, Backing Vocals
Ashley MacMillan: Drums, Percussion
Steve Wilson: Godin Acoustic, 12 String and Backing Vocals
Filip Walercz: Piano
Kristin Sy: Violin
Steffi Hölk: Violin
Nora Bösel: Violin
Tobias Unterberg: Cello, String Arrangements
Ivonne Fechner: Violin

Das Radio-Konzert war ursprünglich gar nicht für eien CD-Veröffentlichung vorgesehen. Das positive Feedback und die Qualität des Auftritts veranlassten Ray dann aber dazu, das Konzert als CD herauszubringen. Eine DVD war ebenfalls geplant, ist aber derzeit erst mal kein Thema. Insgesamt enthält die CD dreizehn Tracks, davon zwölf Songs:

No Son Of Mine

Das Ticken des Metronoms lässt fast den Beginn von We Can’t Dance vermuten. Es dauert etwas länger bis die Bass-Drum einsetzt. Die Elefantengeräusche treten schließlich etwas in den Hintergrund und der Song wird von Rays Stimme und den Streichern getragen. Interessant ist das Klavier, das dem Song eine besondere Note gibt. Das agressive, verstörte und verzweifelte Element der Genesis-Version ist durch diese Instumentierung völlig verschwunden. Der Song hat nun eher eine post-Resignation-Atmosphäre. Wer den Text nicht kennt, würde das Stück ggf. sogar unter „romantisch“ einsortieren.

Land Of Confusion

Mit einem weiteren Welthit geht es weiter. Kurios: Genesis spielten die Songs in dieser Reihenfolge auf der We Can’t Dance-Tour. Auch bei Land Of Confusiongilt: Es klingt weicher, allerdings hat diese Version noch immer viel Kraft. Die Synthie-Attacke und die Gitarren der Strophen in der Originalversion werden durch Streicher ersetzt, ebenso weite Teile von Tony Banks‘ Keyboard-Arbeit. Wieder ist es das Klavier, das den Song vielleicht am meisten „verändert“. Im Mittelteil ist es dann aber doch die Gittare, die bestimmend ist. Mit Land Of Confusion ist eine ziemlich flotte und „dichte“ klassisch angehauchte Version des Stücks gelungen.

Am Ende des Songs spricht Ray erstmals zum Publikum und witzelt gleich herum, er sei Phil Collins mit etwas mehr Haaren – dafür habe Phil mehr Kohle. Außerdem erzählt er von den Problemen, „88.8“ richtig auszusprechen.

That’s All

Ray stellt den Song vor, mit dem Bedauern, das nie mit Genesis live gespielt zu haben. So ganz stimmt das nicht, That’s All wurde bei der Generalprobe 1998 in den Bray Studios vor Presseleuten gespielt.

Nach einem „normalen“ Beginn, bei dem das Klavier dominiert, steigen nach und nach die Streicher ein. Während der Song bei Genesis immer sehr zackig und reduziert klang, entfaltet er hier eine atmosphärische Dichte. Ray setzt schließlich auch seine Stimme als Instrument ein und imitiert Louis Armstrong – dies hatte er bei seinen Live-Shows schon öfter gemacht.

coverNot About Us

Nach drei Stücken der kommerziell erfolgreichsten Genesis-Ära spielt die Band nun mit Not About Us einen Genesis-Song, an dem Ray im Rahmen von Calling All Stations nicht nur mitwirkte, sondern auch als Co-Autor in Erscheinung trat.

Und hier gibt es gleich die größte Überraschung – Not About Us wurde ein verhältnismäßig längeres Piano-Intro hinzugefügt, durch das man den Song nie und nimmer erkennen würde. Erst als die akustische Gitarre einsetzt, ist klar, dies ist Not About Us.

Der Song hat auch nach zwölf Jahren nichts von seiner Klasse verloren. Es gibt zig Versionen – Ray spielte den Song ja fast zu Tode – aber nicht viele davon kommen an die Studio-Version heran. Seine Live-Version mit RPWL oder seiner eigenen Live-Band ist so ein Kandidat – nun veredelt er den Song aber mit dieser wunderschönen klassischen Version. Man hat das Gefühl, Ray befreit den Song von den ganzen künstlichen Sounds und lässt ihn das sein, was er sein soll – eine Ballade mit Stil und natürlichen Klängen.

Carpet Crawlers

Fest verankert in Ray Wilson-Live-Shows ist auch der Genesis-Klassiker Carpet Crawlers, das er seinerzeit mit Genesis auch während der Calling All Stations-Tour spielte. Anders als Genesis spielt Ray den Song immer mit der kompletten ersten Strophe, die Tony Banks im it-Interview als „Einleitung“ bezeichnete – und als Begründung, warum Genesis diesen Teil seit 1975 nie gespielt haben.

Nur das Klavier und Rays Stimme – hier wird einmal mehr klar, warum Genesis 1996 Ray Wilson und niemand anderen gewählt haben. Im Refrain setzen dezent die Streicher ein, schließlich das relativ dominante Schlagzeug. Nun fällt auch auf, wie sehr ein anständiger Keyboarder in Rays Live-Band fehlte, seit Irvin Duguid die Band 2007 verlassen hatte. Filip Walcerz macht einen hervorragenden Job. Das gleiche gilt für Steve Wilsons Gitarrenarbeit.

Shipwrecked

Ein weiterer Song der Calling All Stations-Phase ist Shipwrecked, und auch dieser ist fest in Rays Live-Shows verankert. Während der ersten Sekunden dominieren die Streicher, das Ganze wird in den Strophen wiederholt. Dies gibt dem Song eine zusätzliche traurige Note. Außer den Streichern und akustischer Gitarre ist während der ersten beiden Strophen auch kein weiteres Instrument zu hören. Schließlich kommt noch der Bass hinzu. Diese Version unterscheidet sich kaum von den Darbietungen, die Ray oft alleine als Zugabe spielt.

Follow You Follow Me

Ray erzählt von den Setlistkämpfen mit Mike und Tony und seiner Forderung, etwas Akustisches zu machen. Teil der Calling All Stations-Tour war ja ein Akustik-Set, bei dem auch Follow You Follow Me in einer flockigen „Lagerfeuer“-Version gespielt wurde. Ray spielte den Song auch solo regelmäßig in dieser Version. Für GENESIS Klassik erhält das Klavier eine dominante Rolle. Die Streicher untermalen den Song, was das flockige Element etwas in den Hintergrund treten lässt, dafür wieder eine schöne Ballade zum Vorschein kommen lässt. Den Mittelteil prägen erwartungsgemäß die Streicher.

Solsbury Hill

Ray spielt öfters auch Songs von Peter Gabriel live – zum Beispiel Biko, das man wohl eher als Klassik-Version erwartet hätte, außerdem auch Games Without Frontiers und eben Solsbury Hill. Auch die Klassik-Version ist eine Gute-Laune-Version. Akustische Gitarre, Streicher und wieder das Klavier sind die prägenden Elemente. Nach der zweiten Strophe treibt die Bass-Drum den Song zusätzlich an. Die elektrische(n) Gitarre(n) hört man kaum – wie übrigens auch auf den bisherigen Songs des Albums.

Change

Der erste Song aus Rays eigenem Repertoir ist der Titelsong des Albums Change, der nicht nur 2003 ein Radio-Hit war, sondern auch ein Dauerbrenner seiner Live-Konzerte ist. Change ist aber auch ein Song, mit dem Ray seine Genesis-Zeit aufgearbeitet hat, insofern passt er gut auf diese CD.

Die Instrumentierung ist interessant, zu Beginn kommen Quietschgeräusche der Streicher zum Einsatz, schließlich wurde – natürlich – der Song um ein Klavier bereichert. Treibende Kraft sind aber nach wie vor die akustische Gitarre und das Schlagzeug. Nach der ersten Strophe werden die Streicher dominanter und bringen eine gewisse Unruhe in den Song, die Richtung Refrain dann wieder in Ruhe umschlägt. Das ist sehr interessant gemacht.

Short Story

. Tell your mum – I got my job back“ – diese Story ist Ray Wilson-Konzertbesuchern bestens bekannt – und soll hier auch nicht weiter ausgefüht werden. Wer sie nicht kennt und die CD kauft, wird sich köstlich amüsieren.

Jesus He Knows Me

Dieser Song ist vielleicht die größte Überraschung der CD. Ray spielte Jesus He Knows Me zwar hier und da auch mal live, es ist aber nicht unbedingt ein Song, der zu Ray passt – da er viel zu typisch für Phil Collins ist. In der Klassik-Version werden die Gitarren und Teile des Keyboards durch Streicher ersetzt, was eine zusätzliche Dynamik bedeutet. Während die klassischen Elemente in anderen Songs den Drive etwas bremsen, gibt es hier den gegenteiligen Effekt. Besonders eindrucksvoll diesbezüglich ist die Instrumentalpassage vor der Brücke. won’t find me practising…“).

Turn It On Again

Das unvermeidliche Turn It On Again hat auch Ray Wilson eingeholt. Hier passt die klassische Untermalung wohl am wenigsten zum Song – oder ist ggf. auch nicht zu Ende gedacht worden. Turn It On Again ist eine typische Stadion-Rock-Nummer und wirkt in dieser Version etwas hilflos und deplatziert.

Constantly Reminded

Ray witzelt, dass er eigentlich zum Klo wollte, aber dies wegen der Radio-Liveübertragung nicht möglich war. Nun spielt er doch noch etwas von seinem letzten Stiltskin-Album SHE. Das Publikum-Pfeifen zu Beginn des Songs stammt übrigens von Sylvia Lampe-Dahm, die Mitglied unseres Fanclubs ist und dazu das Foto des Front-Covers der CD gemacht hatte.

Zurück zum Song – hier stimmt die Umsetzung wieder und wir hören eine gute Symbiose von klassischen und rockigen Elementen. Am Ende verhallt das Echo von „are you there?“, und die CD ist nach kurzer Bandvorstellung zu Ende.

Fazit

Es wird genug Kritik an diesem Projekt geben, die auch sicher berechtigt ist – viele Fans wünschen sich mehr Ray Wilson und weniger Genesis im Live-Set. Dennoch sollte man dieses Projekt etwas isolierter betrachten. GENESIS Klassik ist ein ambitioniertes Unterfangen, das sich mit Sicherheit auch noch weiterentwickeln wird. Natürlich wird auch hier der Name „Genesis“ aus Marketinggründen „gerne“ verwendet, aber der Ansatz ist neu und das Konzept geht auf. Diese CD ist nur der Anfang und eine Art Geschmacksverstärker. Es ist erstaunlich, wie manche Songs durch die klassiche Umsetzung gewinnen und es wäre interessant gewesen, auch weitere Songs, wie z. B. Fading Lights, Lover’s Leap, Entangled oder Ripples, die Ray auch oft spielte, in diesem Format zu hören. Auch zusätzliche Songs seines eigenen Repertoirs wären gut geeignet, um in klassischem Format dargeboten zu werden.

Dafür könnte es 2010 noch Gelegenheit geben – es sind weitere GENESIS Klassik-Konzerte geplant (siehe GENESIS Klassik Tourdaten) und dann könnte der ein oder andere weitere Song dazukommen. Vielleicht wird es dann auch noch etwas mit der angekündigten DVD. Bis dahin ist GENESIS Klassik: Live In Berlin ein interessantes Live-Album, das vielversprechende Hoffnung auf mehr macht.

GENESIS Klassik – Live In Berlin ist am 13. November erschienen und derzeit nur bei den Konzerten von Ray Wilson erhältlich – oder über den Shop seiner offizielle Homepage.

Autor: Christian Gerhardts

Weitere Links:
GENESIS Klassik – Tourdaten 2009/2010
Ray Wilson – Tourdaten 2010
GENESIS Klassik – Diskussion im Forum
Ray Wilson – Propaganda Man – CD Rezension