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Ray Wilson – 15Springsteen: Live bei Radio Trojka
Im Juni 2012 spielte Ray eine seiner seltenen Soloshows bei Radio Trojka in Warschau. Maciej Soroczy?ski war dort und schildert seine Eindrücke.
Am 9. und 10. Mai 1997, vor mehr als 15 Jahren also, spielte Bruce Springsteen zwei Konzerte in Polen, und zwar in der Kongresshalle in Warschau. Es sollte dies das erste und auch letzte Mal sein, dass er in diesem schönen Lande auftrat. Unterstützt vom Radiosender Radio Trojka beschloss der polnische Bruce Springsteen-Fanclub Blood Brothers Poland den Jahrestag dieser bemerkenswerten Konzerte auf besondere Weise zu feiern. Eine Ausstellung wurde organisiert, die Fotos von verschiedenen Springsteen-Konzerten zeigten, die polnische Fans auf ihren Reisen quer durch Europa zu Konzerten ihres Lieblingskünstlers gemacht hatten. Darüber hinaus gab es im Garten von Radio Trojka einen Bühne, auf der zwei Bands und ein besonderer Gast spielen sollten. Natürlich würden sie alle Springsteen-Songs covern. Der Name des Ehrengastes dürfte nicht ganz unbekannt sein: Ray Wilson..
Bekanntlich spielt Ray viel Springsteen, allerdings nur in Deutschland. Es ist schwierig ihn dazu zu bewegen, etwas davon in Polen zu spielen. Hier bot sich also die perfekte Gelegenheit, endlich einmal diese großartigen Stücke zu hören. Auf Rays Facebookseite gab es eine Verlosung, und ich gehörte zu den glücklichen, die eine Einladung für die Show bekamen. Das würde ein ganz besonderes Konzert werden, hatte ich das Gefühl – und ich lag damit richtig!
Es war das zehnte Konzert von Ray, das ich sah, aber das allererste, bei dem er ganz allein auftrat. Ray hat in der Vergangenheit vereinzelt Solokonzerte gespielt, zum Beispiel 2007, als er solo beim Genesis-Fantreffen in Braunschweig auftrat, oder 2003, als die Live-CD An Audience And Ray Wilson aufgezeichnet wurde – und das war auch in Warschau bei Radio Trojka.
Ray kam mit seiner Taylor-Gitarre auf die Bühne und spielte Born To Run. Guter Start! Nach zwei eher langweiligen Vorgruppen stand das Publikum auf und begann Spaß zu haben. Wilson schien guter Laune und fuhr mit weiteren Springsteen-Klassikern fort: Fire und dem unter Rays Fans besonders bekannten I’m On Fire. Wahrscheinlich einer der meisterhofften Songs der polnischen Fans, und für mich einer der funkelndsten Edelsteine in Rays Repertoire.
Und noch ein bekannter Song, diesmal von Neil Young, einem weiteren Musiker, der unseren Lieblingsschotten durch dessen Jugend begleitete – auch wenn Ray zugibt, dass es lange dauerte, bis er merkte, dass das nicht einfach Typen sind, die nicht singen können, sondern Künstler, die man auch als Genie bezeichnen kann. Von Young spielte er The Needle And The Damage Done, Comes A Time und ein wundervolles Long May You Run.
Dann kündigte Ray an, dass er nach dem nächsten Song die Bedeutung des Liedes erklären würde – aber erst nach dem Song, um das Ganze nicht zu verderben. Hier dann also die Erläuterung: Rosie, von Jackson Browne, ist ein interessantes Lied über Einsamkeit und Selbstliebe nach einer Zurückweisung – oder, wie Ray sagte, über Selbstbefriedigung. In seinen Worten:
„Ihr glaubt vielleicht, Rosie sei ein Mädchen, das bei einem Konzert am Bühnenrand steht und versucht, das Interesse des Drummers zu wecken oder von jemandem in der Roadcrew, obwohl Rosie eigentlich nur die Tätowierung hat, die der Schlagzeugroadie auf seine Finger tätowiert hat – und weil also der Schlagzeuger das Mädchen abschleppt, bekommt der Roadie eben Rosie… denn er singt ja:
Rosie, you’re all right, you wear my ring
When you hold me tight, Rosie, that’s my thing
When you turn out the light I got to hand it to me
Looks like it’s me and you again tonight, Rosie
Ein Lied über Selbstbefriedigung.“Der nächste Song spielte eine wichtige Rolle in Rays Jugend. Mit Rusty Boys, seiner Band, hatte er seinen ersten bezahlten Auftritt. Die Gruppe coverte The Eagles, und so bot er Desperado a cappella dar. Darauf folgte das Jersey Girl von Tom Waits, ein gefälliger und mir bis dahin unbekannter Song. Die beiden letzten Stücke stammten aus Rays Solokarriere. Der erste, nämlich Another Day, stammte aus Cut_-Zeiten, der zweite war noch älter und ein deutlicher Kontrast dazu: The Airport Song. Ich kann das Stück nicht leiden, aber diesmal sang ich gerne mit den anderen mit. Keine Ahnung, was da passiert war…
Die komplette Setliste vor den Zugaben war damit diese:
Born To Run (Bruce Springsteen)
Fire (Bruce Springsteen)
I’m On Fire (Bruce Springsteen)
The River(Bruce Springsteen)
The Needle And The Damage Done (Neil Young)
Comes A Time (Neil Young)
Long May You Run (Neil Young)
Rosie (Jackson Browne)
Desperado (The Eagles)
Jersey Girl (Tom Waits)
Another Day (Cut_)
The Airport Song (Guaranteed Pure)
Ray wäre nicht Ray, wenn er nicht zurückgekommen wäre. Diesmal hatte er eine Überraschung für uns. Zunächst fragte er, was wir hören wollten. Den ersten Vorschlag, Ever The Reason, lehnte er ab, weil er Ali dafür brauchte, der zweite, Change, wurde angenommen. Danach spielte er ein beeindruckendes Medley mit eigenen Stücken und solchen von Phil Collins, Peter Gabriel, Leonard Cohen, Bob Dylan und natürlich Bruce Springsteen. Er fügte auch ein paar der schönsten Genesis-Stücke ein. Insgesamt spielte er in dieser Reihenfolge im Medley:
Change (Ray Wilson)
Not About Us (Genesis)
Sarah (Cut_)
Goodbye Baby Blue (Ray Wilson)
Shipwrecked (Genesis)
No Son of Mine (Genesis)
Carpet Crawlers (Genesis)
In the Air Tonight (Phil Collins)
Biko (Peter Gabriel)
Knocking on Heaven’s Door (Bob Dylan)
Blowing in the Wind(Bob Dylan)
First We Take Manhattan (Leonard Cohen)
The River (Bruce Springsteen)
Das ganze Konzert dauerte knapp eineinhalb Stunden und war einfach großartig. Eins der besten Konzerte von Ray, die ich gesehen habe. Nicht nur war das ein tolles Set, aber er war auch einfach gut drauf und freute sich, mich wiederzusehen. Erst glaubte ich zu hören, „God, it’s you again?“ („Du schon wieder?“), aber stattdessen sagte er „Oh, good to see you!“ („Schön, dich zu sehen!“) Schönes Hemd, habe ich die ganze Zeit angesehen.
Dann ging es auf den Heimweg. Auf der Autobahn legte ich Ali Fergusons Album The Windmills And The Stars ein, weil ich von vielen gehört hatte, dass das tolle Musik für eine nächtliche Autofahrt sei. Und sie haben recht: Perfekt!
Text und Fotos: Maciej Soroczynski
deutsch von Martin Klinkhardt