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Random Hold (1) – AN-SICHTS-SACHE: Die Anfänge (1976-1979)
Random Hold Special (I): Die Anfänge der Band um David Rhodes (1976-1979)
1976
Im September 1976 besuchten David Rhodes (geb. 1956) und David Ferguson (geb. 1953) ein Konzert von Phil Manzaneras Band 801 und waren nicht sonderlich beeindruckt. Hinterher unterhielten sie sich darüber, dass sie glaubten, selbst „gefährlichere“ Auftritte hinlegen zu können.
Rhodes hatte gerade Dulwich College (Schule) im Süden Londons verlassen, wo er im Rugbyteam gewesen war und auf andere manchmal einen bedrohlichen Eindruck gemacht hatte. Er interessierte sich aber auch für Kunst, hatte mehrere Jahre nicht mehr Gitarre gespielt und griff das Instrument nun wieder auf.
Ferguson war auch mal Schüler am Dulwich College gewesen, hatte dann Slawistik studiert und arbeitete an Theatern. Er spielte eigentlich kein Instrument wirklich, besaß einen einsaitigen Bass und eine Echomaschine. Ferguson fand Brian Eno und Krautrock gut, interessierte sich außerdem für Politik, begann nun das Keyboardspiel und sang auch gelegentlich.
Die beiden bildeten ein Duo namens Manscheinen. Schon im Dezember 1976 gab es Auftritte, bei denen sie zu vorher aufgenommenen Basslinien und Geräuschen von Insekten und Staubsaugern spielten. Dabei zeigten sie Dias. Die wenigen Zuschauer sahen eine Performance statt eines Konzerts und etwas das man eher als Krach denn als Musik bezeichnen konnte.
1977
In diesem Jahr fanden dann häufiger Gigs statt, die teilweise von einem Puppentheater unterstützt wurden und daher keine herkömmlichen Rockkonzerte waren. Manchmal wurde die Musik „Gloom Rock“ genannt (dt. Trübsinnsrock).
Rhodes begann in Leeds (später London) Kunst zu studieren, und Manscheinen nahmen ein Demo Tape auf, das im Melody Maker nicht sehr wohlwollend besprochen wurde. Von diesem Demotape ist auf der Compilation-CD Over View der Song Water zu hören.
Der Song besteht aus mehreren sphärischen Keyboardspuren, die über sehr billig klingende, programmierte Rhythmen gelegt sind. Nur wenige Gitarrenakkorde sind identifizierbar. Das hört sich steril und etwas melancholisch an und erinnert entfernt an Enos Artrockalben.
Im April 1978 kam Simon Ainley (Rhythmusgitarre, Gesang), den sie aus der Schule kannten, als drittes Mitglied dazu.
Ainley studierte in Manchester Architektur und hatte außerdem gerade Aufnahmen zu Phil Manzaneras (ex-Roxy Music) Album K-Scope beendet. Und kurioserweise war er Mitglied von dessen Projekt 801 gewesen, zunächst als Sänger auf Listen Now (1977) und dann auf der anschließenden Tour auch als zweiter Gitarrist. Ainley war ein anderer Charakter als die beiden Davids: er interessierte sich nicht für Musik als Kunstform, sondern war als lebensfreudiger Typ für Rock’n’Roll und Parties zu begeistern.
Zusammen mit Ainley übernahm David Rhodes nun ebenfalls teilweise den Gesang.
Ab jetzt hieß die Band Random Hold – benannt nach einem Automaten aus einer Spielhalle.
Die beiden Davids machten sich auf die Suche nach einem Schlagzeuger. Richard Marcangelo und Andrew Wileman hatten den Posten jeweils kurzzeitig inne, danach spielte die Band bei Liveshows wie zuvor mit aufgenommenen Backingtracks.
Am 10.8.78 traten sie als Vorband für Adam & The Ants in London auf, wieder ohne Drummer, und wurden angespuckt und mit Bier beworfen.
Schon im Frühjahr 1978 waren Rhodes und Ferguson in Kontakt mit Bill MacCormick (geb. 1951) gekommen, einem erfahrenen Musiker (Bass), erneut aus dem Manzanera-Umfeld. MacCormick hatte ebenfalls das Dulwich College besucht und war in den Bands Quiet Sun, Matching Mole, 801 und sowohl bei Phil Manzaneras Soloarbeiten als auch bei Robert Wyatt aktiv gewesen. Zudem war sein Bruder Ian MacCormick Musikjournalist.
Bill MacCormick setzte nicht nur seine Kontakte im Musikbusiness zugunsten von Random Hold ein, er investierte auch in die Band und bezahlte u.a. für ein neues Demo, das an Journalisten, Plattenfirmen und DJs gegeben wurde.
Zwei der drei Songs des Demos sind auf der CD Over Viewzu hören: The Blindund Montgomery Clift. Bei diesen Stücken spielt MacCormick nach eigener Aussage nicht, obwohl es im Booklet der CD anders verzeichnet ist. Simon Ainley, der auf seinem YouTube-Kanal den dritten Song Central Reservation eingestellt hat, bestätigt MacCormicks Aussage.
Bei den Stücken fällt im Vergleich zur Manscheinen-Aufnahme der etwas stärkere Songcharakter und natürlich auch der Gesang auf. Es ist unklar wer genau (von den drei Sängern) singt, da Vocals immer nur „Random Hold“ zugeschrieben wurden. Billige Synthie-Rhythmen sind noch immer vorhanden, der Bass klingt bei The Blind nach Keyboards (oder Basspedals), bei Montgomery Clift ist er recht weit im Vordergrund und wirkt wie ein echter E-Bass. Drums gibt es auch, zwei Gitarren sind hörbar.
The Blind beeindruckt nicht wirklich und immerhin könnte man der Band noch „Entwicklungspotenzial“ attestieren, Montgomery Clift hingegen weiß durch seinen bedrohlichen Bass, die psychedelischen bis klaustrophobischen Keyboards und die sehr gut arrangierten Gitarren zu gefallen, die gegen Ende des über sechsminütigen Stücks sogar etwas mehr nach vorne kommen und rocken. Mich persönlich erinnert Montgomery Cliftin dieser Version an eine Joy Division-Variante in traditionellerer Ausführung und weniger kühlem – aber nicht weniger atmosphärischem – Gesamtsound.
Im August 78 luden die beiden Davids Bill MacCormick dann doch ein, der Band beizutreten. MacCormick hatte nach einem Besuch im Proberaum selbst darauf gedrungen. Er kannte Ainley bereits über Phil Manzanera, außerdem wohnten sie in der gleichen Londoner Gegend. Sein Interesse abseits von Musik galt der Politik, womit er später sogar seinen Lebensunterhalt verdienen sollte.
In den folgenden Monaten bezahlte MacCormick für die Proberäume, Annoncen, Pressemitteilungen und ausgeliehenes Equipment.
Anschließend wurde mit David Leachendlich ein fester Schlagzeuger eingestellt, über den ansonsten so gut wie nichts bekannt ist.
Es war Oktober ’78, fast zwei Jahre nach der Gründung, als die Band ihre ersten bezahlten Gigs spielte. Die Bandmitglieder trugen auf der Bühne Schlips und kommunizierten wenig mit dem Publikum. Aber sie wurden im Sounds Magazine erwähnt und mit Quiet Sun und XTC verglichen.
Dann gab es – auch durch Kontakte von MacCormick – im Dezember ’78 einen Artikel im Melody Maker und plötzlich riefen A&R Leute von Plattenfirmen an.
Auf Kosten von Polydor durften Random Hold im Januar 1979 innerhalb von drei Tagen ein Demo produzieren. Es wurden zwei Songs aufgenommen:
With People (Out Of Love) ist auf der Over View CD zu finden, ein Song der wie ein Crossover aus 80er New Romantic und Krautrock klingt. Getragen vom sehr monotonen Rhythmus und den feinen Keyboards, sorgt insbesondere der Bass für eine düstere Stimmung. Die Gitarren klingen zunächst wie durch einen Synth-Effektgerät gespielt, später dürfen sie noch gemeinsam mit den Tasten solieren. Dem Gesang ist eine bedrohliche Qualität nicht abzusprechen. Auf jeden Fall ein sehr eigenständiges Lied, das in die Zeit passt.
Vom zweiten Song Second Nature gibt es zwei unterschiedliche Versionen auf den CDs Over Viewund The View From Here, die beide auf Januar ’79 datiert werden. Die eine (von Over View) ist etwas basslastiger und zugleich glatter, sehr rhythmisch und stilistisch dem Postpunk zuzuordnen.
Die andere Version (von The View From Here) ist schneller gespielt, der Gesang klingt anders und die Keyboardeffekte unterscheiden sich. Im Vergleich wirkt diese Aufnahme etwas hektisch und eher so, als wollte man das depressive Element verschleiern, indem der Song „runtergerotzt“ wird. Trotzdem ein interessanter New Wave Song, gegenüber der zuvor genannten Version aber mit weniger Atmosphäre.
Im März ’79 wurde dann ein weiteres Demo für Polydor aufgenommen, diesmal mit vier Songs, die alle auf Over View enthalten sind:
Precarious Timbers hat wieder ein deutliches New Wave-Feeling, wartet aber zugleich mit aggressiven Gitarren auf. Vor allem aber wegen der innovativen Keyboards könnte dies vielleicht sogar die gesuchte „gefährlichere“ Variante von 801 sein.
The Ballad bedient sich ähnlicher Elemente, jedoch klingt der Gesang etwas aggressiver, die Keyboards sind meistens weniger präsent und die Gitarren dürfen ausgiebig solieren.
Verona Rolls ist ein unerwartet eingängiger und positiver Song, bei dem die interessanteren Keyboardtexturen im Hintergrund bleiben.
Big Star, ein Lied das ausnahmsweise von keinem der beiden Davids geschrieben wurde, klingt sehr typisch nach britischem Postpunk oder auch intelligenterem Punk, zum Beispiel ähnlich zu einigen Sachen, die The Police in ihrer Anfangszeit gemacht haben.
Inzwischen hatten sich mehrere Plattenfirmen einen Bieterwettstreit um die Band geliefert, die dann Ende März bei Polydor unterschrieb, für 70.000 Pfund (nach anderer Quelle 80.000) Vorschuss. Ein beträchtlicher Teil des Geldes wurde sofort in neue Instrumente investiert.
Peter Gabriel hatte schon einige Monate vorher von Graham Dean (der später das Cover von Burn The Buildingsmalte und noch später an Gabriels Video CV mitarbeitete), die Empfehlung bekommen, sich Random Hold anzusehen. Als das beim Gig am 18. April endlich geschah, hatte er auch gleich Gail Colson (von seinem Management) und Tony Smith (Manager und Publisher) mit dabei.
Gabriel war beeindruckt von dem was er sah und ebenso ging es seinen Begleitern. Da Random Hold schon bei Polydor unterschrieben hatten, konnte man sie nun immerhin noch für den Publisher Hit and Run Music und für Gailforce Management gewinnen.
Sowohl die fünf Musiker von Random Hold, als auch die drei Unternehmen, an die sie jetzt gebunden waren, nahmen an, dass die Band bald reichlich Geld in die Kassen spülen würde.
Noch im Mai entschieden Rhodes und Ferguson, ihren Drummer David Leach, der immer wieder Gelenkprobleme hatte, durch Pete Phipps(geb. 1951) zu ersetzen. Schon ein Jahr zuvor waren sie mit Phipps in Kontakt gewesen und er hatte ein paarmal im Proberaum mitgespielt. Letztlich hatte er aber nicht genügend Zeit für die Band zur Verfügung gehabt.
Phipps, der wie ein Popstar aussah, war Gründungsmitglied der Gary Glitter Band gewesen, die jetzt nur noch sporadisch aktiv war. Außer Schlagzeug spielte Phipps auch Keyboards und sang gelegentlich, beide Fähigkeiten kamen aber bei Random Hold nicht zum Einsatz.
Gleichzeitig wurde auch Rhythmusgitarrist Ainley rausgeworfen, der den beiden Bandleadern zu poporientiert spielte und die Sache ihrer Meinung nach nicht ernst genug nahm. In den Monaten davor hatte es leichte Spannungen zwischen den dreien gegeben, trotzdem hatte Ainley seine Entlassung nicht kommen sehen und war geschockt.
Simon Ainley hatte in seiner Zeit bei Random Hold vier Songs mitkomponiert, von denen drei später auch auf Platte gepresst wurden. Das vierte und einzige nicht zu Lebzeiten von Random Hold veröffentlichte Stück war das schon genannte Big Star vom zweiten Demo für Polydor.
Polydor war mit Ainleys Rausschmiss nicht glücklich, denn man hatte ihn als Frontmann angesehen. Er hatte bei Liveauftritten im Mittelpunkt gestanden und außerdem hatte sein Spiel dem melancholischen Sound von Rhodes und Ferguson ein Gegengewicht geboten.
Ainley wurde nicht ersetzt, die Band machte zu viert weiter. In der Folge vergrößerte sich David Rhodes‘ – der damals „Dusty“ genannt wurde – Bedeutung innerhalb der Band und die Musik wurde etwas düsterer. Bill MacCormick, der bei den Personalentscheidungen nur am Rande hinzugezogen worden war, musste nun einige Gesangsparts von Ainley übernehmen.
Polydor gaben anschließend Leach und Ainley Demozeit, da die beiden weiter zusammenarbeiten wollten. Es wurde aber nichts daraus. Ainley wandte sich von der Musik ab und wurde Architekt …
Peter Gabriel arbeitete derweil an den Songs für sein drittes Album und auf Vorschlag von Gail Colson wurde die verbleibenden Musiker von Random Hold eingeladen, in Gabriels Aufnahmehütte in Bath mit ihm zu spielen und an Ideen zu arbeiten. So musste man die in den USA ansässigen Studiomusiker nicht extra einfliegen, solange das Album noch gar nicht fertig war.
Ab 31.5.79 war die Band also für drei Tage in Bath und hatte Spaß dabei. (1995 behauptete Bill MacCormick, es wären sogar zwei Wochen gewesen und sie hätten die Grundstruktur des kompletten dritten Albums mit Gabriel zusammen ausgearbeitet.)
… weiter zu Teil 2