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The Phil Collins Big Band – A Hot Night In Paris

Phil Collins wagte 1996 und 1998 Tourneen im Big Band Stil und 1999 wurde dann ein Live-Album veröffentlicht mit Aufnahmen seiner Shows in Paris. Andreas Lauer rezensierte das Album im Jahr 1999.

Die erste Hälfte der 1990er Jahre war für Phil von einschneidenden Veränderungen geprägt – im Privatleben wie auch in der Musik.

Der Ausstieg aus Genesis war eine musikalische Zäsur, eine andere das Abknicken der kommerziellen (und nach Meinung vieler auch der künstlerischen) Erfolgswelle als Solokünstler ab dem Both Sides-Album. Phil schlug neue Wege ein: aufs schweizerische Festland, in eine neue Lebensgemeinschaft und in neue musikalische Projekte.

Nicht ganz geglückt war der Versuch, ein Album auf Basis musikalischer Skizzen als Band-Album einzuspielen, daher wurde Dance Into The Light dann doch auf althergebrachte Weise produziert. Mehr Neuland betrat Phil dann schon mit einer Auftragsproduktion für einen Film mit riesigem Werbeetat (hierfür hatte Phil nur 1988 bei Buster Vorerfahrungen gesammelt), und der TarzanSoundtrack als gelungene Kooperation mit Mark Mancina erschloß ein mögliches zukünftiges Betätigungsfeld für Phil – Disney hat laut Phil Interesse an weiterer Zusammenarbeit bekundet.

Die größte Überraschung für Collins- und Jazz-Fans stellte jedoch die Verwirklichung einer alten Leidenschaft Phils dar. Wir er erst jetzt bekannte, ist er seit seiner Jugend Bewunderer von Big-Band-Musik. Eine Big-Band ist eine Formation, die sich in den USA der 1930er Jahre aus der kleinen Jazzsolisten-Band entwickelte. Sie besteht meist aus ca. vier Trompetern, die gegebenenfalls auch aufs Flügelhorn wechseln (letzteres klingt weicher und voller), rund vier Posaunisten (inklusive der kraftvoll dröhnenden Baßposaune) und etwa vier bis fünf Saxophonisten (je nach Bedarf Tenor, Alt, Bariton und auch mal Sopran) sowie der Rhythmusgruppe mit Schlagzeug, Perkussion, Saitenbaß (Kontrabaß oder Baßgitarre) und Tasteninstrumenten (in erster Linie Piano). Die Musik eines solchen Orchesters kann natürlich nicht frei improvisiert werden, sondern wird von versierten Arrangeuren niedergeschrieben. Die Arrangements basieren auf Riffs, deren kunstvolle, oftmals sehr komplexe Zusammensetzung von der Variation dieser Motive, atemberaubenden Harmonien, kontrastreicher Artikulation des Spiels und großer dynamischer Bandbreite lebt. Darin sind immer wieder frei zu improvisierende Soloeinlagen einzelner Musiker vorgesehen.

Die Zeit, in der der Big-Band-Swing seine größte Popularität genoß, unter Big-Band-Leaders wie Duke Ellington, Benny Goodman, Count Basie oder auch Glenn Miller, ist freilich längst anderen Trends gewichen. Die Qualität und die Faszination hat diese Musik jedoch nicht verloren.

Zwei Big-Band-Drummer haben Phil insbesondere beeindruckt: Buddy Rich, dessen Swinging New Big Band Phil 1966 erstmals hörte und dem er auf einem Konzert im Herbst 1998 Tribut zollte (festgehalten auf der DVD A Salute To Buddy Rich), und Sonny Payne, der sich als Schlagzeuger von Count Basie & His Orchestra einen Namen machte. Als weitere Einflüsse nennt Phil Harold Jones, Jo Jones – beide ebenfalls bei Basie – und Elvin Jones, der in John Coltranes Band und später u. a. auch bei Ellington spielte. Diese Herren dürften Phils Spiel nachhaltig geprägt haben, das insbesondere bis zu Anfang der 1980er Jahre bei Brand X-, Solo- und selbst einigen Genesis-Werken sowie bei zahlreichen Projekten, an denen er als Studiomusiker mitwirkte, viele Jazz-Elemente enthielt. Weitere Meilensteine der Geschichte des Jazz- und Big-Band-Drummings sind zweifelsohne Gene Krupa und Mel Lewis.

Erlöst von der Bindung an Genesis besann Phil sich zurück auf seine Wurzeln und investierte einiges an Geld und Mühen in ein Big-Band-Projekt, mit dem er 1996 und 1998 auf Tournee ging und 1999 das Live-Album A Hot Night In Paris veröffentlichte. Phil bezeichnete das Projekt vielfach als langjährigen Traum, zu dem er aber noch zehn Jahre vorher nicht die nötige Reife als Musiker und als Mensch an sich gehabt hätte. Er bekundete mehrere Male (man mag die Ankündigung dennoch mit berechtigter Skepsis aufnehmen), das Big-Band-Projekt bis zum Ende seiner Laufbahn als Musiker betreiben zu wollen.

Die Big-Band

Die Big-Band setzt sich zusammen aus einigen Mitgliedern von Phils bewährter Band sowie einer Reihe von professionellen Bläsern. Die Zusammensetzungen 1996 und 1998 weisen allerdings einige Unterschiede auf.

Teil der Bläsersektion waren die Vine Street Horns, 1998 fehlte allerdings Saxophonist Andrew Woolfolk. Die übrigen Bläser entstammten 1996 der Kölner WDR-Big-Band, 1998 waren es Absolventen der Northern Illinois University (NIU) (u. a. Teofilo „Tito“ Carrillo und Alan Hood), von deren Jazz Ensemble Phil erstmals 1996 beim Montreux Jazz Festival begeistert war, zusammengestellt von Trompeter/Flügelhornist Prof. Ron Modell, dem Leiter jenes Jazz-Ensembles. Diese Formation, zu der z. B. noch der Holzbläser Matthew James, Professor an der Ohio University School Of Music, stieß, bürgte für einen professionellen Standard. Der populäre Saxophonist Gerald Albright ergänzte das Bläserensemble und spielte nicht nur die Soli in vielen Stücken, sondern bekam während der 1998er Konzerte einige Minuten, in denen er unter anderem eigene Kompositionen mit der Big-Band spielte und sich musikalisch ausleben konnte – und das mit der gebührenden Prise Humor.

Die Tasteninstrumente spielte Brad Cole, der 1998 auch wo nötig als Dirigent fungierte. Er hatte auch ein Stück arrangiert, welches Afterglow und Wot Gorilla? in sich vereint, dann aber fast nicht gespielt wurde (außer z. B. 1996 in Antibes – ein Bootleg-Tape davon existiert, liegt uns jedoch leider nicht vor). Die Gitarren bediente natürlich Daryl Stuermer, der ebenfalls auf eine jazzige Vergangenheit, z. B. mit dem Geiger Jean-Luc Ponty, zurückblicken kann. Er schlüpfte auch in die Rolle des Co-Produzenten für das vorliegende Live-Album.

Am Bass sah und hörte man 1996 Nathan East, an seiner Stelle 1998 den Bassisten von Tony Bennett, Doug Richeson.

Bennett war gesanglicher Gaststar bei der ersten Tournee gewesen, wo er einige Standards sang. Diesen Part übernahm zwei Jahre später die bezaubernde Oleta Adams, die mit Phil gemeinsam bereits in dem Stück Woman In Chains von Tears For Fears zu hören war.

Als Perkussionisten hatte Phil Luis Conté engagiert, der ja auch auf der Dance Into The Light-Tour und bei den Tarzan-Konzerten mit von der Partie war.

Und am Schlagzeug saß freilich Phil selbst. Das war für ihn kein leichtes Unterfangen, war es doch ein herber Stilwechsel im Schlagzeugspiel, welches er ohnehin die letzten Jahre immer mehr vernachlässigt hatte. Zudem hat er nie gelernt, die Schlagzeug-Noten der geschriebenen Arrangements zu lesen – ein Versäumnis, das er heute sehr bedauert. Daher ließ er, ähnlich wie einst auch Buddy Rich, bei den Demo-Aufnahmen der Arrangements einen anderen Schlagzeuger spielen und erlernte dann mittels Gehör und phänomenalem Gedächtnis die komplizierten Drum-Parts auswendig. Zusätzlich machte er sich auf Schmierzetteln, die er lieber niemanden sehen lassen will, Zeichen und Notizen als Gedächtnisstütze. Wieviel von seinem Schlagzeugspiel auf die Vorgabe des Arrangeurs und des Ghost-Drummers zurückgeht und wieviel auf Phils Originalität basiert, möge jeder Hörer selbst einschätzen.

Als Dirigent war 1996 außerdem kein Geringerer als Quincy Jones dabei, auf dessen Album Q’s Jook Joint Phil die Ehre hatte mitwirken zu dürfen. Für „Q“ gab es bei der zweiten Tour keinen Ersatz.

„Musical Director“ der Big-Band ist Phils langjähriger Weggefährte Harry Kim. Er war es beispielsweise auch, der für jeden ausgewählten Song den geeigneten Arrangeur fand.

Die Tour

Nachdem man 1996 eine kleine europäische Jazz-Festival-Tour mit den Höhepunkten Royal Albert Hall (vor Nelson Mandela und der Queen) und Montreux Jazz Festival absolviert hatte, begab man sich im Juni/Juli 1998 mit neuer Truppe und neuem Programm auf eine USA- und Europa-Gastspielreise. Auf jedem der beiden Kontinente wurden 13 Gigs gespielt, hinzu kam am 1. Oktober noch ein Live By Request-Konzert in New York. Das einzige Konzert in Paris fand am 21. Juli 1998 statt.

Das Album

A Hot Night In Paris ist nicht die erste offizielle CD-Veröffentlichung mit The Phil Collins Big Band. Der USA-Teil der Tour wurde von dem Kreditkartenunternehmen Private Issue gesponsert, für deren Kreditkarte Phil eine Strandidylle gemalt hatte. Konzertbesucher, die sich eine Private Issue Card zulegten, bekamen eine CD mit fünf Stücken, u. a. mit dem auf dem Album nicht enthaltenen Rad Dudeski, geschenkt. Leider fand auf dem europäischen Kontinent keine solche Aktion statt, und es ist ausgesprochen schwer, an die seltenen Private Issue-CDs heranzukommen.

Da ist es nur ein schwacher Trost, dass A Hot Night In Paris in Europa eher als in Amerika veröffentlicht wurde. Es ist nicht bekannt, ob die Aufnahme nur von besagtem Gig in Paris stammt oder auch von anderen. Wahrscheinlich ist aber, daß die Aufnahmen alle von 1998 stammen; denn Hold On My Heart, Chips & Salsa, I Don’t Care Anymore und Pick Up The Pieces wurden 1996 ohnehin nicht gespielt, und Solist bei Against All Odds war 1996 Andrew Woolfolk gewesen. Fest steht, daß die Reihenfolge nicht der zeitlichen Abfolge im Konzert entspricht und daß auch nur eine kleine Auswahl aus dem Konzertrepertoire auf die CD gepresst wurde.

Nicht enthalten sind Titel mit Gesang, weder mit Phil noch mit Oleta. Vermissen muss man außerdem großartige Darbietungen von Stücken, die im 1998er Programm leider gar nicht mehr enthalten waren: So z. B. The West Side mit einem starken Solopart und überhaupt einer sehr führenden Rolle des Schlagzeugs (Phil hat sich allerdings teilweise recht unzufrieden über seine Leistungen bei der 1996er Tour geäußert) oder Hand In Hand im vollendeten Big-Band-Sound mit Trompeten-Soloeinlagen von Harry Kim.

cover

Wenn es auch nun mal keine Doppel-CD geworden ist, darf man sich dennoch an zehn meist anspruchsvollen Stücken nicht unter fünfeinhalb Minuten Spieldauer erfreuen. Zusätzlich ist es empfehlenswert, sich ein Tape von der Rundfunkausstrahlung des einen 1996er Konzerts in Montreux zu besorgen und ein paar Bootleg-Tapes von beiden Tourneen.

Den Opener auf der CD macht Sussudio in einem sehr abwechslungsreichen Arrangement von Mike Barone. Barone ist ein Komponist, Arrangeur, Posaunist und Pädagoge, und die nicht enden wollende Liste seiner Referenzen liest sich wie ein Who’s Who des Big-Band-Jazz. Die verschiedenen Elemente, aus denen Phils Song besteht, werden ideenreich variiert, wobei das Arrangement eine klare Gliederung erkennen lässt. Insbesondere das Bläserthema, das einst die Phenix Horns spielten, und das markante Keyboard-Riff werden voll ausgekostet, und verschiedene Höhepunkte werden geschickt aufgebaut. Gerald Albright spielt das obligatorische Solo auf dem Alt-Saxophon. Sussudio wurde 1996 als letztes Stück vor der Zugabe gespielt, 1998 bildete es den Schlußpunkt der Zugabe.

Wem das Sussudio-Arrangement zu intellektuell ist, der erhält mit That’s All ein wahres Power-Stück. Bei sehr schnellem Tempo wird das Hauptthema des Genesis-Songs mit jazziger Artikulation durch die Bläser beehrt, die Melodie des „Truth is I love you …“-Teils spielt hingegen Doug Richeson am Bass. Atemberaubende Fortepiano-Crescendi, wilde Shakes und gut ausgearbeitete Dynamik im Bläsersatz, der simulierte Wettkampf verschiedener sich abwechselnder und gegenseitig überlagernder Instrumente sind Stärken des Arrangements. Phils Fills verdienen besondere Beachtung, wie auch das irre Tenorsax-Solo seines Namensvetters Chris Collins. Und vor allem was Vine Street-Posaunist Arturo Velasco aus seinem tiefen Blechblasinstrument herausrotzt, lässt Otto Normalbläser sein Instrument auf der Stelle vernichten.

That’s All ist eines von vier Arrangements von John Clayton Jnr., die auf der CD zu hören sind. Er wurde unter anderem durch seine Arbeit mit Quincy Jones bekannt und hatte zum Beispiel auch Do Nothin‘ Till You Hear From Me von Q’s Jook Joint arrangiert, welches bei den Big-Band-Gigs in der Regel vor Sussudio von Phil gesungen wurde.

Einer völlig anderen Bearbeitung bedurfte die einst zur „Hintergrundmusik des Jahres“ gewählte Genesis-Ballade Hold On My Heart. Von deren eigentlichen Stärken, die hauptsächlich in Tonys, Mikes und Phils Instrumentalspiel liegen, ist hier fast nichts mehr übrig. Lediglich die nette Melodie ist geblieben. Sie wird von Harry Kim auf dem Flügelhorn unter Verwendung von allerlei virtuosen Verzierungen, Phrasierungen und Artikulationen kunstvoll dargeboten. Ebenso raffiniert sind die Spielereien Claytons mit den Orchesterstimmen. Das ganze ist sehr ruhig, leise und mit schlichtem langsamem Rhythmus, steckt voller Tonart-Modulationen und schwillt nur bei den „I will be there …“-Parts an. So wurde aus Hold On My Heart eigentlich ein völlig neues Stück. Anders als die meisten anderen Titel ist dieser wenig fürs Auto geeignet und in erster Linie Kennern und konzentrierten Zuhörern zu empfehlen.

Recht eingängig und sogar tanzbar, wenn auch während der ersten Minute des Zuhörens nicht wiederzuerkennen, ist I Don’t Care Anymore. Es ist viel weniger schlagzeuggeprägt als das Original und bietet abwechslungsreiche Unterhaltung mit scharfgestochenen Trompeteneinwürfen und schmieriger Piano-Einlage. Durch Claytons ternäre, also swingige Ausdeutung der Strophenweise („Well you can tell ev’ryone …“), gewollte Dissonanzen und Flatterzunge erhält das einst zornige I Don’t Care Anymore 16 Jahre später schließlich einen entschieden humoristischen Anstrich. Und wieder begeistert Arturo Velasco an der Posaune.

Als viertes Arrangement des Jones-Weggefährten folgt ein Standard: Milestones von dem legendären schwarzen Kulttrompeter Miles Davis, der für den Jazz der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts bahnbrechend war. Das Thema, das mancher schon von Helmut Zerlett & Band in der Harald-Schmidt-Show gehört haben mag, ist sehr kurz und überaus simpel. Um so herausfordernder ist es für den Arrangeur, daraus etwas zu machen. Bei sehr schnellem Tempo, das auch dem Bassisten einiges abfordert, bildet dieses Thema in seinen Variationen und wechselnden Instrumentierungen den Rahmen für ausgedehnte Instrumentalsoli: Der 1992er NIU-Absolvent Al Hood improvisiert auf der Trompete, während Larry Panella und Chris Collins an den Tenorsaxophonen im Duell sich gegenseitig an Tempo, Verzierungen, Höhe und Lautstärke zu übertreffen suchen.

Eine lebende Legende ist der Count-Basie-Arrangeur Sammy Nestico, der aus Invisible Touch ein geruhsam dahinschaukelndes Stück in völlig neuem Gewande geschaffen hat. Ähnlich wie bei Hold On My Heart ist auch hier im wesentlichen nur die Melodie übriggeblieben. Invisible Touch ist eines der wenigen Arrangements, die auch Brad Cole eine ausgedehntere Plattform boten – bezeichnenderweise vielleicht, denn für die meisten Zuschauer war es unsichtbar, wie Brad die Tasten seines Flügels berührte. Er gestaltete ein ziemlich freies Vorspiel, nur begleitet von der Rhythmusgruppe. Wenn das Publikum sich gerade in der Sicherheit des selbstgenügsamen leisen Piano-Spiels wiegte, spielte der Bassist ein bestimmtes Motiv als Signal für den Bläsersatz, der dann die meisten Zuschauer mit einem gehörig lauten „Daaahhh…!!!“ aufschreckte. Im weiteren Verlauf werden die verschiedenen Melodieteile kurzweilig improvisiert, aufgelockert durch weitere Soli von Brad und Larry Panella. Wahrscheinlich wurde dieses Stück tatsächlich in Frankreich aufgenommen, denn bei seinem Piano-Intro paraphrasiert Brad die französische Nationalhymne, die Marseillaise. Und die drei vorletzten Töne dieses Titels sind Horst Jankowskis berühmte Klavierakkorde, für die seine Musik zum „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF so bekannt ist.

Während seines Soloabschnitts bei jedem Konzert stellte Gerald Albright u. a. sein Stück Chips & Salsa vor, das auf einer seiner Solo-CDs enthalten ist und von ihm selbst mit Harry Kim für die Big-Band eingerichtet wurde. Wie der Name schon andeutet, handelt es sich um ein sehr gefälliges lockeres, tanzbares Stück im lateinamerikanischen Stil. Manche Kenner berichten, daß es sie an die Musik der Fusion-Gruppe Spyro Gyra erinnert. Neben Albright kommen hier auch Luis Conté und Brad Cole solistisch zum Zuge.

Ein Track, an dessen Stelle man besser ein anderen Titel digital verewigt hätte, ist Against All Odds. So schön das Original ist, so wenig konnte Arrangeur David Stout daraus machen. Albrights Alt-Sax spielt die Melodie, das Orchester begleitet, und es passiert nicht viel. Es ist nicht mehr der Original-Song, aber auch nichts wirklich Neues. Wahrscheinlich erfüllt es die Alibi-Funktion der obligatorischen Ballade auf einem Collins-Album.

Dafür kommen die Bonbons der CD am Schluß. Pick Up The Pieces von der Average White Band ist dem modernen Fernsehzuschauer vielleicht eher als Titelmelodie von „Versteckte Kamera“ im ZDF vertraut. Es wurde im Laufe der Tournee wohl nur selten gespielt. Deutsche Fans konnten es, wenn sie rechtzeitig angereist waren, zum Beispiel während des Soundchecks in Köln hören. Dieses Stück dürfte das Besondere an dem Konzert in Paris gewesen sein, denn zwei Highlights, die nicht nur Jazz-Insidern bekannt sind, traten hier als Gastsolisten auf: der junge Saxophonist James Carter mit dem Tenor-Sax und kein Geringerer als George Duke am Flügel. Arrangiert wurde Pick Up The Pieces von Arif Mardin, der es an jenem Abend auch dirigierte. Er hat nicht nur mit den Bee Gees sehr viel zusammengearbeitet, sondern auch für Phil in der ersten Hälfte der 1980er Jahre Streicherarrangements geschrieben und dirigiert und die Songs Against All Odds und Separate Lives produziert. Als Altsax-Solist ist wiederum Gerald Albright zu hören. Für Freunde dieser Art Musik ist das Stück mit dem genialen motivischen Material in 12minütiger Ausführung ein Hochgenuß!

Fast ebensolang ist die Bearbeitung von Los Endos, die Harry Kim als Arrangeur glänzend gelungen ist. Los Endos ging bei den Big-Band-Konzerten stets ein ausgedehntes Drums- & Percussion-Solo von Phil und Luis Conté voraus. Es ist auf der CD ausgesprochen kurz ausgefallen. Ob man geschnitten hat oder ob man bei dem betreffenden Konzert einfach zu müde war, können wir nicht feststellen. Nichtsdestotrotz erweist sich Los Endos wieder mal als ein Werk von besonderer Originalität, wenn man es virtuos darbietet. Kims Tonsatz weicht nicht allzu sehr vom Original ab – bis auf einen sehr gelungenen neuen Salsa-Mittelteil, der dem pseudo-spanischen Titel gerecht wird. Neben Harry Kim an der Trompete und Gerald Albright am Alt-Saxophon hören wir auch Daryl Stuermer als Solisten an der Gitarre.

Bis auf einen Schwachpunkt kann man mit der Auswahl der Titel also zufrieden sein; allein die zwei letzten Tracks rechtfertigen wohl den Kauf der Scheibe. Warum man aber nicht eine Doppel-CD veröffentlicht hat, bleibt angesichts der teilweise noch höheren Qualität vieler anderer Titel unbegreiflich.

Phils Orchester ist sicher nicht die beste Big-Band der Welt. Das weiß man dort auch, und während man ursprünglich geplant hatte, nur Big-Band-Standards zu spielen, ging man dazu über, Phils Genesis- und Solo-Titel von hochrangigen Meistern arrangieren zu lassen, um so mit etwas Exklusivem aufwarten zu können. Als Laienhörer wird man kaum etwas am Spiel der Big-Band aussetzen können. Geschmackssache ist sicher der kühle, bisweilen aggressive Klang der Musik, er dürfte Collins-Fans aber sicher besser gefallen als schmierige Saxophon-Vibratos in Glenn Millers Darbietung von Moonlight Serenade

Phils schlägt sich sehr tapfer, fast schon souverän in seiner neuen Rolle. Viel Eigeninitiative beweist er dabei allerdings noch nicht, eher passiv plaziert er in verblüffend guter Kenntnis der Arrangements jeden Akzent und Einwurf korrekt. Mehr Originalität darf man gewiß erst nach einigen weiteren Lernprozessen Phils in diesem Metier erwarten. Eine Lektion bestand übrigens im Erlernen des Spiel mit Schlagzeugbesen. Nie vorher hatte Phil sie benutzt, und das, obwohl ausgerechnet er und der Genesis-Titel Living Forever im Sachlexikon Rockmusik von Bernward Halbscheffel und Tibor Kneif als Beispiel für Schlagzeugbesen angeführt werden (tatsächlich hatte Phil seinerzeit Samples benutzt)!

Die optische Aufmachung der von Wherefore Art? gestalteten CD-Hülle ist farblich spartanisch (rot-weiß-schwarz), wohl um die Aufmerksamkeit mehr auf die Musik zu lenken. Vorne auf dem gefalteten mittelmäßig informativen Inlay ist statt Phil eine Aktzeichnung zu sehen – eine Frau, wie man sie in „heißen Nächten in Paris“ wohl im Moulin Rouge antreffen kann …

Ob Phil dort war, ist nicht von Bedeutung. Wer jedoch Philip Charles David Collins auf allen Pfaden gefolgt ist, sollte mit ihm erst recht auch die Welt des Big-Band-Jazz betreten.

Autor: Andreas Lauer (1999)


A Hot Night In Paris wurde Anfang 2019 auf CD im Digipak und als 2LP wiederveröffentlicht. Das Album wurde zwar remastered, enthält aber keine Bonustracks.

CD im Digipak: amazon | JPC
2LP: amazon | JPC
Digital: amazonMP3