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Phil Collins – Testify (2016 Deluxe Edition 2CD) – Rezension
Sein letztes Studioalbum mit eigenen Songs erschien 2002, nun wurde es im Rahmen der Wiederveröffentlichungs-Kampagne auch neu aufgelegt. Ulrich Klemt nimmt vor allem die Bonustracks genauer unter die Lupe
Hinweis: In diesem Artikel wird die Neuveröffentlichung des Albums Testify besprochen. Eine ausführliche Rezension zum Album selbst findet ihr unter diesem Link.
Das Artwork
Das Artwork ist analog der anderen Album-Neuauflagen das alte mit „neuem Phil“, wobei hier der große Aha-Effekt ausbleibt, weil das Foto auf dem Original-Cover grade mal 14 Jahre alt und damit vergleichsweise jung ist. Eine gravierende optische Veränderung ist nicht erkennbar, auch wenn ein paar Falten dazugekommen sind.
Das Remaster
Hier gibt es wie schon bei den beiden Vorgängeralben keine wirklich hörbare Verbesserung – zumindest für den normalen Durchschnittshörer. Auf eine technische Analyse kann auf Grund des vergleichsweise jungen Alters des Albums verzichtet werden.
Die Bonustracks – „Extra Testimony“
High Flying Angel (B-Seite)
Diese B-Seite von Can’t Stop Loving You war auf der japanischen und australischen Ausgabe von Testify sogar als Bonustrack auf dem Album. Wie Phil Collins selbst in den Sleeve Notes schreibt, hätte dieser Song eigentlich auf Testify sein sollen. Diese Einschätzung kann man getrost unterschreiben, denn es handelt sich hier um einen ausgewachsenen, fertigen Song. Er hätte das Album qualitativ sicher nicht schlechter gemacht.
Crystal Clear („B-Seite“)
Mit diesem als B-Seite bezeichneten Stück zaubert Collins eine erste Überraschung aus dem Hut. Das Stück war bislang selbst in eingefleischten Fankreisen unbekannt. Dass es im Rahmen der Testify-Aufnahmen entstand, hört man dem Song deutlich an. Gegenüber High Flying Angel merkt man aber, dass es sich hier eher um eine B-Seite (auch wenn es im eigentlichen Sinne dieses Begriffes nie eine war) als einen echten Kandidaten fürs Album handelt.
Hey Now Sunshine (B-Seite)
Hey Now Sunshine ist ein fröhliches Lied, mit einem unbeschwerten Text. Stilistisch kann es ebenfalls die enge Verwandtschaft mit Testify nicht leugnen. Als B-Seite war der Song bereits auf der Single zu Wake Up Call bzw. The Least You Can Do erhältlich.
TV Story („B-Seite“)
Hier haben wir die zweite echte Überraschung, mit der Phil Collins aufwarten kann. Auch dieser Track sollte laut Collins eigentlich auf Testify veröffentlicht werden. Und tatsächlich hätte er genau wie High Flying Angel etwas mehr Abwechslung gebracht. Der Text ist allerdings thematisch sehr nah an Don’t Get Me Started. Vom Sound her ist eine gewisse Ähnlichkeit mit Wake Up Call vorhanden. Vielleicht waren diese Parallelen der Grund dafür, dass es bis jetzt in der Schublade verschwand.
True Colors (live rehearsal)
Aufgenommen wurde diese wunderschöne Version des Cindy Lauper-Covers angeblich auf der First Final Farewell Tour 2004 beim Soundcheck in Toulouse. Entgegen der Ankündigung ist dieses Stück nicht bislang unveröffentlicht sondern war bereits in exakt der gleichen Version auf dem Love Songs-Sampler vertreten. Die Studioversion erschien 1998 auf …Hits. Damit fällt der Song eher in die Dance Into The Light-Zeit.
Come With Me (live)
It’s Not Too Late (live)
Can’t Stop Loving You (live)
Diese Songs sind fast die einzigen von Testify, die überhaupt jemals live gespielt wurden. Fast, denn der einzige weitere Song, der im Rahmen der Testify-Promotion-Tour insgesamt dreimal vorgetragen wurde war Driving Me Crazy. Dass davon keine Aufnahme auf den Reissue-Extras auftaucht, überrascht dabei nicht wirklich. Schade ist es dennoch. Vor allem Come With Me und It’s Not Too Late waren vermutlich aus Fansicht nicht die sicheren Live-Kandidaten für die First Final Farewell Tour. Aber live haben diese Tracks enorm hinzugewonnen und sich positiv weiterentwickelt. Das ist ja genau das, was Phil mit den Extras zu den Album-Neuauflagen zeigen möchte.
Aufgenommen wurden alle drei Stücke 2004 in Paris und sind bereits auf der DVD Finally… The First Farewell Tour erhältlich. Der Sound der Aufnahmen ist durchweg sehr gut.
It’s Only Loving (Demo)
Mit dieser Demo-Version eines bislang ebenfalls völlig unbekannten und unveröffentlichten Tracks wird das Überraschungstrio dieser Bonus-CD komplettiert. Ein Song mit einem tollen Groove, etwas wiederholendem und daher leicht eintönigem und wenig tiefgründigem Text, aus dem aber sicher etwas hätte werden können. Nervig ist das Synthesizer-Gezwitscher. Diese Demo-Version beweist, dass Phil Collins sich auch moderneren Sounds nicht verschlossen hat und dass sich das durchaus gut anhören kann.
Tearing And Breaking (Demo)
Dieses Lied war in seiner endgültigen Version “der” neue Track auf dem Love Songs-Sampler und diente dort als Appetithappen und Kaufargument für die Fans. Die hier nun erschienene Demoversion ist schon relativ nah an der finalen Fassung, obwohl sich das Ganze noch etwas roh und unfertig anhört.
Bewertung des Bonusmaterials
Mit Extra Testimony hat Phil Collins ein gutes Gesamtpaket abgeliefert und im Rahmen der Reissue-Kampagne vielleicht sogar eine der qualitativ besten Bonus-CDs. Die Mischung aus B-Seiten, Live- und Demo-Tracks stimmt und wird durch drei faustdicke Überraschungen noch zusätzlich aufgewertet. Diese drei sind, wie bereits erwähnt, fast durchgängig ausgewachsene Songs. Sie wirken nicht wie offensichtlich fürs Album unbrauchbare Aufnahmen und machen neugierig auf das, was womöglich sonst noch so in den Archiven des trommelnden Sängers bzw. singenden Schlagzeugers schlummern mag. Interessant ist bei den Extras, dass es keine Demo-Version eines Album-Tracks gibt. Das fällt angesichts des übrigen Bonusmaterials aber nicht weiter ins Gewicht.
Bei den Live-Songs wäre sicher etwas mehr Überraschung möglich und erwünscht gewesen. Aber hier ist man halt den sicheren Weg gegangen und hat damit auch nichts falsch gemacht.
Fazit
Die fehlende (weil nur schwer mögliche) Aufwertung des Albums wird durch die sehr gute Bonus-CD absolut aufgefangen. Ob die Bonus-CD für den Gelegenheits-Collins-Hörer ein Kaufargument ist, lässt sich schwer beurteilen. Das Material ist aber sehr interessant und qualitativ nicht schlechter als das Album selbst. Hier wurde die neben Going Back insgesamt sicher schwierigste Aufgabe im Rahmen der Neuauflagen solide und teilweise überraschend gut umgesetzt.
Vielleicht bringt das Gesamtpaket Gelegenheits-Hörer wie Fans dazu, dem Album, das von allen Collins-Soloalben vermutlich das am schwächsten bewertete ist, eine zweite Chance zu geben. Auch wenn es dann die anderen Alben nicht plötzlich überflügelt, mag sich der Gesamteindruck durch diese Neuauflage aber verbessern. Es wäre dem Album und nicht zuletzt Phil, der sehr viel Herzblut in dieses Werk gesteckt hat, zu wünschen.
Autor: Ulrich Klemt