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Phil Collins – Serious Hits … Live – Rezension

Seine fulminante „Serious Tour“ führte Phil Collins 1990 rund um den Globus. Während der Tour entstand ein Live-Album, das auch während der Tour abgemischt und produziert wurde und so schon Ende 1990 in den Läden stand.

Ende Februar 1990 startete Phil Collins seine dritte Solo-Tour in Nagoya/Japan, die Anfang Oktober im New Yorker Madison Square Garden zu Ende ging. Die bis dahin längste Tour des Genesis-Sängers und -Drummers führte durch Japan, Australien, Europa und Nordamerika, wobei sowohl in Hallen, Stadien als auch Amphitheatern gespielt wurde. Zudem setzte die Tour zwei Jahren Konzertpause ein Ende, nachdem Phil von 1980 bis 1987 entweder mit Genesis, Eric Clapton, Robert Plant oder eben solo jedes Jahr mehrere Monate auf Tour gewesen war.

Phil Collins‘ erstes Live-Album erschien im November 1990 und war zum Verkaufsstart auch als CD in einer limitierten Version im Pappschuber mit 24-seitigem Booklet erhältlich. Als Singles wurden in Europa Do You Remember? und Who Said I Would sowie in den USA In The Air Tonight veröffentlicht. Die B-Seiten waren hierbei ebenfalls ausnahmslos Live-Aufnahmen der Serious Tour. Für die Europa-Versionen gab es verschiedene Kombinantionen aus Against All Odds, Doesn’t Anybody Stay Together Anymore, Inside Out und/oder The Roof Is Leaking. Eine davon kam sogar liebevoll gestaltet in einem Papp-Karussell daher. Damit wurden in Europa drei weitere Titel veröffentlicht, die es nicht auf Serious Hits? Live! geschafft hatten. Die für die US-Version gewählten B-Seiten waren dagegen Take Me Home & Separate Livesund somit lediglich Titel, die bereits auf Serious Hits… Live!zu finden waren. Zudem fand sich 1993 Always als eine B-Seite auf der Single zu Both Sides Of The Story, um letzten Endes im Jahr 2004 sogar auf Love Songs: A Compilation… Old And New verewigt zu werden.

Die Aufnahme von Take Me Home stammt definitiv aus Rosemont/Illinois, einem Vorort von Chicago, was sich ganz einfach von Phil’s „thanks, Chicago“ am Ende des Liedes ableiten lässt. Um aber die genauen Orte, an denen die übrigen Titel aufgenommen wurden herauszubekommen, habe ich vor einigen Jahren den Toningenieur des Albums Paul Gomersall kontaktiert. Die Liste mit den Aufnahmeorten pro Song existiert wohl noch irgendwo auf der Farm. Da er aber inzwischen in Australien lebt, konnte er mir aus dem Gedächtnis nur vage Informationen geben. Aufgenommen wurden für Serious Hits… Live!aber vermutlich die Shows in Uniondale/New York, Paris, London und eben Rosemont/Illinois. Paris wurde letztlich wohl nicht verwendet, da Phil dort arge Stimmprobleme hatte, die sogar zur Verlegung einer Show führten.

Als erstes fällt auf, dass das Album ? leider ? kein komplettes Konzert sondern nur gut eine Hälfte der damals gespielten Shows enthält. Zudem ist die Reihenfolge der Songs erst ab In The Air Tonight analog der Setlist, wobei auch hier Teile (nämlich die Bandvorstellung und Always) herausgeschnitten wurden.

Ein weiteres markantes Merkmal des Albums ist die Homogenität des Sounds, obwohl die Lieder in völlig verschiedenen Hallen mit selbstverständlich komplett anderer Akustik aufgezeichnet wurden. Was einerseits dazu führt, dass man das Gefühl hat, ein einziges Konzert zu hören, hat aber den Nebeneffekt, dass der Sound sehr glatt poliert wirkt und die Zuschauer eigentlich nur zwischen den Liedern wirklich zu hören sind. Laut Paul Gomersall war diese Vereinheitlichung des Sounds aber volle Absicht und zudem auch eine Menge Arbeit!

Anders als die Serious Tour-Konzerte, bei denen Hand In Hand den Auftakt bildete, beginnt das Album mit Something Happened On The Way To Heaven. Dieser eine von nur drei Titeln des damals aktuellen Albums ?But Seriously fand sich in der Setlist eigentlich eher in der Mitte. Es wirkt fast ein bisschen so, als wenn Phil schon nach der 1990er Tour gewusst hätte, dass sich dieser Song als Opener eignet, denn seine First Final Farewell Tour wurde eben mit diesem Lied eröffnet (wenn man das Drum Trio nicht mitzählt). Dass daneben mit Do You Remember? und natürlich Another Day In Paradise zwei erfolgreiche Singleauskopplungen von ?But Seriously für Serious Hits… Live! ausgewählt wurden, kann nicht überraschen. Dennoch hätte sich der geneigte Fan vielleicht eher Stücke wie Colours, Find A Way To My Heart, All Of My Life oder I Wish It Would Rain Down gewünscht. Kein Wunder, dass ?But Seriously das am umfangreichsten vertretene Album im Set war. Über die gesamte Tour wurde lediglich Father To Son nie gespielt, vermutlich weniger, weil es live nicht funktionierte, sondern weil es für Phil eines der persönlichsten Lieder ist, die er je geschrieben hat.

Einen weiteren „Block“ bilden die insgesamt vier Titel von diversen Soundtracks. Anders als die übrigen drei war Against All Odds aus dem gleichnamigen Film live aber kein Neuling, da es schon 1985 einen festen Bestandteil der Setlist bildete. Separate Lives aus White Nights sowie Two Hearts und A Groovy Kind Of Love vom Soundtrack zu Busterhingegen waren erst nach der No Jacket Required Tour zu Phil’s Solo-Repertoire hinzugekommen. Vor allem Two Hearts hat es seit 1990 geschafft ein nahezu untrennbares Paar mit You Can’t Hurry Love zu bilden. Letzterer Titel ist auf Serious Hits… Live! der einzige Vertreter von Hello, I Must Be Going, wobei von diesem Album auf der Tour ansonsten lediglich noch The West Side gespielt wurde.

Ganz anders sieht es da mit No Jacket Required aus: mit Sussudio, One More Night, Don’t Lose My Number, Who Said I Would und Take Me Home finden sich fünf von sieben auf der Serious Tour gespielten Albumtracks auf Serious Hits… Live!, wobei die anderen zwei wie eingangs erwähnt als B-Seiten (Doesn’t Anybody Stay Together Anymore und Inside Out) erschienen sind. Vergleicht man die Live-Versionen von 1985 und 1990 fällt vor allem bei Sussudio und Take Me Home auf, dass sie auf der Serious Tour kraftvoller und besonders gegenüber den Albumversionen deutlich reifer herüberkamen. Beide 1990er Live-Versionen klingen dabei sogar eher nach den 12“er-Mixen. Who Said I Wouldist auf Serious Hits… Live! übrigens der einzige Titel, der ? abgesehen von der Live-Auskopplung (siehe oben) ? nie als Single erschienen ist.

cover

Ein Titel, der sich von den übrigen abhebt, ist Easy Lover. Ursprünglich 1984 mit Philip Bailey (und Nathan East) für dessen Album Chinese Wall aufgenommen, hatte dieser zwischenzeitliche Live-Klassiker 1985 noch keine Berücksichtigung im Set gefunden und tauchte bis Serious Hits… Live! ? später dann ?Hits ? auch auf keinem Collins-Solowerk auf. 1990 wurde er von Phil zusammen mit Arnold McCuller und Fred White als Zugabe gesungen.

Was wäre ein Collins-Livealbum ohne den Klassiker schlechthin: In The Air Tonight? Und natürlich findet sich dieser Song als einziger Vertreter von Face Value (1990 wurden ansonsten noch Hand In Hand, Behind The Lines und The Roof Is Leaking gespielt) auch auf Serious Hits… Live! An kaum einem anderen Stück kann man eine solche Entwicklung erkennen, wie eben an In The Air Tonight. Und das nicht nur, weil es eines der wenigen Lieder ist, das Phil seit seiner allerersten Live-Show bei (fast) jedem Auftritt gespielt hat. 1982/83 bis 1990 wurde es noch eher traditionell interpretiert. Ab 1994 wurde dann vor allem das Intro immer mehr ausgedehnt, um für das Highlight eines jeden Phil Collins-Konzerts eine entsprechende Spannung aufzubauen. 1990 wurde letztmalig eine eher albumähnliche Live-Version gespielt. Ohne viel Schnickschnack, dafür aber gegenüber den beiden ersten Touren deutlich weiterentwickelt und mit einem Schlagzeug, dass davor und vielleicht auch danach nie mehr so kraftvoll wirkte. Bei der Serious Hits… Live!-Version hat man am Ende das Gefühl, dass Phil auf diesen Moment wirklich sein Leben lang gewartet hat.

Das Album ist qualitativ in vieler Hinsicht sehr gut bis perfekt, in einigen Punkten vielleicht sogar zu perfekt. Die Band spielte damals hervorragend zusammen und kreierte einige bis heute unerreichte Live-Versionen. Der „echte“ Fan hätte sich sicher bereits damals wohl eher ein komplettes Live-Konzert als Doppel-Album gewünscht. Dieser Wunsch wurde ja dank des Seriously Live In Berlin-Videos und später der -DVD erfüllt. Von daher wirkt Serious Hits… Live! also wie eine geschickt verkürzte Konzertversion, die dennoch flüssig ist und vom Ablauf und der Songzusammenstellung her dem Originalset sehr nahe kommt. Dass es wie der Titel vielleicht suggerieren mag ein Hits-Album ist, wiederlegte zumindest zum damaligen Zeitpunkt Who Said I Would. Heutzutage kann man von Serious Hits… Live! aber getrost von einem „Best Of Live“-Album sprechen. Schade ist, dass durch den beinahe klinischen Sound, der lediglich den auf ein einheitliches Niveau abgemischten Hall der Konzertarenen und die Zuschauergeräusche meist nur zwischen den Liedern übrig gelassen hat, die Liveatmosphäre etwas leidet. Wie so oft bei Phil Collins bleibt aber für mich das Fazit: ein bisschen mehr Risiko (z.B. durch die Hereinnahme weniger bekannter Songs, weniger Soundperfektion zugunsten mehr Liveatmosphäre) hätte diesem Werk wie auch einigen anderen vor allem der späteren Jahre durchaus gut getan.

Autor: Ulrich Klemt

Hier abschließend noch eine Übersicht der auf der Serious Tour gespielten Lieder und wo man sie findet:

Serious Hits? Live!

Something Happened On The Way To Heaven
Against All Odds
Who Said I Would
One More Night
Don’t Lose My Number
Do You Remember?
Another Day In Paradise
Separate Lives
In The Air Tonight
You Can’t Hurry Love
Two Hearts
Sussudio
A Groovy Kind Of Love
Easy Lover
Take Me Home

B-Seiten (siehe oben)

Doesn’t Anybody Stay Together Anymore
Inside Out
The Roof Is Leaking
Always

als Audio-Version unveröffentlicht

Hand In Hand*
That’s Just The Way It Is*
Saturday Night & Sunday Morning*
The West Side*
Colours*
All Of My Life**
Heat On The Street**
Find A Way To My Heart**
Behind The Lines
I Wish It Would Rain Down
People Get Ready

* als Video auf Seriously Live In Berlin erschienen
** als Video auf ...But Seriously, The Videos erschienen (Aufnahmen aus Sydney)


Serious Hits … Live! wurde Anfang 2019 auf CD im Digipak und als 2LP wiederveröffentlicht.
Das Album wurde zwar remastered, enthält aber keine Bonustracks.

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