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Phil Collins – Serious Hits…Live – 2DVD Rezension
1990 spielte Phil Collins zwei umjubelte Shows auf der Berliner Waldbühne. Später wurde das Konzert auf VHS-Kassette veröffentlicht. Seit einiger Zeit liegt das Konzert nun in 5.1 auf Doppel-DVD vor. Anneke Brüning hat die Doppel-DVD für Euch angesehen…
Ein sonniges Juliwochenende in Berlin. Vor einer Woche hat die deutsche Fußballnationalmannschaft durch einen 1:0-Sieg gegen Argentinien den WM-Titel errungen. Die politischen Ereignisse überschlagen sich: Seit Anfang des Monats ist die D-Mark Zahlungsmittel der DDR und die endgültige Wiedervereinigung steht bevor. Die Euphorie in Ost und West ist unbeschreiblich. Viele bedeutende Künstler kommen in die zukünftige gesamtdeutsche Hauptstadt – darunter die drei Tenöre …und Phil Collins! Eines seiner zwei Konzerte am Wochenende vom 14. und 15. Juli 1990 wurde aufgezeichnet, live im Fernsehen ausgestrahlt und als Video herausgebracht. Dreizehn Jahre später, im Jahre 2003, kommt der inzwischen legendäre Konzertmitschnitt als Doppel-DVD im Schuber heraus. Die Zeitreise kann beginnen.
Der Aufkleber „Taking you to the apex of delight“ hat nicht zuviel versprochen. Trotzdem landet die Serious-Hits-Live-Doppel-DVD unter den Collins-Fans, die bereits sein DVD-Meisterwerk zur
First Final Farewell-Tour kennen, wohl in den meisten Fällen auf Platz zwei. Es ist unbestreitbar, dass sich der Meister bei seiner wohl letzten, der final (Solo-) Konzertdokumentation unwahrscheinlich viel Mühe gegeben hat, doch sollte man der ein Jahr zuvor erschienenen Serious-DVD eine faire Chance geben und in Relation zur damaligen Zeit und Intention sehen.
1. 1990 gab es keine DVDs mit massig interaktiven Bonusmaterial, sondern lediglich Videos. Jetzt sind die Konsumenten nun mal verwöhnt und das Management muss sich allerhand einfallen lassen, was hier durchaus gelungen ist.
2. Die Technik war eine andere. Heute sind leicht zu bedienende, hochauflösende HD-Kameras, 5.1-Ton und fantastisches, kabelloses Equipment Normalität. Für das Publikum des neuen Jahrtausends musste die 5.1-Qualität erst nachträglich zusammengefummelt werden.
3. Auch Phil war ein anderer. Trotz junger Familie spielte der Workaholic in neun Monaten 127 exzellent geplante Konzerte mit einer 12-köpfigen Band. Die Serious-Tour war eine von vielen Tourneen der Erfolgsmusiker im besten Alter. Wer denkt da schon ans Aufhören und Zurückblicken mit dazugehörigen ausführlichen, hautnahen Dokumentationen und Interviews wie zum Farewell?
4. Das Fernsehmachen und -Gucken war noch nicht von schnellen Videoclips beeinflusst. Heute mag die enthaltene 24-minütige Original-Doku mit Interview und Konzert-Clips etwas langatmig wirken. Damals war der Fan sicher froh, überhaupt ein paar Statements von seinem Star zu bekommen.
Die Features
Aber was ist nun alles drauf auf den Scheiben? Zunächst kann der Zuschauer wortwörtlich hinter die Kulissen des Jahrmarktkarussell-Designs blicken – und zwar mit Fotos und Text zum Bühnenbildkonzept von Jonathan Smeeton, Alan Chesters und Ronan Willson. Man kann sich durch das damalige Tourprogramm blättern und hat galerienweise hübsche Konzertfotos. Dazu die bereits erwähnte kleine Doku von damals zur Tour – und selbstverständlich das Konzert selber. Aber dazu später mehr. Das Allerbeste ist wohl: die verschiedenen Kameraperspektiven beim Konzert. Bis auf zwei Titel kann der Zuschauer entscheiden, aus welchem Blickwinkel er das Geschehen auf der Bühne verfolgen möchte, wenn es nicht die von Regisseur Jim Yukich zusammengeschnittene Fassung sein soll – heute eher an der Tagesordnung bei einer DVD, aber überraschend für eine länger zurückliegende Aufnahme wie hier. Anscheinend kommt bei „Philip Collins Limited“ nichts unter die Räder. Einige Male kann man sogar Verwackelungen der diversen „hand held“ Kameras auf der Bühne beobachten. Herrlich ist zum Beispiel die Möglichkeit zum direkten Spielstilvergleich zwischen Chester und Phil hinter ihren Schießbuden.
Das Konzert
Was haben Sie am 14.07.1990 gemacht? Wenn Sie an diesem Samstagabend fern gesehen haben, kamen Sie (zumindest in Deutschland) an Collins mit seinen „10 serious guys and 1 even more serious gal“ nicht vorbei. Auch, wenn Sie (noch) kein Fan waren. Ich war gerade 11 Jahre alt geworden und erinnere mich noch gut daran („Ach, das ist doch der Typ mit Another Day In Paradise – der kann ja noch viel mehr!“). Die bombastische Stimmung übertrug sich einfach – auch über den Bildschirm. Und wenn es heute eine moderne Hifi-Anlage samt großem Fernseher ist, kommt das Feeling mindestens genauso gut rüber. Wie Collins selber sagte, war das aus der Serious-Tour entstandene Livealbum wie ein damaliges „Best Of“. Nur eben alles live. Und bei diesem für die Ewigkeit eingefangenen Berlin-Gig wurden sämtliche Songs (= Songs, nicht die exakten Takes) gespielt, die auch auf der Serious Hits enthalten sind und noch einige mehr, wie zum Beispiel Collins‘ Version des Irving-Berlin-Songs Always. Die Stimmung? Fantastisch! 22.000 Zuschauer der Waldbühne konnten nicht irren. Sie sind sogar so aus dem Häuschen, dass Collins Mühe hat, sein Programm durchzuziehen! („We haven’t got time for all that!“) Dazu seine originelle, gewollt schmierige, aber urkomische Band-Ansage – legendär! Dann die Ansagen auf Deutsch – für einen Deutschen kaum zu verstehen, aber immer sympathisch und mit einem Augenzwinkern. Dieses Collins-sche Massenphänomen ist viel weniger politisch als etwa das The Wall-Konzert von Pink Floyd bzw. Roger Waters (das übrigens eine Woche später in Berlin stattfand), aber dieses großartige Pop-Ereignis spiegelt die unglaubliche Euphorie der Wende wider und ist damit ein wunderschönes Zeitdokument. Davon abgesehen beweisen zwölf Topmusiker, darunter Leland Sklar am Bass und Chester Thompson an den Drums, dass sie es einfach drauf haben.
Fazit
Insgesamt muss festgehalten werden: Hut ab, Mr. Collins und Team! Gut, okay… das Auswahlmenü (mit Phil als zum Konzept passender Jahrmarktsdirektor) ist niedlich anzuschauen, aber man hätte zur Abrundung noch ein paar passende Soundeffekte bzw. Musikschnipsel einbauen können. Wenn sich die Lamellen der Karussellkulisse mit „Mr Collins‘ Galloping Horses“ am Ende von Take Me Home langsam wieder senken, kommt es einem nicht so vor, als habe man gerade ein fast dreistündiges Konzert miterlebt, so kurzweilig ist es. Für einen Preis von momentan unter 20 € geschenkt!
Autorin: Anneke Brüning
LINKS zum Thema:
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