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Phil Collins – Not Dead Yet Live in Europa 2017 – ein Reisebericht

Für Fanclub-Mitglied Niklas Ferch ging ein Traum in Erfüllung. Phil Collins geht doch noch einmal auf Tour. Lest die ganz persönlichen Eindrücke eines jüngeren Fans …

Against All Odds. Gegen jede Chance und aus heiterem Himmel hatte Phil Collins am 17. Oktober 2016 auf einer Pressekonferenz in der Londoner Royal Albert Hall sein Bühnencomeback als Solokünstler bekanntgegeben. Unter dem Motto seiner etwa zeitgleich veröffentlichten Autobiographie (Not Dead Yet) sollte ihn eine Selection of Shows im darauffolgenden Juni für jeweils bis zu fünf Konzerte nach London, Köln und Paris bringen.

Persönlicher Exkurs.
Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser ausgewählten Livetermine waren für mich, mittlerweile immerhin 24 Jahre alt, schon 12 Jahre und damit die Hälfte meines Lebens ins Land gegangen, seit mich die Serious Hits…Live!-CD (1990) im Autoradio meines Vaters mit dem Wunsch, auf ein Phil Collins-Konzert zu gehen, infiziert hatte. Bis dato hatte ich lediglich ein paar Sampler mit Charts-Musik der frühen 2000er besessen und ansonsten so getan, als würde auch mir der R’n’B und HipHop auf MTV, den meine Schulfreunde so feierten, wirklich gefallen. Still und heimlich bastelte ich mir jedoch Mixtapes mit Songs aus den ’70ern und ’80ern, die mir im Musikunterricht oder in der Musicalgruppe meiner Schule über den Weg liefen und die ich anschließend auf den Kuschelrock-Samplern meiner Eltern zusammensuchte. Auf einem ‚richtigen‘ Konzert war ich bis dahin noch nie gewesen, aber von dem zu schließen, was ich auf Phil Collins‘ einzigem Livealbum hörte, musste es das allergrößte sein, diesen Vollblutmusiker auf der Bühne zu erleben. Diese überkochende Euphorie gleich zu Beginn des Albums, noch bevor das Schlagzeug zu Something Happened On The Way To Heaven ansetzt und die Bläser das Spektakel eröffnen; diese Spannung, wenn man minutenlang auf den legendären Schlagzeugeinsatz in In The Air Tonight hin fiebert, bis sich die angestaute Energie endlich entlädt, indem sich der singende Schlagzeuger die Seele aus dem Leib trommelt und singt; die nicht enden wollenden Chöre eines glückseligen Publikums am Ende von Take Me Home… Kurzum: Diese Aufnahme hatte es mir angetan.
Bald hatte ich meine eigene Sicherheitskopie im DiscMan (do you remember?) und war fest entschlossen, bei nächster Gelegenheit ein Phil Collins-Konzert zu besuchen. Irgendwann, es muss 2005 gewesen sein, bekam ich von meiner Mutter Phil Collins‘ Love Songs-Compilation zu Weihnachten geschenkt – mitsamt dem darin enthaltenen Flyer, der die DVD zu Phils Abschiedstournee bewarb. Ich ergoogelte mir, dass Phil tatsächlich der Bühne den Rücken gekehrt hatte und war am Boden zerstört, dass ich scheinbar die letzte Möglichkeit verpasst hatte, meinen Helden live zu sehen. Nichtsdestotrotz arbeitete ich mich durch seine Diskographie durch und begann – wir schreiben mittlerweile das Jahr 2006 – die Diskussionen im Forum des Deutschen Genesis-Fanclubs zu verfolgen. Im Herbst 2006 verdichteten sich dort Gerüchte um eine anstehende Genesis-Reunion. Der Rest ist Geschichte. Es war nicht schwer, meine Eltern zu überzeugen, mit mir auf das Konzert der Turn It On Again-Tour nach Frankfurt zu gehen, und ich nutzte die Zeit bis zum Sommer 2007, um mich intensiv mit der Musik einer Band auseinanderzusetzen, die wohl auf ewig meine absolute Lieblingsband werden würde…

Das, mein, Genesiskonzert war wohl der Tag, auf den ich mich im ersten Vierteljahrhundert meines noch jungen Lebens am meisten gefreut hatte (ja, Genesis-Fans waren und sind wohl immer irgendwie Nerds… Ich lebe dennoch – oder gerade deshalb? – ein tolles Leben) – und ja, es war fantastisch. Trotzdem war da noch eine Sache offen: Das Phil Collins-Konzert.
Die Jahre vergingen, Phil hatte mich in der Zwischenzeit zum Drummer gemacht (…oder zumindest zu jemandem, der seit nunmehr zehn Jahren mit ungebrochen großer Begeisterung versucht, es zu spielen zu lernen…) und mir die Türe zu ganz viel toller Musik außerhalb des Genesis-Kosmos geöffnet – und ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ihn doch noch solo live zu sehen und ihm in den beschränkten Möglichkeiten eines einzelnen Konzertgängers noch etwas ‚zurückzugeben‘. 2010, als Phil wider Erwarten mit Going Backdoch noch mal ein paar Konzerte spielte, konnte ich mich aber nicht aufraffen, nach Montreux zu fahren, nur um mir für viel Geld Phil Collins anzuschauen, wie er ausschließlich fremde Songs singt (für die ich nun wirklich viel zu jung bin). Irgendwie hatte ich wohl gehofft, dass da noch mehr kommen würde… Gleiches gilt für die beiden Little Dreams Foundation-Auftritte in der Schweiz im Frühjahr 2016. In der Zwischenzeit waren Phils gesundheitliche Probleme bestens dokumentiert und ich wäre wohl dennoch (oder gerade deshalb?) für eine Konzertkarte im dreistelligen Eurobereich für sieben Songs Phil Collins von Bremen in die Schweiz gebrettert, wäre der Termin nicht mit der Jahrgangsfeier zum fünfjährigen Abitreffen kollidiert.

Not Dead Yet. Nun gab Phil also Ende 2016 im Anschluss an die Veröffentlichung der Neuauflagen seiner Studioalben und seiner Autobiografie die 3×5 Konzerte in London, Köln und Paris bekannt. Dummerweise war ich gerade ans andere Ende der Welt verreist und es war mir mangels Internetzugang auf offener See partout nicht möglich, Karten für die Royal Albert Hall – für mich die schönste Konzertstätte überhaupt – zu ergattern. Meine Freundin konnte uns immerhin Karten für das erste Köln-Konzert sichern und in einer schwachen Minute kaufte ich wenig später, quasi zurück in der Zivilisation, mit recht eingestaubten Französischkenntnissen auch irgendeine Karte für das letzte Paris-Konzert. (Logik: „Bercy muss ja toll sein, immerhin hat Phil dort zwei DVDs aufzeichnen lassen; in Paris warste lang nicht, der Louvre-Besuch steht noch auf der Bucket List und Freunde besuchen könnteste da auch…“). Für das letzte Zusatzkonzert in Köln konnte ich auch noch eine Karte bekommen, um das Konzert auch mit ein paar Musikkumpels aus dem itForum, die zum Teil Phil Collins-mäßig ein ähnliches Schicksal plagt, erleben zu können.

Die Mini-Tour war also angekündigt, ich hatte Karten und alles sollte fantastisch werden. Oder? Ich las – nein, verschlang – Phils Biografie und war schockiert, wie sehr wir Phil an die Unbarmherzigkeiten des Rockstarlebens verloren hatten und wie knapp nur er sein Leben im Allgemeinen nicht verloren hatte. Natürlich verfolgte ich seine mal mehr, mal weniger gelungenen, doch stets bemühten Promoauftritte im Herbst 2016 mit Gehstock und etwas eingerosteter Stimme genau. Trotzdem blieb ich optimistisch, dass er zur Tour hin schon fit werden würde… irgendwie.

Am Abend des Auftaktkonzertes in Liverpool, das – genau wie das Stadionkonzert in Dublin und der Festivalauftritt im Hyde Park – noch als Zusatzkonzert nachgerückt war, verfolgte ich die Entwicklungen auf Twitter, Facebook und Instagram ebenfalls genau. Ernüchterung machte sich breit: Phil geht immer noch am Stock, sitzt das gesamte Konzert über, kann entgegen seiner Ankündigung nicht mal In The Air Tonight trommeln, spielt viele relativ sicher geglaubte Wunschsongs (You’ll Be In My Heart, Two Hearts, Both Sides Of The Story) nicht, singt mit dünner Stimme und wirkt dabei unglaublich alt, fragil und gezwungen. Die Fans vor Ort berichten nur Positives, die Medienberichte sind wohlwollend wie selten, im Forum des Fanclubs aber wird Phil ins Grab geschrieben und ich habe eine gute Woche Zeit, um den mein halbes Leben lang gereiften Traum eines Phil Collins-Konzertes an die eben skizzierte Szenerie anzupassen. Ich finde Gefallen an der Setlist und den doch überzeugenden Performances mancher Songs (bspw. Follow You Follow Me, I Don’t Care Anymore, You Know What I Mean) und freue mich auf Köln. Vier Tage vor dem Köln-Konzert erfahre ich auf der Arbeit aus den Nachrichten, dass Phil Collins des Nachts im Hotelzimmer gefallen war und sich eine Platzwunde an der Stirn zugezogen hatte, weshalb er nun im Krankenhaus sei und seine Residency in der Royal Albert Hall nicht zu Ende spielen könne. Die Skeptiker und Kritiker im Forum fühlen sich bestätigt. Einen Tag Bangen später steht jedoch fest, dass die Kölner Konzerte wie geplant stattfinden sollen. Also auf nach Köln…


Phil Collins Köln 2017
Köln

Köln, Sonntagabend, 11. Juni 2017, 20:15. Showtime für mein erstes Phil Collins-Konzert: „I’ve been waiting for this moment…“ – ihr wisst schon. Das Licht geht aus, Phil schlendert am Stock auf die Bühne, hängt ihn an die Rückenlehne seines Barhockersessels (was ist das eigentlich für ein Teil?) und lässt sich sodann in selbigen hineinplumpsen. Wahnsinn, da ist er also endlich. Er liest die charmante Begrüßung in holprigem Deutsch vom Zettel ab – „aber um ehrlich zu sein, ich habe euch vermisst.“ Ich dich auch, Phil, und wie… Mein Herz pocht und mir steigen Tränen in die Augen. Beim ersten Ton von Against All Odds– der quasi aus dem Off ertönt, da die Band hinter einer Art gigantischen Mattscheibe versteckt bleibt – sind alle Zweifel weggewischt. Phil ist da, er zieht sein Ding durch, und das ist gut so. Take a look at me now. Sich so auf die Bühne zu stellen – vielmehr: sich so auf die Bühne zu setzen; nach dem Sturz in London mit einem riesigen Pflaster über dem linken Auge – Chapeau. Die ersten Minuten eines Phil Collins-Konzertes im Jahr 2017 sind schonungslos, erschütternd ehrlich – und zutiefst berührend. Das früher so quirlige, mit unheimlichem musikalischem Talent gesegnete Energiebündel sitzt nun, gezeichnet von den Schlagseiten seiner Karriere, alleine und immobil in diesem sonderbaren Stuhl, wird mit Stehlampen von beiden Seiten angeleuchtet und singt für sein Publikum, Against All Odds. Seine markante Stimme hat er nicht verloren – aber er versucht auch gar nicht erst zu verbergen, dass ihn ein Stück wie Against All Oddsgesanglich vor große Herausforderungen stellt. Textlich passt der Song als Eröffnungsstück indes wie die Faust aufs Auge; kompositorisch ist er ohnehin über jeden Zweifel erhaben und letztes Endes ist es eben genau diese hier zutage tretende offensive Fragilität, die dem Ganzen das Schöne, das Besondere verleiht. Mit dem markanten Schlagzeugeinsatz werden die Silhouetten der Band auf dem milchigen Vorhang hinter Phil Collins sichtbar: Direkt hinter bzw. über ihm werden mit einem Mal die Umrisse seines 16-jährigen Sohnes Nicholas sichtbar, wie er in feinster Collins-Manier auf die Concert Toms seines Gretsch-Schlagzeuges einschlägt, bevor die gesamte Band einsteigt. Dieses Gimmick bleibt nicht der einzige Verweis darauf, dass Phils zweitjüngster Sohn die treibende Kraft hinter diesem, in jeder Hinsicht bemerkenswerten, Bühnencomeback ist. Natürlich sind die Zuschauer ergriffen und es gibt bereits zum dritten Mal innerhalb der ersten wenigen Minuten des Konzertes euphorischen Szenenapplaus.

Auf Against All Odds, das 2017 wieder wie die Studioversion von 1984 ohne Saxophonsolo gespielt wird, folgen zwei weitere Balladen: Another Day In Paradisekommt erstaunlich früh und entgegen meiner Erwartung nicht in einer unplugged-Version, sondern mit voller Band. Das atmosphärische Intro eignet sich gut, um unbemerkt den Vorhang hochzuziehen und beim Ertönen der weltbekannten Keyboardakkorde endlich die gesamte Band preis zu geben. One More Nightpasst thematisch auch gut in den ersten, sentimentalen Block und wird erstaunlicherweise von Nic Collins auf einem Roland Sample-Pad live getrommelt, wohingegen früher stets eine Drum Machine für den Rhythmusloop benutzt wurde. Erwähnenswert ist außerdem das schöne lange Saxophonsolo von George Shelby. Die Stimmung in der Halle ist selbstredend großartig; nicht zuletzt wegen der Hitdichte. Spannender wird die Setlist allerdings, als Phil einen Song seinen jüngsten – und nunmehr auch schon 15 Jahre alten – Album Testify (2002) ankündigt: Wake Up Call ist offenbar eines seiner persönlichen Lieblingsstücke, wählte Phil es doch neben In The Air Tonight und Easy Lover als sein drittes Solostück auf dem Genesis-Sampler R-Kive(2014). Von daher es ist keine völlige Überraschung, dass der Song auf der laufenden Tour seine Livepremiere feiert, aber dennoch bemerkenswert – vor allem, weil die Hitsingle des 2002er Albums, Can’t Stop Loving You, 2017 nicht gespielt wird. Jedenfalls bringt Wake Up CallFrische und etwas mehr Tempo in die Show und gewinnt in der Livedarbietung im Vergleich zur Studioversion einiges an Substanz. Follow You Follow Me im Anschluss war in den letzten Jahren einer meiner heimlichen Wünsche für eine mögliche Phil Collins-Tour und zählt für mich auch zu den Highlights im Set. Auch hier drängt sich der Gedanke auf, den Songtext mal nicht auf ein Liebespaar zu beziehen, sondern auf die Beziehung zwischen Phil und Fans. In jedem Fall geht der Plan voll auf, die gesamte Arena versteht das und singt mit, während die Videos aus 45 Jahren Genesis- und Sologeschichte ihr Übrigens zur warmen Nostalgie beitragen.


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Eine weitere Rarität bildet nun den Abschluss des sentimentalen ersten Drittels des Konzertes: Aus dem atmosphärischen Intro der 1997er Tour entwickelt sich aus Daryl Stuermers Gitarrenklangwelten Can’t Turn Back The Years von Both Sides (1993), Phils persönlichem Lieblingsalbum. Abermals kommt man nicht drum herum, den Text autobiographisch umzudeuten, was den Song noch dichter und schwermütiger macht, ihm aber im Vergleich zu möglichen anderen (persönlichen Wunsch-) Kandidaten desselben Albums (Both Sides Of The Story, Everyday) für den Kontext dieser Tour eine zusätzliche Legitimität verschafft. Musikalisch wirkt das Stück live ohnehin stärker als auf dem Album – vor allem wegen Daryl Stuermer und den Percussions von Louis Conte und Nic Collins, der auch hier das Drum Machine-Pattern auf seinem Roland Sample Pad live spielt.

Nach diesem Ausflug in die Melancholie betreten allerdings die Bläser die Bühne, die Lightshow wird endlich bunt und der leichtfüßige Teil des Konzertes beginnt: I Missed Again und Hang In Long Enough werden in derselben Qualität wie noch auf der letzten Tour 2004/2005 dargeboten, machen ordentlich Druck und unterstreichen endlich, dass Phil Collins gar nicht daran denkt, wegen seiner eingeschränkten Mobilität ein reines Kammerkonzert zu spielen – sondern im Gegenteil ins Volle geht und für den Rest des Konzertes das Publikum wie in früheren Zeiten unterhalten möchte. Das gelingt auf Anhieb. Die Band spielt exzellent zusammen und schafft diese perfekte Symbiose aus treibender Rhythmussektion und heißem Bläsersatz, die so maßgeblich für den Sound sind, der vor allem auf Phil Collins‘ ersten vier Soloalben zu seinem Markenzeichen wurde. Auch hier ist noch einmal hervorzuheben, was für einen Wahnsinnsjob Phils so junger Sohn da am Schlagzeug macht. Es wirkt, als spielten er und Leland Sklar am Bass seit Jahren zusammen – und nicht erst seit wenigen Monaten. Aber auch dem Vater hört man die intensive stimmliche Vorbereitung auf diese Tour im Sitzen merklich an. Sein linkes Bein läuft in der zweiten Hälfte des Konzertes gefühlt einen Marathon, indem Phil quasi alle Achtelnoten mit tritt und schnell hat man sich an den Anblick gewöhnt, dass der Protagonist eben im Stuhl sitzt. So what?

Nach der anschließenden Bandvorstellung bittet Phil Bridgette Bryant, die zum ersten Mal seit der Serious Tour (1990) wieder in der Band ist, auf einen zweiten Stuhl neben ihm. Die LED-Bühnenrückwand verwandelt sich in einen Sternenhimmel und die beiden singen im Duett Separate Lives. Ja, das ist kitschig. Aber es ist eben auch einfach schön und eine der stärksten Gesangsleistungen des mittlerweile auch schon 66-Jährigen Phil Collins. Spätestens jetzt hat der alte Mann alle in der Halle vom Hocker gerissen. Im Vergleich zu den letzten Touren ist es für meinen Geschmack ein deutlicher Gewinn, dass Bridgette Bryant und nicht Amy Keys den Gesangspart von Marilyn Martin übernimmt, sodass sich die 2017er Darbietung nicht vor jener der Serious Tour verstecken muss. Vor der Pause gibt es noch schnell eine weitere Rarität: Only You Know And I Know von No Jacket Required (1985) hatten wohl die wenigsten auf dem Zettel für eine 2017er Phil Collins-Setlist. Zuletzt auf der Both Sides-Tour Mitte der ’90er gespielt, könnte auch diese Setlistentscheidung auf Nic Collins‘ Mist gewachsen sein. Soundmäßig wohl die am stärksten aus der Zeit gefallene Nummer im Set, birgt aber auch dieser Uptempo-Song vieles von dem, was Phil Collins als Songschreiber und -arrangeur auszeichnet: ordentlich treibende Drums mit simplen, aber sehr songdienlich eingesetztes Breaks, perfekt zugeschnittene Bläsersätze, schneidiger Gesang an der oberen Grenze des Stimmumfangs und nicht zuletzt eine dramaturgisch wunderbar inszenierte Bridge, die Spannung aufbaut und wenig später direkt wieder abbaut. Die Liveumsetzung dieses Songs war in meinen Ohren auch schon in den ’80ern nicht perfekt gelungen, aber immerhin kann sich die 2017er Version an jener den ’90er messen lassen.

Die nun von Phil als „Pinkelpause für euch und uns“ angekündigte Unterbrechung empfand ich nicht zuletzt wegen der liebevoll gestalteten Retro-Werbeeinspieler mit diversen Songtitelanspielungen als alles andere als störend – eröffnete sie vor allem die Möglichkeit, nach der Pause den Spannungsbogen völlig neu zu spannen.

Dies geschieht in Form einer weiteren Reminiszenz an frühere Touren, indem Nic Collins die Bühne betritt und das Drum Pattern von I Don’t Care Anymore kurz anspielt, bevor er sich ein kurzweiliges Schlagzeugduett mit Luis Conte liefert. Es mag sonderbar klingen, aber man vermisst Phil Collins hierbei nicht wirklich – klingt der Sohnemann doch sowohl vom Sound, als auch vom Stil her dem Vater zum Verwechseln ähnlich. Hervorzuheben ist hierbei, dass Nic Collins auf dieser Tour ein brandneues weißes Gretsch USA Custom-Schlagzeug mit Concert Toms in exakt denselben sonderbaren Trommelmaßen spielt, wie sein Vater sie seit Mitte der ’80er gespielt hat. Das Set ist damit quasi ein Zwilling von Phils weißem Kit der Invisible Touch-Tour und hat, im Vergleich zu Chester Thompsons oder Ricky Lawsons Schlagzeugen, den Vorteil, dass es eben exakt so klingt, wie Phils Schlagzeug im Studio klang (oder klingen würde, wenn er sich live selbst begleiten könnte).

Letzten Endes geht aus dem Drum Duett tatsächlich (und zu sicherlich nicht nur meiner großen Freude!) I Don’t Care Anymore hervor. Ein absolutes Juwel in Phils Œuvre und auf den Touren der ’80er Jahre der Standard-Konzertopener, war dieser Song leider seit der Both Sides-Tour in der Versenkung verschwunden. Entweder hat Phil ihn im Rahmen der Wiederveröffentlichung seiner Soloalben wiederentdeckt und/oder Nic hat ihn ihm aufgeschwätzt, weil er das hypnotische Drumpattern auf der Tour live spielen wollte… Wie dem auch sei, ich bin zutiefst dankbar für die Entscheidung, diese Nummer wieder auszupacken und so zu zelebrieren. Diese unheilvoll anmutenden Keyboardteppiche und das langgezogene Gitarrengejaule, die Beckengewitter im Outro…wunderbar. Dazu Phils erstaunlich starker Gesang. Ganz groß! Ich hatte trotzdem den Eindruck, dass dieser Song zu den unbekanntesten im gesamten Set gehörte und nicht unbedingt dem entsprach, was das Gros der Zuschauer*innen hören wollte. Egal, für mich eines der absoluten Highlights der Tour – auch, wenn Phil am ersten Abend in Köln die Lyrics etwas verdreht hatte.

Weiter ging’s mit einem der Collins-Crowdpleaser schlechthin: Mit den ersten Tönen von Something Happened On The Way To Heaven steht die gesamte Arena wieder schlagartig und die große Party beginnt. Phil scheint sich hier stimmlich erstaunlicherweise nicht ganz komfortabel zu fühlen, was er aber dadurch kaschiert, dass ohnehin alle mitsingen und er den Refrain in den meisten Fällen einfach dem Publikum überlässt.

Ein weiteres Highlight folgt, natürlich, mit In The Air Tonight. Der Phil Collins-Song wird mit einem neuen stimmigen Vocoder-Intro von Brad Cole am Keyboard versehen und ansonsten über weite Teile wie gewohnt zelebriert – außer, dass Phil den Drumbreak eben leider nicht selbst spielt. Offensichtlich anders geplant und auch anders geprobt, entschied man sich scheinbar aus Sicherheitsgründen dafür, dass Phil in seinem Stuhl sitzen bleibt und Nic das Schlagzeug spielt. Natürlich meistert er das mit Bravur – Phil hingegen scheint gelegentlich die Struktur des Klimax im Gesang nicht verinnerlicht zu haben, wenn er nicht selbst trommelt (dazu später mehr). Jedenfalls blieb die Version des ersten Köln-Konzertes über die gesamte Tour hinweg unerreicht (Achtung, YouTube-Analyse!). Einzig der programmierte Drumloop lief ein paar Takte weiter, als der Song schon beendet war – womit sich Brad Cole einen ernsten Blick von Herrn Collins Senior einfängt. Ein Highlight jagt an dieser Stelle das nächste, als Phil sich auf zum bis dahin ungenutzten Konzertflügel macht, wo er neben seinem Sohn auf der Klavierbank Platz nimmt und erzählt, wie Nic seine alten Alben durchgehört hatte und Phil bat, ihm diesen einen Song beizubringen: You Know What I Mean, wie auch In The Air Tonight von Phils Debutalbum Face Value (1981), ist mit Abstand die größte Überraschung im 2017er Set und für viele der emotionale Höhepunkt des Konzertes. Vater und Sohn zusammen am Klavier bei dieser wunderschönen Ballade – da gestehen selbst eingefleischte Collins-Kritiker ein, dass diese Szene etwas Anrührendes hat.

Für den Rest des Konzertes sitzt abseits der Bühne so gut niemand mehr, denn nun wird das Uptempo-Hitfeuerwerk abgefeuert: You Can’t Hurry Love, Dance Into The Light, Invisible Touch, Easy Lover und Sussudio folgen fast nahtlos aufeinander und sorgen für eine ausgelassene Partystimmung. You Can’t Hurry Loveklingt wie immer, während Phil bei Dance Into The Lightkonditionell ein wenig schwächelt. Invisible Touchhingegen ist wieder ‚spot on‘ und das Arrangement mit Bläsern ist wohl die einzig legitime Liveversion dieser nicht ganz ernst gemeinten ’80s Synthie-Pop-Nummer. Mir jedenfalls gefällt dieses Arrangement deutlich besser als alle Versionen, die Genesis jemals auf die Bühne gebracht haben. Easy Lover ist immer klasse; wenn auch es zu komisch anzusehen ist, wie Phil diesen Song im Zusammenspiel mit einen Backgroundsänger*innen im Sitzen performt, aber er nimmt seine missliche Lage mit augenscheinlicher Selbstironie, wie man es von ihm erwartet. Den bunten Abschluss des Konzertes bilden Drum Machine, Synthis, Bläser und Konfetti: Sussudio braucht im Jahr 2017 eigentlich niemand mehr, aber gerade deshalb fällt es wohl nicht ins Gewicht, diesen Song in der Art und Weise darzubieten, wie Phil Collins & Band es derzeit tun: Ihn einfach so gar nicht ernst nehmen. Spätestens seit Anfang der ’90er kann Phil Collins Sussudio nicht mehr mit der Power singen, die der Song braucht, um nicht völlig bescheuert zu wirken. Anders als noch 1997 oder 2004/05 versucht er das 2017 also gar nicht erst, sondern singt einfach eine Gesangslinie, die mit dem Original nicht mehr viel zu tun hat. Das wiederum bringt eine gewisse Frische in diese nun wirklich totgenudelte Nummer. Ich mochte den Song noch nie, aber die Bläser und die Bühnenshow reißen zugegebenermaßen schon was raus – und ich akzeptiere einfach, dass das, was mir und sicher ein paar anderen auch I Don’t Care Anymorebedeutet, für den absoluten Großteil der Konzertbesucher*innen eben Sussudio ist.


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Die Lanxess-Arena ist also überglücklich und feiert Phil Collins frenetisch, als der sich dann – zufrieden, aber vielleicht auch ein bisschen erleichtert – doch noch von seinem Stuhl erhebt und sich mit Sohnemann und dem Rest der Band ein paar Mal vor dem Kölner Publikum verbeugt, um sodann am Stock von der Bahn zu schlendern. Die Halle bebt, denn sicher sind in diesem Moment wie ich nicht wenige Konzertbesucher*innen zutiefst dankbar, dass sie es doch noch mal auf ein Phil Collins-Konzert geschafft haben, und natürlich lässt man den alten Herrn nicht ohne Zugabe ins Bett gehen. Wie schon beim Tourauftakt in Liverpool und bei den noch wie geplant stattgefundenen Londoner Konzerten gibt Phil, auf den Konzertflügel gestützt, am ersten Abend in Köln als Zugabe eine englische Interpretation von Edith Piafs Hymne L’Amour (If You Love Me (Really Love Me)) zum Besten. Auch diese Wahl ist im Kontext dieser speziellen Tour wohl nicht als klassischer Lovesong zu verstehen – leider scheint Phil mit der Reaktion des Kölner Publikums nicht zufrieden gewesen zu sein, da der Song nach dem ersten Abend für den Rest der Tour ersatzlos gestrichen wurde.

Auf allen 2017er Konzerten bildete jedoch – standesgemäß – Take Me Homeden Abschluss. Nicht nur Phils persönliches Lieblingsstück (laut seiner Aussage im Facebook-Q&A Anfang 2016), sondern auch meines und damit selbstredend ganz oben auf meiner Wunschliste gewesen, kullerten mit am ersten Abend in Köln zum vierten Mal im Laufe des Konzertes Freundestränen über die Wangen (jene bei Another Day In Paradise und Separative Lives habe ich in diesem Bericht unterschlagen, weil ich sie mir nicht erklären kann – sind doch beide Stücke mitnichten persönliche Lieblingssongs). Zwar fehlte im Vergleich zur Abschiedstour 2004/05 Phils Bongospiel, das Outro ist mittlerweile kürzer und Phil hat auffallend rasch die Bühne verlassen, aber trotzdem war Take Me Home der bestmögliche Abschluss des Konzertes und hat bei vielen Besucher*innen mit Sicherheit das Gefühl eines endgültigen Abschiedes hervorgerufen. Ich allerdings hoffe, dass Phil der Ankündigung im deutschen Titel seiner Autobiographie („Da kommt noch was“) weitere Taten folgen lässt und hatte zudem noch ein paar andere Konzerte in Aussicht, was dieses Abschiedsgefühl erfreulicherweise aufgeschoben oder verdrängt hat.

Nach dem ersten Abend in Köln war ich jedenfalls überglücklich, positiv überrascht und auch erleichtert über Phils musikalische und mentale Verfassung. Die Steigerung im Vergleich zu den ersten Konzerten der Tour ist offensichtlich und bemerkenswert – böse Zungen behaupten, dass Phil erst auf den Kopf fallen musste und/oder irgendwelche Schmerzmittel absetzen musste, um wieder halbwegs der Alte zu sein. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. In/ab Köln jedenfalls singt Phil so gut, wie man es sich von ihm im Jahr 2017 wünschen kann, wirkt selbstbewusst(er) und endlich auch glücklich mit seiner Entscheidung, auf die Bühne zurückzukehren. Er spricht viel (leider im Gegensatz zu früher kaum Deutsch), macht Späße und holt stimmlich alles raus, was möglich ist. Die Band ist indes perfekt eingespielt und erstaunlicherweise war auch die Akustik in Köln vom ersten Ton an nahezu perfekt.

Der Besuch des fünften und letzten Konzertes in Köln ein paar Tage später mit Hamburger Freunden aus dem Forum bestätigte diesen Eindruck. Dank Plätzen im Unterrang konnten wir die Lightshow aus der Totalen sehen und waren beeindruckt, wie viel Einfluss eine LED-Wand, „ein bisschen Licht“ und eine gewisse Distanz zur Bühne auf die Wahrnehmung eines Konzertes nehmen kann. Die Tatsache, dass Phil das Konzert im Sitzen gespielt hat, geriet in den Hintergrund und ließ mich stattdessen einfach der Musik lauschen (im ersten Teil) bzw. die Musik abfeiern (im zweiten Teil). Die Stimmung empfand ich beim ersten Konzert in Köln einen Ticken besser und Phil bei den aggressiven Songs (In The Air Tonight, I Don’t Care Anymore) schärfer, aber insgesamt merkte man ihm im positiven Sinne die zusätzliche Routine der drei dazwischen liegenden Konzerte an (wenngleich er nach wie vor ein paar Mal die Texte verdreht hat). …And so to F(rance).

Paris


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22. und 23. Juni 2017: Dieses Bild sollte sich in Frankreich bestätigen. Bei knapp 40 Grad stieg ich am Nachmittag des 22. Juni im Gare du Nord aus dem TGV und machte mich mit der Metro auf nach Bercy. Fußläufig zur Arena hatte ich für eine Nacht eine AirBnB-Unterkunft zu einem akzeptablen Preis gebucht, wo ich mein Gepäck ablegte, mich kurz frisch machte und dann zur Arena schlenderte. Das Palais d’Omnisport ist wohl in den letzten Jahren aufwändig (und im Äußeren architektonisch mindestens kontrovers) saniert worden und heißt mittlerweile AccorHotels Arena. Bekannt ist die Halle dem geneigten Fan natürlich durch die Konzertfilme der Trip Into The Light– (1997) und der First Final Farewell Tour (2004); auch U2 haben die DVD ihrer jüngsten Tour in Bercy aufgezeichnet. Phil Collins hatte sich für die Pariser Not Dead Yet-Konzerte dasselbe Programm auferlegt wie auch für Köln und London: Auftritte am Sonntag und Montag, Dienstag frei und dann drei Abende am Stück von Mittwoch bis Freitag. Ergo hatte Phil bereits drei seiner fünf Konzerte in der Halle gespielt, als ich am Donnerstagabend mit meinem Ticketmaster-Collectorticket in der Tasche das hochmoderne Glasfoyer der AccorHotels Arena betrat. Dieses Plastikkartenticket mit holographischem Not Dead Yet-Design war also die teuerste Konzertkarte meines Lebens, Kurzschlussreaktion auf meinen Misserfolg beim Vorverkauf für die Royal Albert Hall und Schlüssel zu einem Sitz im Unterrang links der Bühne (Preiskategorie 2) – an/mit seinem Schlüsselband war mir dieses Ticket allerdings zu peinlich, sodass ich es nur bei Bedarf zum Einscannen aus der Tasche geholt habe. Auch wenn die Pariser Preisgestaltung nicht ganz so maßlos übertrieben war wie die Kölner, wird mir dieses Plastikkärtchen beim Durchblättern meines Konzerteerinnerungsalbums sicherlich noch lange eine Lehre sein…

Der Platz war nämlich insgesamt nicht so viel besser als die billigen am wenigsten teuren Plätze eine Woche zuvor in Köln, aber nichtsdestotrotz näher an der Bühne. Auch in Paris war die Akustik perfekt und ich habe zwei sehr schöne Konzerte erlebt. Am zweiten (bzw. fünften) Abend saß ich im Oberrang auf der rechten Seite der Arena – zwischen einem Belgier, einem Briten und einem dänischen Ehepaar. Insgesamt ein sehr europäischer Abend – der nach dem Konzert perfekt abgerundet wurde durch das Wiedersehen mit zwei französischen Erasmus-Freunden aus einem Auslandsemester vier Jahre zuvor. Europa im Jahr 2017 bedeutet aber auch, dass ich meine potentiell terrorverdächtige Plastiktrinkflasche am Einlass abgeben musste und dass das Bier in der AccorHotels Arena so unverschämt teuer war, dass ich lieber den Phil Collins-Plastikbecher am Merchandise-Stand gekauft habe und Leitungswasser auf der Toilette geholt habe, als sieben Euro für ein Pils zu bezahlen.

Musikalisch waren beide Pariser Konzerte stabil gut. Phil hat leider – wohlwissend, dass das Publikum aus ganz Europa nach Paris gepilgert kam – relativ wenig Französisch gesprochen, war aber bester Laune und hat auch von Abend zu Abend mehr und mehr gestikuliert und gewitzelt. Besonders hervorzuheben sind die großartige Darbietung von I Don’t Care Anymorevom Donnerstagabend und die versemmelte Darbietung von Separate Lives am Freitagabend, als Phil den Text verdrehte – fatal bei einem Duett, aber noch gut gerettet von einem mit sich selbst augenscheinlich altersmilden Phil Collins. Erstaunlicherweise war Against All Odds am letzten Abend in Paris, als dritte Nacht in Folge, am besten von allen Konzerten der Tour, die ich gesehen habe.

Sehr anrührend war der Abschied aus Paris im Besonderen auch dadurch, als Phils jüngster Sohn Matthew am letzten Konzert während Take Me Home auf die Bühne kam und seinen Vater nach dem Stück Hand in Hand von der Bühne führte.

Die zweite Nacht in Paris verbrachte ich mit Phil Collins-Ohrwürmern auf dem ausgestorbenen Champs-Élysées. Ich hatte den ersten Flug des Morgens vom Billigflieger-Airport (Asche auf mein Haupt!) Paris-Beauvais nach Dublin gebucht und dementsprechend auf eine Übernachtung verzichtet. Gegen halb fünf am Samstagmorgen ging mein Bus vom Port Maillot raus zum Flughafen. Bis dahin lief ich in der Gegend herum – nicht, dass ich tagsüber während meines gut fünfstündigen Louvre-Besuchs nicht schon genug Kilometer gelaufen wäre… 😉

Dublin


Dublin
Vormittags bin ich dann recht erschöpft im sonnigen Dublin gelandet. Auch hier machte ich mich zunächst auf die Suche nach meiner Unterkunft, die sich als meine bislang beste AirBnB-Experience herausstellen sollte. Im Süden Dublins wohnte ich für zwei Nächte in einem schönen Haus bei einer jungen und sehr netten Familie. Nach einer schnellen Dusche verabredete ich mich in der Stadt mit it-Forumuser Alex22, den ich bislang nur virtuell kannte. Alex, ebenfalls gebürtiger Hesse, schrieb mich einige Zeit vor dem Dubliner Konzert im Forum an und wir verabredeten uns, um Dublin gemeinsam zu erkunden. Nach einem Bummel durch den St. Stephen’s Green Park und die dortige Dublin Pride Parade kehrten wir zum Mittagessen auf die sonnige Terrasse eines Pubs ein und unterhielten uns ausführlich über Musik. Im Grunde ging der Tag auch so weiter: Pubs, Bier und Musik (-gespräche). Das Dubliner Kneipenviertel Temple Bar ist dafür wohl der ultimative Ort und wir hatten eine großartige Zeit.

Für Sonntagmorgen verabredeten wir uns zum Irish Breakfast, bevor wir das Programm bis zum Konzert im Großen und Ganzen wiederholten. Das Phil Collins-Konzert in Dublin war ein Zusatztermin und quasi das Warm-Up für den großen Hyde Park-Gig in London ein paar Tage später: Auch in Dublin spielten Blondie und Mike Rutherfords Mike And The Mechanics als Support Acts. Die Preise waren deutlich niedriger als für die Konzerte in London, Köln und Paris und für mich war aus einer ganzen Reihe von Gründen klar, dass ich bei diesem Event dabei sein wollte: Die Vorstellung, nach fast genau zehn Jahren Phil Collins und Mike Rutherford open air in einem Stadion auf derselben Bühne zu sehen und dazu noch endlich die Möglichkeit, das Konzert von einem Stehplatz aus zu erleben, war prinzipiell schon Grund genug, von Paris aus über Dublin nach Bremen zurück zu reisen (liegt doch auf dem Weg, oder?). Noch dazu war ich noch nie in Dublin gewesen. Über Ticketmaster gab es sogar die Print@Home-Option, die mir zusätzliche Sicherheit verschaffte, weshalb ich mir, quasi zum Abschluss meiner persönlichen Phil Collins-Selection of Shows, eine Front of Stage-Karte gönnte (für nur unwesentlich mehr Geld als für die PK4-Karte in Köln).


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Alex hatte hingegen nur eine normale Stehplatzkarte gekauft. Deshalb versuchten wir tagsüber, die Karte irgendwie an einer Vorverkaufsstelle am Stadion upzugraden – leider vergeblich. Lediglich der Security-Boss am designierten Front of Stage-Einlass zeigte Verständnis für unser Dilemma und empfahl uns, uns später an ‚seinem‘ Tor anzustellen, um gemeinsam ins Stadion herein zu kommen. Nach ein paar Guinness in einem Pub in Stadionnähe – die Mechancis probten derweil Silent Running und ich bekam bereits da Gänsehaut – gingen wir etwa eine halbe Stunde vor Einlass zurück zum Stadion und stellten uns an. Fast wären wir später auch gemeinsam in den Front of Stage-Bereich vor der Bühne gekommen – wären die Tickets am Einlass in die Katakomben nicht noch einmal gescannt worden… Leider hat man dann Alex in den regulären Stehplatzbereich geschickt. In der Folge mussten wir das Konzert leider jeder für sich verfolgen. Ich entschied mich für die erste Reihe auf der rechten Seite der Bühne, wo ich neben einem Iren und einem jüngeren Brasilianer stand. Im Aviva Stadium gab es sogar Guinness vom Fass – für etwa die Hälfte des Preises, das die AccorHotels Arena in Paris für ein Heineken aufruft.


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Das Konzerterlebnis selbst war auch klasse. Blondie als Support hat mich nicht sonderlich überzeugt – die Songs waren leider bis zur Unkenntlichkeit heruntertransponiert (Maria!) und die Band war insgesamt zu punkig (da half auf der Glaskasten um den zugegebenermaßen recht starken Drummer herum nichts) – sodass aus meiner Sicht das Beste an Debbie Harrys Auftritt ihr T-Shirt-Slogan war („Stop Fucking The Planet). Mike und seine Mechanics hingegen haben mir erstaunlich gut gefallen. Zu Beginn gab’s eine ganze Reihe neuer Stücke und im zweiten Teil des Sets dann die zu erwartenden Klassiker. Ich habe mich sehr über Silent Running, Over My Shoulder und The Living Years gefreut – und bin gleichermaßen froh, dass mir Word Of Mouth erspart wurde.

Phils Set war auf rund 90 Minuten gekürzt, dafür war das Programm kompakt und auf den Punkt zusammengestellt – der Kürzung zum Opfer fielen vor allem die Balladen, sodass das Konzert mit Another Day In Paradise begann und direkt im Anschluss Something Happened On The Way To Heaven folgte, bevor es mit Wake Up Call wie gewohnt weiter im Set ging. Dadurch fehlten kurioserweise die Welthits Against All Odds und One More Night; auch Can’t Turn Back The Years und Only You Know And I Know wurden in Dublin nicht gespielt.


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Da Phils Set ohne Pause auskam, fiel auch der Wiedereinstieg mit dem Drum Duett und dem daraus hervorgehenden I Don’t Care Anymore der Kürzung zum Opfer. Dankenswerterweise wurde aber trotzdem You Know What I Mean gespielt, bevor es mit In The Air Tonight und dem Uptempo-Teil weiterging. Phil wirkte in seiner Outdoorjacke fitter als in der Halle und hatte das nicht ausverkaufte Stadium trotz des Umstandes, dass er nach wie vor das Konzert über saß, fest im Griff. Die Stimmung war sehr gut und die Akustik für Stadionverhältnisse auch gut. Nic Collins trug ein Trikot der irischen Nationalmannschaft mit seinem Namen auf dem Rücken und wurde dafür bei der Bandvorstellung mehr noch als in der Halle gefeiert. In The Air Tonight war abermals etwas merkwürdig, weil Phil im Klimax wieder einmal recht ziellos sang und erst durch die Dramaturgie der Fill-Ins seines Sohnemanns auf die Spur kam, den Song mal zum Ende zu bringen – dies wiederum hatte zur Folge, dass die Dubliner Version hinten heraus recht lang war und Phil sogar, wie schon am ersten Abend in Köln, die hohen Register zog, die man auf der Not Dead Yet-Tour bei dieser Nummer leider nur sehr selten hat zu hören bekommen.


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Insgesamt habe ich den Eindruck, als würde Phil den Verlauf der Gesangslinie in In The Air Tonight nur dann ‚richtig‘ auf die Bühne bringen können, wenn er das Stück selbst trommelt oder im Fernsehen übertragen wird (US Open, Jimmy Fallon 2016). Take Me Home wurde dankenswerterweise von Konzert zu Konzert im Outro länger und bildete einen sehr schönen Abschluss eines tollen Konzertabends und meiner kleinen persönlichen Phil Collins-Rundreise. Nach dem einen oder anderen Absacker-Bier mit Alex – standesgemäß bei Livemusik und vollem Haus in der Temple Bar – ging’s für mich dann am frühen Montagmorgen zurück nach Deutschland und damit zurück in die Realität…

Die Ironie der Reise ist, dass ich mir nie im Leben erträumt hätte, Phil nochmal in einer solchen Intensität auf Tour erleben zu können. Ein Konzert in der Royal Albert Hall wäre für mich das sprichwörtliche i-Tüpfelchen gewesen; der sichere erste Platz auf meiner imaginären musikalischen Bucket List. Durch das Konzept der Not Dead Yet-Tour gab es dann sogar gleich fünf Mal die Gelegenheit, diesen Plan in die Realität umzusetzen. Wie erwähnt war der Vorverkaufstag für diese Tour also gefühlt der einzige Tag in den letzten 15 Jahren, an dem ich partout nicht auf irgendeine Art und Weise eine konstante Internetverbindung hätte organisieren können.


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Wie das Leben es so will, sollte mir jedoch ausgerechnet Phils nächtlicher Sturz nach dem dritten Londoner Konzert den Traum von der Albert Hall doch noch erfüllen. Mit der Hoffnung, irgendwie Rückläufertickets für einen der beiden Nachholtermine im November zu bekommen, observierte ich tagelang die Webseite der Royal Albert Hall genau und konnte letzten Endes tatsächlich zwei zurückgegebene Karten bestellen – ironischerweise die besten Plätze, die ich in der RAH jemals hatte und im Vergleich zu den Kölner Ticketpreisen fast schon günstig.

London

London, 26. November 2017. Ich bin nicht abergläubig, betrachte das Londoner Konzert aber als unerwartetes, irgendwie schicksalhaftes Geschenk und hatte im Vorfeld des Konzertes versucht, mich darauf einzustellen, dass dies wohl ‚mein‘ letztes Phil Collins-Konzert sein würde. Ziemlich genau zehn Jahre nach meinem persönlichen Einstieg in den Genesis-Kosmos schließt sich mit diesem Konzert in vielerlei Hinsicht ein Kreis für mich. Ohne Phil Collins wäre ich nie auf Genesis gestoßen – und hätte damit so viel mehr verpasst: so viel unfassbar fantastische Musik (auch abseits des ProgRock), ‚mein‘ Instrument und damit eines meiner maßgeblichen Hobbies, so viele Konzertreisen und Städtetrips (davon einige nach London in die RAH) – und nicht zuletzt viele wertvolle Begegnungen und ein paar echte Freundschaften. So bin ich mehr als glücklich darüber, dass ich das Phils Londoner Konzert gemeinsam mit Forumuser Royale besuchen konnte: Als etwa gleichaltrige „Youngster“ hatten Leo und ich uns vor etwa zehn Jahren im it-Forum kennengelernt – seitdem verbinden uns eine wahre Musikfreundschaft und unzählige Konzerte, die wir schon gemeinsam besucht haben. Nachdem wir die Show am letzten Abend in Köln bereits gemeinsam aus der Totalen gesehen haben, war die Loge in London vorne an der Bühne der perfekte Abschluss eines emotionalen Bühnencomebacks unseres Lieblingskünstlers.


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Nach einem entspannten Tag im sonnigen London bei Speis und Trank in gemütlichen Pubs machten wir uns frühzeitig auf den Weg in die altehrwürdige Royal Albert Hall. Nicht nur, dass das Gebäude innen und außen architektonisch eine Augenweide ist – auch das ganze Drumherum ist einfach besonders und nicht mit modernen 0815-Multifunktionsarenen zu vergleichen. Das Personal ist freundlich, kompetent und gekleidet wie in einem Fünfsternehotel und man hat als Gast quasi Zugang zu allen Bereichen außerhalb des Auditoriums und kann demnach ungestört beispielsweise die Fotogalerien auf den runden Fluren aller Stockwerke entlangschlendern oder sich in einer Auswahl Restaurants und Bars in der Außenfassade des viktorianischen Kulturtempels verköstigen.

Unsere Plätze lagen in Box 6 des Second Tier; der vordersten Box der zweiten Balkonreihe oben seitlich der Bühne. Dadurch hatten wir einerseits eine interessante Einsicht auf die Bühne und andererseits eine nette Perspektive auf das Publikum. Im Grunde genommen ist es in der RAH ohnehin egal, wo man sitzt oder steht – ich hatte dort noch nie schlechte Sicht oder schlechte Akustik. Kurz vor Konzertbeginn ertönte allerdings ein markerschütternd lautes Störgeräusch über das Soundsystem und wir konnten gut verfolgen, wie die Techniker seitlich der Bühne etwas panisch wurden. Für einen kurzen Moment wurde auch ich nervös, ob das Konzert vielleicht aus technischen Gründen ins Wasser fallen würde, aber dann lief doch Salif Keitas Souareba an, es wurde dunkel und schließlich betrat auch Phil Collins, nach wie vor am Stock, die Bühne. In seiner Begrüßungsansage vor Against All Odds ist der Punkt, dass Phil sein Publikum vermisst habe, mittlerweile der Offenbarung, dass er wieder Spaß am Livespielen habe, gewichen. Außerdem entschuldigte er sich mit „a word of explanation: I fell.“ mit einem Augenzwinkern für die Verschiebung des Konzertes. Ansonsten war alles wie gehabt – Phil war stimmlich sehr gut drauf und im Mix ziemlich prominent abgemischt. Against All Odds ist nach wie vor ein holpriger Start; ansonsten waren Phils Vocals ‚spot on‘.


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Hervorzuheben sind Hang In Long Enough und I Missed Again; auch Wake Up Call war wie immer ein starker Weckruf. I Don’t Care Anymore war ebenfalls, trotz leichter Textimprovisation, wieder ein Highlight. Die ersten Minuten von In The Air Tonight waren in London atmosphärisch besonders intensiv – leider hat Phil (mal wieder) im Klimax den Einstieg in den „all my li-li-li-li-life…“-Part verpasst und ist danach nicht in die hohen Tonlagen gewechselt wie am ersten Abend in Köln und in Dublin. Insgesamt empfand ich seine Gesangsleistung am ersten der beiden Nachholabende in der Royal Albert Hall aber als überdurchschnittlich und mental machte er auf mich den besten Eindruck derjenigen Konzerte, die ich 2017 von ihm gesehen habe. Er spielte mehrfach Luftschlagzeug, lächelte, interagierte viel mit seiner Band und machte Witze – humoristisches Highlight war die Abmoderation der ersten Konzerthälfte, wo Phil in gewohnter Manier die Pinkelpause für Publikum und Band ankündigte, sich aber zu der Bitte hinreißen ließ, die dafür vorgesehenen Örtlichkeiten zu nutzen und nicht das Auditorium. Kurz vor der Pause gab es allerdings nicht die erhoffte Setlistvariation mit Who Said I Would, sondern wieder (und zum bislang letzten Mal auf der Tour) Only You Know And I Know. Schade, da das seit 1990 in der Mottenkiste verschwundene Who Said I Would 2017 in erstaunlich bestechender Form dargeboten wird.

Insgesamt war es mir eine große Freude, meinen musikalischen All-Time-Hero noch einmal vor fantastischer Kulisse und in bester Gesellschaft zu erleben. Leo und ich hatten – wie alle anderen in der Albert Hall auch – einen tollen Abend und viel Spaß. So anrührend und denkwürdig nostalgisch die erste Hälfte des Konzertes auch ist, so energisch, bunt und lebensbejahend fröhlich ist die zweite Hälfte – ich wurde auch gegen Ende des Konzertes und trotz des abermals ergreifenden Take Me Home das Gefühl nicht los, dass Phil – der Ankündigung seiner Autobiographie folgend – noch nicht fertig ist und „da noch was kommt“.


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Abschließend bin ich froh und dankbar, dass die Not Dead Yet-Tour stattgefunden hat bzw. derzeit (Stand Anfang 2018) sogar in die Verlängerung geht und Fans in Südamerika erreichen wird, die seit über 20 Jahren keine Gelegenheit mehr hatten, Phil Collins oder Genesis live zu sehen. Es ist augenscheinlich, dass Phil trotz aller körperlichen Einschränkung das Touren (speziell mit seinem Sohn und den jahrzehntelangen Wegbegleiter*innen in der Band) gut tut und Spaß macht. Er genießt – zu Recht – die durchweg positive Resonanz und Zuneigung, die ihm – zu Recht – widerfährt.

Die Tour ist aufgrund von Phils körperlicher Verfassung besonders, anrührend und in vielerlei Hinsicht anders als alle seine früheren Touren – und auch anders als erwartet. Sicherlich hatten alle Beteiligten (nicht zuletzt wegen entsprechender Interviewaussagen von Phil selbst) gehofft, dass er zumindest in der Lage sein würde, sein Markenzeichen – den Drum-Fill in In The Air Tonight; ach was, den Drum-Fill überhaupt – selbst zu spielen. Auch der Umstand, dass er, nun auf das Singen beschränkt, an einen Stuhl gefesselt ist, ist gewöhnungsbedürftig und steht vor allem bei den schnelleren Stücken in starkem Kontrast zu dem Bild des früher so energischen und quirligen Frontmanns. Auch ist festzuhalten, dass einige Klassiker, die früher seit ihrem Debüt nie auf einer Tour gefehlt haben und dadurch sicherlich für viele Menschen Teil der Vorstellung „Phil Collins-Konzert“ sind, auf der Not Dead Yet-Tour überraschenderweise nicht berücksichtigt wurden (allen voran Don’t Lose My Number und Two Hearts). Auch fällt auf, dass seine jüngeren Alben (Testify von 2002, die beiden Disney-Soundtracks (Tarzan, 1998 und Brother Bear, 2003) und das Motown-Tributealbum Going Backvon 2010) trotz einiger Hits und dem Oscar-prämierten You’ll Be In My Heart in der 2017er Setlist so gut wie gar nicht berücksichtigt werden.


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Dafür wartet selbige neben den üblichen Verdächtigen mit allerlei Schmankerln auf: Mit I Don’t Care Anymore und You Know What I Mean haben Phil und seine Band zwei unter Fans hochgeachtete Perlen aus der Frühphase seines Solokatalogs entstaubt und in bestechender Form zurück auf die Bühne gebraucht, während mit Wake Up Call und Can’t Turn Back The Years zwei von Phils persönlichen Favoriten ausgesprochen gelungen in den ersten, autobiographischen Teil des Bühnenprogramms aufgenommen wurden. Auch der Genesis-Song Follow You Follow Me ist an dieser Stelle zu erwähnen und zählt sicherlich zu den Highlights im Set. Die größte Überraschung dürfte indes die Rückkehr der No Jacket Required-Songs Only You Know And I Knowund, an selber Stelle später im Tourverlauf, Who Said I Would sein. Insgesamt verdient das gut zweistündige, 20 Stücke umfassende Programm eher den Namen „Best Of“ denn „Greatest Hits“ und grenzt sich dadurch gut von der 2004/05er Abschiedswelttournee ab. Wer weiß, vielleicht finden sogar einige der 2014 bei den ergebnislosen Proben in Miami gespielten Raritäten (bspw. Testify, If Leaving Me Is Easy, Both Sides Of The Story) in der Zukunft auch mal (wieder oder zum ersten Mal) den Weg ins Liveprogramm.

Auch abseits der reinen Auswahl der Stücke besticht die Not Dead Yet-Tour durch einige schöne Ideen: Wie erwähnt erzählt die Abfolge der Stücke vor allem in der ersten Konzerthälfte eine Geschichte und nimmt das Publikum, ähnlich wie auch Phils Autobiographie, mit auf eine emotionale und schonungslos ehrliche Reise. Das sprichwörtliche Weiterreichen der Drumsticks an Sohnemann Nicholas ist durch den Einstieg hinter dem Vorhang effektvoll in Szene gesetzt und wird zu Beginn der zweiten Konzerthälfte durch das kleine Drumduett, I Don’t Care Anymore, In The Air Tonightund schließlich You Know What I Mean, wo Vater und Sohn gemeinsam am Flügel sitzen, fortgeführt. Generell zeigen sich in der Dramaturgie der Not Dead Yet-Tour viele Reminiszenz an frühere Touren: Angefangen bei der Zweiteilung der Show in eine größtenteils schwarz-weiß gehaltene erste Hälfte und eine bunte zweite Hälfte wie auf der Both Sides-Tour, über die Eröffnung des (zweiten) Sets mit Drums und I Don’t Care Anymorewie 1982, 1985 und 1994/95 hin bis hin zu den Verweisen auf die Serious-Tour durch das wunderbare Separate Lives mit Bridgette Bryant und das Schließen des Vorhangs am Ende des Konzertes. Selbst die Preshow-Musik (Souareba) ist dieselbe wie auf früheren Touren.

Natürlich ist diese Tour ein Nostalgieritt – aber eben kein Abklatsch der Vergangenheit, sondern eine durchdachte und mit Herzblut vollendete runde Sache. Es bleibt zu hoffen, dass Phil und Band weiterhin Gefallen an diesem moderneren Tourmodus haben und nach Südamerika auch noch Fans an anderen Orten des Globus einen Besuch abstatten. So bleibt nur noch, Phil gesundheitlich (sofern möglich) eine gute Besserung zu wünschen – und einfach danke zu sagen.

Autor: Niklas Ferch
Fotos: Niklas Ferch, Pat McGuirk (Dublin), Leonard Wienke (London)