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Phil Collins – Köln 2017 vs. Nijmegen 2019

Ein Vergleich zwischen einem deutschen Hallenkonzert zu Beginn der Tour und einem festivalähnlichen Open Air-Konzert im Ausland zwei Jahre später. Wie hat sich die Tour entwickelt?

In Anlehnung an den Vergleich der Konzerte in Sheffield 2017 und Prag 2019 von Christian Gerhardts werde ich im folgenden Text die Konzerte in Köln 2017 und Nijmegen 2019 gegeneinander stellen.

Die Vorgeschichte

Meine Geschichte der Phil Collins- und Genesis-Konzerte ist inzwischen beinahe 25 Jahre alt. Am 3. September 1994 sah ich Phil Collins (noch bevor ich überhaupt Genesis live sah) im ausverkauften Niedersachsenstadion in Hannover aus der zweiten Reihe vor der Bühne zum ersten Mal. Trotz oder vielleicht gerade wegen des strömenden Regens in der zweiten Hälfte ein für mich unvergessliches Erlebnis. Ich war von da an infiziert. So sehr, dass mich selbst eine unfreiwillige Übernachtung im Auto nach dem Big Band-Konzert in Montreux 1996 (ich hatte die letzte Seilbahn knapp verpasst, die mich in meinen Walliser Urlaubsort hätte bringen können) nicht davon abbrachte, von da an bei jeder Tour dabei zu sein. Als Phil Collins 2004 auf – wie wir heute wissen vermeintliche – Abschiedstournee ging, nutzte ich meine damalige Freiheit und begann, für Konzerte zu reisen. Mailand, Wien, London, Nîmes, Milwaukee, Chicago waren damals meine Auslandsstationen. 2005 hatte ich nicht nur das große Glück, der Generalprobe in Neuchâtel beiwohnen zu dürfen, sondern reiste über Helsinki und Budapest bis nach Dubai. Nach den beiden Konzerten in Glasgow war ich mir fast sicher, Phil Collins so schnell nicht mehr live zu sehen. Als Genesis nur etwa anderthalb Jahre später ebenfalls eine Art Abschiedstournee unternahmen setzte ich dem noch die Krone auf. Ich sah mir etwa die Hälfte der Konzerte an und war von Helsinki bis Hollywood auf der Tour dabei. Das war es dann aber wirklich. Oder?

Falsch. Bei den Motown-Konzerten 2010 konnte ich schweren Herzens nicht dabei sein. Letzte Chance verpasst… Von wegen! Phil Collins ist „not dead yet“. Dass er das ziemlich überraschend mit einer zunächst eher kurzen Tour in nur drei Städten allen beweisen wollte, war die Gelegenheit für mich Abschied zu nehmen. Große Freude. Und dann ähnlich große Enttäuschung. Ich war immer ein Freund von Stehplatzkonzerten und habe wenn immer es möglich war versucht, weit nach vorne zu kommen. Und nun sollten die Konzerte komplett bestuhlt sein. Der nächste und gleichzeitig noch größere Wermutstropfen waren dann die Ticketpreise. Kaum Tickets unter 100 EUR. Wenn man einigermaßen weit vorne oder zumindest im Innenraum dabei sein wollte, noch einmal teurer. Wahnsinn! Inzwischen habe ich eine Familie und eine Konzertreise ist schwierig, bei diesen Preisen so gut wie unmöglich. Ich machte das Beste daraus und entschied mich, das erste und letzte Köln-Konzert zu besuchen. Ein detaillierter Bericht zum ersten Köln-Konzert ist hier zu lesen. Dass es danach nochmal eine Fortsetzung geben würde, konnte ich damals noch nicht ahnen.

Die Entscheidung für Nijmegen

Anderthalb Jahre später Ende 2018 wurde dann die Rückkehr der Tour, die dafür den erweiterten Titel „Still Not Dead Yet Live Tour“ erhielt, nach Europa verkündet. Anders als 2017 entschied ich mich nun aber bewusst gegen Köln. Ein Stadionkonzert mit Sitzplätzen im Innenraum finde ich nicht besonders reizvoll und einen Stehplatz dahinter, also bestenfalls auf Höhe der Mittellinie noch weniger. Angesichts der dafür verlangten Preise war die Entscheidung gegen Köln schnell gefallen. Viel interessanter war für mich das Konzert in Nijmegen in der ostniederländischen Provinz Gelderland. Von der reinen Fahrstrecke her noch näher für mich als Köln und zudem weniger stauanfällig, ein reines Stehplatzkonzert und dazu noch an Fronleichnam, einem Feiertag in Nordrhein-Westfalen, nicht aber in den Niederlanden. Da es heutzutage immer unwahrscheinlicher wird, Phil Collins noch einmal live erleben zu können, gönnte ich mir ein Early Entry-Ticket für den Golden Circle; das beste Ticket also, das für Nijmegen angeboten wird. Bevorzugter Einlass und dazu im Bereich direkt vor der Bühne. Ich habe die meisten meiner Phil Collins- und Genesis-Konzerte aus der ersten Reihe des Innenraums gesehen und so war die Aussicht, dieses Erlebnis doch noch einmal haben zu dürfen sehr verlockend.

Die Spannung steigt

Zur Betreuung im Rahmen des Premium-Tickets gehört, dass man gut eine Woche und dann noch einmal wenige Tage vor dem Konzert eine E-Mail mit nützlichen Informationen bekommt. Dort wurde unter anderem mitgeteilt, dass sich alle Early Entry-Ticketinhaber am Konzerttag ab 13.30 Uhr zunächst an einem VIP-Stand registrieren lassen müssen. Der offizielle Einlass wurde für 16.00 Uhr angekündigt, der Early Entry eine Viertelstunde früher.

Donnerstag, 20. Juni 2019. Ich habe etwas mehr als eine Stunde Fahrtzeit nach Nijmegen und fahre so los, dass ich gegen 11.00 Uhr vor Ort sein sollte. Bis zum Grenzübergang in die Niederlande auf der A3 schaffe ich es problemlos. Dann plötzlich Stau. Es ist der Beginn des langen Wochenendes. Nach wenigen Kilometern extrem zähen Vorankommens entscheide ich mich die Autobahn zu verlassen und fahre weiter über Land. Eine gute Entscheidung wie sich sehr bald herausstellt. Der Stau ist insgesamt fast 10 km lang. Die Fahrt durch das Gebiet, wo sich der Rhein in Waal und Nederrijn teilt, ist landschaftlich sehr reizvoll. Die Strecke führt zudem über eine Autofähre. Mal was Neues. Das hatte ich auf dem Weg zu einem Konzert auch noch nicht. Als ich über die Waalbrug nach Nijmegen hereinfahre, liege ich immer noch sehr gut in der Zeit. Eine Stadtbesichtigung verkneife ich mir. Die kann man immer noch mal machen. Lieber steuere ich direkt die Gegend um den Goffertpark an. Das ist ein großer Park im Süden der Stadt, in dem auch das Goffertstadion des NEC Nijmegen liegt. Das Konzert findet aber auf der Goffertweide statt. Die Fläche ist insgesamt knapp vier Fussballfelder groß. Eine relativ flache Wiese, die jeden Sommer für Festivals und Konzerte genutzt wird. Eine Woche zuvor waren hier Bon Jovi und die Woche darauf spielen Muse. Mit Laufkundschaft gibt man sich hier also nicht zufrieden. Angesichts der Größe und Popularität dieser Bands dürfte der Veranstaltungsort für ein solches Konzert wie das von Phil Collins bestens vorbereitet sein. Und um eines vorwegzunehmen: das war er.


Das Wetter ist entsprechend der Vorhersage weitgehend trocken. Die Temperaturen sind angenehm, nur etwas später am Abend wird es etwas frischer. Kurz vor Einlass gibt es einen Regenschauer, der sich aber auch ohne Jacke gut überstehen lässt.

Da die offiziellen Parkplätze teilweise sehr weit außerhalb liegen und nur mit Shuttlebussen zum Goffertpark erreichbar sind, entscheide ich mich mein Auto in einem Wohngebiet nahe des Goffertpark abzustellen. Das verläuft erfreulich unproblematisch. Als ich am späten Vormittag den Eingang erreiche, warten dort nur geschätzte 20-30 Leute. Alles sehr entspannt. Es ist in den Niederlanden heute eben ein ganz normaler Arbeitstag. Ich treffe sogar einen Bekannten aus Zeiten des offiziellen Phil Collins-Forums. Auch er hat ein Early Entry-Ticket.

Wir warten gemeinsam am hierfür deklarierten Eingang, der sich wie eine Schleuse neben dem breiten eigentlichen Eingang befindet. Von dort müssen wir später einmal quer über die riesige Wiese bis in den Golden Circle vor die Bühne. Als es langsam Zeit für die Registrierung wird, begeben wir uns zu dem VIP-Stand, der sich direkt gegenüber dem Eingang befindet. Dort sitzen nur wenige Leute und warten offenbar ebenfalls auf den Beginn der Bändchenvergabe. Ziemlich pünktlich um 13.30 Uhr fährt eine Dame mit einem Golfwagen vor. Es ist die offizielle Betreuerin der VIP-Ticketinhaber. Sie gehört scheinbar der Tourcrew an und weist uns auf Englisch in das Procedere ein. Sie betont, dass der Einlass fair und ruhig ablaufen soll. Wir stehen bereits an der Registrierung an als sie uns mitteilt, dass es Bändchen mit fortlaufenden Nummern in der Reihenfolge der Registrierung geben wird. Nach Registrierung haben wir bis zum eigentlichen Einlass „frei“. Vor dem Einlass, zu dem wir natürlich pünktlich am Early Entry-Tor sein sollen, werden wir wieder alle – und das sind geschätzt ca. 200-300 Leute – wieder nach Bändchen-Nummern sortiert und aufgereiht. Danach soll es dann gesittet und langsam rein gehen.


Ich habe das Glück, das Bändchen mit der Nr. 5 zu ergattern. Wenn nichts schief geht, stehe ich also ganz vorne. Wir bekommen alle ein Präsent in Form einer transparente Plastik-Umhängetasche mit einem exklusiven Tourbuch, Phil Collins-Drumsticks von Promark, einer Picknick-Decke bestickt mit Tourlogo, einem Schlüsselband mit VIP-Schildchen und einem Schlüsselanhänger. Das Tourbuch enthält ein Begleitwort von und ein ausführliches Interview mit Phil. Es ist nicht das Tourbuch, das an den offiziellen Merchandising-Ständen verkauft wird. Ich nutze die freie Zeit bis zum Einlass, um die Sachen ins Auto zu bringen und bin rechtzeitig zum Treffen am VIP-Eingang wieder zurück. Das Anstellen klappt einwandfrei. Die VIP-Betreuerin macht eine klare Ansage. Sie geht mit einem Security-Mitarbeiter vor. Es wird gegangen und nicht gelaufen. Wer sie überholt oder sich weiter hinten vorpfuscht, wird an das Ende der Gruppe geschickt. Das wirkt. Die Bändchen Nr. 1 und 2 haben ein etwa 12-jähriges Mädchen und ihr Vater. Die Betreuerin nimmt das Mädchen beim Hereingehen an die Hand und verspricht ihr den besten Platz direkt mitten vor der Bühne. Es ist ihr erstes Konzert. Und damit natürlich auch das erste von Phil Collins. Der Einlass funktioniert reibungslos. Alle halten sich an die Spielregeln und ich stehe etwas nach links versetzt direkt vor der Bühne an der Absperrung.


Das ist für mich der erste emotionale Moment, bevor die Show überhaupt begonnen hat. Es gibt bei Konzertbesuchern ganz verschiedene Vorlieben, was den Sitz- oder Stehplatz angeht. Manche stehen gerne vor dem Mischpult, weil dort vermeintlich der beste Sound ist, andere lieber in der Nähe von Bierbuden, Fressständen oder Toilettenhäuschen. Ich stehe gerne ganz vorne. Das gibt mir das Gefühl, das Konzert gemeinsam mit der Band zu erleben. Irgendwie ist man dort vorne nicht nur Zuschauern sondern auch ein bisschen Teil der Show. Das habe ich früher immer sehr genossen und alles daran gesetzt, in die erste Reihe zu kommen. Die Wartezeit des Anstehens vor Hallen und Stadien dürfte sich über die Jahre insgesamt auf Wochen aufaddiert haben. Aber es war jede Minute wert! 2017 in Köln war das alles irgendwie anders. Die Preise für die Plätze ganz vorne waren mir viel zu hoch. Ich war dabei aber nicht so wie sonst richtig mittendrin. Das Ticket für das Nijmegen-Konzert war auch sehr teuer. Keine Frage. Aber um vielleicht ein letztes Mal dieses „front row feeling“ zu genießen, habe ich es mir gegönnt. Und auch das nehme ich bereits vorweg: ich habe es ganz und gar nicht bereut.

Die Vorgruppen

Das anstehende Phil Collins-Konzert wird im Vergleich zur Show von 2017 in Köln kürzer sein. Aus damals 22 Songs sind nunmehr 18 geworden. Und es gibt keine Pause mehr. Die hatte mich nicht gestört, aber gebraucht habe ich sie auch nicht. 2017 gab es auch keine Vorband. Man kann nun darüber streiten, ob die Vorbands die kürzere Phil Collins-Setlist auffangen sollen oder der Grund für die Kürzung sind. Aber das ist müßig. Der Tourverlauf 2019 zeigt, dass auch die Hallenkonzerte ohne Vorgruppe unverändert lang bzw. kurz waren.


Auf diesem Teil der Still Not Dead Yet Live Tour durch Europa wird Phil leider nicht mehr von Mike + The Mechanics begleitet. Schade, vor allem weil bei Follow You Follow Me das absolute Highlight wegfällt. Aber mit Sheryl Crow gibt es ebenfalls einen hochklassigen Support Act. Vorab wird jedoch Douwe Bob auftreten. Douwe wer? Das fragen sich vermutlich die meisten. Douwe Bob ist ein 27 Jahre alter niederländerischer Singer-Songwriter, der seine Karriere 2012 als Gewinner einer niederländischen Castingshow begann. Als Teilnehmer beim Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm erreichte er mit dem Song Slow Down Platz 11. Nur zur Erinnerung: Deutschland landete damals mit dem Song Ghost von Jamie-Lee abgeschlagen auf dem letzten Platz. Bereits lange vor dem Auftritt wird von den niederländischen Fans um mich herum über Douwe Bob jeder nur erdenklich Scherz gemacht. Ernst nimmt ihn keiner. Ich bin gespannt, was mich da erwartet. Er tritt mit zwei weiteren Musikern auf und singt ausnahmslos auf Englisch. Seine Ansagen sind dagegen – natürlich – ausnahmslos in seiner Landessprache. Er spielt Gitarre, ist stark tätowiert, hat einen ziemlichen Schlafzimmerblick und nippt zwischen den Songs, zu denen natürlich auch sein Eurovisions-Beitrag gehört, immer wieder an einer Flasche Corona. Die Songs sind ok, bleiben aber in keinster Weise im Ohr. Es fehlt das gewisse etwas. Die Stücke sind einfach zu austauschbar. Nach einer knappen halben Stunde verlässt er die Bühne. Vermutlich haben viele Zuschauer gar nicht bemerkt, dass er aufgetreten ist.


Ganz anders bei Sheryl Crow. Ihre Musik ist grundsätzlich nicht so meins. Aber das ist Geschmackssache. Ihr Auftritt ist exzellent. Begleitet wird sie von einer tollen Band, deren Mitgliedern man die vielen Bühnenjahre ansieht. Sie selbst ist eine echte Powerfrau und immer noch topfit! Ihren Auftritt verfolgen auch Tony Smith sowie einige von Phils Bandmitgliedern, u. a. Daryl Stuermer, Leland Sklar, Arnold McCuller und Nic Collins. Von den zehn Songs, die sie spielt, kenne ich nur wenige. If It Makes You Happy, All I Wanna Do. Die Hits eben. Der Rest ist ein Mix von Country bis Rock ’n’ Roll. Aber alles qualitativ extrem gut vorgetragen. Sie heizt den Leuten – im krassen Gegensatz zum 30 Jahre jüngeren Douwe Bob, der irgendwie einfach nur da war – richtig ein. Wenn man bedenkt, dass Sheryl Crow nur gut 10 Jahre jünger als Phil Collins ist und den Gesundheitszustand beider vergleicht, erschrickt man schon etwas.

Und endlich: Phil Collins

Um 20.58 Uhr erklingt im Sonnenuntergang vor dem inzwischen mit etwa 65.000 Zuschauern gut gefüllten Goffertpark das wohlbekannte Souareba. Mit dieser Zuschauerzahl dürfte nebenbei bemerkt dieses Konzert das größte oder zumindest eines der größten auf der Europatour gewesen sein. Wie vor zwei Jahren in Köln betritt Phil Collins die gegenüber 2017 unveränderte Bühne mit Stock. Er kommt aber nicht allein sondern zeitgleich mit seiner Band und einen Vorhang der die Band beim Eröffnungssong verdeckt, gibt es auch nicht mehr. Mein persönlicher Eindruck ist, dass Phil Collins abgesehen von seiner Bewegungsbeeinträchtigung, die sich offensichtlich nicht verbessert hat, gegenüber den Köln-Konzerten vor zwei Jahren in deutlich besserer Gesamtverfassung ist. Er kann schlecht laufen, ja. Aber so gebrechlich wie damals wirkt er dennoch irgendwie nicht mehr. Dass er gesanglich nicht mehr das abliefert bzw. abliefern kann, wie noch in den 1990er-Jahren ist allein schon altersbedingt klar. Aber gesanglich wirkt er über weite Strecken ebenfalls gefestigter als noch 2017.

Seine Stimmung war gegenüber den Shows in den 2000er-Jahren unverändert gut. Das kann ich sicher beurteilen, denn ich habe ihn in dieser Zeit solo und mit Genesis insgesamt mehr als vierzig Mal gesehen. Er erzählt viel, ein bisschen auf Niederländisch (z. B. „voet is naar de klote“, was auf Deutsch so viel heißt wie „Fuß ist zum Teufel“ in vielleicht etwas blumigerer Ausdrucksweise…) und ganz viel auf Englisch. Seinen Humor hat er definitiv nicht verloren. Das belegt unter anderem folgende kleine Anekdote, für die ich im Ablauf etwas vorgreife: als bei Sussudio der Teil läuft, bei dem Phil früher von der Bühne runter zum Publikum kam und die Leute mitsingen ließ, winke ich wie um ihn zu bewegen doch von der Bühne herunterzukommen. Er sieht das, zuckt entschuldigend mit den Schultern gezuckt und lächelt als ob er sagen will: ich würde gerne, wenn ich doch nur könnte. Dieser Gesamteindruck hat Spaß gemacht und stimmt für die Zukunft (egal was sie bringt) optimistisch.

Die Songauswahl hat sich auf dieser Tour seit Köln 2017 im Vergleich zu allen früheren Solotouren extrem verändert. Allein die strukturelle Änderung durch das Weglassen der Pause hat einen deutlichen Einfluss auf den gesamten Ablauf. So eine massive Abkehr vom Grundgerüst eines Tourkonzerts hat es bei Phil Collins noch nie gegeben. Auf die reine Songauswahl bezogen gibt es ganz deutliche Parallelen, genauso wie starke Abweichungen und Wechsel. Die beiden Eröffnungssongs (Against All Odds gefolgt von Another Day In Paradise) sind gleich geblieben. One More Night ist nicht mehr dabei, dafür folgt nun das deutlich nach vorne gezogene Hang In Long Enough. Das soll das Publikum etwas schneller als bisher auf Temperatur bringen. Mit der Streichung von Wake Up Call gibt es einen ersten Wermutstropfen, den man angesichts der Stadionshows aber zumindest ansatzweise nachvollziehen kann. Dafür ist der Dauerbrenner Don’t Lose My Number 2019 erstmals auf der Tour dabei und wird gefolgt vom ersten von insgesamt drei Genesis-Stücken: Throwing It All Away.

Das ist ebenfalls neu und bildet mit dem sich anschließenden Follow You Follow Me ein Genesis-Doppel. Ich hätte insgesamt gar keinen Genesis-Song bei einem Phil Collins-Konzert gebraucht. Wenn überhaupt Behind The Lines oder vielleicht ein Stück wie Please Don’t Ask, das quasi ein Collins-Solostück ist. Der Drang von Phil Collins, vermeintliche Erwartungshaltungen seines Publikums befriedigen zu müssen, ist nicht neu sondern zieht sich fast wie ein roter Faden durch seine Solokarriere. Dabei hat er häufig die Gelegenheit vertan, mal Solomaterial zu spielen, das ihm selbst gut gefällt und das er selbst gerne spielen möchte, ohne dabei nur daran zu denken, wie viele Zuschauer bei dem Lied die Nassräume aufsuchen oder sich ein Bier holen gehen. Das ist und bleibt schade, überrascht aber angesichts der genannten Historie dieses Verhaltensmusters auch im Jahr 2019 nicht. Ab einem bestimmten Alter ändern Menschen sich nicht mehr oder nur noch sehr widerwillig. Zum Glück ist sein Sohn Nic jemand, der die Aufmerksamkeit seines Vaters auch mal wieder auf eher selten oder lange nicht mehr gespielte Songs richtet. Und das dankenswerterweise mit Erfolg.

Die nächste bedauernswerte Streichung ist Can’t Turn Back The Years. Eines von Phils Lieblingsliedern musste der Stadionatmosphäre Tribut zollen. Geblieben ist an fast der gleichen Stelle wie 2017 eigentlich I Missed Again. Eigentlich, denn es fehlt in Nijmegen. Die Band ist mit dem Bus aus Köln angereist und muss nach dem Konzert direkt wieder zurück. Einem engen Zeitplan, vielleicht auch bedingt durch leichte Verzögerungen bei den Vorgruppen, fällt dieser Face Value-Song zum Opfer. Schade, aber ich muss gestehen, dass mir das Fehlen erst später im Verlauf der Show wirklich auffällt. Dem Ablauf und der Stimmung hat es keinen Abbruch getan. Vielleicht war diese Streichung für mich auch deswegen so gut zu verkraften, weil nun der Song folgte, auf den ich persönlich mich am meisten gefreut habe: Who Said I Would. Für mich ein Highlight der Serious Tour 1990, bei der ich mit damals zarten vierzehn Jahren noch nicht live dabei war. Danach war der Song leider von der Bildfläche verschwunden. Dafür fehlt dieses Jahr gegenüber 2017 Only You Know And I Know, das ich damals in Köln ebenfalls sehr ersehnt hatte.

Vor Separate Lives stellt Phil seine Band vor. Das macht er gewohnt witzig und augenzwinkernd. Besonderen Beifall ernten die Vine Street Horns um Urgestein Harry Kim. Noch lauter wird es später bei Leland Sklar, der auch aufgrund seiner Social Media-Aktivitäten so etwas wie der geheime Star der Band geworden ist. Aufgrund seiner beispiellosen Karriere ist das aber ehrlich verdiente Anerkennung. Den meisten Applaus bekommt dann aber der Schlagzeuger. Nicholas Collins, der inzwischen seit wenigen Wochen volljährig ist.

So sehr manch einer Chester Thompson vermissen mag, in diesem Moment ist das offensichtlich bei den 65.000 Anwesenden gar kein Thema. Anno 2017 noch ein 16-jähriger Lümmel, der in atemberaubender Zeit in die riesigen Fussstapfen von eben Chester Thompson und seinem Vater gestiegen ist und mit seiner Leistung und dem sympathischen Auftreten die Herzen des Publikums im Sturm eroberte. Anno 2019 ist daraus ein erwachsener charismatischer junger Mann geworden, der sichtlich gereift und augenscheinlich noch immer nicht abgehoben ist. Nic wirkt genauso bodenständig, zurückhaltend, gleichzeitig aber auch ebenso talentiert und lausbübisch wie sein Vater.

Nachdem die Band vorgestellt wurde, kommt wie gewohnt Bridgette Bryant zu Phil nach vorne. Separate Lives wird gesanglich sehr gut dargeboten. Was mir fehlt, ist die Interaktion zwischen den Duettpartnern. Außer ein paar Blicken ist da nicht viel. Für den Song waren nie schauspielerische Höchstleistungen nötig, aber das Unterstreichen des Textes durch Körperhaltung und -sprache fehlt mir etwas. Allerdings ist das für einen sitzenden Phil natürlich auch nicht mehr so einfach wie früher stehend. Bridgette Bryant ist und bleibt für diesen Song bei allem Können von Amy Keys die bessere Wahl als Gesangspartnerin. Und zum Glück wird der Song nicht mehr wie auf der First Final Farewell Tour als Trio dargeboten. Das passte irgendwie gar nicht.


Das Drum Duet von Köln wurde in verschiedener Hinsicht geändert. Nicht nur, dass Nic Collins jetzt nicht mehr mit Luis Conte sondern Ritchie Garcia zusammenspielt ist neu. Auch dass Phil nachher mit einsteigt und die drei sich auf Cajons „duellieren“ ist ein toller Moment der Show. So wurde daraus ein Drum Trio, dessen Länge inzwischen ca. zehn Minuten beträgt. Für den Durchschnittskonzertbesucher vielleicht nichts Bemerkenswertes. Wer Phils Karriere aber ein bisschen verfolgt hat weiß, dass ihm beim teilnahmslosen Zusehen des Duetts von 2017 das Herz geblutet haben muss. Er ist als Drummer groß geworden lange bevor er gesungen hat. Und die Einlage an der Cajon hat dahingehend noch eine andere fast schon historische Bedeutung. Phil kehrt zu seinen Ursprüngen zurück, die neben dem Schlagzeugspiel in den frühen Jahren seiner Karriere vor allem auch bei den Percussions lagen. Hier sei beispielhaft nur sein schlussendlich unberücksichtigter Beitrag zu All Things Must Pass von George Harrison erwähnt. Viele Facetten, bei denen nicht unerwähnt bleiben darf, dass Nic Collins immer noch ein grandioser Schlagzeuger ist. Er hat es buchstäblich im Blut. Und wird immer besser. Man darf gespannt sein, was wir von diesem jungen Mann noch hören werden!

Das Drum Trio geht wie bereits 2004/05 auf der First Final Farewell Tour erfolgreich praktiziert in Something Happened On The Way To Heaven über. Und ja, hier muss leider die nächste Enttäuschung verkraftet werden, die sich auch nicht so einfach mit dem Totschlagargument Stadionkonzert begründen lässt: I Don’t Care Anymore – ein absolutes Highlight der Show 2017 in Köln – fehlt. Sehr schade! Dafür bleibt ein weiterer Höhepunkt dabei: You Know What I Mean. Und wie schon 2017 wird es nur von Phil und Nic dargeboten. Ein nach wie vor toller, intimer Moment. 65.000 Zuschauer im Goffertpark stehen gebannt da und hören zu. Eine Wahnsinnsatmosphäre. Da bekomme ich bei der Erinnerung Gänsehaut. Viel mehr als beim folgenden In The Air Tonight. Am Intro wurde weiter herumgetüftelt und insgesamt ist das eine solide Darbietung. Es ist nur für mich persönlich längst nicht mehr der Höhepunkt der Show. Aber Phil steht. Er singt diesen Song als einzigen nicht sitzend.

Bereits ab Something Happened On The Way To Heaven ist der Ablauf der restlichen Show (und das ist fast die Hälfte) im Vergleich zu 2017 unverändert. Die Band bezeichnet diesen Showteil gerne als „Zielgerade“. Was auffällt ist, dass die Uptempo-Songs immer noch im Gegensatz zu früheren Touren jeweils mit Unterbrechung gespielt werden und z. B. ein so genialer Übergang wie 2004/05 zwischen Invisible Touch und Easy Lover fehlt.
Letzteres Stück wirkt immer noch etwas befremdlich mit Arnold McCuller und Amy Keys, die wild und anzüglich um den sitzenden Phil herumtanzen und ihn ein bisschen aussehen lassen wie einen Sugardaddy. Sussudio, das in Köln noch gesanglich meilenweit von früheren Darbietungen entfernt war und mich damals regelrecht enttäuscht hatte, ist deutlich verbessert. Es wirkt immer noch irgendwie komisch, Phil dabei sitzen zu sehen und ich erinnere in diesem Zusammenhang an meine eingangs erwähnte Anekdote: er möchte sicher liebend gern, es geht aber einfach nicht mehr.


Die Zugabe If You Love Me (Really Love Me) wurde bereits 2017 im Verlauf der Köln-Konzerte ersatzlos aus der Setlist gestrichen. Das finde ich nach wie vor bedauerlich, weil nach dem Uptempo-Teil mit Easy Lover, Sussudio und dergleichen etwas Verschnaufpause vor dem traditionellen Take Me Home gut getan hätte. Und gerade das genannte Edith Piaf-Cover war eine wunderschöne Abwechslung von Always. Aber auch hier hätte Phil natürlich genügend Solomaterial im Köcher für eine Zugabe. It’s Not Too Late war 2004/05 ein sehr guter Song dafür. Father To Son, All Of My Life oder Long Long Way To Go wären sicherlich ebenso geeignet.

Als am Ende der Show Nic Collins einen Drumstick ins Publikum wirft, fliegt er nur etwa bis zur ersten Reihe. Ich versuche ihn zu fangen, erwische ihn nicht richtig und dabei fällt er vor meine Füße auf die andere Seite der Absperrung. Ich und die um mich herumstehenden rufen dem nächsten Ordner sofort zu, er möge ihn aufheben und dem Mädchen geben, von dem ich beim Einlass bereits berichtet habe. Sie ist total hin und weg. Ein tolles Ende eines rundum gelungenen Abends. Kurz vor 23.00 Uhr verlässt Phil alles andere als grußlos wie noch in Köln 2017 nach knappen zwei Stunden Vollgas-Show die Bühne. Für mich halten sich in diesem Moment Wehmut und Dankbarkeit die Waage.

Mein Fazit

Die auf Stadiontauglichkeit eingedampfte Setlist funktioniert sehr gut. Dass die Show nicht nur in Sachen Songanzahl sondern auch zeitlich kürzer geworden ist, fällt gar nicht auf, wenn man sie live erlebt. Mike + The Mechanics spielen seit Jahren ein 100-Minuten-Set prall gefüllt mit Hits. Da meckert keiner der Zuschauer bei Verlassen des Konzerts, dass es zu kurz war. Und bei Phil Collins, von dem man früher regelmäßig mindestens zweieinhalbstündige Shows gewohnt war, ist es 2019 auch nicht mehr anders. Er und seine exzellente Band geben alles und liefern Hits auf allerhöchstem Niveau ab. Es ist möglicherweise Phils eigentlich Abschiedstour, auch wenn sie nicht so heißt. Für die Zuschauer werden an diesem Abend noch einmal viele Wünsche erfüllt. Ich kenne einige Leute, die früher einen großen Bogen um Phil Collins-Konzerte gemacht haben und nun 2019 fast vierzig Jahre nach Beginn seiner Solokarriere ihr erstes Phil Collins-Konzert sehen. Das ist die Zielgruppe der Songauswahl und (leider, aber verständlicherweise) nicht die eingefleischten Fans, die sich den einen oder anderen Exoten in der Setlist gewünscht hätten.

Die Abreise verlief für mich übrigens angesichts der Zuschauermassen und baustellenbedingter Verkehrsengpässe nicht reibungslos. Aber was soll’s? Ich bin sehr froh, mich für ein reines Stehplatzkonzert und gegen eine der Shows an den beiden folgenden Tagen im RheinEnergieStadion in Köln entschieden zu haben. So habe ich aus den horrenden Ticketpreisen für mich das Beste Preis-Leistungs-Verhältnis herausgepickt. Das macht die Preise dennoch grundsätzlich nicht vertretbarer.


Der Gedanke, dass dies womöglich mein letztes Phil Collins-Konzert sein könnte, ist natürlich den ganzen Tag und Abend über latent vorhanden. Aber emotional ist das Konzert deswegn nicht so sehr. Ein Kloß im Hals bleibt aus. Das war bei mir eher in Glasgow 2005, Hollywood 2007 (Genesis) und vielleicht auch noch in Köln vor zwei Jahren der Fall. Wenn man sich nur oft genug mit dem Abschied befasst hat, gewöhnt man sich vielleicht sogar daran.

Ob dieser Abend in Nijmegen für mich tatsächlich das Abschiedskonzert von Phil Collins war, wird die Zukunft zeigen. Sollte es so sein, hätte es nicht viel perfekter verlaufen können.

Autor, Fotos und Videos: Ulrich Klemt