- Artikel
- Lesezeit ca. 15 Minuten
Phil Collins Interview Berlin 2004
Vor dem Konzert auf der Berliner Waldbühne am 11. Juni 2004 trafen wir Phil Collins für ein exklusives Konzert, in dem er uns einiges verraten hat…
Phil Collins im exklusiven Gespräch mit „it“ über das Business (zu dem er nicht gehört), seine letzte Tour (wirklich!), die Genesis-Reunion (nicht wirklich!) und alte Tonbänder (die irgendwo eingemottet rumliegen)
11. Juni 2004, Berlin, Phils Garderobe im Backstage der Waldbühne
Seit einigen Jahren versuchten wir, einen Interview-Termin mit Phil Collins zu bekommen. Anfangs erhielten wir gar keine Antwort, später dann Absagen, und schließlich schlug man uns vor ca. zwei Jahren vor, dass die drei europäischen Genesis-Fanclubs,
Dusk,
The Waiting Room und
it, Phil gemeinsam in der Schweiz interviewen könnten. Ein Termin sollte kurzfristig vereinbart werden. Aber wieder geschah nichts. Überraschend teilte man uns im Frühjahr 2004 mit, Phil wolle während der
First Final Farewell-Tour mit allen drei Clubs Einzelinterviews bei Konzerten in Italien, England bzw. Deutschland machen. Wir suchten uns Berlin als Termin aus, und wurden nach kleinen Komplikationen und einigem Warten kurz nach dem Soundcheck in Phils Garderobe geführt, wo uns dieser (zusammen mit seinem Hund Jack) herzlich empfing. Wir waren darauf vorbereitet, dass das Interview nicht lange dauern sollte. Von 25 bis 30 Minuten war ursprünglich die Rede. Aber dann hieß es: „maximal 20 Minuten“, und wir mussten unseren Fragenkatalog auf ein Minimum kürzen. Erschwerend kam hinzu, dass Phil auf die Fragen recht ausführlich und manchmal etwas abschweifend antwortete. Wir hoffen daher, dass uns irgendwann noch einmal die Chance geboten wird, Phil für ein längeres Interview zu treffen, bei dem wir mit ihm ohne Zeitdruck über seine gesamte Karriere sprechen können.
it:
Phil:Ja, ist es. Er hat auch ein Drumkit zu Hause, und ich dachte, dass er von so viel Schlagzeugspiel im Set ein wenig inspiriert wird. Er drumt ein wenig vor und auch nach der Show. Er begeistert sich wirklich dafür.
it: Was wäre die erste Frage, wenn du ein Interview mit dir selbst führen würdest?
Phil:
it: Die aktuelle Tour heißt „First Final Farewell Tour“. Wie ist der Titel gemeint? Wird es eine zweite oder dritte Abschiedstour geben?
Phil:Es ist nur ein schlechter Witz, englischer Humor. Wir hatten immer irgendwie witzige Namen im Zusammenhang mit Tourneen, wie z. B. „Ten Serious Guys“. Mit dem Namen dieser Tour wollte ich ausdrücken, dass es die letzte ist, damit die Leute nicht überrascht sind, wenn keine weitere Tour folgt. Sie einfach nur „The Farewell Tour“ zu nennen, hörte sich für mich etwas zu konventionell und gar nicht witzig an. Also beschlossen wir, sie die „First Final Farewell Tour“ zu nennen. Das hat etwas von Monthy Python – schwarzer englischer Humor. Es ist auch eine kleine Verarschung von Künstlern, die in der Tat schon drei oder vier Mal auf Abschiedstour waren, wie Cher zum Beispiel. Die Amerika-Tour wird für mich die letzte sein. In den nächsten ein oder zwei Jahren wird vielleicht der Rest der Welt folgen, und das wird dann das letzte Mal sein, dass ich auf Tour bin.
it:Wirklich?
Phil:Oh ja. Aber es ist nicht so, dass ich in Rente gehe. Ich habe es bei jeder Show bisher gesagt, und im Programm steht es auch: Ich höre nicht auf, und ich höre auch nicht auf, Konzerte zu geben. Ich werde nur nicht mehr touren. Ich fühle mich zwar nicht so alt, aber ich bin schon 53. Ich habe Nicholas und wir wollen auch noch mehr Kinder haben. Ich möchte Dingen, die ich schon begonnen habe, gerne noch etwas intensiver nachgehen, wie Filmmusiken , die Musical-Version von Tarzanoder das Big Band-Projekt – oder ganz einfach mal nichts tun. Das alles bedeutet mir etwas. Es ist meiner Meinung nach wichtig, zu versuchen, nicht auf der Stelle stehen zu bleiben. Mein Sohn kommt in eineinhalb Jahren in die Schule. Ich möchte nicht unter dem Druck stehen, ein neues Album machen und auf Tour gehen zu müssen und ihn und meine Frau hintanzustellen. Das will ich wirklich nicht. Ich möchte einen sauberen Abschluss, und dann wird eine neue Seite aufgeschlagen. Aber ich werde weiter live auftreten. Wenn ich ein neues Album aufnehme – und das werde ich sicherlich -, wird es auch Konzerte von mir geben. Ich werde die Band zusammentrommeln und hier und dort eine Show machen. Es wird aber nicht mehr wie eine Tournee ablaufen. Das hier ist also meine letzte Tour, aber es sind nicht meine letzten Konzerte.
it:Könntest du dir ein Leben ganz ohne Musik, Auftritte oder Schauspielerei vorstellen.
Phil:Nein, und darum gehe ich NICHT in Rente. Die Leute neigen dazu, vorschnell falsche Schlüsse zu ziehen: „Final Farewell Tour“ – aha, er hört auf, er hat genug Geld. Das wäre der einfachste Rückschluss. Aber obwohl mir das Touren noch immer Spaß macht, höre ich damit auf, um mehr als das zu tun. Ich werde vermutlich wieder schauspielern, weil ich mehr Zeit habe. Und ich werde wieder ein Album aufnehmen, weil der Druck weg ist, damit auf Tour gehen zu müssen. Ich werde quasi so weiter machen wie bisher, aber ich werde mehr von zu Hause aus machen. Um ehrlich zu sein, ich bin jetzt 53, und seit meinem 19. Lebensjahr auf Tour. Das ist eine lange Zeit.
it:Hast du bereits irgendwelche Zukunftspläne?
Phil:Ich habe sieben oder acht neue Songs für das Tarzan-Musical geschrieben, und einige der Original-Stücke des Films überarbeitet. Das Musical kommt Ende nächsten oder Anfang des folgenden Jahres auf den Broadway. Wir haben es schon mit den Musikern und mit den Schauspielern geprobt, aber es ist noch in der Entwicklung. Die Stücke sind soweit unverändert, aber das Drehbuch ändert sich ständig. Ich möchte daran sehr aktiv mitarbeiten. Man kann sich entweder ganz raushalten, jemand anderen an seiner Musik herumpfuschen lassen und sagen: „Wir sehen uns bei der Premiere.“. Oder man ist vor Ort und kann sagen: „Halt, das ist nicht der Akkord, den ich gespielt habe. Ich spielte es so.“ oder „Das ist nicht der Rhythmus, es ist dieser.“ oder „Das ist zu schnell“. Mir ist das so lieber, denn ich mag den Entstehungsprozess. Bei den Filmen, die ich gemacht habe, war ich mehr involviert, als es nötig gewesen wäre. Ich wollte einfach den Ablauf mitbekommen und daraus lernen. Das steht also in nächster Zukunft an. Ich hoffe, dass das alles bis September 2006 angeschlossen ist, wenn mein Sohn in die Schule kommt, damit ich bei ihm sein kann. Nach der Amerika-Tour werde ich wieder anfangen, Songs zu schreiben. Ich habe schon welche geschrieben. Wer weiß, wie lange es dauern wird, aber irgendwann wird daraus schließlich ein Album werden, denn ich, ich …
it:Als Genesis-Fanclub müssen wir einfach eine Frage stellen …
Phil: Das ist schon okay, ich bin das gewohnt.
it:Ganz ehrlich, gibt es eine Chance, dass du wieder zu Genesis zurück kehrst?
Phil:Ja sicher besteht diese Chance. Mike und ich haben in den letzten zwei oder drei Jahren ein paar Mal zusammen gespielt. Mit Tony und Mike habe ich ein paar Mal zusammen gegessen und viel gelacht. Beim 30jährigen Management-Jubiläum von Tony Smith in London waren wir alle zusammen, und als wir alle an einem Tisch saßen, fragte ich: „So, was wollen wir nun machen? Kommen wir wieder zusammen und spielen zusammen?“ Jeder sagte: „Ja, klar. Was wollen wir machen?“ und Mike sagte: „Was wäre mit einem Album?“. Ich sagte: „Ich weiß nicht, ein Album? Das ist ein langer Prozess.“ Sie sagten dann, dass sie sogar bereit seien, dafür zu mir zu kommen. Ihre Kinder sind schon erwachsen. Ich bin zur Zeit derjenige, der eine junge Familie hat. Sie würden in die Schweiz kommen, dort Häuser mieten und wir würden das Album dort machen. Es wurde zwar nicht wirklich ernsthaft darüber diskutiert, aber es wurde immerhin genug darüber gesprochen, dass es durchaus möglich bleibt. Die Idee ist jedenfalls nicht vom Tisch, und somit ist alles möglich. Als 1997 das erste Genesis Box-Set heraus kam, fing ich an, über eine Reunion zu sprechen. Ich nahm an, irgendjemand würde vorschlagen, dass wir aus diesem Anlass ein paar Shows zusammen mit Peter machen könnten. Aber nichts passierte, und für niemanden außer mir war das ein Thema. Dann kam die andere Box heraus und wir machten ein wenig Werbung dafür. Eines muss ich euch fragen: „Was sind Genesis, wie sie jeder mag?“. Die Leute sollten darüber nachdenken, was sie wollen. Die meisten sagen: „Wäre es nicht toll, wenn du, Peter, Steve, Mike und Tony wieder gemeinsam etwas machen würden?“ Ich persönlich wäre froh darüber, ja mehr als glücklich. Ich würde nicht morgens aufwachen und „uuh-uuh“
it: Vermutlich wäre es kommerziell erfolgreicher, wenn Tony, Mike und du alleine die Reunion machen würden.
Phil:Das ist einfach zu organisieren, bzw. einfacher. Peter hat seinen eigenen Terminplan und seine eigene Karriere. Aber wir drei haben doch immer noch mehr mit einander zu tun. Davon abgesehen versteht sich jeder von uns immer noch großartig mit Peter. Tony und ich flogen zusammen nach Lyon in Frankreich, um Peter bei seiner letzten Tour zu sehen, und wir hatten viel Spaß zusammen mit ihm. Wie dem auch sei, ich sage nicht, dass es so kommen wird, und die Leute am Radio hängen und auf die Tourdaten warten sollen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass es zur Reunion kommt als umgekehrt. Mehr kann ich nicht sagen.
it:Wer sollte deiner Meinung nach die treibende Kraft für eine Genesis-Reunion sein?
Phil:Ich habe das Thema sehr oft angesprochen. Aber ich will mich nicht hinsetzen und versuchen, es zu organisieren, denn ich bin zu beschäftigt. Es gibt immer ein aktuelles Projekt und dazu kommt das Familienleben. Ich würde mir wünschen, dass wir alle drei es wollen, und uns entscheiden, damit anzufangen. Dann wäre auch nicht wirklich jemand nötig, es zu organisieren. Es würde ganz automatisch in Gang kommen. Es ist eine Möglichkeit, aber ich muss aufpassen, dass ich keine falschen Hoffnungen wecke, wenn ich sage, dass es passieren wird. Ich bin nur einer von drei Jungs, und was mich angeht, hätte ich nichts dagegen, die Songs noch einmal zu spielen. Nicht für eine lange Tour, denn das hier ist meine letzte
it:Es gibt Gerüchte, dass du insbesondere in den 70er Jahren viele Sessions und Proben von Genesis aufgenommen hast. Stimmt das?
Phil:Ja, das ist richtig. Ich habe alles aufgenommen. Ich hatte Bänder von den Proben zu allen Alben ab Selling England By The Pound. Sie sind nun in London eingelagert. Ich habe eine Bootleg-CD dabei – ich habe sie auf meinem iPod – mit Aufnahmen von Headley Grange, wo wir The Lamb … probten. Ich war der einzige, der einen Kassettenrecorder hatte, aber ich habe ein Bootleg davon. Ich weiß nicht wie das passiert ist.
it: Hast du auch Aufzeichnungen über Tour- und Probentermine von Genesis in den 70ern geführt?
Phil: Nein. Aber das Buch Opening The Musical Box von Alan Hewitt hat die vielleicht kompletteste Liste von Tourdaten, die ich mir vorstellen kann. Ein oder zwei Sachen hat er nicht gelistet: Zum Beispiel machte ich 1980 eine Tour mit Peter als sein Drummer. Ich lebte zusammen mit ihm und John Giblin, Geoff „Someone“ (Geoff Westley; Red.) und Joe Partridge in seinem Haus bei Bath als er sein drittes Album schrieb. Wir waren auch auf Tour und spielten Sachen wie No Self Control, das damals Margueritahieß, und Biko. Am Ende der Shows sang ich zusammen mit ihm The Lamb. Diese Shows fehlen in dem Buch, was ich nicht ganz verstehen kann. Denn das Interesse der Fans war ziemlich groß, und die Tatsache, dass ich bei Peter als Schlagzeuger spielte, wurde auch nicht erwähnt.
it:Die Zeit läuft uns davon, und so ist unsere letzte Frage nun, ob wir einmal ein längeres Interview mit dir über deine ganze Karriere führen können?
Phil:
it:Wir dachten da auch eher an die Zeit nach der Tour. Wir könnten zu dir in die Schweiz kommen.
Phil:Nun, lassen wir es mal offen. Insbesondere weil es die letzte Tour ist, bin ich sehr froh, dass ich ein paar Dinge geregelt bekomme und sagen kann, wie es wirklich war. Am besten bleibt ihr in Kontakt mit mir. Vor Mitte Oktober bin ich nicht wieder zu Hause. Wenn es dann möglich ist, werden wir es tun. Wenn wir es nicht bald machen, dann später. Wir bekommen das hin, bevor einer von uns stirbt.
Mit diesem Versprechen Phils endete unser Interview offiziell. Das folgende Gespräch entstand, als Phil von uns ein paar Dinge aus dem Club-Shop bekam – darunter auch ein Programm vom Lamb-Event 2001 und ihm die Tourdaten merkwürdig vorkamen. Tony Smith, der den Raum inzwischen betreten hatte, diskutierte ebenfalls mit.
Phil:Das letzte Konzert sollte in Toulouse stattfinden, aber es wurde aufgrund von mangelndem Interesse gestrichen. Wir waren in Besancon, als Toulouse gecancelt wurde … (sich an Tony Smith wendend) … Die letzte Show von Genesis mit Peter war doch in Besancon, oder?
Tony Smith:Besancon war die letzte Show.
it:Bist du sicher?
Tony Smith:Ja, bei der Liste, die ihr dort habt, handelt es sich um den Urspungsplan für die Tournee.
it:Wir haben sehr viel Aufwand in diese Auflistung gesteckt und nur die Daten aufgeführt, die eindeutig belegbar sind.
Tony Smith:Mag sein, aber ich habe Besancon gebucht. Ich weiß es ganz genau.
it:Kannst du dich auch an das Datum erinnern?
Tony Smith: Nein.
Phil: Es sieht so aus, als hättet ihr die Daten am Ende der Liste etwas durcheinander gebracht. Da ist eine Lücke am 25. (Mai 1975; Red.). Ich kann mich daran erinnern, dass wir uns im Umkleideraum aufhielten, als du hereinkamst und berichtetest, dass die morgige Show gestrichen worden sei. Wir wussten dann, dass dies heute die letzte Show war und Peter spielte seine Oboe und wir gingen auf die Bühne und das war es dann. Es war sehr enttäuschend. Es war nicht der große Tag, so wie wir uns das vorgestellt hatten.
Tony Smith: Dies hier ist definitiv falsch. Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir in St. Etienne gespielt haben. Es war also Besancon und anschließend wollten wir in Toulouse spielen.
Phil:Toulouse wurde gestrichen. Das ist ganz sicher. Es kann sein, dass wir vor Besancon noch in St. Etienne gespielt haben.
it:Wir haben unser Möglichstes getan.
Phil: Nun, ihr habt mich nach den Daten gefragt und das nächste Mal, wenn euch jemand fragt, dann erzählt ihr, dass wir euch gesagt haben, wie es richtig war
Wir möchten uns bei allen Beteiligten recht herzlich für die Unterstützung bedanken:
Thanks a lot to Annie Callingham, Tim Brockman and Jaquelyne Ledent-Vilain for their kind support and help!
Very special thanks to the man himself for spending his time talking to us and answering our questions – Vielen Dank Phil!
Interview, Transkription + Übersetzung: Helmut Janisch + Bernd Zindler, Juni 2004
Photos: Peter Schütz
Streicheleinheiten: Jack Collins