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Phil Collins – Going Back: Interview (2010)
Im Rahmen der Promotion des neuen Albums Going Back veröffentlichte Warner insgesamt 22 Soundfiles, die Antworten auf verschiedene Fragen rund um das Album enthalten. Das gesamte Paket ist ein sehr interessantes Interview, das wir euch nicht vorenthalten wollen.
Im Rahmen der Promotion veröffentlichte Warner Music eine Reihe von Soundfiles, die Antworten auf Fragen rund um Going Back enthalten. Diese Interviewschnipsel werden vor allem im Radio Verwendung finden. Als gesamtes Packet sind die Soundfiles aber auch ein beachtliches Interview, das tiefe Einblicke in die Entstehung des Albums gibt und außerdem Phils Stellung im Musikbusiness der Neuzeit näher betrachtet.
01: Ihre Liebe zur Soulmusik ist nicht erst seit Ihrer Zusammenarbeit mit den Four Tops Ende der 80er Jahre bekannt. Aber wie kam es zu diesem Album?
Phil: Es ist interessant, denn wenn mich jemand vor diesem Album gefragt hätte, warum ich nicht mal ein Cover-Album machen würde, hätte ich vermutlich die Beatles ausgewählt oder wäre wohl bei ihnen gelandet, denn ich habe ihre Songs immer gemocht – nicht nur auf Platte, ich habe sie auch immer gern gesungen. Aber als der Vorschlag kam, ein Motown-Album zu machen – und dieses Album enthält zu 85 % Motown, es gibt nur ein paar großartige Songs wie Do I Love You, Some Of Your Lovin‘, Going Back und Talking About My Baby von den Impressions, die nicht von Motown stammen – fand ich es so einfach, denn es waren so viele verschiedene Künstler und auch die Produktion war sehr unterschiedlich. Jeder Song hat einen eigenen Charakter, aufgrund des Monats bzw. des Jahres, in dem er aufgenommen wurde.
„Letztlich sollten die neuen Aufnahmen so klingen wie damals.“
02: Wie zeigte sich diese Entwicklung?
Phil: Der Song Ain’t That Peculiar(von Marvin Gaye) klingt ganz anders als z.B. Standing In The Shadows Of Love. Der klingt wieder ganz anders als Blame It On The Sun. Und doch ist es alles Motown im Verlauf einer fünf- oder sechsjährigen Zeitspanne. Das fand ich wirklich interessant. Wir hatten sehr viel Spaß, diese Zeiten wieder aufleben zu lassen. Mein Toningenieur, ohne den ich dieses Album gar nicht hätte machen können, er heißt Yvan Bing, ist selbst Schlagzeuger. Ich konnte nicht Schlagzeug spielen, und ich kann es auch jetzt noch nicht, wo wir hier zusammen sitzen. Aber ich war in der Lage, die Schlagzeugstöcke an meine Hände zu kleben, um so ganz sanft zu spielen, wie es damals Benny Benjamin und all die alten Schlagzeuger es taten, denn sie waren alle Jazzmusiker. Ich spielte also ganz sanft. Wir hatten eine bestimmte Methode, wie wir das Schlagzeugspiel aufgenommen haben. Zuerst haben wir zwei-, dreimal den Groove aufgenommen und danach spezielle Fill Ins: Jedes Mal, wenn es ein Fill In auf meinem Album gibt, dann ist das geschehen, weil es genau dieses Fill In auch bei der Motown-Aufnahme gibt. Dann haben wir zusätzliches Equipment verwendet, um den Sound zu verzerren.
Wenn man z.B. den Song Uptight von Stevie Wonder hört, der ist völlig verzerrt und übersteuert. Sie konnten es damals nicht besser machen, denn sie hatten nur drei Spuren zur Verfügung und alle beteiligten Musiker standen im selben Studio. Ich habe versucht, den gleichen Effekt zu erzielen, ohne dass jemand anderes im Studio war. Ich meine, damals gab’s die Funk Brothers – drei Leute, die immer zusammen spielten. Sie erzählten: Wenn jemand einen Fehler machte, dann haben wir den nicht ausgemerzt, sondern wir haben von Vorn angefangen. Sie sind also sehr gut aufeinander eingespielt.
Die Aufnahmen erfolgten auf völlig andere Art und Weise. Aber letztlich sollten die neuen Aufnahmen so klingen wie damals. Dafür haben wir viel Zeit und Arbeit aufgewandt. Alle sagen immer, dass die neue Platte das Beste ist, was sie jemals gemacht haben. Ich denke, dass einige meiner Platten aus der frühen Phase meiner Solo-Karriere das Beste sind, was ich je gemacht habe. Aber auf dieses Album bin ich sehr stolz.
03: Warum haben Sie über das Album Going Back gesagt, dass es eine alte Platte sei?
Phil: Ich habe das mit der alten Platte gesagt, als ich versuchte, der Plattenfirma, meinem Manager und meinen Toningenieur zu erklären, worum es bei diesem Album geht. Ich sagte ihnen: Nennt es auf keinen Fall das neue Phil Collins Album! Es ist kein neues Album, sondern ein altes! Es soll klingen wie ein altes Album. Ich möchte, dass die Leute es auflegen, als wenn sie eine Nadel auf eine Vinyl-Platte setzen, sich den Anfang von Why You Wanna Make Me Blueanhören und denken: Da hat jemand die falsche Platte in die Hülle gesteckt! Das ist nicht Phil Collins! – Und dann kommt die Stimme – und es ist doch Phil Collins.
Natürlich habe ich etwas beigesteuert: Meine Persönlichkeit, mein Singen. Es gab nur wenige Songs, bei denen ich etwas herumexperimentiert habe, denn ich wollte diesen Songs nichts Neues geben. Diese Songs sind perfekt. Wenn sie es nicht wären, hätte ich sie nicht aufgenommen, denn dann hätten sie mir ja auch nicht gefallen. Manche Songs habe ich nicht ausgewählt, weil sie einfach zu oft aufgenommen wurden., z.B. I Heard It Through The Grapevine, Reach Out I’ll Be There. Die sind einfach zu bekannt und man kann diese Originale eigentlich auch nicht verbessern. Wogegen ich glaube, dass noch nie jemand Uptight gecovert hat. Ich wollte sehen, ob ich es hinbekomme. Bei jedem Song gibt es einen gewissen Grund, warum er auf dem Album ist.
„Ich hatte geglaubt, dass ich dieses Foto niemals als Cover des Albums durchsetzen könnte.“
04: Auf dem Cover der CD Going Back ist ein Jugendbild von Ihnen. War das die Zeit, als sie Motown entdeckten?
Phil: Diese Musik hat mein Leben begleitet, als ich in diesem Alter war. Ich habe damals ständig Musik gehört. Ich habe darüber in dem Song All Of My Life vom Album …But Seriously geschrieben: ‚Playing records upstairs, while he watched tv, I didn’t spend the time I should …‘, denn man denkt in diesem Alter ja noch, dass die Eltern immer da sein werden.
05: Wie kamen Sie auf dieses Cover?
Phil: Ich hatte geglaubt, dass ich dieses Foto niemals als Cover des Albums durchsetzen könnte. Denn es ist ja nicht ich, wenn sie wissen, was ich meine. Natürlich bin ich das, wenn man das weiß. Und viele Leute sagen: Ich weiß, wer das ist! – weil man das Schlagzeug sieht und weil es ein bisschen nach mir aussieht. Aber ich war überrascht, dass die Plattenfirma diesem Cover zugestimmt hat, denn letztlich hört man so oft: Wir wollen das nicht auf der Platte!
06: Wie hat sich Ihr Interesse für Motown in Ihrer Jugend entwickelt?
Phil:Wenn man herausfindet, dass dieser Song auch auf diesem bestimmten Label erschienen ist wie so viele andere, (wird man aufmerksam). Dieses Album ist wie ein Set von Motown, mit den paar Ausnahmen. Wenn man (als Jugendlicher) diese Platten kauft und herausfindet, dass diese Aufnahme auch auf dem – ich glaube – es war damals ein gelbes Label – dann sucht man immer wieder danach, denn man wusste, dass es interessant sein würde. Das Gleiche gilt für Blue Note. Es gibt keinen Musiker auf Blue Note, der nicht Jazz spielen kann.
07: Was war das Besondere an Motown?
Phil: Es waren ein paar Beobachtungen. Das Motown-Label hatte, im Gegensatz zu vielen anderen Labels oder Künstlervereinigungen, sehr positive Künstlernamen: The Four Tops, The Supremes, The Marvelettes usw. Die Temptations waren die Ausnahme. Aber es gab viele positive, strahlende Namen. Wenn ich heutzutage Heatwave höre, ist es ein sonniger Tag, immer noch und immer wieder. (SINGT) Motown hatte einen Stil, den kein anderes Plattenlabel hatte.
08: Können Sie das etwas näher beschreiben?
Phil: Ich erinnere mich einfach an die Qualität. Diese Aufnahmen klangen anders. Ich war besonders fasziniert vom Schlagzeugsound. Wenn man sich intensiv damit beschäftigt, findet man heraus, dass alle Shuffles von Pistol (Richard Allen) gespielt wurden, der auch die Dokumentation (Standing In The Shadows Of Motown – The Funk Brothers) zusammen mit Uriel Jones gemacht hat. Benny Benjamin war der erste Schlagzeuger, ganz am Anfang. Um 1962, 63, 64 wurde er immer unberechenbarer, denn er hatte viele Probleme. Deshalb wurden andere Schlagzeuger angeheuert. Pistol war einer, Uriel Jones war der Ersatz für Benny Benjamin. Und man kann diese verschiedenen Stile hören.
Auf meinem ersten Solo-Album gab es einen Schlagzeugsound (MACHT IHN VOR) bei I Missed Again – das ist eine Motownfigur.
Ich habe mal ein Interview mit Little Steven gelesen. Und auch wenn es nicht unbedingt in ihrer Musik durchklingt, gibt es viele, die seine Meinung teilen. Er sagte: Wenn ich Schlagzeuger für die E-Street Band oder für meine eigene Band vorspielen ließ, mussten sie immer dieses Fill spielen. Wenn sie es konnten, habe ich sie engagiert.
09: Welchen Effekt hatte die Musik von Motown und die amerikanische R&B-Musik im Allgemeinen auf britische Musiker?
Phil: Nach der Musik, die damals zur Verfügung stand, obwohl sie sehr beschränkt war, musste man suchen. Aber man fand diese Möglichkeiten, bei speziellen Radiosendern, z.B. den Armeesendern. Die Bands spielten damals die Musik dieser Stationen. Natürlich gab es insofern einen Unterschied, weil die Beatles selbst Songschreiber waren. Sie haben also diese Songs nicht nur gespielt, wie Money oder Roll Over Beethoven, auch wenn das kein Motown-Song war; sie haben nicht nur R&B-Klassiker wie You’ve Really Got A Hold On Me gespielt, sondern diese Songs haben auch ihre Musik beeinflusst.
10: Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Phil: Wenn man She Loves You nimmt, die Melodie zu den Worten She Loves You, dann ist das eine ganz simple Melodie (SINGT). Aber das Besondere an dem Song waren die Töne, die die Beatles dieser recht vorhersehbaren Akkordfolge gegenüber stellten. Abgesehen von der Beziehung zum Publikum, die durch das She Loves You entsteht, waren es vor allem diese Töne, die sie dagegen stellten. Das Gleiche kann man auch bei Motown beobachten. Es gibt ein paar Songs wie Going To A Go-Go oder Uptight, die aus zwei Akkorden bestehen. Die Strophen, die Brücke und der Refrain sind nur von einer Achttaktfolge unterbrochen, die dafür sorgen, dass man sich an den Song erinnert.
Der Grund, warum so viele (britische) Bands diese Musik spielten, lag ganz einfach darin, dass die Alternativen ziemlich trostlos waren. Vor den Beatles gab es Tommy Steele oder Neil Sedaka. Im Haus meiner Eltern gab es massenhaft davon, denn mein Bruder und meine Schwester mochten die Platten von Neil Sedaka. Für mich war es sehr aufregend, Neil Sedaka persönlich kennen zu lernen, nachdem ich seinen Song Oh Carol Zuhause wohl mindestens drei Milliarden mal gehört habe.
Ich denke, die vielen Bands fanden (Motown) so interessant, weil die Musik aufregender war, weil es so viel Auswahl gab und weil viele Songs einfach besser waren.
11: Sie haben zwei sehr unterschiedliche Songs von Stevie Wonder ausgewählt. Was waren die Gründe?
Phil:Blame It On The Sun ist ein fantastischer Song vom Album Talking Book. Und der Sound (von Stevie Wonder) hat sich stark verändert, wenn man Uptightmit dem Album Talking Bookvergleicht. Es ist ein gewaltiger Fortschritt hinsichtlich der Aufnahme. Und ich habe mich stärker an der Art und Weise orientiert, wie es Stevie Wonder bei Talking Book gemacht hat. Aber es gab einige Songs, bei denen ich etwas weniger genau darauf geachtet habe, was Gitarre und Klavier spielen. Und Blame It On The Sun war einer davon.
12: Der Song Papa Was A Rollin‘ Stone von den Temptations – warum wollten Sie den dabei haben?
Phil: Bei Papa Was A Rollin‘ Stonesah ich mich einem großen Widerstand seitens der Plattenfirma ausgesetzt. Der Kommentar war: Der Song ist zu lang und du singst erst nach drei Minuten!
13: Es war also eine große Herausforderung?
Phil: Bei Papa Was A Rollin‘ Stone spielte Bob (Babbitt, Bassist der Funk Brothers) mit. Und er sagte zu den anderen: Diese Aufnahme klingt besser als das Original! – Aber wir konnten uns auch Zeit lassen, wir hatten alle Zeit der Welt. Damals hatten sie kaum Zeit, Norman Whitfield war ja ein bisschen wie ein Sklavenantreiber. Aber als Ray Monette die Funky Gitarrenfigur in einem Take hinbekommen hatte, war ich mir sicher, dass es funktioniert. Eddie Willis meinte dann aber, dass es noch eine andere Gitarrenfigur gibt (MACHT SIE VOR), eine kleine Dublinie auf der Gitarre. Und wenn die nicht dabei ist, fehlt etwas.
„Ich habe sehr viele Demos angefertigt, 44 Songs standen in der engeren Auswahl“
14: Wenn man sich das Album anhört, klingt es fast wie ein imaginäres Tagebuch. Alle Songs scheinen auch einen gewissen Bezug zu Ihrem Leben zu haben.
Phil:Ohne Zweifel, denn jeder Song ist aus einem bestimmten Grund dabei. Ich hatte insgesamt 44 Songs in der engeren Auswahl. Auf meiner iTunes-Liste der Demos gab es insgesamt 404 Songs, denn von einigen Songs gab es im Verlauf der Arbeit mehrere Demo-Aufnahmen. Ich habe also sehr viele Demos angefertigt, bei denen sich dann heraus stellte, dass einige Songs heraus fielen, denn ich habe es nicht geschafft, dass sie gut klangen. Z.B. Dancing In The Streets ist ein sehr komplizierter Song. Ich habe es versucht und es auch einigermaßen hinbekommen, aber nicht in dem Maß, dass mir die Version wirklich gefallen hat. Und deshalb ist der Song auch nicht auf dem Album. Aber ich musste sowieso elf Babys (Songs) aussortieren. Das ist fürchterlich, so als ob man entscheiden müsste, welches sterben soll. Das ist wirklich fürchterlich, denn ich habe an diesen Songs gearbeitet, ohne zu wissen, welche davon auf dem Album landen werden. Es ist grässlich, manchmal macht man bei einem Song ein Overdub und alles verändert sich.
15: Gab es auch Ideen für ein mögliches Duett?
Phil: Es gab Gespräche über ein mögliches Duett bei dem Song (Ain’t No Mountain High Enough) von Marvin Gaye & Tammi Terrell, den ich auch aufgenommen habe. Ich habe eine ganz gute Soloversion davon aufgenommen, denn ich wusste nicht, wer vielleicht mitsingen würde. Es waren verschiedene Namen im Spiel. Aber letztlich bin ich glücklich, dass es nichts wurde, weil ich glaube, dass ein Duett nicht gepasst hätte. Es wäre nicht wirklich Ich gewesen.
16: Wer war denn im Gespräch?
Phil: Whitney Houston war im Gespräch, auch Mary J. Blige. Aber sie haben so spät auf das Angebot geantwortet, dass ich sagen musste: Wisst Ihr, das Album ist längst fertig. Ich habe schon Probleme, das Album auf 18 Songs zu beschränken. Da brauche ich keinen anderen Song mehr.
17: Der letzte Song des Albums ist sicher nicht von ungefähr Going Back, den viele in der Version von Dusty Springfield kennen. Was hat Sie an diesem Song gereizt?
Phil:Going Back war schwierig zu singen – in einer guten Art und Weise. Ich habe darüber mit Mike Kaufman gesprochen, der für den Song ein Video drehen wird. Es ist ein fantastischer Song. Dusty Springfield hat ihn aufgenommen, auch die Byrds. Ich habe eine Mixtur aus den beiden Texten verwendet, denn manche Worte klingen aus einer männlichen Perspektive einfach besser. Deshalb ist von electric trains die Rede und nicht von skipping rope. Zufällig fasst dieser Song das Album in gewisser Art und Weise zusammen. Aber das war nicht geplant. Ich habe einfach nur die Songs ausgewählt, die ich mochte.
18: Sie haben sich auch hinsichtlich der Gestaltung an alten Vorgaben orientiert?
Phil: Wenn man sich die CD ansieht, habe ich sozusagen Seite A und Seite B vermerkt. Mental habe ich einen Bruch bei Song neun eingefügt, sodass sich die Leute sagen können: Okay, jetzt beginnt die andere Seite. Und ich wollte, dass es genau so aussieht.
19: Warum haben Sie bei der Vielzahl der aufgenommenen Songs nicht ein Doppel-Album herausgebracht, wie man es in den 70er Jahren wohl getan hätte?
Phil: Die Vinylplatte hatte zwölf Inches. So war es allgemein geläufig. Mehr Musik konnte man da nicht unterbringen, ohne dass – wie wir es bei Genesis zum Teil gemacht haben – die Musik leiser wird. Aber bei Tanzmusik und Motown und R&B war ja Tanzmusik, da musste es auch den nötigen Druck haben. Das bedeutet andersherum, dass man weniger Songs unterbringen konnte.
Wenn man dies aber als Doppel-CD-Album veröffentlichen würde, hätte man sofort das Stigma eines Doppel-Albums herauf beschworen.
Es wird eine Special Edition geben, die auf der zweiten CD zwischen acht oder elf weitere Songs enthalten wird. Das sind keine Bonus-Songs, sie haben nur nicht auf das erste Album gepasst. Aber es sind alles tolle Songs.
20: Diese CD ist Ihre erste Solo-CD nach acht Jahren Pause. Wo sehen Sie Ihren Platz im gegenwärtigen Musikgeschäft?
Phil: Speziell in diesem Geschäft, in dem ich mich bewege, geht es vor allem um die Jugend, um die jungen Menschen. Und da komme ich mit so einer Platte. Ich habe mir ein paar Webseiten angesehen, weil mir jemand sagte, dass es viele nette Reaktionen geben würde. Aber ich habe auch andere Reaktionen gefunden: Nicht noch ein Album mit Motown! Oh Gott! Und wer sind überhaupt die Four Tops?! – Da denke ich mir: Mein Gott, was soll das werden?
Andrerseits denke ich, dass diese Songs sowieso gut sind. Vielleicht werden ein paar Songs im Radio gespielt und vielleicht sagt ein 21jähriger, der gerade Auto fährt: Oh, ich mag das. Meine Kinder, die sind neun und fünf, die mögen einige Songs sehr. Ich habe den Song Standing In The Shadows Of Love beharrlich weiter verfolgt, weil mein Sohn Nick, der jetzt neun ist, andauernd sagte, dass ich diesen Song aufnehmen müsste. Ich sagte zu ihm: Ich weiß nicht. Es wird schwierig, ihn auf die Platte zu bekommen, denn Levi Stubbs hat die Latte sehr hoch gelegt. Es ist schwer ihn zu erreichen. Aber mein Sohn sagte: Der Song muss auf die Platte. Er ist toll! – ich erwiderte: ich weiß nicht. Er kommt jedenfalls nicht auf die Platte, wenn ich ihn nicht besser singen kann. – Und er sagte bloß: Er muss auf die Platte. Papa, da musst du dich eben anstrengen! (lacht)
Songs wie Jimmy Mackund Love Is Here sind drauf, weil sie meine Kinder erreicht haben. Und sie hören sie eben als Fünf- bzw. Neunjähriger. Aber ein Song ist ein Song ist ein Song!
21: Wie sehen Sie das Musikgeschäft?
Phil: In diesem Geschäft ist es, anders als im Filmgeschäft, wo sich deine Rolle andauernd verändert und man einen 60jährigen oder 40jährigen oder auch einen 75jährigen spielen kann, da ist es so, dass man keine zweite Chance bekommt. Man denke zum Beispiel an Michael Caine. Ein paar seiner alten Filme will kein Mensch mehr sehen. Aber unsere Alben sind alle vorhanden und greifbar. Wenn du ein schlechtes Album machst, dann war es das.
„Das ist nicht mein Musikgeschäft“
22: Was hat es damit auf sich, dass Sie sich zur Ruhe setzen wollen? Können Sie sich wirklich ein Leben ohne Musik vorstellen?
Phil: Ich habe gesagt, dass ich vermutlich weiter Musik schreiben werde. Den größten Spaß macht es mir, im Studio zu arbeiten und Musik zu schreiben oder Songs wie diese aufzunehmen, wenn man so will, ein Gemälde zu malen. Die logische Konsequenz ist dann natürlich, dass man das Gemälde zum Verkauf stellt und irgendwelche Menschen es kaufen können. Ich habe nicht mehr das dringende Bedürfnis, dass jemand meine Arbeit befürwortet und gut findet. Es ist natürlich schön, wenn das geschieht.
Also in Bezug darauf, mich zur Ruhe zu setzen, muss ich sagen: Ich habe keinerlei Probleme, Musik zu schreiben und sie herauszubringen. Einige Fans oder Kritiker sind der Meinung, dass ich genug davon habe, ständig kritisiert zu werden. Nein, das stimmt nicht. Es wäre natürlich schön, wenn das nicht passieren würde. Aber ich habe keineswegs davon die Nase voll. Ich habe die Nase voll davon, dass wenn man eine Platte herausbringt, sich dein Leben für die nächsten sechs Monate komplett verändert. Für ein fertiges Bild muss man nicht durch die Gegend fahren. Man gibt es einer Galerie oder sonst wen – und das war’s. Bei einer Platte ist das anders und davon habe ich genug. Das will ich nicht mehr. Ich hatte gestern gerade wieder eine Diskussion darüber. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich mal war. Ich könnte diesen Stress körperlich bewältigen, aber ich will nicht mehr überall herumfahren und überall zu sehen sein. Ich bin nicht mehr in diesem Markt, in diesem Zirkus. Als ich die MTV-Awards-Show sah, habe ich das Musikgeschäft nicht mehr wieder erkannt. Das ist nicht mein Musikgeschäft. Es ist für andere da und es ist etwas völlig anderes geworden. Und ich habe einfach keine Lust, darin zu konkurrieren.
Fotos: Warner Music / Neal Haynes (Portrait), Sean Berry (Konzert)
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