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Phil Collins – Going Back – CD Rezension

Going Back heißt das neue Album von Phil Collins und es ist von der ersten bis zur letzten Minute eine Liebeserklärung an den Motown. Christian Gerhardts hat es angehört und seine Gedanken eingetippt.

Unerwartetes und doppeltes Comeback: Collins verwebt kommerziellen Erfolg mit einem Konzeptalbum – und stürmt weltweit die Charts. Doch was steckt in diesem Album, das ein „altes“ Album sein soll, eine Rückbesinnung, eine Hommage, eine Herzensangelegenheit …?

Es gibt mehrere Herangehensweisen an Going Back. Wer auf’s Motown-Repertoire, den Motown-Sound und Phils Stimme steht, wird mit diesem Album bestens bedient! Wer nur auf Motown steht, aber nicht auf Phil, der kann sich dazu durchringen, diesem Album eine Chance zu geben. Und wer auf Phils Stimme steht, aber nicht auf Motown, kann dies vielleicht als neue Chance sehen, sich mit der einzigartigen Geschichte von Motown, den Funk Brothers und dem Songwriter-Kollektiv zu beschäftigen. Wer natürlich weder auf Motown, noch auf Phil steht, der bräuchte hier eigentlich erst gar nicht reinschauen, geschweige irgendeinen Song des Albums anzuhören.

inlay1Der Weg war lang. Für viele war es ein Abstieg auf Raten. Ein grandioser Start gelang ihm zunächst mit den Frühwerken von Genesis und dann solo mit dem vielleicht noch grandioseren Face Value, danach verzweifelte Collins am Versuch, sein Startniveau zu halten und später daran, es noch einmal zu erreichen. Spätestens mit Testify hatte er sein Schaffen in der Einbahnstraße nah an eine Mauer gefahren. Er musste aussteigen. Er hätte aufhören können. Aber Phil Collins ging zurück – er nimmt insgesamt 29 Coverversionen verschiedener Motown-Klassiker auf. Going Back ist ein wenig auch Verlegenheit. Respekt vor großen Songs auf der einen Seite, Unlust an der Produktion eigener Songs auf der anderen Seite. Den Vorschlag zu einem Coveralbum machte sein Manager – und Collins fing Feuer. Viele der ausgewählten Songs sind eigentlich gar keine Klassiker, sondern waren teilweise Geheimtipps in Form der guten alten Single-B-Seite. Gut, Collins und Motown – das gab es ja schon mal. You Can’t Hurry Love, mit viel gutem Willen auch Two Hearts oder Loco In Acapulco – wem wippte da nicht der große Zeh in den 80ern? Aber Going Back ist anders. Es ist eine Liebeserklärung an eine Ära verpackt in einem Konzeptalbum. Und das Konzept? „Ich hab die Mona Lisa nachgemalt“ erklärt Collins. Genau das ist es. Collins versucht gar nicht erst, den Songs eine eigene Note zu geben – es sollte genauso klingen wie damals. Was lag da näher, als gleich mal ’ne illustre Runde Motown-Legenden einzuladen?

innencoverRay Monette, Bob Babbitt und Eddie Willis, Mitglieder der legendären Funk Brothers, bilden das musikalische Herz des Projekts. Die mittlerweile betagten und teilweise auch durch lange Krankheiten gezeichneten Herren ließen sich nicht zwei Mal bitten. Going Back geriet für die Funk Brothers wie auch für Collins zur emotionalen Gratwanderung. Die einen freuten sich wie die Schneekönige, dass eine Legende wie Phil Collins ihr Lebenswerk huldigt und sie mitspielen dürfen, der andere kann sein Glück nicht fassen, dass die Helden seiner Jugend auf seinem Album die Songs spielen, die er selbst früher gehört hat und die ihn prägten.

Während Konzept und musikalisches Gerüst kein Problem mehr darstellten, musste Collins sich die wichtigste aller Fragen beantworten – „kann ich das noch, kann ich überhaupt Schlagzeug spielen?“. Sein Co-Produzent Yvan Bing, der selbst Drummer ist, begleitete Phil durch einen mühsamen Prozess, bei dem sich Collins vorkam, als müsse er das Schlagzeugspielen neu erlernen. Grund ist eine Wirbelverletzung, die er sich während der Genesis Tour 2007 zuzog und die darauf hin seinen Bewegungsapparat beeinträchtigte. Bis heute hat Phil in der linken Hand wenig Gefühl und kann nicht richtig greifen. Collins biss sich durch und holte sich schließlich sogar Lob seiner Mitstreiter für seine Leistung ab.

Die Songauswahl war eine weitere Hürde. 18 Songs zählt das Album, 25 hat die Special Edition und vier weitere sind als Bonus auf der DVD enthalten. Etliche weitere Songs standen in der engeren Auswahl. 44 Songs sind am Ende auf der Liste gewesen. Bewusst entschied sich Phil gegen Gassenhauer wie Reach Out I’ll Be There und konzentrierte sich lieber auf Perlen wie In My Lonely Room. Nicht nur Songs mit Männerstimmen fanden den Weg auf die Liste, auch Songs, die seinerzeit Frauen gesungen haben, nahm Phil sich vor.

inlay3Auch was den Sound angeht hatte er klare Vorstellungen und war zu keinen Kompromissen bereit. Alt sollte das Album klingen. Wie früher. Es ist schon etwas kurios. Ihm steht die beste Studiotechnik zur Verfügung, doch Collins hält die Produktion schmal, verzerrt Gesang und Drums, um das alte Feeling zu reproduzieren. Yvan Bing hat das Album ge“lo-fied“, wie es im Booklet steht. Nicht nur der Mann am Mischpult ist neu im Team, Collins hat gleich eine ganze Reihe neuer Köpfe für sein Projekt engagiert. Die Funk Brothers wurden schon erwähnt, dazu kommen mit Ronnie Caryl, Connie Jackson und Lynne Fiddmont die einzigen „üblichen Verdächtigen“, die man noch von Collins letzter Tour kennt. Die Horn Section bilden die erstklassiken Jazz-Musiker Guy Barker, John Aram, Tom Rees-Roberts, Phil Todd und Graeme Belvins. Ein weiterer Weltklasse-Musiker ist Jason Rebello, der am Klavier Akzente setzt. Punktuell setzte er außerdem Streicher ein.

Es wäre falsch, eine Track-by-Track Einschätzung zu geben, obwohl dieses Album eine pure Sammlung potenziell großartiger Songs ist. Going Back verleitet zum skippen, zurückspringen, aussetzen, anders zusammenbauen, noch mal hören. Es ist ein verspieltes Album und danach kann sich der Hörer prima richten.

inlay2Vom ersten Song an wird klar – das ist Motown pur: Wenig Collins, viel Funk Brothers. Eigentlich ist es gar nicht so wenig Collins, denn die Musik passt zu Phil. Das verbindende Element ist Collins Faible für den kurzen Popsong – und seine Liebe für Bläser. Wer aber viele Balladen erwartet, wird nicht allzu üppig bedient. Typische Collins-Balladen gibt es ohnehin nicht, allenfalls der Titelsong passt in eine solche Kategorie. Statt dessen fetzt das Album von Song zu Song, ein bisschen ist alles doppelt und zig mal wiederholt, aber es ist kurzweilig und macht Spaß. Manche Songs, wie etwa (Love Is Like A) Heatwave, können eigentlich nicht richtig überzeugen und werden trotzdem zur Single befördert. Dagegen ziehen Stücke wie Standing In The Shadows Of Love, In My Lonely Room oder Papa Was A Rolling Stone einem förmlich die Schuhe aus. Dazu gesellt sich ein fast schon trotzig-aggressiv dargebotenes Ain’t Too Proud To Beg und das etwas hilflos wirkende Take Me In Your Arms. Hier hat man zwischenzeitlich sogar das Gefühl, der großartige Helge Schneider parodiert Collins, wie er Motown spielt. Collins versucht gar nicht erst, alles perfekt zu machen und zu korrigieren. Es klingt wie es klingt. Und wenn es komisch klingt, dann ist das eben so. Er schreit ins Mikro, die Stimme verzerrt. Prima. Wie früher. Collins hat Spaß und für die Special Edition versucht er sich auch noch an Dancing In The Street und You Keep Me Hangin‘ On. Letzteres gelingt ihm grandios, mit dem anderen hat er zu kämpfen.

Interessant auch dieses Kuriosum: You’ve Really Got A Hold On Me hatten seinerzeit die Mechanics gecovert, an Ain’t That Peculiar hat sich Peter Gabriel versucht. Auf den Punkt bringt es aber Collins. Vor allem Ain’t That Peculiar, das sonst bei Coverversionen immer total merkwürdig klingt, ist eine fast schon spektakuläre Version. Es ist selten, dass es einem Künstler gelingt, mit einem Nachbau das Original zu übertreffen. Bei diesem Song gelingt ihm es. Ansonsten kommt er oft in die Nähe, manchmal scheitert er auch oder bleibt unscharf, wie bei Some of All Your Lovin‘ oder You’ve Been Cheatin‘. Generationenübergreifend ist dann Jimmy Mack, auf dem unter anderem seine jüngsten Söhne Unterstützung bei den Stampfgeräuschen leisten.

linksAuf der Bonus-DVD überzeugt eine neue Version von Tears Of A Clown, während auf dem Standard-Album Going To A Go-Go eher im Mittelmaß versackt. Und so springt man hin und her und schnell wird klar, dass Besitzer der Special Edition besser dran sind.

In den Balladen-Momenten wird es trotzdem ernst. Collins gelingt es hier und da, einen Zauber zu erschaffen, den man ihm nicht mehr zugetraut hatte. Blame It On The Sun ist so ein Beispiel, mit Abstrichen auch Never Dreamed You’d Leave In Summer. Als Abschluss gibt es den Titelsong, der eingefleischten Collins-Fans vermutlich am besten gefällt. Es ist ein gutes Finale, aber bei weitem nicht das beste Stück des Albums. Dass Collins jedoch mit diesem Song einen emotionalen Schlusspunkt setzen wollte, kann man gut nachvollziehen.

Herausragend ist auch die Gesangsleistung. Oft wurde er für seinen Gesang in den letzten Jahren kritisiert. Aber auf Going Back singt Collins besser als auf vielen Alben, die davor veröffentlicht wurden.

Gleichzeitiger Schwachpunkt und Stärke des Albums ist die Songflut der Special Edition. 25 oder 29 Songs am Stück sind schwer zu verarbeiten, eigentlich sogar unmöglich am Stück zu hören. Aber die Auswahl ist beeindruckend, denn Collins überlasst es dem Hörer, wie man damit umgeht. Im Baukastenprinzip ist auf iPods und in MP3-Programmen ohnehin alles machbar. Und es bleiben so keine Wünsche offen, denn er hat alle (!) Songs der Session veröffentlicht.

backcoverAuf der Bonus-DVD befinden sich gleich 2 Dokumentationen, wobei eine eher ein Interview ist und die eigentliche Dokumentation mit satten 90 Minuten ausreichend Hintergrundmaterial liefert. Man erlebt eine emotionale Reise durch die Entstehung des Albums, bekommt intime Einblicke in das Herz des Collins’schen Studios in der Schweiz und sieht Phil Collins beim Kampf um seine musikalische Identität. Alleine für diese Dokumentation lohnt sich die Special Edition, die außerdem in einem ansprechend gestalteten Digipak verpackt ist. Zu den visuellen Extras kommen außerdem noch die bereits erwähnten elf Bonustracks.

Going Back hat mit Genesis so viel zu tun wie Mainz 05 mit der Champions-League.  Es hätte durchaus Charme, passt aber nicht zusammen. Wer sich also als Genesis-Fan der frühen Jahre mit Going Back beschäftigt, dem wird einiges abverlangt. Going Back ist ein Album für Freunde verspielter Musik, eingängiger 3-Minuten Songs und Fans eines Gesamtwerks, das nun vermutlich seinen Abschluss findet. Denn wenn Going Back wirklich das letzte Collins-Album ist, dann kann man Collins nur gratulieren. Der Rolling Stone überschlägt sich mit Lob, die FAZ ruft das Album zur CD des Jahres aus – Collins ist acht Jahre nach Testify plötzlich cool und bekommt eine Anerkennung, die er vielleicht seit 25 Jahren nicht mehr erfahren hat. Und dass Going Back dazu auch noch kommerziell erfolgreich ist, rundet die Sache ab. Für Collins könnte damit die Reise versöhnlich zu Ende gehen. Er wuchs mit dem Motown auf, hat den Progressive Rock geprägt, seinem Fusion-Hobby Brand X gefrönt, er prägte die 80er mit einem wuchtigen Drumsound, er erschuf mit Face Value eines der besten Alben der 80er, er hatte unzählige Hits, Grammys, sogar einen Oskar, er schauspielerte, wenn er dazu Lust hatte, er schrieb Soundtracks für Disney, später ein Musical, er erfüllte sich den Traum einer eigenen Big Band und er spielte mit unzähligen Musiklegenden zusammen. Das alles haben viele vergessen und auch für Collins spielte das keine große Rolle mehr. Er wollte zurück, diese Motown-Sachen machen und dann seine Ruhe haben. Er hätte dieses Album auch ohne seine Plattenfirma gemacht. Es ist ein gutes Album, sein bestes seit langem. So catch him if you can, he’s going back.

Autor: Christian Gerhardts

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