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Phil Collins Farewell Tour Report Europa Nordamerika 2004
2004 tourte Phil Collins im Rahmen seiner Farewell Tour in Europa und Nordamerika. Volker Warncke und Christian Gerhardts haben sich einige Shows angesehen.
Nun ist unser Phil also in einen neuen Lebensabschnitt eingetreten – die lange Zeit der letzten Tournee. Seit den Proben in Neuchatel am Genfer See Ende Mai dieses Jahres ist er wieder mit seiner bewährten Band unterwegs, und nach aktuellem Stand geht es so mindestens bis Ende nächsten Jahres weiter, natürlich mit mehreren längeren Unterbrechungen.
Wohlgemerkt, am Ende dieser Tournee wird er nicht unbedingt auch sein letztes Konzert gespielt haben, denn bei den meisten Konzerten hat er jetzt immer wieder betont, dass es zwar seine letzte Tournee, aber nicht sein letztes Konzert sei. Das passt zu seinen Äußerungen in Interviews zur Tour, in denen er auch für später einzelne Konzerte oder gar Mini-Tourneen nicht ausschließt. Die Band-Besetzung deckt sich weitgehend mit der vom letzten Mal, nur dass ja schon seit 2002 wieder Chester Thompson am Schlagzeug sitzt. Aus Krankheitsgründen war Arnold McCuller zunächst nicht dabei, sondern er stieß erst beim zweiten Paris-Konzert wieder dazu. Für ihn hat Lamont van Hook seine Sache auch sehr gut gemacht. Außerdem ist erneut Leland Sklar am Bass dabei, nachdem bei den letzten beiden großen Tourneen Nathan East den Bass spielte.
Die Bühne ist dieses Mal keinem speziellen Motto oder Thema gewidmet, es ist eine konventionelle Längsbühne am Ende der Halle oder des Stadions, die von der Größe her sowohl in die großen Hallen passt als auch in Open-Air-Settings nicht zu klein wirkt. Nur die beiden Video-Leinwände an den Seiten sind draußen sehr viel größer als in der Halle; auf ihnen wird während fast aller Stücke das aktuelle Geschehen gezeigt. Es gibt zwei Ebenen auf der Bühne, wobei die obere Ebene nur eine Art Laufsteg ist, auf dem bei einigen Songs mal die Sänger oder die Bläser stehen, und wo Phil gelegentlich drüberläuft. Auf der unteren Ebene sind, vom Publikum aus gesehen links, Chesters Drumkit, in der Mitte ist Luis Conte mit seiner Percussion, und rechts sitzt Phil, wenn er denn mal dort gebraucht wird, was leider selten genug ist. Bei In The Air Tonight schreitet Phil wie gewohnt bedächtig auf und ab, aber kurz bevor er endlich am Schlagzeug ankommen muss, ist er davon weit entfernt und man fragt sich, wie um alles in der Welt will er jetzt noch rechtzeitig da hingelangen? Aber da kommt ein zusätzliches Schlagzeug hinter der Bühne hochgefahren, hell und weiß angestrahlt und er setzt sich natürlich im richtigen Moment hin und los geht’s mit dem Klang- und Blitzgewitter. Die ganze Bühne hat einen eher kalten, metallischen Look und der Hintergrund wird komplett durch eine Art Leinwand geprägt, auf der in sehr grober Auflösung Animationen zu sehen sind, so z.B. ein Regenbogen bei True Colors, zwei sich aufeinander zu bewegende Hände bei Come With Me, Teile des guten alten Videos zu I Missed Again, oder am Ende bei Take Me Home wird der Name des jeweiligen Auftrittsortes angezeigt. Letzteres hat allerdings nicht immer so ganz geklappt, z.B. stand dort in Wien nicht etwa „Wien“ oder „Vienna“, sondern „Wein“, und in Berlin wurde ganz kurz „Stockholm“ angezeigt (wo sie am Vortag gespielt hatten), dann schnell wieder ausgeblendet, aber „Berlin“ sah man nicht; da hatte wohl der dafür Zuständige einfach vergessen, die Anzeige neu einzugeben! Bei der ersten Show in Mailand konnte man eigentlich kaum merken, dass es die erste Show war, die Band hatte ganz offensichtlich lange genug alles vorher durchgeprobt, aber Phil ist ja bekannt für seinen Hang zur professionellen Perfektion.
Wie angekündigt, wurde auf der gesamten europäischen Tournee die Setliste nur wenig variiert;
On My Way flog leider schon nach den ersten zwei Konzerten wieder raus (es wurde nur noch einmal in Lissabon bei der viertletzten Show gespielt), damit schienen sie dann erstmal das ideale Set gefunden zu haben. Nur zu besonderen Anlässen kam noch
Always als erste Zugabe hinzu, so z. B. in Stuttgart, weil es die letzte Show in Deutschland war, und in London, weil dort die ganze Familie und auch seine Mutter anwesend waren, und es laut Phil ihr absoluter Lieblingssong sei. Beim vorletzten Konzert in seiner neuen Heimat Genf konnte er
It’s Not Too Latenicht beenden, da er dabei in Tränen ausbrach – es ging ihm wohl zu nahe, da das Thema das Songs ja auch mit seiner Familie zu tun hat. Das letzte Konzert dieser Tournee fand beim renommierten Montreux-Jazz-Festival statt, und in den Tagen zuvor wurden einige bisher nicht gespielte Songs geprobt, wie z. B.
The West Side, Lady Madonna und
Inside Out, so dass man hätte denken können, sie in Montreux hören zu dürfen – stattdessen gab es genau die gleichen Songs wie bisher. Europa wurde zum Massen-Adieu, Stadien und größte Hallen waren proppevoll.
Szenenwechsel. Phil Collins in Nordamerika – das ist schon eine ganze Weile nicht mehr unbedingt das Heimspiel, welches er beispielsweise in Frankreich und Deutschland hat. Seine Popularität in Nordamerika ist nach wie vor hoch, aber der Publikumsmagnet wie zu Zeiten von
… But Seriously ist er dort nicht mehr. Dies schlägt sich in den Verkaufszahlen seiner CDs deutlicher nieder als in den Besucherzahlen seiner Konzerte. Kurz nachdem die Tour angekündigt wurde, konnten New York, Toronto, Montreal und später Philadelphia „ausverkauft“ melden, so dass in New York und Philadelphia Zusatzkonzerte angekündigt wurden. In anderen Städten waren die Hallen gut gefüllt, aber selten ausverkauft.
Die Soundchecks in Europa ließen darauf schließen, dass Phil seinen Set ändern würde. Dies passierte aber nicht in dem Stil, wie man ihn erwartet hätte. Statt eines
Inside Out oder
The West Side konnte Phil mit einem ganz anderen Song überraschen –
Misunderstanding mit fettem Bläsereinsatz fetzte ganz schön ordentlich und versetzte vor allem die Die-Hard-Fans in Hochstimmung. Der Song wurde überall gefeiert, man darf aber nicht vergessen, dass
Misunderstanding der erste wirklich große Hit für Genesis in den USA war. Der Rest des Sets blieb weitgehend identisch,
No Way Out wurde aber bald aus dem Set gekippt.
Phil’s Abschiedstour durch Nordamerika brachte ihn zurück an Orte, an denen er mit Genesis und solo große Erfolge feierte. In der Genesis-Hochburg Montreal herrscht ohnehin immer Euphorie, wenn ein Mitglied der Band dort auftritt. In Milwaukee, der Heimatstadt von Daryl Stuermer, wurde selbiger ausgiebig gefeiert, und in N.Y.C. („back in …“), im altehrwürdigen Madison Square Garden, flippten die Leute an zwei Tagen besonders aus. Auch hier streute Phil immer wieder die Hoffnung, vielleicht mit Genesis noch einmal zurückzukehren („I’ll be back, see ya“), und natürlich wurde jeder Abend ein emotionaler Kraftakt, was zum einen an der Balladenflut, zum anderen an seiner Abschiedsintention lag. Collins servierte der Masse, was sie wollte, und ließ die härteren Fans eher enttäuscht zurück. Die Show war perfekt, keine Frage, die Musiker sind durch die Bank Weltklasse, aber ein bisschen haben viele gehofft, dass er etwas Exotisches raushaut, etwa ein
You Know What I Mean oder
I Don’t Care Anymore oder eben
The West Side. Auch das
Both Sides-Album wurde komplett ausgeklammert.
Noch ist die Tour nicht zu Ende. 2005 bereits tourt Phil im „Rest der Welt“, und man wird sehen, ob er etwas mehr Abwechslung in einen Set bringen wird. Den Fans in Europa und den USA bleibt nur der Dank für seine Tourneen und zahlreichen Konzerte und die Hoffnung auf Genesis. Denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Autoren: Volker Warncke + Christian Gerhardts