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Phil Collins – Face Value (2016 Deluxe Edition 2CD) – Rezension

Face Value wurde 35 Jahre nach Erstveröffentlichung im Januar 2016 als 2CD neu aufgelegt. Wir haben diese Deluxe Edition mit Bonustracks näher betrachtet.

Hinweis: In diesem Artikel wird die Neuveröffentlichung des Albums Face Value besprochen. Eine ausführliche Rezension zum Album selbst findet ihr unter diesem Link.

Das Artwork

Wie alle Studioalben von Phil Collins wird auch Face Value mit einem aktualisierten Cover veröffentlicht, d.h. das alte Motiv wurde mit dem gealterten Phil von heute neu aufgenommen. Puristen dürfte das stören – zumal das Original-Cover überhaupt nicht mehr im Artwork integriert ist, aber letztlich ist es einen fantastische Idee – und vor allem eine mutige Idee. Nicht nur das Cover, auch die Rückseite ist neu aufgenommen – man sieht nun nicht mehr die langen Haare des Endzwanzigers, sondern die kurzen grauen Stoppeln des Mittsechzigers.

Die 2CD kommt in einem 3-Seiten-Digipak, der sehr gut aussieht und seinen Zweck erfüllt. Ein Booklet gibt es nicht, sondern ein Faltblatt, das wie bei Digipaks gewohnt in der traylosen Seite untergebracht ist. Das Faltblatt ist beidseitig bedruckt und enthält auf der Vorderseite die Lyrics des Albums und auf der Rückseite einen recht ausführlichen Begleittext von Phil Collins.

Das Remaster

Eine große Frage war, inwieweit sich der ohnehin schon fantastische Klang der CD-Erstveröffentlichung nochmals verbessern lässt. Collins hat zudem im Begleittext des Albums darauf hingewiesen, dass die Technologie vorangeschritten sei „seit dem letzten Remaster“. Da es bislang noch gar kein echtes Remaster gab, ist diese Feststellung etwas merkwürdig. Das Ergebnis sollte alle zufrieden stellen. Eine Klangoptimierung eines ohnehin schon gut klingenden Albums ist fast schon ein Wagnis, aber in diesem Fall ist es dem Team um Nick Davis gelungen, noch mal eine Schippe drauf zu legen. Technisch gesehen ist das Album nun „lauter“, ohne dass dies gravierende Auswirkungen auf die Dynamik hätte. Es hat einen im Schnitt ca. 4,5 dB lauteren Durchschnittspegel, hier gibt es aber bei den einzelnen Stücken Unterschiede.

Zwei Songs betrachten wir mal exemplarisch:

In The Air Tonight

Durchschnittspegel (dbFS): -20,66 (neu), -24,17 (alt)

Der Frequenzgang verzeichnet eine Anhebung der Bässe ab etwa 130 Hz abwärts um maximal ca. 2,3 dB (bei 60 Hz), ebenso sind die oberen Mitten und Höhen ab ca. 1 kHz angehoben, bei 10 kHz um etwa 3 dB. Tiefbässe unterhalb von ca. 25 Hz wurden stark abgesenkt. Diese moderaten Veränderungen hört man deutlich, auch bei angeglichener Gesamtlautstärke. Insbesondere die nun kräftigeren Höhen bringen einen subjektiv deutlich vernehmbaren Zugewinn an „Frische“ und „Transparenz“.

The Roof Is Leaking

Durchschnittspegel (dBFS): -21,67 (neu), -26,93 (alt)

DynamikDie Abweichungen der Frequenzverläufe betragen hier maximal 1 dB, das liegt an der Grenze zur Unhörbarkeit. Nach Angleichung der Gesamtlautstärke sind auch im direkten Vergleich nur winzige Unterschiede vernehmbar.

Insgesamt wirkt die neue Version frischer und stellenweise ausdifferenzierter. Der ohnehin gute Klang ist nochmals etwas deutlicher auf den Punkt. Manche Songs, wie Droned und Hand In Hand, muss man einfach laut hören. Und auch You Know What I Mean oder If Leaving Me Is Easy wirken verbessert. Am Ende von Tomorrow Never Knows hört man nun die Over The Rainbow-Passage wesentlich besser. Verschlechterungen gibt es jedenfalls keine, die hörbar sind.

Für Technik-Freunde haben wir aber auch Messungen durchgeführt – und vergleichen die Dynamik der Original-CD, des so genannten „Hoffman“-Remaster (24 Karat Gold CD) und der neuen Version. Klickt dafür einfach auf das Bild rechts.

Die Bonustracks

Eine Menge wurde im Vorfeld diskutiert über Umfang und Auswahl der Bonustracks. Fest steht, dass die Auswahl eigenwillig ist und man hier deutlich unter den Möglichkeiten geblieben ist. Von einer kompletten Kollektion B-Seiten, Outtakes oder Live-Aufnahmen ist man meilenweit entfernt. Auch eine von vielen Fans gewünschte 5.1 Surround-Version gibt es nicht. Statt dessen hat auch Face Value eine Reihe von Phil Collins selbst handverlesener Bonustracks, deren Mehrwert für Fans, aber auch deren Audioqualität, sehr unterschiedlich ist. Ein Ärgernis ist, dass keine Angaben gemacht werden, bei welchen Shows die Live-Tracks aufgenommen wurden. Wir denken aber, dass wir es trotzdem herausgefunden haben.

Misunderstanding (live)

Auf den ersten Blick wird es etwas merkwürdig, einen Genesis-Song im Bonus-Material eines Collins-Albums zu finden. Misunderstanding jedoch war eines der Stücke, das Phil Collins ursprünglich für Face Value schrieb, am Ende aber auf dem Genesis-Album Duke landete. Erst 2004 nahm Collins das Stück im Rahmen der First Final Farewell Tour in seinen Live-Set und so können wir zumindest sagen, dass die Aufnahme aus Nordamerika 2004 ist. Vermutlich wurde es am 31.08.2004 in Los Angeles aufgenommen. Die Aufnahme hat einen ordentlichen Klang.

If Leaving Me Is Easy (live)

Face Value CoversHier ist es deutlich schwerer, den Aufnahmeort zu bestimmen. Phil selbst äußerte sich in einem Interview dazu, dass es auf der ersten Solotour gespielt wurde, wir gehen aber davon aus, dass es am 13.08.1985 in Melbourne aufgenommen wurde, also auf der No Jacket Required Tour. UPDATE: Die vorliegende Version stammt von 1982 – aufgenommen im Berkeley Community Theatre am 16.12.1982. Die Version selbst ist genauso intensiv wie berührend, eine raue, eher unbearbeitete Live-Aufnahme, deren klangliches Potenzial höchstwahrscheinlich nicht ausgereizt wurde. Vielmehr hat man den Verdacht, dass wenig Augenmerk darauf gelegt wurde, welche vorhandene Version die klanglich beste (oder eine der besseren) ist.

In The Air Tonight (live)

Hand In Hand (live)

Beide Songs wurde in Paris 1997 aufgenommen – am 08.12., dem gleichen Tag, an dem auch der Live-Mitschnitt Live And Loose In Paris entstand. Möglicherweise hätten für beide Tracks bessere Konzerte zur Wahl gestanden, auch von anderen Tourneen, aber an sich gibt es wenig zu meckern. Beide Songs wurden auf der 1997er Tournee intensiv dargeboten und waren absolute Highlights des Sets.

Behind The Lines (live)

Diese etwas merkwürdig klingende Version wurde am 29.05.1985 in Dallas aufgenommen. An gleicher Stelle wurde auch der Konzertfilm der Tour erstellt und somit ist es etwas unverständlich, warum diese Version eine vergleichsweise schlechte Qualität hat, die gab es schon auf Bootlegs deutlich besser. Die vorliegende Aufnahme klingt nicht nur schlecht, sie ist auch noch mono! Außerdem wäre unter Umständen eine Version der Both Sides Tour (oder der Proben der Tour) interessanter gewesen. Schade.

Roof Is Leaking (demo)

Collins warnt die Hörer gleich, dass die Qualität nicht so gut ist, da dieses Demo auf einer normalen Kassette aufgenommen wurde. Er spricht auch eher von einer „frühen Version“ als von einem Demo. Das
Feeling ist komplett anders und durch Eric Claptons Beitrag bekommt der Song eine ganz andere Note. Natürlich ist die Qualität nicht optimal, aber dieses Demo in dieser Version ist ein absolutes Juwel auf dieser 2CD.

I Missed Again (live)

Eine saubere Live-Version der zweiten Single des Albums. Aufgenommen wurde diese Version definitiv am 16.06.2004 in Paris und ist somit auch keine echte Überraschung – in Paris wurde seinerzeit auch die Live-DVD zur First Final Farewell Tour mitgeschnitten. Auch hier stellt sich die Frage, warum man nicht eine Version der potenziell interessanteren Both Sides Tour gewählt hat.

And So To F (live)

Dieses ursprünglich vom Brand X-Album Product stammende quasi-Instrumental wurde auf Phils erster Solo-Tour aufgenommen – am 19.12.1982 im Perkin’s Palace Pasadena (USA), wo seinerzeit auch der erste Collins Video-Live-Mitschnitt gefilmt wurde. Das Stück war schon auf mehreren Bootlegs im Umlauf und vor allem auch als B-Seite der Maxi-Single Don’t Let Him Steal Your Heart Away. Musikalisch ist And So To F allererste Sahne und zeigt den Schlagzeuger Phil Collins auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten. Schade, dass dieses Stück auf späteren Tourneen keine Rolle mehr spielte – um so besser, dass es hier nun eine
erste echte CD-Veröffentlichung davon gibt. Das erste Highlight – auch wenn es mit Face Value an sich nichts zu tun hat.

This Must be Love (demo)

Das Scheidungsalbum Face Value hat auch einen hoffnungsvollen Song. Phil war seinerzeit schon mit seiner 2. Frau Jill zusammen und This Must Be Love ist seine Liebeserklärung an sie. Das Demo muss natürlich noch ohne Alphono Johnsons kongenialen Bass-Loop auskommen, dafür hat es relativ finale Lyrics. Ein weiteres schönes Zeitdokument.

Please Don’t Ask (demo)

Misunderstanding (demo)

Against All Odds (demo)

Alle drei Songs spielten in den Jahren eine größere Rolle in Collins‘ Karriere. Misunderstanding und Please Don’t Ask waren Songs, die er im Rahmen der Sessions zu Face Value schrieb, schließlich aber von Genesis aufgenommen wurden. In der Classic Album Dokumentation zu Face Valuegibt es eine Passage, in der Phil Collins Please Don’t Ask am Klavier spielt und schließlich mit den Tränen kämpft. Man muss nicht besonders sensibel sein, um den Stellenwert dieses Songs für Collins zu erkennen. Das Demo ist schließlich die erwartete rohe Version, eine Skizze mit bescheidenem Klang, der aber bei den Demos grundsätzlich verschmerzbar ist. Against All Odds hieß zu Zeiten von Face Value noch How Can You Sit There und hatte gar keinen Text. Erst später stellte Collins den Song fertig, als er einen Song zum Film Against All Odds beisteuern sollte (auf dem interessanterweise auch Beiträge von Peter Gabriel und Mike Rutherford zu hören sind). Against All Odds wurde zum Welthit – das kann man auf diesem Demo nicht mal ahnen.

Bewertung des Bonusmaterials

Handverlesen sollten sie sein – die Tracks der Bonus-CD. Zunächst muss die Frage gestellt werden, warum man sich nicht für zwei verschiedene Versionen dieser Wiederveröffentlichung entschieden hat. Immer wieder war von 5.1 Surround Abmischungen die Rede, dazu ist das Archiv von Phil Collins alles andere als karg. Es bot sich an, für die Fans eine Deluxe-Ausgabe mit Blu-ray inklusive 5.1 Mix, weiteren Demos, Videos, gegebenenfalls TV-Auftritten sowie einer vernünftigen Zusammenstellung verschiedener Live-Tracks des Albums zu machen. Das gab es bei anderen Künstlern auch schon. Live-Versionen von This Must Be Love, The Roof Is Leaking, Thunder And Lightning oder des grandiosen You Know What I Mean fehlen. Aufnahmen dürfte es von allen Songs geben. Dazu haben die vorliegenden Live-Versionen teils eine fast schon unverschämte Soundqualität. Es bleibt ein Rätsel, warum man im Hause Genesis einen derart niedrigen Anspruch an solche Veröffentlichungen hat.

Statt der angesprochenen Live-Tracks gibt es zwar interessante Demos, aber selbst bei den integrierten Live-Tracks Misunderstanding und And So To F muss man sich fragen, ob diese eindeutig das Konzept reflektieren, zu zeigen, „welches Leben die Album-Songs auf der Bühne entwickelt haben“. Beide waren bekanntlich nicht auf Face Value. Auch hier ist die Umsetzung inkonsequent – wobei die Hinzunahme vor allem von And So To F einen Höhepunkt markiert.

Mit den Live-Versionen von If Leaving My Is Easy, I Missed Again und Misunderstanding kann man zufrieden sein – die gab es in dieser Form noch nicht auf CD. Von Behind The Lines dagegen hätte es massig bessere Versionen gegeben.

Dazu gibt es eine Reihe von Outtakes, die einen Platz auf diesem Album verdient hätten:

Don’t Break My Heart etwa – eine frühe Version von I’m Not Moving, in der auch Elemente des Genesis-Songs Me And Virgil enthalten sind – um mal ein Beispiel zu nennen.

Dann gibt es eine Reihe von verschiedenen Versionen von In The Air Tonight – auch diese hätte man berücksichtigen können. Außerdem wurde insgesamt nur eine Stunde Platz verbraucht – knapp 20 Minuten wären also noch frei gewesen. Schade.

Wer mehr erfahren will, dem sei ein Blick in unser Special zum Download-Archiv des nicht mehr existenten Collins-Fanclubs ans Herz gelegt – hier klicken.

Gesamteindruck

Face Value besticht durch ein exzellentes Remaster. Schon die Originalveröffentlichung auf CD war exzellent und jetzt hat Nick Davis noch mal mehr herausgeholt. Gerade bei Stücken wie Droned fällt dies besonders positiv auf. Hier gilt: Laut hören! Das Bonusmaterial lässt einen zwiespältig zurück – zu wenig, merkwürdige Auswahl, zum Teil miserable Soundqualität und das nicht nur bei den Demos, die das „dürfen“, sondern vor allem bei den Live-Tracks.

Fazit: Für den „normalen“ Hörer ist die Zusammenstellung sicher eine kleine Entdeckungsreise, für den Fan ist es eher eine verpasste Chance – allerdings war die Neuauflage überfällig und am Artwork und dem Remaster an sich sowie an Teilen der Bonus-Tracks gibt es auch nichts zu meckern. Trotzdem hätte man sich durchaus etwas weiter aus dem Hemd trauen dürfen – umfangreiche Boxsets und verschiedene Versionen sind nicht ungewöhnlich.

Autor: Christian Gerhardts
mit inhaltlicher Unterstützung von Tom Morgenstern und Ivo Lange

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