- Artikel
- Lesezeit ca. 5 Minuten
Phil Collins Eternal Farewell Glosse
Phil Collins Farewell Tour wird zum ewigen Abschied. Grund genug, die Fakten aus einer etwas anderen Perspektive zu betrachten. Eine Glosse von Christian Gerhardts.
Wenn man sich etwas vornimmt, dann soll man es richtig machen. Phil Collins hat unzählige Konzerte gegeben rund um den Globus. Vor einigen Jahren dann zwang ihn ein Hörsturz zum Rückzug auf Raten.
Aber Phil wäre nicht Phil, wenn er sich nicht ordentlich verabschieden würde. Auf große und lange Tourneen hat er keine Lust mehr, daher gibt es nur noch eine. Mit doppeltem Augenzwinkern nannte er die Konzertreise
First Final Farewell Tour. Es ist die Ironie seiner eigenen Geschichte, dass ausgerechnet aus der
First Final FarewellTour nun die längste Tour seiner Karriere wird.
Ganz Genesis getrennt auf Tour
Als das Gerücht zur Abschiedstour die Runde machte – das war 2003 – da hatte Phil die Idee, in Ländern aufzutreten, in denen er bisher allenfalls ein Mal gewesen ist. Ein kalter Schlag in den Nacken seiner europäischen und amerikanischen Fans, die ihn ja nun bis auf wenige Ausnahmen seit seinem
Trip Into The Light 1997 auch nicht mehr zu Gesicht bekamen. Doch so kam es nicht. Statt Ozeanien, Australien und Südamerika wurde erst einmal eine fünfwöchige Tournee in Europa angekündigt.
The First Final Farewell, Teil 1. In seiner Live-Band kam es zu zwei gern gesehenen Comebacks – Leland Sklar am Bass und Chester Thompson an den Drums. Eine Kuriosität machte das Farewell-Spielen noch interessanter: Mike & The Mechanics würden bei den Open Air Shows als Vorband agieren. Dazu passt, dass Ray Wilson später seinem Acoustic Show-Publikum erzählte, dass er Phil gefragt hatte, ob er im Vorprogramm spielen könne. Neben Phil, den Mechanics und Ray waren auch noch Peter Gabriel, Steve Hackett und die Coverband The Musical Box nahezu parallel auf Tour. Eine groteske Situation. Nie zuvor gab es eine solche Konzertdichte für Genesis Fans. Als wollten sie alle mal vorsichtshalber Auf Wiedersehn sagen. Doch zur selben Zeit auf einer Bühne standen sie nicht. Noch nicht einmal Mike und Phil. Schade.
…but seriously: Auf Wiedersehn!
Dass Phil einst Teil von Genesis war, fällt bei seinen Europa-Shows nur dadurch auf, dass die Herren Daryl Stuermer und Chester Thompson ordentlich Genesis-Live-Geschichte in den Knochen haben. Doch die Songauswahl beschränkte sich auf einen Hitauflauf aus fast 25 Jahren Solokarriere, aufgepeppt mit eineinhalb Drumduetten. Viele Songs klangen anders als bei früheren Tourneen wieder wesentlich mehr nach den ursprünglichen Albumversionen, und die Setlist wollte Phil sehr zum Unmut seiner treuesten Fans partout nicht ändern. Neben der Streichung von
On My Way nach wenigen Shows und der Hinzunahme von
Always als Zugabe bei wenigen Shows tat sich nichts. Phil spulte seinen Hitmix professionell, zuweilen aber auch mitreißend runter. In jeder Stadt stand er auf der Bühne und sagte „es ist meine letzte Tour“ – in jeder Stadt gab es dafür Pfiffe. Und immer wieder machte Phil deutlich: „Ich meine es ernst“. Er bedankt sich jeden Abend für die Treue, auch zu Genesis Zeiten. Genesis? Ach ja, da war noch was.
Das Gummihuhn-Finale
Wenige Wochen nach der Europa-Tour spielt Phil in Nordamerika – trotz geflopptem
Testify Album – in vollen Arenen. Was die Amerikaner bekamen, war ein Hauch von Genesis.
Misunderstanding, jene Nummer, die Phil im Liebeskummer schrieb und Genesis zum endgültigen kommerziellen Durchbruch in Nordamerika verhalf – ja,
Misunderstandingwurde gespielt. Ok, es ist sein Song, aber irgendwie lief es einem kalt den Rücken runter. Man war begeistert. Und wieder sagte es Phil jeden Abend „Es ist meine letzte Tour“, wieder gab es Pfiffe, und diesmal sagte er zuweilen „Ich werde zurückkommen“. Verwirrung pur im
Land of Confusion. Teil zwei der ersten endgültigen Abschiedstournee driftet ein wenig zur Persiflage der Europa-Tour ab. Untermauert wurde das Ganze noch durch eine Postkarte im Programmheft, auf der Phil den Amerikanern quasi die Eigenheiten der Europäer näher bringt. Na ist im Prinzip auch egal, in Ft Lauderdale geht der zweite
Farewell-Abschnitt zu Ende und die Crew schmeißt bei
Sussudio statt Konfetti Gummihühner auf die Bühne. Das Gegackere um seine erste letzte Abschiedstour ging aber weiter.
Im Osten was Neues
Nach der umjubelten Nordamerika-Tour war erst einmal Ruhe im Lager, erst im Januar erhärteten sich Gerüchte, dass es erst im Oktober 2005 zur Fortsetzung kommen wird. Zunächst war die Rede von zwei weiteren Tourabschnitten, einem vor und einem nach Weihnachten. Tatsächlich wurde es aber wieder nix mit dem „Rest der Welt“, wie er es noch 2004 im
it-Interview ankündigte – diesmal war es vor allem Osteuropa, wo Konzerte angekündigt wurden. Zu Recht, hier ist Phil selten bis gar nicht gewesen. Dazu kamen konzerttechnisch eher exotische Stationen wie Tel Aviv, Beirut und Dubai – im Nahen Osten ist Phil bisher nie gewesen. Es verwunderte auch nicht, dass die Konzerte in Helsinki, Tallinn und Prag schnell ausverkauft waren. Mittlerweile gibt es in allen drei Städten Zusatzshows. Ein Land wie Polen dagegen ging leer aus.
Verrechnet? Teures Patchwork-Farewell
Wie aus dem Nichts kam dann Deutschland erneut in den
Farewell-Genuss. Gleich zwei Konzerte in der neuen LTU-Arena, gleichbedeutend mit über 100.000 Zuschauern, wurden angekündigt und zu Benefiz-Konzerten erklärt – oder war es anders herum? Ist nicht so wichtig, tatsächlich aber wurden die Ticketpreise sehr schnell zum Ärgernis. Unterm Strich 57 bis 92 EUR muss man berappen, 17 EUR davon gehen an die Little Dreams Foundation. Interessant, wie viele „Nebenkosten“ oder „grundlegende“ Kosten zwei Benefizkonzerte anlässlich des Geburtstages der Fluggesellschaft LTU in der LTU-Arena (!) kosten. Die Fans auf den britischen Inseln mussten allerdings nicht überlegen, ob sie eine Reise nach Düsseldorf oder Prag auf sich nehmen. Schließlich gab man im Collins-Camp nach und kündigte das „einzige UK-Konzert 2005“ für Glasgow an. Wenige Wochen später schob man ein weiteres (einziges ?) UK-Konzert in Glasgow hinterher. Die Irritationen gingen weiter. Nur spärlich sickerten die einzelnen Tourdaten durch, vielleicht steht im Herbst auf den T-Shirts „Patchwork Farewell Tour 2005“. Jedenfalls warteten die Fans lange auf Konzertankündigungen für die schließlich auch noch versprochenen Konzerte in Griechenland und Irland, etwas überraschend wurde mit Belfast ein weiterer UK-Gig angekündigt (Nordirland ist ja nun auch United Kingdom – hier kosten Tickets über 70 Pfund!) und auch in Dublin kann man sich freuen, dass Phil auch ihnen für viel Geld auf Wiedersehn sagt. An der Spitze dieser Skala dürfte aber Tel Aviv liegen. Für das Bloomfield Stadium kosten die Tickets für viele in etwa ein Sechstel ihres Monatsgehalts.
…bis dass der Tod uns scheidet
Viel Geld sparen können erst einmal alle Wartenden in Südamerika, Australien und Asien. Denn dort wird Phil entgegen früheren Plänen vorerst nicht auftreten. Schuld daran ist der Terminplan der Proben für das Tarzan-Musical und im nächsten Jahr hat Phil private Verpflichtungen durch die Einschulung seines Sohnes Nicholas. Dies erklärte Phil höchstpersönlich in seinem Forum. Doch irgendwann will er es noch machen. Er will es versuchen.
Es ist schon eine kuriose Situation, dass ausgerechnet die Länder, die Phil ursprünglich auf seiner Abschiedstour bereisen wollte, nach drei Tourabschnitten größtenteils noch nicht bereist wurden. Rund 75 Konzerte wird er Ende 2005 gespielt haben, aber dennoch nicht fertig sein. Am Ende kann es passieren, dass Phil für sein
Farewell genauso lange braucht wie sein ehemaliger Band-Kollege Peter Gabriel für eine neue Platte: Eine Ewigkeit. Und wer weiß, vielleicht bringt diese Gemeinsamkeit auch Genesis eines Tages wieder zusammen auf die Bühne – für eine erste endgültige Abschiedstour.
Autor: Christian Gerhardts