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Phil Collins – Classic Albums: Face Value – DVD Rezension

Als das Medium DVD populärer wurde, veröffentlichte Phil Collins eine Dokumentation zur Entstehung seines Klassikers Face Value, die in der TDK-Reihe Classic Albums veröffentlicht wurde. Christian Gerhardts hat das Medium und den Inhalt getestet.

So langsam aber sicher muss man sich mit dem neuen Medium beschäftigen, das dabei ist, den Markt zu erobern. Die DVD bietet unglaubliche Komfort-Möglichkeiten in Sachen Bedienung und auch Bild- und Tonqualität. Es ist mit Sicherheit das vielversprechendste Medium zur Zeit – und erreicht jährlich 3-stellige Zuwachsraten. Auf einer DVD kann alles sein – Daten, Filme, Musik oder alles zusammen. 4,7 bis zu 17 Gigabyte Speicherkapazität erreicht eine DVD – Im Vergleich zu den maximal 700 MB einer CD ist das gewaltig. Auch im Audiobereich setzt die DVD an, neue Maßstäbe zu setzen. Die Audioauflösung einer CD (44khz) wird mit 192khz um ein Vielfaches übertroffen. Grund genug, sich einmal mehr mit DVDs zu beschäftigen.

Einen weiteren Grund liefert uns Altmeister Phil Collins, der mit zwei DVDs an den Start geht. Die erste, Live And Loose In Paris, ist relativ unspektakulär – man kennt den Inhalt schon vom bereits veröffentlichten Video. Die zweite aber,

Face Value, macht nicht nur neugierig, sondern enthält viel „unseen footage“, das besonders bei Fans sehr beliebt ist.

cover1Veröffentlicht wurde die DVD vor einigen Monaten von TDK in der Serie „Classic Albums – The Greatest Records in Rock History“. Übertrieben ist das sicher nicht, Face Value gilt nicht nur Genesis-intern als Meilenstein der Rockmusik. Die DVD dauert etwa 60 Minuten. Die Ausstattung mit Specials etc. ist eher mäßig und beschränkt sich auf eine kurze Biografie / Diskografie. Dafür können eine Vielzahl an Untertiteln eingeblendet werden (Englisch, Deutsch, Französisch, Holländisch, Italienisch und Spanisch). Anders als bei den meisten Kinoproduktionen ist das Bild im derzeit noch gängigen Standardformat 4:3. Beim Sound kann man zwischen normalem Stereo sowie Dolby Digital in der hohen 5.1 Auflösung wählen. Wie bei einer Audio-CD kann man auch bei einer DVD von Titel zu Titel springen. Die Face Value-DVD enthält außerdem ein knappes Booklet, in dem Phil Collins in drei Sprachen kurz vorgestellt wird. So weit, so gut – was hat nun diese DVD inhaltlich zu bieten?

Sie enthält sowohl sehr rare alte Aufnahmen von 1979/1980, als auch neues Film-Material aus dem Studio, vermutlich aus dem letzten Jahr oder von Anfang dieses Jahres. Darüber hinaus bekommen wir Live-Aufnahmen von 1982/83, 1985 und 1997 zu sehen. Es kommen etliche Größen der Rockmusik zu Wort, die seinerzeit an der Entstehung des Collins-Debuts beteiligt waren. Es beginnt – klar – mit

In The Air Tonight. Phil Collins sitzt anno 1999/2000 im Studio und erinnert sich anhand seiner Demoaufnahmen daran, dass das Klicken des Kühlschranks damals auf den Demos landete (es ist sogar vermutlich noch auf der finalen Version zu hören – bei Zeitindex 3:05). Die Geschichte von

In The Air Tonightist ja nun nichts Unbekanntes, dann schon eher die Tatsache, dass Phils Version von

Behind The Lines dadurch zustande kam, dass Genesis den Song einmal doppelt so schnell abspielten. Phil nahm ihn dann daran angelehnt in einer peppigeren Version auf. Neben Tony und Mike kommen auch Langzeit-Manager Tony Smith und Produzent Hugh Padgham zu Wort. Besonders interessant sind die Homevideo-Aufnahmen von einzelnen Recording-Sessions. Zum ersten Mal erhält man Einblick in die Arbeitsweise von Collins, die allerdings bei

Face Value einzigartig gewesen sein dürfte. Alphonso Johnson, der einst mit Chester Thompson bei Joe Zawinuls Weather Report spielte, steuerte bei I Missed Again und This Must Be Love jeweils bereichernde Bass-Loops bei – und man kann auch als Laie verstehen, wie diese entstanden. Bei

I Missed Again erinnert sich Phil wieder anhand der Demo-Tapes, wie der Song entstand. Damals sang er zunächst „I miss you babe – I really do“ – auch das Motown-mäßige Schlagzeug-Spiel führt Phil einmal vor.

cover2Einer der absoluten Höhepunkte ist Phils 1999/2000er Darbietung von

Please Don’t Ask, das seinerzeit auf

Duke landete. Phil spielt den Song am Klavier (er liest dabei den Text aus dem Duke-CD-Booklet ab!!!) und ist am Ende den Tränen nahe – auch noch 20 Jahre danach. Auch an Humor fehlt es nicht – aber wen wundert das? Tom Tom Washington ist immer zu einem Späßchen aufgelgt und Daryl Stuermer erzählt, dass Louis Satterfield damals sagte, dass Phil aussähe wie ein Bauer aus England, aber am Schlagzeug sei er genauso hip wie jeder andere. Shankar (der auch mit Peter Gabriel arbeitete) dagegen erzählt von der beeindruckenden Arbeitsweise von Collins. Er vergleicht ihn ob seiner Spontanität, Dinge einfach zu improvisieren, wenn sie nicht funktioneren, mit Frank Zappa. Shankar führt auch noch einmal seine flinke Zunge vor und improvisiert

Droned.

Tatsächlich kommt auch etwas „Das würd‘ ich heute nicht mehr so machen“ durch. Beim Hören des Rough Mix von

The Roof Is Leaking trauert Phil der Chance hinterher, den Song in dieser Form nicht veröffentlicht zu haben. Auch von diesem Song gibt es eine aktuelle Studio-Live-Version von Phil zu hören und zu sehen. Phils größter Förderer seinerzeit saß vielleicht im Chefsessel bei Atlantic Records. Ahmet Ertegun ist heute noch verzaubert von

Face Valueund für ihn war

In The Air Tonight damals das Maß aller Dinge. Außerdem erfährt man interessante Details über versteckte Fragmente auf der Platte. Am Ende von

Tomorrow Never Knows ist ein Teil von

Hand In Hand eingebaut – allerdings rückwärts abgespielt und schneller. Phil versichert, dass keine Drogen genommen wurden. Am Ende gibt es noch ein weiteres Highlight – eine nahezu komplette Live-Aufnahme von

If Leaving Me Is Easy – das wurde bisher noch nirgendwo gezeigt. Arif Mardin erzählt vorher von der Entstehung der Streicher-Arrangements. Er hat übrigens auch auf der CD

A Hot Night In Paris bei dem Stück

Pick Up The Piecesdirigiert. Die DVD endet mit der 1997er Live-Version von

In The Air Tonight.

Nicht alle Songs werden zerpflückt und sicher werden nicht alle Anekdoten erzählt. Das Fehlen eines kommentierten

You Know What I Mean fällt vielleicht am meisten auf. Aber dennoch birgt diese DVD viele ungeborgene Schätze und das macht sie ohne Untertreibung zu einer der exzellentesten Veröffentlichungen aus dem Genesis-Lager überhaupt. Nach dem Anschauen ist man beeindruckt von Phil Collins‘ Vielseitigkeit, die man über die Jahre gerne mal vergessen hatte. Und man erinnert sich, dass

Face Value eines der besten Alben ist, die je in der Genesis-Familie erschienen sind. Vielleicht haben seitdem nicht nur Genesis, sondern auch Phil Collins nichts qualitativ gleichwertiges mehr aufgenommen.

Die DVD ist uneingeschränkt empfehlenswert und ein Muss für jeden Fan. Dem Genuß steht dann nur die Anschaffung eines DVD-Players „im Wege“. Im nächsten Jahr soll es angeblich ja eine Genesis-DVD geben – ein Grund mehr, über die Anschaffung nachzudenken!

Autor: Christian Gerhardts