- Artikel
- Lesezeit ca. 9 Minuten
Phil Collins – …But Seriously (2016 Deluxe Edition 2CD) – Rezension
Auch eines seiner erfolgreichsten Alben, …But Seriously, wurde 2016 im Rahmen der Wiederveröffentlichungskampagne neu aufgelegt. Welche Vorzüge das hat und welche Kritikpunkte es gibt, erläutert Ulrich Klemt.
Hinweis: In diesem Artikel wird die Neuveröffentlichung des Albums …But Seriously besprochen. Eine ausführliche Rezension zum Album selbst findet ihr unter diesem Link.
Artwork
Wie bereits gewohnt ist das Coverfoto eine heutige Kopie des ursprünglichen Bildes. Dieses Foto ist allerdings das bislang schwächste. Phil sieht ernst aus – soweit passt es. Aber er wirkt mehr als nur alt, sein Gesicht sieht hier eingefallen und fast schon krank aus. Man hätte sicher eine etwas vorteilhaftere Aufnahme nehmen können, ohne dabei auf einen ernsten Gesichtsausdruck verzichten zu müssen. Der Rest (Layout und Booklet) ist wie bei den bisherigen Neuauflagen an das Originalalbum angelehnt.
Das Remaster
Eine Verbesserung ist hörbar, allerdings ist es nicht der große Aha-Effekt der ersten drei Soloalben. Insgesamt klingt das Album aber etwas klarer und aufpoliert. Allerdings sollte man das mit Vorsicht genießen. Wie bei allen anderen Remastern (außer Both Sides) wurde vor allem an der Lautstärke gedreht. Deswegen klingen die Songs auch knalliger, aber gleichzeitig wurde mal mehr, mal weniger die Dynamik beschnitten.
Bei …But Seriously muss man leider sagen, dass die Dynamik regelrecht kastriert wurde. Das ist kein Leckerbissen für audiophile Feinschmecker. Die Tabelle (siehe Bild) zeigt einen hohen Dynamic Range Wert der WEA Erstpressung (Germany) von 1989. 14 ist ein durchaus guter Wert für ein Album von 1989 und er liegt damit im oberen Drittel der Wertetabelle bei LoudnessWar. Seine anderen Alben der Achtziger hatte einen ähnlichen Wert. Die neue Version rutscht satte 5 Punkte ab und steht nur noch bei 9. Ein Song wie I Wish It Would Rain Down, in der Erstpressung noch mit einem DR-Wert von 13, hat nur noch schwache 7. In der Konsequenz heißt das: keine leise/laut-Nuancen mehr, sondern nur noch knallig und laut. Vergleicht man das neue Remaster mit dem High Fidelity Gold Disc Remaster von Steve Hoffmann (2012), wird das Ganze noch deutlicher: Hoffmann ist es seinerzeit gelungen, ein praktisch dynamik-neutrales Remaster zu erstellen. Und dies ist um Längen besser als die 2016er Version. Der Eindruck verfestigt sich mit …But Seriously, das den Remastern keine entscheidende Sorgfalt beigemessen wurde. Vielmehr klingt nun das meiste lauter und für die MP3-Hörergeneration angepasst.
Die Bonustracks – „Extra Seriously“
Hang In Long Enough (live)
Einer der Live-Dauerbrenner seit 1990 eröffnet die Bonus-CD. Die Aufnahme stammt aus Paris 1997 von der Live And Loose In Paris-DVD. Die Soundqualität ist sehr gut. Der Song hat sich live über die Jahre nicht so drastisch verändert wie andere. Daher konnte man hier aus einem reichen Fundus an Live-Versionen wählen, die sich sicherlich irgendwie ähneln. Jede andere wäre hier auch gut gewesen. Da dieser Song auf Serious Hits… Live! fehlt, ist die Auswahl aber nachvollziehbar und richtig.
Something Happened On The Way To Heaven (live)
Auch wenn es nahtlos weitergeht, machen wir einen Zeitsprung ins Jahr 2004, bleiben aber im Palais Omnisport in Paris-Bercy. Der Song wurde bei der First Final Farewell-Tour nach dem Drum-Trio als Opener gespielt. Ein energiegeladener Auftakt, der das Publikum direkt auf Betriebstemperatur bringt. Leider fehlt hier das Drum-Intro. Aber das wäre aufgrund der Länge und des fehlenden direkten Bezugs zu …But Seriously etwas zu viel des Guten gewesen. Hier auf eine Live-Version dieses Liedes zu verzichten, wäre angesichts der bereits auf Serious Hits… Live! verfügbaren sehr guten Version von 1990 zu verschmerzen gewesen. Es hätte Platz für andere Live-Songs gelassen. Aber dazu später mehr.
Colours (live)
Wie bereits bei der Bonus-CD zu No Jacket Required hat man sich bei der Seriously Live in Berlin-DVD von der Waldbühne 1990 bedient. Und wie bereits dort völlig zu Recht. Eine grandiose Live-Version von Collins‘ einzigem echten „Long-Song“ inklusive abschließendem Drum-Duett Collins/Thompson. Ein echtes Highlight. Die Soundqualität ist exzellent.
Saturday Night and Sunday Morning (live)
Auch hier stammt die Aufnahme aus Berlin 1990. Und auch dieses Stück ist eine echte Perle. Schade, dass es so kurz ist. Es wäre eine Schande gewesen, dieses Instrumental-Kleinod nicht auf die Extras zu packen – gleiches gilt für Colours.
Always (live)
Die Berücksichtigung dieses Coversongs macht ein wenig ratlos. Ja, es ist ein wunderschöner Song, den Phil sehr gefühlvoll interpretiert. Ja, es ist das oder zumindest eines der Lieblingslieder seiner inzwischen verstorbenen Mutter. Ja, es wurde live erstmals auf der Serious-Tour 1990 gespielt und hat damit einen wenn auch etwas weitläufigen Bezug zum Album.
Aber: genau diese Version war bereits als B-Seite zur Single von Both Sides Of The Story erhältlich. Wo genau die Aufnahme 1990 entstand ist leider unbekannt. Für Serious Hits… Live! wurden über die Tour verteilt diverse Shows aufgenommen (mutmaßlich u. a. Paris, Chicago und Uniondale). Berlin ist es definitiv nicht. Eine weitere Live-Version vom Montreux Jazz Festival gab es als B-Seite zu The Same Moon. Außerdem war eine Live-Version Bestandteil des Love Songs-Samplers.
Warum hier also dieser Song gewählt und andere Live-Versionen (z. B. Heat On The Street, All Of My Life) fehlen, ist unerklärlich. Da kann Always an sich noch so schön sein.
Find A Way To My Heart (live)
Den Abschluss dieses kurzen Livekonzerts macht ein ganz toller Live-Song, der von 1990 bis 1997 auf allen Touren gespielt wurde. Entschieden hat man sich hier schließlich für die jüngste Version von 1997. Deutlich zu erkennen ist das allein schon an den Percussion-Elementen von Luis Conte, die es vorher 1990 und 1994/95 nicht gab. Woher die Aufnahme genau stammt, ist unklar. Der Song wurde 1997 „back to back“ ziemlich direkt nach Take Me Down gespielt. Daher der etwas abrupte Start, der jedoch in dieser Form gut gelungen ist. Die Soundqualität ist auch hier gut, die Aufnahme wirkt jedoch etwas zu clean und fast wie eine Studioversion.
That’s How I Feel (B-Seite)
Dieser Song erschien als B-Seite zu Hang In Long Enough. Die Verwandtschaft mit anderen Songs der …But Seriously-Sessions kann er nicht leugnen. Ein stimmungsvolles Stück mit tollen Schlagzeug- und Bläser-Parts. Das Lied ist vielleicht etwas schwächer als die Albumtracks, als B-Seite aber eine der besseren. Einziges Manko ist das Fade-Out am Ende. Der Song hätte ein besseres Finale verdient gehabt.
You’ve Been In Love (That Little Bit Too Long) (B-Seite)
Die B-Seite zu I Wish It Would Rain Down wirkt teilweise wie eine Hommage an die Motown-Zeit. Hier sind Phils musikalische Einflüsse und Wurzeln deutlich spürbar. Anders als That’s How I Feel ist dieser Song nicht auf den ersten Blick als Ergebnis der …But Seriously-Sessions zu erkennen. Das Stück hätte dem Album noch eine weitere Facette gegeben. Aber die Auswahl der Albumtracks war extrem erfolgreich und ist in sich total stimmig. Irgendwo muss man die Grenze ziehen.
Another Day In Paradise (Demo)
Die erste Single und der erfolgreichste Song des Albums eröffnet dieses Demo-Quintett als Abschluss der Extras. Es handelt sich um eine bislang unbekannte Demo-Version. Eine andere (Homeless) erschien damals neben You’ve Been In Love (That Little Bit Too Long) als B-Seite zu I Wish It Would Rain Down.
Gegenüber Homeless ist diese Demo aber schon deutlich weiter entwickelt und weitgehend fertig. Der Text ist bis auf eine kurze Passage vollständig und stimmt mit der finalen Version überein. Interessant sind vor allem Intro und Outro mit den Motorengeräuschen und quietschenden Reifen. Das gab es so weder bei Homeless noch auf der endgültigen Albumversion. Auch der Keyboardpart zum Abschluss wurde in dieser Form nicht in die Endversion übernommen. Eine gute Wahl, diese Demo-Version aus den Archiven zu holen und eine positive Überraschung. Beim reinen Lesen der Tracklist bei der Ankündigung dieses Remasters hatten vermutlich nicht wenige mit Homeless gerechnet.
That’s Just The Way It Is (Demo)
Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine bislang unbekannte Demo-Version. Musikalisch ist die Demo- mit der Album-Version so gut wie identisch. Allerdings ist der Text bis auf den Refrain noch unfertig und wird durch den für Collins üblichen unverständlichen Demo-Gesang ersetzt.
I Wish It Would Rain Down (Demo)
Diese Demo war bereits auf Do You Remember?– bzw. Something Happened On The Way To Heaven-Single erhältlich. Der Text ist noch relativ lückenhaft und der Song hört sich insgesamt noch sehr roh an. Eine Abweichung gegenüber der schon bekannten Demo-Version gibt es allerdings: hier läuft die Demo langsamer, was die längere Trackdauer erklärt. Hier kann nur gemutmaßt werden, dass beim Überspielen der Bänder solche „Kleinigkeiten“ keine Rolle spielten und nicht kontrolliert wurden.
Hang In Long Enough (Demo)
Hang In Long Enough ist der einzige Song, der bei den Extras doppelt berücksichtigt wird. Diese Demo ist wieder eine bislang unveröffentlichte und offenbart eine sehr interessante Version dieses Liedes. Das ganze klingt eher wir ein Überbleibsel der No Jacket Required-Sessions und erinnert in seiner Art mit den eingängigen Beats entfernt an die Demo von Only You Know And I Know von den No Jacket Required-Extras. Der Text ist bis auf den reinen Refrain unverständlich und unfertig. In dieser Version wirkt der Song wie ein echtes Relikt der 1980er-Jahre, was man von …But Seriously ansonsten nicht behaupten kann.
Do You Remember? (Demo)
Diese Demo ist bereits unter dem Titel Lionel auf der Something Happened On The Way To Heaven-Single erhältlich. Das Lied ist bis auf den fast komplett unverständlichen Text sehr weit entwickelt. Interessanterweise ist hier allerdings anders als bei den vorherigen Demos nicht einmal der Refrain erkennbar. Phil singt hier etwas wie „Didn’t You?“. Was das Tempo der Demo angeht, wurde hier wie bereits bei I Wish It Would Rain Down verfahren. Auch hier erschließt sich keine sinnvollere Erklärung als die bereits beschriebene.
Bewertung des Bonusmaterials
Die Mischung stimmt. Es gibt sechs Live-Versionen und fünf Demo-Tracks. Dazu wurden zwei der bekannten B-Seiten ausgesucht.
Doch bereits hier merkt man, dass diese Bonus-CD Licht und Schatten enthält. Auffällig ist nämlich, was alles fehlt und hätte darauf sein können: das beginnt mit dem B-Seiten-Instrumentalstück Around The World In 80 Presets (von der Hang In Long Enough-Single), geht weiter mit dem wunderbaren Elton John-Cover Burn Down The Mission vom Two Rooms-Sampler und es endet mit Live-Versionen von Heat On The Street, All Of My Life, I Wish It Would Rain Down und That’s Just The Way It Is.
Hätte für diese Stücke der Platz nicht ausgereicht, wären genügend Streichkandidaten vorhanden gewesen, die bereits offiziell in anderer Form veröffentlicht wurden (z. B. die oben erwähnten Demos oder Always).
Aber es gibt auch erfreuliches, das man hierbei leicht übersieht. Es wurde auf weitere Live-Versionen von Songs wie Another Day In Paradise oder Do You Remember? verzichtet. Gleiches gilt für die bekannten und offiziell verfügbaren Demos Homeless (Another Day In Paradise) und Broadway Chorus (Something Happened On The Way To Heaven).
Es hätte also deutlich mehr hinlänglich bekanntes Material erscheinen können. Dieser Umstand tröstet jedoch nicht darüber hinweg, dass wirklich tolle und teilweise offensichtliche Optionen ignoriert wurden. Ganz zu schweigen von völlig unbekannten Sachen, die womöglich in den Archiven schlummern – und das nun womöglich bis zum „Sankt-Nimmerleins-Tag“. Zudem sind die längeren Tracklaufzeiten der Demos ein weiteres Ärgernis.
Fazit
Ein so erfolgreiches Album wie …But Seriously kann man nur schwer besser machen. Das ist im Rahmen der Möglichkeiten sicher gelungen. Die Extras sind schön zusammengestellt und bilden einen stimmigen Ablauf. Allerdings wurde zu Gunsten von bekanntem Material, das viele Fans bereits besitzen, auf seltenere Stücke (oder z. B. auch Unplugged-Versionen) verzichtet. Das hätte die Extras aufgewertet und im Hinblick auf die B-Seiten sogar komplettiert. Die Freude über ausgegrabene Kostbarkeiten wird hierdurch leider getrübt. Die merkwürdigen Tracklaufzeiten der Demos deuten auf wenig Sorgfalt hin. Es bleibt wie schon bei anderen Alben der Reissue-Serie ein fader Beigeschmack. Schade.