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Phil Collins – Both Sides Tour Part 1: Live in Dortmund 1994 – Konzertbericht
Vom 15. bis 19. April 1994 gastierte Phil im Rahmen seiner Both Sides Tour in Dortmund. Alle weiteren Konzerte in Deutschland waren für den zweiten Tourabschnitt im Herbst vorgesehen, so dass diesen Dortmund-Shows eine besondere Stellung zukommt.
Die Bühne – vielen bekannt durch das We Wait And We Wonder-Video – ist designt wie ein Hinterhof eines Arbeiterviertels, eine triste Stahlkonstruktion (mit flackernden Großbuchstaben „HOTEL“), eine Wellblechhütte, zerbeulte Mülleimer, streunende Katzen, Holzbretter (in Wirklichkeit ist eines ein Keyboard), Zeitungen und Pappbecher, alles trägt zu diesem Image bei. Für diese Tour hat Phil seine Band fast komplett ausgewechselt, und nur noch wenige alte Bekannte sind auf der Bühne wiederzufinden:
Arnold McCuller (backing vocals),
Brad Cole (keyboards)
Daryl Stuermer (guitars).
Amy Keys ersetzt Bridgette Bryant und bildet mit Arnold die backingvocals, statt Leland Sklar findet man Nathan East am Bass (bekannt durch Eric-Clapton-Konzerte oder auch als Mitkomponist von Easy Lover), die Phenix Horns werden hervorragend durch die Vine Street Horns ersetzt (Ex-Member der Phenix Horns Harry Kim gründete sie), und last but not least ist der neue Drummer zu nennen, der mit Bravour Chester Thompsons Part übernommen hat (so leid es doch einigen tun wird, dass Chester nicht mehr dabei sein wird).
Was war der ausschlaggebende Punkt für diese zahlreichen Austausche? Phil nennt sein Album als Hauptgrund: „Both Sides war ein vollkommen anderes Album, und ich’wollte dies auch in anderen Bereichen widergespiegelt sehen“. Das Konzert ist in zwei Parts aufgeteilt, getrennt durch eine 15- bis 20-minütige Pause, wobei der erste Teil den eher ruhigeren/besinnlicheren Collins zeigt, hauptsächlich mit Songs von Both Sides (sechs Songs), also eine düstere und melancholische Hälfte, der andere Teil hingegen ist von der Beleuchtung (wieder eine Super-Lightshow mit Varilights) und auch den Liedern her der farbenfrohere; hier geht dann richtig „die Post ab“. Wer sich vor dem Konzert die Bühne einmal genau anschaut, wird sich auf den ersten Blick fragen „Wo ist das zweite Schlagzeug?“; man erblickt zwar das Drumkit von Ricky Lawson, doch das so vertraute Schlagzeug von Phil ist nicht zu sehen. Diese Frage wird spätestens dann beantwortet, wenn Phil die Bühne betreten hat. Durch die Tür der Wellblechhüttekommt Phil in gutem alten Say It’s Alright Joe-Outfit (mit Hut und langem Mantel) auf die Bühne, zieht Mantel und Hut aus und setzt sich hinter eine Ansammlung von alten Fässern, Eimern, Schläuchen und sonstigem Unrat. Dann nimmt er sich seine Drumsticks und legt los – in diesem Moment entpuppt sich dieser unscheinbare Schrotthaufen als sein Schlagzeug, oder wie er es nennt, sein „Rubbishkit“, bestechend durch seinen eigenartigen, aber doch interessanten Metallsound. Nach einem kurzen Drumsolo hört man ein zweites Trommeln, und im Scheinwerferlicht erscheint auf dem rechten Teil der Bühne eine Etage über ihm (wo später die Vine Street Horns stehen) ein dunkelhäutiger Mann mit schwarzer Sonnenbrille – Ricky Lawson. Dies ist der Start zu einem Drumduet der neueren Art – Phil an seinem Rubbishkit, Ricky auf seiner Brust und seinen Oberschenkeln trommelnd, bedingt durch Body-Triggers (elektronische Schlagzeugplättchen, die am Körperangebracht sind). Während des Applauses betritt der Rest der Band die Bühne und es geht mit zwei Klassikern weiter: I Don’t Care Anymore und Don’t Lose My Number. Dann hält Phil, wie bereits von vorherigen Touren gewohnt, in gebrochenem Deutsch eine Begrüßungs-Ansprache. Es folgen zwei Songs von der Both Sides-Platte: Everyday – mit Phil am Piano und Hunderten von brennenden Feuerzeugen und Wunderkerzen im Publikum – und Survivors. Anschließend hält Phil wiedereine: Ansprache, worin er darauf hinweist, dass auch bei dieser Tour für die Obdachlosen gesammelt wird, und bittet um eine Spende. Vor und nach der Show stehen Leute von einer ansässigen Obdachlosenhilfsorganisation (Dortmund: Caritas) mit Eimern im Vorraum und sammeln Geld, und während des folgenden Liedes gehen sie auch durchs Publikum; es ist allen klar, welches Lied als nächstes gespielt wird: Another Day In Paradise. Phil singt zusammen mit Arnold McCulier und Amy Keys an einem alten Fass, in dem ein Feuer brennt – wie es von Obdachlosen oft zum Aufwärmen benutzt wird. Im Anschluss daran geht es mit Can’t Find My Way, einem der neuen Songs weiter. Es folgt I Wish It Would Rain Down, das jedoch nur bei dem Freitag- und Samstag-Konzert gespielt wurde, am Montag wurde es ersatzlos gestrichen (die Gründe dazu später!), und am Dienstag wurde es durch Do You Remember? ersetzt. Dann ist es wieder Zeit für die Wunderkerzen und Feuerzeuge: One More Night und A Groovy Kind Of Love sind angesagt. Es folgt Phils aktuelle Singleauskopplung We Wait And We Wonder, mit Phil leider nicht am Dudelsack, sondern an eine einzelnen Trommel neben Rickys Drums. Zusammen mit Andrew Woolfork – dem Saxophonisten (der hier das Tambourin übernimmt) marschiert er in den Gesangspausen des Stücks auf der Stelle im Militärschritt und trommelt dazu. Für viele unerwartet kommt dann das langsamste und getragenste Stück von Both Sides
Im Anschluss daran singt Phil mit Amy Keys im Duett den Song Find A Way To My Heart, und sie besticht nicht nur durch ihre Schönheit, sondern auch durch ihre brilliante Stimme.
Nach It Don’t Matter To Mefolgt ein Leckerbissen für alle Face Value-Fans, denn im Gegensatz zu den beiden vorherigen Tourneen, wo Phil von dieser Platte nur In The Air Tonightspielte, geht er nun zurück zu seinen Wurzeln; mit I Missed Again und Behind The Linesin teilweise absolut neuem Sound-Outfit versetzt er das Publikum in die alten Zeiten zurück. Leider spielte er die drei letztgenannten Songs beim Dienstag-Konzert nicht (Gründe wie gesagt später!). Als nächstes wird Easy Lover gespielt; wie bereits bei der 90er-Tour singt Arnold McCuller zusammen mit Phil dieses Lied, doch wer singt die zweite Stimme neben Phil, da doch der zweite männliche Vocalist Fred White diesmal nicht dabei ist?!? Der Bassist Nathan East übernimmt diesen Part. Er singt zwar während des Konzertes schon mit Amy und Arnold die backing vocals, doch darf man verblüfft sein, mit welch toller Stimme er dieses Stück meistert. Bevor es zur Vorstellung der Band kommt, werden noch Only You Know And I Know und Something Happened On The Way To Heavengespielt. Am Ende der Vorstellung werden obligatorisch schwarze Sonnenbrillen aufgesetzt, es kann also nur You Can’t Hurry Love folgen: Genau wie bei der 90er-Tour werden dann vor der Zugabe Two Hearts und der Abräumer Sussudio gespielt. Bei Sussudio geht anfangs ein Konfetti- und Luftschlangenregen auf die ersten Reihen des Publikums und die Band hernieder, ein tolles, buntes Spektakel für das Publikum, doch manchmal ein Hindernis für die Bandmitglieder, denn Phil verheddert sich manchmal in den Luftschlangen, und für Daryl und Nathan ist es auch nicht ganz einfach mit Luftschlangen zwischen Fingern und Instrument zu spielen, bis ein hilfreicher Techniker ihnen Bass und Gitarre befreit hat. Nach zwei bis drei Minuten tosenden Applauses kommt Phil zurück auf die Bühne. Als erste Zugabe singt er seinen Lieblingssong, von dem er sagt, dass es schade sei, dass er ihn nicht selbst geschrieben hat: Helpless Heart von Paul Brady. Diesen und den folgenden Song Against All Odds spielte Phil nur am Freitag und Samstag, Montag und Dienstag wurden beide Lieder ersatzlos gestrichen. Niemals fehlen darf jedoch der Traditions-Abschlusssong Take Me Home.
Zum Ende des Liedes verlassen nach und nach die Bandmitglieder die Bühne durch die Tür der Wellblechhütte. Letztendlich bleibt Phil alleine auf dem vorderen Teil der Bühne sitzen und singt zusammen mit dem Publikum die letzten Zeilen des Stückes. Dann setzt er seinen Hut wieder auf, hängt sich den Mantel über den Arm und verlässt auch durch die Tür die Bühne. Sekunden später kommt er nochmals heraus, legt den Lichthebel außen an der Hütte um, das gesamte Bühnenlicht erlischt, und die Hallenlichter gehen wieder an – Phil verschwindet im Dunkeln durch die Tür. Eine Spitzenshow ist zu Ende.
Nun die Erklärung für die Streichung einiger Songs: Bereits vor dem Montag-Konzert hatte Phil Halsschmerzen und wollte seine Stimme schonen und ließ so einige Lieder aus. Am Dienstag war es überhaupt fraglich, ob das Konzert nicht vielleicht doch abgesagt werden sollte, denn Phil hatte sich inzwischen eine richtige Erkältung zugezogen. So wurden nicht nur einige Stücke gestrichen, sondern viele Stücke etwas tiefer gesungen oder Parts vom Publikum oder backing vocals übernommen, um Phils Stimme nicht zu sehr zu strapazieren. In den Gesangspausen konnte man am Husten auch merken, dass es Phil nicht sonderlich gut ging.
Man kann nur hoffen, dass er diese Stimmprobleme bei den Konzerten im September nicht bekommt. Trotz dieses sehr positiven Berichtes gibt es auch „negative“ Dinge zu berichten. Zum einen war der Sound die ersten beiden Tage nicht unbedingt hundertprozentig, Phils Stimme klirrte teilweise, und manche im Publikum konnten es nur mit Watte in den Ohren aushalten – aufgrund der Lautstärke. Zum anderen ließ die Stimmung in den ersten Reihen des Innenraumes die ersten beiden Tage zu wünschen übrig, denn in den ersten saßen viele VIPs, die es anfangs nicht einsehen wollten, bei den Songs aufzustehen und mitzugehen. Die „wahren“ Fans, die nun oft nicht in den ersten Reihen zu finden waren, hatten hingegen nicht die Möglichkeit – bis auf einige Songs am Ende des Konzerts – nach vorne an die Bühne zu stürmen, denn die Ordner erfüllten ihren Dienst ziemlich genau. Der Negativfaktor aber war garantiert die Bestuhlung des Innenraums. ohne die Stühle wäre sicher sehr schnell eine riesige Partystimmung vor der Bühne aufgekommen.
Doch ein Gutes hatten die VIPs in den ersten Reihen doch: Die meisten dieser VIPs hatten ein Platinum Ticket gekauft (650 DM, der Erlös ging an Obdachlosen-Hilfsorganisationen), die sie unter anderem berechtigten, am Soundcheck teilzunehmen und in der ersten Reihe zu sitzen.
Fazit: An den Phil Collins-Konzerten werden sich sicher wieder die Geister scheiden, wie bereits am Album Both Sides. Doch jedem das Seine…
Autor: C.M.