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Peter Gabriel – In Concert 1978/79 – Tourbericht

Keine Illusion mehr, sondern Nachvollziehbarkeit und Nähe – Peter Gabriel entwickelt sich auf seiner zweiten Solo-Tour als Musiker und Künstler weiter.

Nach seinem zweiten Album – wieder schlicht Peter Gabriel benannt (aber auch als Scratch bekannt) – ging Peter Gabriel erneut auf Tour.


MOZO IST HIER

„ICH MÖCHTE, DASS SIE MICH KENNENLERNEN ALS EIN MENSCHLICHES WESEN. ICH MÖCHTE KEIN IMAGINÄRES WESEN, SONDERN GANZ REAL FÜR SIE SEIN.“

Wie war die zweite Tournee Peter Gabriels? Ein skurriler Anfang, merkwürdige Songthemen, rockige Songs, intensive stille Momente, ungewöhnlich naher Publikumskontakt und ein solide arbeitendes Team auf der Bühne! Den Rockpalast-Machern, im August 1978 anlässlich des Oxford-Konzertes zu einer Vorbesprechung nach England gereist, erzählte Peter Gabriel, er wolle den Auftritt einer Rockband durchschaubar machen. Keine Illusionen und Stilisierung mehr, sondern Nachvollziehbarkeit und Nähe. Doch macht Euch selbst ein Bild.

Let the show begin…

Das Battersea-Park-Festival im September 1978 war ein reines Punk-Festival. Headliner waren die Stranglers, und bei einem der Acts wurde die Bühne von barbusig tanzenden Mädchen gestürmt … Doch die graffitiverzierte Kulissenmauer, die als Bühnenhintergrund diente, wies nicht umsonst auch die Schriftzüge „Rael“ und „D. I. Y.“ auf. Das versammelte Punkpublikum staunte nicht schlecht, als nicht nur Peter Gabriel, in ihren Augen der Inbegriff des Establishments, die Bühne betrat, sondern er tat es auch noch in einer höchst seltsamen Weise. Bekleidet mit weißem Shirt und weißer Hose, orangefarbener Straßenarbeiter-Leuchtweste und Arbeitshandschuhen, schleppte er an einer Kette einen mannshohen Spielzeugpandabären auf dem Rücken, den er für dieses Festival extra mit Ketten und Sicherheitsnadeln verziert hatte.

Peter Gabriel was the first of the day to get the audience off its collective ass

Peter selbst sah dem Teddy nicht unähnlich, denn sein im Mai/Juni kahl geschorener Kopf wies gerade erst wieder die erste Mecki-Frisur auf. Passenderweise begann er dann auch den Set mit dem Song Me And My Teddy Bear (ein Gemisch aus dem von Coots/ Winters geschriebenen alten Kinderlied und einem eigenen Stück von Peter: Pain In My Head). Die rockigen Songs in Peters Repertoire überzeugten selbst die Punks: „… Peter Gabriel was the first of the day to get the audience off its collective ass …„. Ein besonders glücklicher Umstand dabei war, dass Peter das am Beginn der ’78er Tournee gespielte All Day And All Of The Night für den Rest der Tour durch eine Punkversion von A Whiter Shade Of Pale ersetzt hatte.

Ein größerer Gegensatz ließ sich wohl kaum vorstellen. Da gab es diese balladeske, selbst heute noch zum Kultsong mit mysteriöser Botschaft erhobene Originalversion von Procol Harum. Und Peter ließ es sich nicht nehmen, sie dem Battersea-Publikum gegenüber völlig respektlos als „boring old farts anthem“ anzukündigen und als rauhe, laute, ultraschnelle Punkversion gewissermaßen vom Podest zu stoßen. Dass dabei eine gehörige Portion Ironie mit im Spiel war und der Song nur die Parodie eines Punksongs darstellte, dürfte dem hier versammelten Publikum allerdings entgangen sein.

Die Tourband

Doch zunächst einmal zu den allgemeinen Fakten. Am einfachsten beginnen wir wohl mit der Band, denn diese war während der Tournee weitaus einheitlicher als die gespielten Songs. Das Personal der 1978er Tournee, meist ebenfalls durchgehend in orangene Leuchtwesten gehüllt, bestand vorwiegend aus den „alten Bekannten“ der frühen und späten 1977er Tournee:

Larry Fast („Mr. Synergy“) – Synthesizer
Tony Levin – Bass & Stick
Jerry Marotta – Schlagzeug,
Sid McGinnis – Gitarren (beispielsweise auch einen zitterartigen „Gitarrentisch“)
Timmy Capello – Saxophon und Keyboards – er war der Neueinsteiger in der Band.

Nur für die im Radio übertragene New-York-Bottom-Line-Club-Show kehrte Robert Fripp als Gast in die Tourband zurück.

Eine Tour in zwei Teilen

Peter Gabriel In Concert 1978/79 Tour Poster

Obwohl Peter Gabriel von 1978 bis 1979 nur ein neu-veröffentlichtes Album betourte (Scratch), ist wohl eher die ’78er Tour als die eigentliche Gabriel-Solotournee anzusehen, während die Konzerte 1979 überwiegend Einzelereignisse, meist Kollaborationen mit anderen Künstlern, darstellten. Doch selbst für 1978 kann man diesmal keine einheitliche Setlist nennen, denn Songauswahl und Songreihenfolge waren ständig im Fluss.

Meist begann Peter alleine am Klavier mit dem bereits oben erwähnten Me And My Teddy Bear, das Peter als Zugeständnis an das jeweilige Publikum in französisch- oder deutschsprachigen Ländern in der jeweiligen Landessprache vortrug! Danach wurde als Intro häufig der Synergy-Track (Synergy war Larry Fasts Soloplattenprojekt) On Presuming To Be Modern 1 gespielt, bei dem dann erstmalig die Bandmitglieder, mit Handscheinwerfern versehen, sich Person für Person ihren Weg mitten durchs Publikum (!) auf die Bühne bahnten.

Das einzige weitere sichere Element war der Schluss der Konzerte, die fast immer mit The Lamb Lies Down On Broadway als Zugabe endeten. Passend zum Rael-Thema wurde dieser Song natürlich energiegeladen in der Lederjacke vorgeführt, häufig auch im berühmten „Mozo!“-T-Shirt. Ein kabelloses Mikrofon ermöglichte dabei, dass Peter „Mick-Jagger-mäßig“ in alle Ecken der Bühne rennen konnte, teilweise auch bis ans Publikum heran, und auf die bei einigen Konzerten benutzte (vier Meter hohe!) Leiter klettern konnte, und zwar während er sang bzw. diesen Song kraftvoll und fast schon aggressiv heraus- schmetterte!

Viele Variationen im Set und in den Darbietungen

Dies sollte übrigens das allerletzte Mal sein, dass Peter in seinen Solokonzerten Genesis-Material vortrug. Denn schon bald danach war sein eigener Songkatalog so umfangreich, dass er diesen Hinweis auf seine Vergangenheit nicht mehr nötig hatte. Zwischen diesen drei „festen Bestandteilen“ des Sets wurden an den einzelnen Konzertorten so nach und nach schließlich alle Stücke des zweiten Albums gespielt, darüber hinaus fast das gesamte erste Album (außer Excuse Me). Bemerkenswert ist auch, dass nicht nur Songauswahl und -reihenfolge ständig wechselten, auch die einzelnen Songs klangen in keinem Konzert dieser Tournee gleich, ständig wurden die Arrangements verändert.

Generell lässt sich jedoch sagen, dass Wert darauf gelegt wurde, dass sie anders als die Studioversionen klangen – energievoller, intensiver! Für Solsbury Hill beispielsweise wurde eine akustische Gitarre im Vordergrund benutzt, und die Live-Version von Mother Of Violence ist geradezu ein Ausbund an stiller Bedrohung! In diesem Zusammenhang erwähnenswert wäre, dass Peter und seine Band Mother Of Violence und Humdrum für so tourtypisch hielten, dass sie diese beiden Songs auswählten, als sie im Dezember 1978 von der französischen Fernsehsendung Chorus eingeladen wurden. Interessanterweise spielten sie diese beiden Lieder dort in sehr intensiven, fast schon „unplugged“-Minimalversionen!

Beispiel einer annähernd repräsentativen Show

Doch erst mal der Reihe nach. Es gibt zwar nicht das typische Konzert dieser Tournee, aber lasst uns am Beispiel des ersten Gigs der Tour in Oxford wenigstens ein relativ repräsentatives nennen (obwohl hier Me And My Teddy Bear nicht gespielt wurde):

On Presuming To Be Modern 1
On The Air
Moribund The Burgermeister,
Animal Magic
Flotsam And Jetsam
White Shadow
I Don’t Remember *
Home Sweet Home
D. I. Y.
A Whiter Shade Of Pale
Here Comes The Flood
Slowburn
Mother Of Violence
Solsbury Hill
Modern Love
Perspective
The Lamb Lies Down On Broadway
Down The Dolce Vita **

* mit nur dem Refrain an fertigen Texten und ansonsten nur Gabrielese
** nur bei diesem einen Konzert als zweite Zugabe zu hören!

Weitere auf dieser Tour gespielte Lieder: Der Kinks-Song All Day And All Of The Night, ein Überbleibsel der 1977er Tour, wurde nur in Pre-Whiter Shade Of Pale-Zeiten gespielt.

Unfertige, neue Songs

In den vier Nächten im Hammersmith Odeon spielte Peter abwechselnd zwei verschiedene unfertige Songs, die er beide als Nothing betitelte. Aus Teilen dieser zwei verschiedenen Nothings entwickelten sich später Not One Of Us und Family Snapshot. Nur einmal, als ein Rufer im Publikum gar zu aufdringlich nach Nothing verlangte, nannte Peter das eine Nothing aus Trotz Ba Bu Ba Bu! Ebenfalls bei einer der Hammersmith-Shows (und zwar nicht bei der „Rob & Gab“-Extravaganza – mehr davon später) wurde von Peter die Robinson/Gabriel-Nummer Bully For You vorgetragen, wahrscheinlich bereits mit dem Robinson-Text.

Exposure wurde überwiegend bei den kanadischen und amerikanischen Gigs vorgetragen. Dort gab es ebenfalls die beiden Nothings, nur dass Peter ihnen damals noch überhaupt keine Titel gegeben hatte. Das mit den Elementen von Not One Of Us wurde von Peter in der Stoneybrook University folgendermaßen angekündigt:

„Manchmal, wenn man dort unten sitzt und die Shows sieht, bekommt man den Eindruck, dass man einer sehr geübten Band zusieht, die ganz genau weiß, was sie tut. Nun, unsere Devise ist, für genau das Gegenteil von dem zu sorgen. Und darum gibt es ein paar neue Nummern, die bisher keine Worte und keine Melodie haben und ein paar offene Enden, und die spielen wir jetzt langsam ein. Dies ist eine von ihnen, und sie gibt euch die Gelegenheit, uns mal zuzuschauen, wie wir Scheiße bauen! Ich hoffe, Ihr genießt es. “

Soweit Peters damalige Bereitschaft, auch unfertige Songs vor Publikum auszuprobieren. Er sollte diese Handlungsweise noch einige Jahre lang beibehalten.

Weitere Besonderheiten

Ebenfalls in den USA betrat für die Zugabe des Long Beach-Konzerts im November 1978 Chester Thompson die Bühne, um bei The Lamb Lies Down On Broadway am Schlagzeug auszuhelfen. Chester erwiderte damit den Gastauftritt von Peter, der am 29.07.1978 bei einem Genesis-Konzert im New Yorker Madison Square Garden für die Zugabe I Know What I Like aufgetaucht war. Waiting For The Big One durfte bei den meisten Konzerten ebenfalls nicht fehlen, denn es diente Peter dazu, sich unverdrossen singend zu Fuß einen Weg weit ins Publikum hinein und wieder zurück zu bahnen.

Dabei kam es dann schon mal vor (Rockpalast), dass Peter sich hörbar mitten im Lied entschuldigte („once I was a credit to my credit card – sorry! – I spent what I hadn’t got …“), weil er jemandem auf die Füße getreten war! Dieser unerschrockene Vorstoß ins Herz des Publikums (wer sagt da noch, dass nur ein Erster-Reihe-Platz zählt?) war ein klarer Vorläufer für den „Dive“ in Peters späteren Jahren und sicher nicht weniger beeindruckend! Bei diesen „Ausflügen“ ins Publikum kam es sogar vor, dass sich Peter mit Fans zusammen fotografieren ließ – der Mann hatte wirklich die Ruhe weg! Noch vor Ende des Liedes kam Peter nach Beendigung seiner Dosis „Kitzeltherapie“ (O- Ton Peter) auf die Bühne zurück, worauf sich ein weiteres Schauspiel anschloss.

Instrumententausch

Für diesen Song hatten nämlich Tony und Jerry Bass mit Schlagzeug vertauscht, und so löste der zurückkommende Peter Tony am Schlagzeug ab – sicher eine Genugtuung für den ewigen „verhin- derten Drummer“ Pete! Zu den Höhepunkten des Knebworth-Konzertes zählten das gegenüber der Studioversion doppelt so lang gespielte Flotsam And Jetsam, ein teilweise textmäßig verändertes Slowburn, das energiegeladene D.I.Y. und auch Here Comes The Flood, welches insbesondere von Capellos wunderbarem Saxophonspiel profitierte. Das Kritikerurteil zu Gabriels Knebworth-Set lautete dann auch: „.. laid back and far out … lots of colour, excitement and music“.

Rob & Gab Christmas 1978

Heiligabend 1978 waren durch ein Versehen des Veranstalters Peter Gabriel und Tom Robinson gleichzeitig für das Hammersmith Odeon gebucht worden. Sie entschlossen sich, aus der Not eine Tugend zu machen und ein als „Rob & Gab Christmas ’78“ betiteltes gemeinsames Benefizkonzert zu geben. Die Band bestand aus Paul Jones (Manfred Mann’s Earthband), Andy Mackay (Roxy Music), Elton John und Phil Collins. Der Set war eine Mischung aus Robinson- und Gabriel-Songs sowie alten Rock ’n‘ Roll- Standards. Zwar ist uns die gesamte Setliste dieses Konzertes bekannt, erwähnen möchten wir jedoch nur die Gabriel/Robinson-Kollaborationen Bully For You und Merrily Up On High.

Interessanterweise wurde übrigens Solsbury Hill nicht von Peter, sondern von Tom Robinson gesungen (nach eigenem Bekunden „massakriert“), und die Robinson-Nummer Hold Out von Peter. Ein Kritiker soll nach Tom Robinsons Aussage geschrieben haben: „Einer singt, der andere nicht“, doch andere Kritiken waren da wohl-wollender.

Tour-Merchandise

Schnell noch zum Merchandise: Im Sommer 1978 wurden Sweatshirts mit Gabriel-Grimassen angeboten, dafür aber kein Programm. Für die Winter- 1978-Konzerte gab es ein Poster-Programm mit Livefotos vom Rockpalast-Auftritt und (wohl nur bei den Hammersmith- Konzerten) einer beigefügten Flexi-Single mit einer Liveversion von Solsbury Hill, aufgenommen im Bottom Line Club in New York am 4. Oktober 1978.

1979

Bei den Winter-’78-Shows war die Band Interview die Vorgruppe gewesen, und so verwundert es nicht, dass die Liste der 1979er Kollaborationskonzerte von einem Interview-Konzert angeführt wird, bei dem Peter Gabriel als Gast auftauchte. Peter sang Solsbury Hill und noch einen weiteren Song, bevor er mit Interviews Leadsänger, Jeff Starrs, den Wilson-Pickett-Hit 634-5789 im Duett anstimmte. Eine Woche später fand das Konzert für die Familie des bei einem Tourunfall verstorbenen Kate Bush-Lichttechnikers Bill Duffield statt, das von Kate Bush, Peter Gabriel und Steve Harley gemeinsam bestritten wurde.

Peter war dabei bei fünf Songs zu hören: Them Heavy People, The Woman With The Child In Her Eyes, I Don’t Remember, D. I. Y. und dem Beatles-Klassiker Let It Be als Zugabe. Peters Auftritt beim Glastonbury-Festival am 23. Juni 1979 war ebenfalls eine Zusammenarbeit mit sehr vielen verschiedenen Künstlern – Tom Robinson, Nona Hendryx, Steve Hillage und Alex Harvey standen gemeinsam mit Peter auf der Bühne, und jeder brachte jeweils einige seiner eigenen Lieder, weshalb wir hier nur das Robinson/Gabriel-Duett Bully For You und das von allen gemein-sam angestimmte God Save The Queen erwähnen wollen.

Tourabschluss mit Phil Collins

Der allerletzte Termin dieser Tourperiode – sowohl vom Line Up wie auch von den Songs her eine kleine Sensation – war Peters Auftritt beim Reading-Festival am 26. August 1979. Trotz der lautstarken Kampfgesänge der Whitesnake-Fans während Peters Set ging das Publikum sehr gut mit. Bemerkenswert sind die fast textlosen Urversionen von Biko und No Self Control (damals noch I Don’t Know How To Stop betitelt) inklusive einiger orgiastischer Schreie seitens von Peter sowie das tempomäßig veränderte Animal Magic und ein stark E-gitarrenlastiges Perspective.

Ein besonderer Moment war auch Mother Of Violence. Nachdem Peter mit der ersten Strophe fertig war, betrat von ihm unangekündigt Phil Collins die Bühne, was von der Menge mit einem Aufschrei des Erkennens und des Jubels quittiert wurde. Sogleich setzte Phil ein und sang die zweite Stimme – einfach unvergleichlich. Der Rest der Band war ebenfalls nur exklusiv bei diesem Ereignis zu hören: Geoff Westley (Keyboards), Joe Partridge (Gitarre), John Giblin (Bass), Preston Hayman (Percussions), David Jackson (Saxophon) und als spezieller Gast eben Phil Collins (Schlagzeug, Gesang). Muss ich noch hinzufügen, dass die Zugabe The Lamb Lies Down On Broadway mit Phil und Peter gemeinsam ebenfalls einmalig war?!

Autor: Karin Woywod
Poster image: George German
zuerst veröffentlicht in it-Magazin 20, September 1996


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