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Peter Gabriel – So – Rezension
Mit seinem fünften Soloalbum gelang Peter Gabriel 1986 der Sprung zum Superstar. So war eingängig, dabei niemals banal und brachte auf beiden Seiten des Atlantiks großen Erfolge.
Mit seinem fünften Soloalbum Sogelang Peter Gabriel der Sprung zum Superstar. Und das war nicht wirklich erstaunlich. Verblieben war die bewegende, melancholische Grundatmosphäre, die Nachdenklichkeit in den Texten, die experimentierfreudige Musik, die dichten Arrangements. Aber nie vorher (und auch nie mehr nachher) hat Gabriel dabei so klar, so einvernehmend, so elegant und damit breitenwirksam geklungen.
So war das erste Album von Peter Gabriel, das einen eigenen Titel bekam. Jedoch: ähnlich wie bei dem vierten in den USA, wurde auch hier der Name nur durch einen Aufkleber genannt – zog man ihn ab, war das Album wieder Namenlos (zumindest auf der Front). Das ist auch später bei US und UP so geblieben. Nur die CD-Ausgabe von Sohat den Titel fest aufgedruckt. Nebenbei: Ursprünglich sollte das Album „Good“ heißen – aber Peter hatte sich umentschieden …
Das Cover zierte ein edel wirkendes schwarz/weiß Foto von PG. Es war ungewöhnlich, ihn derart unverfremdet zu sehen – fast schon elegant – wenn auch immer noch verletzlich. Zudem wurde erstmals nicht mehr der angestammte Peter-Gabriel-Schriftzug verwendet. Dies waren schon gleich außen erste Hinweise, dass dieses Album anders werden würde, als die bisherigen.
Tatsächlich ist es für Peter Gabriel auch erstaunlich unverklausuliert. Man spürt die allgegenwärtige Suche nach Eingängigkeit – ohne jedoch den Song zu verraten. Um diesen Grat zu erwischen hatte Gabriel bei der Einspielung auch ungewöhnlich viel Zeit aufgewendet. Mit dem Produzenten Daniel Lanois hatte er dabei einen Mann an seiner Seite, der ihm nach dem Birdy-Soundtrack erneut half, Gefühl und Intensität zusammenzubringen. Zu hören gab es viele (scheinbar) akustische Töne. Die Sequenzer-Experimente waren nicht mehr so offensichtlich wie auf dem Vorgänger – fügten sich harmonischer in einen eher geschmeidigen Gesamtsound ein. Von klassischer Rockmusik hatte sich Gabriel damit endgültig entfernt.
Seit dem letzten Album waren vier Jahre vergangen. Gabriels Produktionszyklen weiteten sich immer spürbarer aus. Diesmal hatte er die Zeit genutzt, um auf Reisen musikalische Eindrücke und Klänge zu sammeln (in Afrika und Brasilien). Gabriels Interesse an Ethnomusik wuchs und gewann an Einfluss. Geschickt nutzte er diese Quellen ohne peinlichen Beigeschmack: Die neuen musikalischen Strukturen fügten sich ganz natürlich ein und meist nahm man sie gar nicht als etwas fremdartiges, sondern als organisch wahr.
Unter den Musikern fand man illustre Gäste: Allen voran Kate Bush und Laurie Anderson die bei jeweils einem Stück Duettpartner waren. Dann aber auch Stewart Copeland (den Schlagzeuger von The Police), Jim Kerr (den Sänger von Simple Minds), Wayne Jackson (The Memphis Horns), den indischen Violinisten L Shankar und natürlich den damals in den ersten Erfolgen stehenden Youssou N’Dour. Teilweise beteiligten sie sich mit nur minimalen Beiträgen – Gabriel war offenbar kein Nobody mehr. Ansonsten arbeitete die gewohnte Crew Tony Levin und David Rhodes, diesmal aber verstärkt um Manu Katché am Schlagzeug. Er sollte auch für die nächsten Jahre Gabriels Stammdrummer bleiben und reichte erst zur (Still) Growing Up-Tour die Stöcke weiter.
Das Album und seine insgesamt fünf Singles wurden Gabriels größter kommerzieller Erfolg. Er konnte sogar Genesis in den Charts überholen. Auf der anschließenden Tour standen auch erstmals kreischende Teenies im Publikum. Von dem Geld, das er mit all dem verdiente, konnte er in dem kleinen Ort Box bei Bath ein altes Wassermühlengebäude kaufen und ausbauen, was den Grundstein seines Realworld-Studios darstellte.
Und natürlich war Sledgehammer nicht nur Gabriels größte Hitsingle, sie kam auch mit einem Videoclip daher, der zu wahren Begeisterungsstürmen führte. Tatsächlich war das charmante Gewusel aus Knetgummimännchen, -gegenständen und –landschaften von höchstem Unterhaltungswert ohne dumm zu sein. Aber auch fünf weitere Songs bekamen Videos, im Falle von Don’t Give Up sogar gleich zwei verschiedene. Bekannter ist das erste, in dem sich über den ganzen Song hinweg Peter Gabriel und Kate Bush umarmt halten. Das zweite wirkt eher über ruhige Bilder, ähnlich wie das zu Mercy Street. Das zu Big Time lehnt sich nicht überraschend an das zu Sledgehammer an, das zu Red Rain wartet mit geheimnisvoll-schönen Portraitstudien von Gabriel und einer Tänzerin auf, und das zu In Your Eyes mit einer wirren Bildermischung (es war auch nie sehr bekannt und befindet sich auf Play in einer mal wieder überarbeiteten Fassung).
Das Album
Änderung der Trackliste
Die Tracklisten weichen in den einzelnen Erscheinungsformaten immer wieder voneinander ab. Die ursprüngliche LP hatte nur acht Stücke. Da das wohl für eine CD ein wenig mager erschien, hatte man ihr einen Bonustrack spendiert – This Is The Picture. Der recht ungewöhnliche, experimentelle Song wirkte nach dem sphärisch ausklingenden We Do What We’re Told jedoch ein wenig drangeklatscht. Noch verwirrender wurde es, als für die remasterte und später die SACD-Ausgabe die Reihenfolge der jetzt neun Stücke dahingehend verändert wurde, dass In Your Eyes ans Ende wanderte.
Im Folgenden wird von der Trackliste der ersten CD-Ausgabe ausgegangen.
Red Rain
Die Eröffnung des Albums fällt durchaus düster aus, klingt aber auch energiegeladen, leidenschaftlich und bei aller Verzweiflung nicht so zerstört, wie das vermutlich beim dritten Album ausgefallen wäre. Gabriel sagte zum Text, es gehe um blockierte Gefühle, die sich in einem Ausbruch von rotem Regen entladen. Die Wucht, die dem Song zueigen ist, läßt das auch deutlich spüren. Trotzdem groovt er durchaus bekömmlich.
Sledgehammer
Es ist ja erstaunlich, dass immer wieder die größten Hits mancher Musiklegende eigentlich eher untypisch oder sogar satirisch gemeint sind. Sledgehammer ist eigentlich nur ein großer Witz. Gabriel hat sich seiner Faszination für Soul-Musik erinnert, die seit den ersten Konzerten, die er in jungen Jahren besuchen ging, tiefen Eindruck in ihm hinterlassen hatte und deren Groove und Theatralik er hier verarbeitet. Unerreicht – und für Gabriel auch absolut ungewöhnlich – die Energie und Vitalität. So aufgedreht und hüpfend hat man ihn noch nie gehört. – Dabei hat der Text durchaus auch eine zerknirschte Note – ist aber vor allem eine endlose Aneinanderreihung von Anzüglichkeiten.
Don’t Give Up
Das gemeinsam mit Kate Bush gesungene Lied klingt auf den ersten Horch wie ein gemeiner Schmuseblues. Von dessen üblichem Schema ist er aber weit entfernt. Ab Beginn umspielt einen Tony Levins unruhig-pulsierender Bass. Über einem warmen Akkordteppich mit Pianotupfern entspannt Gabriels Stimme verlorenen Lebensmut aufgrund von Arbeitslosigkeit. Im rhythmisch beruhigten Refrain übernimmt Kate Bush, die mit gezügeltem Flehen Zuversicht zu spenden versucht. Im Mittelteil rückt ein entkrampft-jazziges Piano in den Vordergrund und der Song steigt zu emotionaler Höhe, bevor er dann vorsichtig beschwingt ausklingt. Gabriel wollte für die zwei „Stimmen“ des Textes eine Frau als Mitsängerin. Ungewöhnlicherweise erging seine erste Anfrage an den amerikanischen Countrystar Dolly Parton, die absagte. Kate Bush zu wählen war dann in jedem Fall gut. Ihre anrührende und doch fast unwirklich klingende Stimme gibt dem Song die nötige Emotionalität ohne in Schmalz zu zerlaufen.
That Voice Again
Immer etwas unter den Tisch fällt Track vier. Dabei birgt er große Dramatik und auf dem Album die vielleicht meiste Kraft verzweifelter Sehnsucht. Unruhig flattert der Song über Grübelei und Selbstzerfleischung dahin, bis er in einem langgezogenen Schrei seinen Zenit findet. That Voice Again gehörte in den Kontext der Mozo-Figur, die Gabriel immer wieder in einigen Songs hat auftauchen lassen (allem voran On The Air) und die ursprünglich einen größeren Gesamtbogen ergeben sollten. Mozo ist ein aus der Gesellschaft herausgefallener, der sich jedoch fortwährend mit ihr und seinem Dasein darin auseinandersetzen muß.
In Your Eyes
Der Song fällt in der (aus LP-Platz-Gründen) verkürzten Version auf dem Album etwas ab und entfaltet seine wahre Energie eigentlich erst in der längeren Maxiversion oder als PG ihn 1987 live spielte (eine Version, die er seit dem bis zum Abwinken reproduziert). Zum Text sagte Gabriel, es gäbe in bestimmten Teilen Afrikas eine Tradition, Lieder zu singen, die gleichzeitig eine Liebeshymne an eine Frau als auch an einen Gott sein können. Folgerichtig hat er in die Musik afrikanische Elemente einfließen lassen: Rhythmen und die druckvolle Stimme von Youssou N’Dour, die im Schlussteil leider viel zu wenig zum Tragen kommt.
Mercy Street
Ein sehr melancholischer Song, angelehnt an das gleichnamige Gedicht von Anne Sexton, die 1974 Selbstmord beging. Er funktioniert über seine mythisch-ruhige und gleichzeitig flirrende Atmosphäre, deren Grundgerüst ein leicht verlangsamter, brasilianischer Triangelgroove ist. Schon in besagtem Gedicht wird bildhaft die Suche nach einer Straße namens Mercy zur Suche nach Erbarmen in der Zerrissenheit des Lebens. Gabriel bringt sie in einer verwundenen Schlusspassage zum leidvollen Höhepunkt.
Big Time (suc cess)
Der Kontrast nach dem vorangegangenen Song könnte nicht größer sein. Grell brettert Big Timeüber alles sensible hinweg und gibt (in für Gabriel ungewöhnlich triefend-ironischer Weise) den Monolog eines aufgeblasenen Erfolgsmenschen wieder. Ob das auch eine Sorgenbekundung vor der eigenen Karriere sein soll? Im Refrain zeigt sich jedenfalls noch ein zweites Mal Gabriels Respektsbezeugung vor der Soulmusic.
We Do What We‘ re Told (Milgram’s 37)
Der ungewöhnlichste und experimentellste Track auf dem Album. Peter Gabriel dokterte an ihm schon seit den Zeiten des Dritten Albums herum. Nur assoziativ an das Experiment Dr. Milgrams aus den 60er Jahren anknüpfend, kommt das Stück fast ohne Text aus, baut seine Bedrohlichkeit aus dahinplinkernden Klängen und hohl tönenden Rhythmen auf, verdichtet sich zu verspannter Intensität und bremst schließlich, um fünf Begrifflichkeiten in den Raum zu stellen, deren Sinnzusammenhang man entschlüsseln muss. Eine Art gereiften Bruder hat der Song in Fourteen Black Paintings, das 6 Jahre später auf USerscheinen wird. Mit We Do What We‘ re Told endete Soin seiner kürzesten Fassung. Eigentlich. Doch es folgt noch
This is the Picture (Excellent Birds)
Dies ist eine Gemeinschaftskomposition mit Laurie Anderson. Ursprünglich für ein Fernsehspecial von ihr produziert, gehört das Stück strengenommen nicht in den So-Kanon. Schon auf Andersons Album Mr. Heartbreak (1984) ist es zu finden – dort unter dem Titel Excellent Birds, der hier nur in Klammern beigefügt wird. Im Gegensatz zu dort, wo der Song knatternd und voller Unruhe daherkommt, hat er hier etwas sphärisches und unwirkliches verliehen bekommen. Aus der samtigen Gesamtstimmung von Sofällt das Stück über Betrachtungen beim Blick aus dem Fenster trotzdem etwas heraus. Kein Zufall, dass Gabriel bei späteren Formaten In Your Eyes als Abschluss wählte.
Fazit
Die leichten Töne in der Schwermut – vielleicht die knappste Erklärung für den Erfolg dieses Megasellers. Oder ist es doch die Schwere in der Leichtigkeit? Der amerikanische Rolling Stone von damals äußerte: „Eine emotional und musikalisch äußerst komplexe Platte“. In jedem Fall schwang Gabriel mit seiner sensiblen Empathie für Not und Leid voll auf der Welle der mittleren 80er.
Autor: Thomas Schrage
Trackliste
1. Red Rain
2. Sledgehammer
3. Don’t Give Up
4. That Voice Again
5. Mercy Street (for Anne Sexton)
6. Big Time (suc cess)
7. We Do What We‘ re Told (Milgram’s 37)
8. This is the Picture (Excellent Birds)
9. In Your Eyes
Veröffentlichung 19. Mai 1986*
Remastered 2. August 2002
SACD 2. Mai 2003
*In Your Eyes an Stelle 5; LP ohne This Is The Picture
Charts
Platz 2 höchste Position in Deutschland; 65 Wochen notiert
Singles
Sledgehammer – 18. April 1986
b/w Don’t Break This Rhythm
b/w I Have the Touch (’85 remix)
Anmerkung: Der Maxi-Mix von Sledgehammer ist leicht variiert: Zu Beginn ertönt nicht der vertraute Shakuhachi-Schnörkel sondern ein knapp einminütiges, sachte groovendes Intro.
Sledgehammer (limited edition dance mix) – April 1986
b/w Don’t Break This Rhythm
b/w Biko (12″ extended version)
b/w I Have the Touch (’85 remix)
Don’t Give Up – September 1986
b/w In Your Eyes (special mix)
b/w This is the Picture (Excellent Birds)
In Your Eyes – Oktober 1986
b/w In Your Eyes (special mix)
b/w Biko (live from Plays Live)
Big Time [EP] – März 1987
Big Time (extended version)
b/w Curtains
b/w No Self Control
b/w Across The River
Big Time (7″ version)
Red Rain – Juni 1987
b/w Ga Ga (I Go Swimming Instrumental)
b/w Walk Through the Fire
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