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Peter Gabriel – Shaking The Tree – Sixteen Golden Greats

1990 erschien Gabriels erste Best-Of Compilation. Wir werfen rückschauend einen Blick darauf.

Gabriels erste Erfolgsbilanz

Im Fahrwasser vom So-Erfolg wurde 1990 auch Gabriels erstes Best-Of Album veröffentlicht. Nicht wirklich verwunderlich, die entstandende Prominenz wirtschaftlich noch etwas auszuwerten. Der Titel dieser Compilation lautete Shaking The Tree – Sixteen Golden Greats – und zumindest die Unterzeile klingt ein bisschen großspurig hohl. Hat Gabriel das so ausgesucht? Den humorigen Touch vom späteren Hit / Miss oder anderen Zusammenstellungen hat dieser Name jedenfalls noch nicht.

Best-Of Compilations sind meistens nicht der Rede wert, da alles Enthaltene dem gemeinen Fan bereits bekannt ist. Im Wesentlichen ist das hier auch nicht anders – aber ein paar Einzelheiten sind es schon Wert, betrachtet zu werden.

Trackliste

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Die Auswahl der Stücke ist natürlich dem Zeitraum des Erscheinens geschuldet. Einiges, das aus heutiger Sicht wichtig wäre, fehlt – es stand damals halt noch gar nicht zur Verfügung. Dadurch aber ist die Atmosphäre des Albums auch eine ganz eigene mit noch starker Betonung auf Kantiges und Abgründiges. Interessant ist zudem, welche Stücke von den bisherigen Alben tatsächlich ausgewählt wurden. Werfen wir also zunächst einen Blick auf die Trackliste.

Das erste Soloalbum von 1977 ist mit zwei Stücken vertreten. Beide sind keine unerwartete Wahl: Solsbury Hill war Peters erster, früher Hit, Here Comes The Flood war bei Fans beliebt und ihm selbst auch immer wichtig. Interessant ist, dass es in einer neuen Aufnahme vorliegt (siehe unten).

Vom oft geschmähten zweiten Album von 1978 ist kein Song dabei. Das ist schade, denn eigentlich hat es durchaus ein paar zugkräftige Nummern.

Vom dritten Album von 1980 sind gleich vier Songs enthalten. Games Without Frontiers war dessen Vorab-Single, Biko wurde ebenfalls ausgekoppelt und ist zudem ein bedeutendes Stück in Gabriels Gesamtoevre. Diese Entscheidungen also nicht verwunderlich. Family Snapshot und I Don’t Remember zu wählen, kann da schon erstaunlicher gefunden werden. Ersteres erfreut sich bei den Fans großer Beliebtheit und auch Peter selbst scheint das Stück zu schätzen, spielt er es doch immer wieder bei Konzerten. Ein Hit war es indes nie. Ebensowenig wie I Don’t Remember, das aber immerhin als Single erschien. Die Wahl hätte durchaus auch auf No Self Control (ebenfalls eine Single) oder Not One Of Us fallen können. Vermutlich wurde I Don’t Remember genommen, weil es von den Möglichkeiten der verträglichste Track ist.

Vom 1982er Album sind drei Stücke vertreten. Shock The Monkey war als veritabler Hit ein Muss. Für San Jacinto gilt ähnliches wie oben: Zwar kein zugkräftiger Hit, musikalisch sogar recht fordernd, aber trotzdem beliebt. Das Album hatte zudem keinen weiteren Single-Erfolg. Das, was am ehesten noch in Richtung Breitentauglichkeit geht, wären Kiss Of Live und eben I Have The Touch. Die Wahl fiel auf Letzters, da es auch wieder mal Single war, und in einem gefälligen Remix vorlag (siehe unten). Außerdem schien Kiss Of Live bei Gabriel offenbar nicht besonders hoch im Kurs zu stehen.

Dass So mit gleich fünf Stücken vertreten ist, verwundert nicht. Erstaunlich ist aber, dass neben den Single-Erfolgen Sledgehammer, Big Time, Don’t Give Up und Red Rain dann ausgerechnet Mercy Street noch dabei ist, In Your Eyes hingegen fehlt.

Dass von Gabriels erstem Soundtrack Birdy nichts miteingeschlossen wurde, wundert wiederum nicht. Scores eignen sich für Best-Ofs eher wenig. Um so erstaunlicher, dass dann Passion doch mit Zaar präsent ist. Das Stück hatte ja auch ein eigenes Video bekommen und wurde im Hause Gabriel offenbar sehr geschätzt.

Schließlich gibt es noch einen Non-Album-Track: Shaking The Tree miteinzubeziehen ist sicher erstens der Freundschaft zu Youssou N’Dour geschuldet, und ein Versuch, ihn in der Welt noch weiter bekannt zu machen, zweitens schien Peter das Stück ohnehin zu schätzen, hat er es doch später bei der Tour zum US Album im Standardrepertoire gehabt.

Zum Abschluss dieses Teils eine kleine Statistikübersicht:

Album Tracks
Peter Gabriel, 19772
Peter Gabriel, 19780
Peter Gabriel, 19804
Peter Gabriel, 19823
Birdy, 19850
So, 19865
Passion, 19891
sonstige1

Edits / Übergänge

Es wurde nicht von allen Stücken die Albumversion ausgewählt. Tatsächlich ist das nur bei fünfen der Fall. Außerdem wurden bei einigen wenigen Tracks kleine Änderungen vorgenommen, um den Übergang zum nächsten zu pointieren. Es lohnt sich also, einen Blick auf die enthaltenen Fassungen zu werfen.

Solsbury Hill, Family Snapshot, San Jacinto, Red Rain und Big Time liegen in den jeweiligen Abumversionen vor.

Track 2 I Don’t Remember
Kommt ohne Start und ist ca. eine Minute kürzer: Der Schluss wurde gerafft, das im Original ausklingende Dröhnen der Gitarren schwillt hier wieder an und wird dann abrupt gekappt von Sledgehammer.

Track 3 Sledgehammer
Enthalten ist der Single Edit. Der ist ca. 15 Sekunden kürzer, ohne Shakuhachi Intro (Einsatz ist gleich mit dem Bläserriff) und das Drum-Outro ganz am Schluss bleibt im Raum stehen, so wie im Video und im Dance Mix. Die Fassung bricht dann ab in einem finalem Wumms mit Hall.

Track 5 Mercy Street
Ist ca. 1’40 kürzer als die Albumversion. Das Intro wurde gerafft, das erste Zwischenspiel ebenfalls und die ganze Schlussphase mit der Vokalimprovisation fehlt.

Track 6 Shaking The Tree
Das Stück stammt eigentlich von Youssou N’Dours Album The Lion (1989), liegt hier aber im 1990 Remix vor, der anders ist, als die Albumfassung oder die auf der separat erschienenen Maxi-Single (ebenfalls 1989). Das Arrangement dieser Version hier ist reduzierter, die Gesamtstimmung dadurch vielleicht nüchterner, gefasster, weniger verspielt.

Track 7 Don’t Give Up
Ist ca. 40 Sekunden kürzer als die Albumversion. Es gibt kein Intro-Fade-In, der Beginn ist ein harter Einstieg ab Sekunde 24 vom Original. Das Fade-Out am Schluss ist ca. 15 Sekunden knapper.

Track 9 Here Comes The Flood – New Recording 1990
Gabriel war nach dem Erscheinen seines ersten Soloalbums nicht zufrieden mit der dort verewigten Version von Here Comes The Flood. Bereits ein Jahr später hatte er für Robert Fripps Soloalbum Exposure eine vollkommen abgespeckte Version aufgenommen. Nochmal ein Jahr später wurde eine ähnliche Fassung in Deutsch als Single-Rückseite zu Spiel Ohne Grenzen veröffentlicht. Aber es gab diese zurückgenommene Version noch nicht auf einem englischen Tonträger unter Gabriels eigenem Namen. Das wurde hier endlich nachgeholt.
Die Neuaufnahme besticht neben der Reduzierung der Begleitung auf einzig Piano (und ein klein bisschen Synthesizer) auch dadurch, dass erstmals die Melodie von Strophen und Refrain leicht variiert wurden.

Track 11 Games Without Frontiers
Ist ca. 10 Sekunden kürzer als die Albumversion. Das Intro beginnt ohne anfängliches Einzählen, startet direkt mit dem erstem Gitarrenton. Das FadeOut wurde zudem etwas gerafft.

Track 12 Shock The Monkey
Vertreten ist der Radio-Edit, der ca. 1’30 Minuten kürzer als die Albumversion ist. Das Intro wurde gerafft, die Wiederholung des Refrains ist raus, das instrumentale Zwischenspiel halbiert. Zum Finale wurde die ganze Endverdichtung verknappt.

Track 13 I Have the Touch
Hier gibt es etwas Verwirrung mit der Track-Bezeichnung. Zu hören ist der ’85 remix, wird aber falsch benannt als 1983 Remix (der nochmal anders ist, vor allem länger). Die vorhandene Version ist ca. 50 Sekunden kürzer als die vom Album. Sie ist im Ganzen gefälliger, hat in den Drums einen weniger synthetischen Klang und wirkt dadurch knalliger, hat mehr Zug. Auch weil beispielsweise die Generalpause nach dem ersten Refrain fehlt oder frische Keyboardläufe eingetreut sind. Die Albumfassung ist dagegen weitaus brockiger.

Track 15 Zaar
Ist fast zwei Minuten kürzer als die Albumversion. 17 Sekunden des Intros sind weg (5 „Pulse“ im musikalischen Atmen), die Schlussphase wurde gerafft. Es dürfte sich um den gleichen Edit handeln, der auch für das Musikvideo benutzt wurde.

Track 16 Biko
Vertreten ist hier tatsächlich eine editierte Albumversion – nicht die Maxi-Version von 1980 (die ja tatsächlich auch länger wäre). Die Fassung ist ca. 35 Sekunden gekürzt, das erste Zwischenspiel wurde halbiert, die finale Passage gestrafft.

Coverbild

Shaking The Tree - das Covermotiov

Das Cover der Compilation zeigt mal wieder ein Portrait von Gabriel. Dabei sind auf Vorder- und Rückseite das beinahe gleiche Bild, das sich im Wesentlichen unterscheidet, dass Gabriel einmal die Augen niedergeschlagen hat und den Betrachter nicht anschaut. Interessanterweise befindet sich das auf der Frontseite. Die Schwarzweißfotos stammen von Robert Mapplethorpe, der noch vor Veröffentlichung des Albums starb. Gabriel hielt ihn für einen der größten Fotografen, der neben kontroversen Inszenierungen auch „fantastische Portraits“ mache.

Fazit

Insgesamt kann man die Zusammenstellung als durchaus gelungen bezeichnen. Sie gibt einen guten Querschnitt durch Gabriels Gesamtschaffen bis zum damaligen Zeitpunkt. Dabei scheut sie sich nicht, anspruchsvollere Stücke zu enthalten, ist gleichzeitig aber so gefällig, dass der durch So angefixte Hörer nicht verstört wird. Und der Die-Hard-Fan wird auch versorgt, befinden sich doch mindestens zwei Einspielungen auf dem Album, die vorher unveröffentlicht waren (mit Here Comes The Flood – New Recording 1990 sogar ein echter Leckerbissen). Natürlich kann man sich die eine oder andere Entscheidung anders wünschen, aber irgendwas zu sagen hat man ja immer. Und die getroffene Auswahl ist absolut akzeptabel.

Dass die meisten Stücke beschnitten sind, ist sicher zum einen geschuldet, dass man eher eingängig sein und dem Hörer nicht zu viel Geduld abverlangen wollte, zum anderen passte so auch mehr auf das Album, das mit gut 77 Minuten eigentlich schon über der Spielzeit einer regulären CD lag. Wenn man die Originalfassungen der Stücke kennt, kommen einem diese Edits vermutlich etwas seltsam vor, und brauchen tut sie der reguläre Fan natürlich überhaupt nicht. Manchmal sind die Schnitte immerhin so geschickt gesetzt, dass man sie ohne direkten Vergleich kaum mitbekommt. Ein paar neue Übergänge zwischen den Tracks (gibt es vor allem in der ersten Hälfte) kann man außerdem zumindest mit anerkennendem Augenbrauenheben goutieren. Die Fassung von Here Comes The Flood ist ansonsten wirklich lohnenswert.

Im Ganzen also eine eingängige Zusammenstellung, die Gabriels Kanten aber nicht versteckt und deshalb integer ist.

Autor: Thomas Schrage 10/2024


Tracklist

1 Solsbury Hill [Peter Gabriel, 1977] – 4:20
2 I Don’t Remember (Edit) [Peter Gabriel, 1980] – 3:48
3 Sledgehammer (Single edit) [So, 1986] – 4:52
4 Family Snapshot [Peter Gabriel, 1980] – 4:25
5 Mercy Street (Edit) [So, 1986] – 4:43
6 Shaking The Tree (1990 remix) [Original: The Lion (Gaïnde), 1989] – 6:24
7 Don’t Give Up (Edit) [So, 1986] – 5:55
8 San Jacinto [Peter Gabriel (Security), 1982] – 6:40 *
9 Here Comes The Flood – New Recording 1990 [Original: Peter Gabriel, 1977] – 4:31
10 Red Rain [So, 1986] – 5:35 *
11 Games Without Frontiers (Edit) [Peter Gabriel, 1980] – 3:57
12 Shock The Monkey (Radio edit) [Peter Gabriel (Security), 1982] – 3:57
13 I Have The Touch (’85 (!) remix) [Original: Peter Gabriel (Security), 1982] – 3:44 *
14 Big Time [So, 1986] – 4:26
15 Zaar (Edit) [Passion, 1989] – 2:58 *
16 Biko (Edit) [Peter Gabriel, 1980] – 6:54

* nicht auf der Vinyl-Version (die heißt entsprechend dann auch Shaking The Tree: Twelve Golden Greats)


Kurzer Vergleich mit HIT

Nur 13 Jahre nach Shaking The Tree erschien Gabriels zweite Best-Of Sammlung Hit / Miss. Über die Verworrenheit der Tracklisten der verschiedenen Landesversionen haben wir hier berichtet. Es ist aber vielleicht noch ganz interessant, welche Tracks von Shaking The Tree denn auch für die zweite Compilation ausgewählt wurden. Dazu folgende kurze Auflistung:

I Don’t Remember ist auf Miss (US-Version)
Family Snapshot ist auf Miss (Deutsche Version)
Mercy Street nicht enthalten
Shaking The Tree nicht enthalten
San Jacinto ist auf Miss (alle Versionen)
I Have The Touch ist zwar auf Miss – allerdings im Robbie Robertson Remix
Zaar nicht enthalten
alle übrigen Tracks sind auf HIT enthalten


Links
Artikel zur zweiten Best-Of Sammlung Hit / Miss