1. Artikel
  2. Lesezeit ca. 4 Minuten

Peter Gabriel – Plays Live – Rezension

Nach vier Studioalben veröffentlicht Peter Gabriel 1983 endlich auch ein Konzertalbum. „Peter Gabriel plays live“ verewigt die Tour zum vierten Album, aufgenommen mit einer Band, die vielen als schlicht DIE Gabriel-Liveband gilt.

Vier Alben lang ließ Peter Gabriel darauf warten, dass ein live-Album veröffentlicht wurde. 1983 war es dann endlich soweit. Das Titelprinzip der ersten vier Alben wurde schlicht erweitert auf „Peter Gabriel Plays Live“. Verewigt ist der erste Abschnitt der Tour zum vierten Album, aufgenommen an vier Abenden bei den Konzerten im Herbst ’82 in den USA.

Die Band, die spielt, wird seitdem oft als die einzig wahre und ursprüngliche Gabriel-Band bezeichnet. Allerdings war dies tatsächlich die einzige Tour, bei der sie in dieser Konstellation zusammenkam. Tony Levin am Bass gehörte ja schon seit Beginn von Gabriels Soloschaffen standardmäßig zum Line-up und erzeugte mit seinen intelligenten Bassfiguren immer wieder ein kunstvolles und doch kraftvolles Fundament. David Rhodeshingegen war zum
ersten mal dabei. Auch wenn er schon bei Album III im Studio mit von der Partie war, so spielte bei der dazugehörigen Tour noch John Ellis die Gitarre. Jetzt aber stand Rhodes mit Gabriel auf der Bühne und man vernimmt gelegentlich auch schon seine verspielten Klanggebilde, die allerdings noch nicht ganz so filigran ausfallen. Meist versuchte er sich als regulärer Rockgitarrist (Not One Of Us, I Go Swimming). Larry Fast an den Synthesizern, schon zum dritten mal mit auf Tour, war Gabriels Lehrmeister in Sachen Keyboards und Sampling. Er hatte zu dem weichen Sound, der Gabriel in den 80ern so charakterisierte, grundlegendes beigetragen und sein Anteil am Klang der vorliegenden Musik war sicher immens. Schließlich auch zum dritten mal dabei Jerry Marotta am Schlagzeug. Sein kräftiges und treibendes Spiel, (besonders auf den Tom-Toms) brachte zum einen stets einen druckvollen Zug in die Songs und blieb zum anderen beweglich und rund. Alle zusammen bilden eine geschlossene, gut funktionierende Band. Der Mythos von der ‚einzig wahren Gabriel Band‘ rührt deshalb mit Sicherheit vor allem von diesem Live-Album her.

Auf ihm sind nun die Highlights Gabriels erster vier Werke verewigt – mit einer Betonung auf Album III und IV. Die Songs sind natürlich allesamt etwas gradliniger arrangiert als bei den Originalversionen. Insgesamt können sie sich mit diesen jedoch messen ohne abzufallen. Das hat sicherlich auch was mit Gabriels Vorgehen zu tun, die Songs im Studio nachzubearbeiten. Im Begleitheft bekennt er sich offen zu diesem ‚Betrug‘. David Rhodes hat einmal in einem Interview auf die Frage, was denn genau geändert worden sei, geantwortet ’nahezu alles‘. Ob das Scherz oder Wahrheit war, bleibe dahingestellt. In jedem Fall haben Gabriel und Mitproduzent Peter Walsh einen kraftvollen, sehr lebendigen live-Sound festgehalten.

Eine gewisse Unmittelbarkeit bleibt schon deshalb erhalten, weil die Musik noch weitgehend handgemacht ist. Larry Fast spielt natürlich gesampelte Sounds und Patterns von seinen Synthis, aber komplette Backgroundloops laufen noch nicht ab.  Aus heutiger Sicht wirken manche Keyboardklänge teilweise vielleicht etwas eindimensional (für PG, der immer 1000 Schichten zusammenbaute, allemal), waren damals aber auf dem Stand des machbaren. Mister Fast war ja immerhin einer der Vorreiter auf dem Gebiet des Samplings. Im Gesamteindruck überträgt sich in der Musik jedenfalls große Dynamik und etwas Unbeengtes.

Vieles auf dem Album gemant noch an Rockmusik (Family Snapshot), aber ebenso können sich Gabriels Klangmalereien entfalten. Das bewirkt, dass etwa The Family And The Fishing Net in dieser Version keineswegs an Intensität verliert und auch innerhalb des Konzertgefüges zu funktionieren scheint. Die grundlegenste Änderung hat No Self Control durchgemacht. Nervöse Instrumentalteppiche und knatterndes Schlagzeug sind Vergangenheit. Statt dessen werden auf einem kantigen Rhythmusloop trübe Synthesizerklänge gewebt und ein beschwörender Männerchor singt zum Höhepunkt, der eher wehmütig denn hysterisch scheint. Eine interessante Variation.

Immer hat Gabriel auf seinen Touren auch eine Nummer im Gepäck, die nicht aus dem Repertoire seiner Albumtracks stammt. I Go Swimming ist es in diesem Fall. Recht rockig, mit eher betrüblichem Inhalt, der sehr energiereich vorgetragen wird. Schade, dass diesem Song nie eine wirkliche Studioversion zuerkannt wurde.

Zu all den Evergreens auf dem Album gehört natürlich auch Solsbury Hill – in dieser Version gradlinig, aber etwas statisch. Shock the Monkey hingegen bewahrt trotz schlichter ausfallendem Soundgewitter seine pulsierend-irritierend-aggressive Struktur. Sehr schön auch, daß es Humdrum mit auf die Scheibe geschafft hat. Ein kleiner aber feiner Song mit melancholisch-phantasievollem Text. Zum Abschluss dann das enorm hymnische Biko, das hier noch nicht die offene Form in der Schlussphase, aber trotzdem starke Wirkung hat.

Ein wenig wirkt das Ganze wie Gabriels Resümee seines Schaffens der ersten Hälfte der Achziger. Mit dem nächsten Album (So) sollte ein neuer Aspekt hinzukommen: nach Aggression, Wahnwitz und Melancholie nun auf einmal auch Eleganz. Deshalb sitzt das Album an dieser Stelle der Diskographie auch goldrichtig.

Abschließend sei erwähnt, dass als CD-Ausgabe zwei Versionen existieren: Zunächst ist eine einfache CD namens Plays live Highlights erschienen, auf der vier Songs fehlen; allerdings gibt es auch eine Doppel-CD mit allen Tracks. Remastered wurden 2002 beide Versionen, die DoppelCD war aber lange nur in wenigen Ländern verfügbar – bis Anfang 2021, als die Doppel-CD neu aufgelegt wurde.

Fazit

Ein schönes live-Album mit sicherlich etwas nostalgischem Wert. Für Einsteiger trotzdem durchaus empfehlenswert.

Autor: Thomas Schrage   1 | 2012


Tracks
1. The Rhythm of the Heat 6:26 *
2. I Have the Touch 5:18
3. Not One of Us 5:29 *
4. Family Snapshot 4:44
5. D.I.Y. 4:20
6. The Family and the Fishing Net 7:22
7. Intruder 5:03 *
8. I Go Swimming 4:44
9. San Jacinto 8:28
10. Solsbury Hill 4:40
11. No Self Control 5:02
12. I Don‘ t Remember 4:20
13. Shock the Monkey 7:40
14. Humdrum 4:03
15. On the Air 5:20 *
16. Biko 6:50

* auf „Plays live – Highlights“ nicht enthalten

Eure Wahl: Nennt die 3 besten Soloalben von Peter Gabriel