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Peter Gabriel – New Blood @ The O2 London – Konzertbericht
Zum Abschluss seiner Mini-Tournee in Europa kommt Peter Gabriel gewissermaßen nach Hause – ins O2 London, das früher unter dem Namen Millennium Dome bekannt war und wo vor 10 Jahren bekanntermaßen Gabriels Millennium Show aufgeführt wurde.
Eine Woche später, eine Hauptstadt weiter – nach dem Studio 104-Konzert in Paris am 20.3. und den Berlin-Shows in der Wochenmitte nun das erste Konzert im Londoner „The O2“. Für Peter Gabriel war es eine doppelte Heimkehr: die Premiere der neuen Show in der Heimat und zugleich die Rückkehr zum früheren „Millennium Dome“, in dem vor zehn Jahren die OVO-Show aufgeführt wurde. VIP-Ticket-Kunden hatten sich schon um 14 Uhr einzufinden – zunächst wurden ein laminierter Soundcheck-Pass zum Umhängen sowie ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift „Soundcheck Access“ ausgegeben – eine Stunde später wurden die Fans dann in den Innenraum geleitet. Das „New Blood Orchestra“ hatte sich bereits eingestimmt und probte mit dem Dirigenten einige kürzere Sequenzen, als nach kurzer Zeit Peter Gabriel auf die Bühne schlurfte – in Filzpantoffeln, Freizeitklamotten, Teetasse in der Hand und auch sonst völlig entspannt. Irgendwann drehte er sich zu den rund 400 VIP-Gästen um und begrüßte sie mit einem launigen „Welcome to the soundcheck“. Etwa 90 Minuten lang hatten die Fans nun Gelegenheit, den Musikern bei der Probenarbeit zuzuschauen, während die Beschallungstechniker hörbar beschäftigt waren, die Resonanzen der Halle in den Griff zu bekommen. Als Peter Gabriel seinen Einsatz am Ende von San Jacinto verpasste, wurde überlegt, einige zusätzliche Takte einzufügen, um es Gabriel zu erleichtern. Dies wurde dann auch gleich erfolgreich geprobt. Später durfte das Publikum entscheiden: zur Auswahl standen drei Songs, von denen nur einer gespielt werden sollte. Gabriel sagte sie der Reihe nach an: Wallflower (großer Applaus), Blood Of Eden (verhaltener Applaus), Mercy Street (enthusiastischer Applaus). Also wurde Mercy Street gleich mal ganz geprobt.
Das Konzert selbst begann dann kurz nach Acht mit Ane Brun, die diesmal drei Stücke spielte, darunter wiederum ihre seltsame Interpretation von Big In Japan. Sie stand dabei direkt vor der gut drei Meter hohen und sich über die ganze Bühnenbreite erstreckenden LED-Wand, hinter der das Orchester bereits Platz genommen hatte. Peter Gabriel hielt eine kurze Begrüßungsansprache, in der er nochmals das Scratch My Back-Projekt erklärte und ankündigte, dass das neue Album in voller Länge gespielt werden würde.
Während der ersten Takte von Heroeswar Gabriel und sein Orchester unsichtbar, erst später wurde die LED-Wand auf etwa fünf Meter Höhe hochgefahren und gab die Sicht auf die Musiker und die anderen drei senkrecht stehenden LED-Wände frei, die dazu dienten, die Songs mit eingespielten animierten Grafiken zu illustrieren, als auch den Zuschauern in den hinteren Reihen Gelegenheit boten, die Künstler hin und wieder in Großaufnahme zu sehen. Zwei ebenfalls hochkant stehende Rückprojektionsleinwände links und rechts der Bühne erfüllten einen ähnlichen Zweck. Mit mehreren Kameras wurde das Geschehen auf der Bühne eingefangen; zum Finale wurde sogar eine Kamerakugel von der Bühnendecke herabgelassen, mit der Gabriel ausgiebig spielte und so fast einem Bühnenscheinwerfer das Licht ausgeblasen hätte. Wie immer bei Gabriel gab es viel zu sehen; kluge Effekte, sparsam eingesetzt, sorgten für den ein oder anderen verblüffenden Moment. Die sich auf und ab bewegende, halb transparente LED-Wand am vorderen Bühnenrand wurde mal ganz oben unter der Decke, mal tiefer, mal ganz unten wie ein Vorhang eingesetzt. Bei Listening Wind wurde das angezeigte Bild der drei Figuren auf den drei rückwärtigen Schirmen aufgegriffen und auf der vorderen Wand exakt so angezeigt, als würde das Bild unbeweglich stehen und sich mit den synchronisierten Auf- und Abwärtsbewegungen nur der gezeigte Ausschnitt verändern. Es schien dadurch so, als würde die sich bewegende Wand die Figuren auf den Rückwänden scannen. Einige Lacher gab es bei den animierten Strichmännchen, die bei The Book Of Love passend zum Text die Schirme bevölkerten. Einige von ihnen hatten Peter-Gabriel-Köpfe, was nicht nur recht lustig aussah, sondern der Geschichte zum Teil einen neuen Sinn gab. Interessant war, dass schließlich diese illustrierenden Elemente die doch recht unterschiedlichen Scratch-Stücke zu einem übergreifenden Ganzen verschmelzen ließen, erst so schien das Konzept wirklich aufzugehen.
Dieser visuelle Aspekt war sicherlich auch der größte Unterschied zur Radio-Perfomance eine Woche zuvor – musikalisch gab es, trotz des anderen Orchesters, keine großen Unterschiede – wenn überhaupt, war das „New Blood Orchestra“ vielleicht eine Spur besser eingespielt. Natürlich war der Sound in der großen, ca. 14.000 Zuschauer fassenden Halle nicht so gut wie im Studio 104 von Radio France, aber im Bereich der VIP-Plätze direkt vor der Bühne war der unverstärkte Klang des Orchesters immer noch gut vernehmbar und mischte sich unauffällig mit dem Sound der Beschallung hoch unter der Decke und dem deutlichen, aber akzeptablem Nachhall der Arena. Die Dynamik war dabei zwar nicht annähernd so hoch wie beim Radiokonzert, dafür kamen die Forte-Stellen des Orchesters deutlich eindrucksvoller herüber; unterstützt vom grellen Licht der LED-Wände wirkte dies einige Male recht bombastisch, ohne jedoch übertrieben zu wirken. Die leichte Schwäche der Scratch My Back-Song-Reihenfolge war jedoch auch hier nicht zu überhören: nach The Book Of Lovesinkt die Spannungskurve des Albums doch erheblich und leichte Langweile macht sich allmählich breit. Es gibt bis zum Schluss kein wirkliches Highlight mehr, so dass es vielleicht interessanter gewesen wäre, hätte man den ersten Teil etwa mit The Power Of The Heart enden lassen.
Nach der Pause ging es dann mit einem umjubelten San Jacinto weiter, und auch hier schien den Musikern der zweite Teil des Sets mehr Spaß zubereiten. Leider war das Orchester ausgerechnet von den VIP-Plätzen direkt vor der Bühne aus kaum zu sehen. Die Bläser, Kontrabässe und der Schlagzeuger wurden von ihren vorn sitzenden Kollegen verdeckt und nur selten waren die Musiker auf den Schirmen zu sehen. Hier hätte eine Staffelung in der Höhe sicher gut getan – der Stimmung, auch auf der Bühne, tat es jedoch keinen Abbruch. Washing Of The Water und Blood Of Eden wurden nicht wirklich vermisst und die äußerst gelungene Version von Mercy Streetstattdessen wie erwartet bejubelt. Mit The Drop, angekündigt als das Stück, das man zuletzt nicht verpatzt hatte und hier deshalb nochmal spielen wollte, konnte keiner so recht etwas anfangen – Wallflower wäre da doch vielleicht die bessere Wahl gewesen. Solsbury Hillals Finale des Hauptteils kam wiederum ganz hervorragend an, diesmal allerdings schienen die Musiker mit dem eingefügten Beethoven ein wenig zu hadern – fast hatte man das Gefühl, sie wären vorlauter Götterfunken leicht aus dem Takt gekommen. Der Zugabenteil dagegen war wie auch eine Woche zuvor eher unspektakulär, Ane Brun hielt sich bei In Your Eyes diesmal auffallend zurück und für The Nest That Sailed The Sky übernahm Gabriel fast unbemerkt das Piano – er hatte seinen Abgang am Ende von Don’t Give Upauf seiner linken Bühnenseite und kam dann rechts zurück.
Fazit: ein fehlerloses Konzert mit annähernd perfektem Sound und faszinierender Optik vor 14.000 begeisterten Zuschauern. Gabriel schien sich auf der Bühne, ja vor allem auf dieser Bühne, doch eher zu Hause zufühlen, als im Sendesaal von Radio France, wobei seine spürbare Gelassenheit natürlich auch aus den inzwischen absolvierten drei weiteren Konzerten in Paris und Berlin resultieren mochte. So wurde er diesmal auch nicht müde, immer wieder einige der Musiker namentlich vorzustellen und erwähnte auch die Kollegen von der Beschallung und der Roadcrew. Arrangeur John Metcalfe, der bei In Your Eyes auch dirigieren durfte, wurde immer wieder aus den Bühnenaufbauten hervorgeholt und freute sich sichtlich über den verdienten Applaus.
Autor: Tom Morgenstern